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Vertrauliche Handreichung 1917: Das »Kriegswirtschaftsbüchlein« für Württemberg

Am 1. Februar 1917 wurde das »Kriegswirtschaftsbüchlein« als vertrauliche Handreichung an Behörden übergeben, die mit besonderen Kriegsaufgaben, vorzugsweise Ernährungsfragen, zu tun hatten. Es handelte sich um »eine kurze Zusammenstellung zur Gewinnung eines Überblicks zusammengestellt in der Landespreisstelle«. So ist im Vorwort schon eine Begründung enthalten, die das Ziel des Büchleins treffend beschreibt: »Daß die Dinge sich schnell ändern, spricht wohl nicht gegen den Versuch; es kann leichter nachgetragen, als gesammelt werden.«

Mitten im Ersten Weltkrieg erstellt, zeigt die Art und die Entwicklung der gesammelten Informationen, dass die Lebensumstände schwierig wurden und vor allem die Ernährung der Bevölkerung gesichert, die Nahrungsmittel gerecht zugeteilt werden mussten. Das Büchlein war explizit nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, sondern als interne Information der Behörden. Und es zeigte auch auf, wie verschiedenste Verwaltungs- und Organisationsaufgaben auf die Ämter im Land aufgeteilt wurden. Ebenso legte es noch einmal kurz aufzählend fest, welches die Aufgaben der neu errichteten Behörden waren. Gedruckt wurde das Büchlein beim J. Fink-Verlag in Stuttgart und umfasste 45 Textseiten. Am 22. Mai 1916 wurde der Reichskanzler ermächtigt, Kriegsmaßnahmen zur Sicherung der Volksernährung zu treffen und ein »Kriegs-ernährungsamt« einzurichten. Dieser neuen Behörde mit Sitz in Berlin wurden eine Reihe anderer Behörden unterstellt, darunter auch Behörden in den deutschen Bundesstaaten. In diesen gab es Kriegsernährungsämter nur vereinzelt, weil »…die deutschen Bundesstaaten von der allerverschiedensten Größe« waren. So wird erwähnt, dass der Stadt-Staat Hamburg vor Probleme der schwierigsten Art gestellt war und »…Elsaß-Lothringen als teilweises Kriegsgebiet unter ganz besondere Lebensbedingungen«.

Es wird angemerkt, dass die Kriegsstellen und Kriegsämter einen »mehr oder weniger elastischen Charakter« trugen, weil ihre Organisation und ihre Aufgaben sich erweitern oder verengen konnten je nach der Gestaltung der einschlägigen wirtschaftlichen Verhältnisse. Es sei also »…eine Art von stets flüssigem Zustande vorhanden, welcher für die Öffentlichkeit manchmal etwas verwirrend wirkt.« Auch wurde bereits am 3. August 1916 ein Reichskommissar für »Übergangs-wirtschaft« bestellt, dessen Aufgabe es sein sollte, den Übergang von der Kriegswirtschaft in die Friedenswirtschaft zu erleichtern.

Eine lange Liste von Behörden zeigt auf, wer alles dem Kriegsernährungsamt unterstellt wurde. Zu den Behörden in Berlin gab es oftmals, aber nicht immer ein Pendant in Stuttgart, das ebenfalls unterstellt wurde. So gab es eine Hafereinkaufsgesellschaft in Berlin, deren Stuttgarter Pendant die Württembergische Landesfuttermittelstelle mit Sitz im Landesgewerbemuseum war. In Berlin fanden sich Kriegsgesellschaften für Sauerkraut, für Kakao, für Kartoffeln und Rüben, aber auch eine Verteilungsstelle für Rohzucker und eine Überwachungsstelle für Seemuscheln. Der Berliner Zentralstelle zur Beschaffung der Heeresverpflegung entsprach die Stellvertretende Intendantur XIII. in Stuttgart in der Neckarstrasse 18 b. Die Landesgetreidestelle in der Silberburgstrasse 174 war zuständige Behörde für die Bewirtschaftung von Brotgetreide, Mehl, Hülsenfrüchte, für Graupen, Grieß, Getreidekaffee, Kekse, Suppen und Nudeln und erstaunlicherweise auch für Kornspiritus. Mit ihr vereinigt war die Fleischversorgungsstelle und die Behörde beschäftigte insgesamt 23 Mitarbeiter.

Als Gesamtbedarf für Württemberg wurden 100 000 Doppelzentner an Getreide im Monat gesehen, Teigwaren monatlich 30 bis 35 Wagen, Hülsenfrüchte etwa 110 Wagen. Die Fleischversorgungsstelle sollte nicht nur den Handel mit Vieh überwachen, sondern auch Vieh für die Versorgung der mobilen Truppen, der Kriegslazarette und der Gefangenenlager beschaffen. »Sämtliches …gekaufte Vieh kommt an die … eingerichtete Viehsammelstelle am Schlachthof Stuttgart, die einschließlich der nötigen Stallungen von der Stadt Stuttgart gepachtet ist. Im Durchschnitt werden für den Heeresbedarf täglich (5 mal in der Woche) 90 Wagen von der Viehsammelstelle verladen.«

Es gab eine Landesfuttermittelstelle, die sich um die Versorgung mit Futtermitteln kümmerte (z.B. »Haber«) und eine Landespreisstelle, die die Preise von Lebensmitteln und Futtermitteln überwachte. Die Landesversorgungsstelle kümmerte sich um die Versorgung mit Milch, Speisefetten und Obst, Gemüse, Eiern und Zucker, auch um Malz und Bier. Die Landeskartoffelstelle in der Schloßstrasse 20 kümmerte sich um Kartoffeln und Bodenkohlraben.

»Kriegswucheramt« nimmt in Stuttgart die Arbeit auf

Auch die Landespolizeizentralstelle war eingebunden in die Kriegswirtschaft, denn bei ihr ressortierte seit dem 1. November 1916 das »Kriegswucheramt«. Dieses hatte die Aufgabe, »…die Bekämpfung des Wuchers und sonstiger unlauterer Machenschaften…« bei Gegenständen des täglichen Bedarfes für das Gebiet des Königreichs Württemberg einheitlich zu leiten. Dazu gehörten zum Beispiel die Verfolgung einer Reihe von Missständen wie Überschreitung der Höchstpreise, übermäßige Preissteigerungen, die Zurückhaltung von Waren oder auch die Unterbindung des sogenannten Kettenhandels.

Für die Verteilung der Lebensmittel und Waren des täglichen Bedarfes waren die Stuttgarter Kriegsernährungsstellen wie z.B. das Städtische Lebensmittelamt oder die Nahrungsmittel-versorgung Stuttgart GmbH zuständig. In der Blücherstraße 5 residierte unter der Leitung von Generalmajor von Ströbel das stellvertretende Generalkommando in Stuttgart mit seinen Arbeitsabteilungen. Darunter fanden sich Abteilungen für Kriegsarbeits- und Ersatzwesen, der Vaterländische Hilfsdienst, eine Abteilung für Pferdeangelegenheiten, für Leichenüberführung, eine Abteilung für Kriegsgefangene und für deren Beschäftigung, sowie eine Sanitätsabteilung in der Gaisburgstrasse 14.

Es gab einen Hauptausschuss für Kriegsfürsorge in Württemberg, der in der Königstraße im Wilhelmsbau residierte, zu dessen Mitglieder neben den verschiedenen Vereinen für unterschiedliche Themen der Kriegshilfe und dem Roten Kreuz auch je ein Vertreter des Kabinetts des Königs und des Kabinetts der Königin entsandt war. Verschiedene Nachschlageverzeichnisse wurden aufgelistet, die Entscheidungen erleichtern sollten, darunter die Statistik der Nahrungsmittelversorgung im Deutschen Reich herausgegeben vom Kriegsernährungsamt.

Neben den Bevölkerungszahlen wurden auch die Viehbestände und die Zahl der Schlachtungen erhoben. Gezählt wurden Pferde, Rindvieh, Schafe, Ziegen, Hühner aller Arten, Gänse, Enten und Schweine. Interessant ist der rasante Rückgang bei den Pferden von 110 277 Ende des Jahres 1912 auf 72 897 im Jahr 1916. Eine Fußnote liefert den Grund: es sind in dieser Zahl auch die Militärpferde enthalten. Dann folgen lange Listen zum Stand des Felderbaus in den Jahren 1913 bis 1916 aus der Anbaustatistik. Die bestellten Hektar nehmen bis auf Winterweizen bei allen Getreidearten ab, besonders deutlich ist der Rückgang bei »Haber«, dessen Anbaufläche von ca. 149 000 ha im Jahr 1913 auf 124 000 ha im Jahr 1916 zurückging. Die Anbauflächen von Erbsen, Linsen und besonders deutlich bei Kartoffeln (von 102 000 ha im Jahr 1913 auf knapp 83 000 ha im Jahr 1916) gingen ebenfalls zurück. Gegenläufig zeigte sich die Entwicklung bei Mohn.

2000 Fußballfelder: Mohn-Anbau 1916

Die Anbaufläche von Mohn hat sich in Württemberg in den Jahren von 1913 bis 1916 mehr als verdoppelt: von 637 Hektar auf 1412 Hektar (rund 2000 Fußballfelder). Es handelte sich hier um den Schlafmohn (Papaver Somniferum), der zur Herstellung von Opiaten und Morphium verwendet werden kann. Diese waren damals die fast einzigen verfügbaren Schmerzmittel (neben Chloralhydrat, das als Narkotikum benutzt wurde und industriell hergestellt werden konnte). In etwa gleich blieb die Anbaufläche bei Runkelrüben und Kohlrüben, die zwar als Viehfutter aufgelistet sind, aber im dramatischen »Steckrübenwinter« von 1916/17 als Nahrung für weite Kreise der Bevölkerung dienten. Schaut man sich jedoch den Stand des Feldanbaus in Württemberg im Jahr 1916 nach den Ernteflächenerhebungen an, so ist ersichtlich, dass die Hektarzahlen der tatsächlichen Ernteflächen noch weiter zurückgegangen waren, bei Kartoffeln z.B. auf nur noch 65 000 Hektar. Ein Grund hierfür ist sicherlich, dass Felder nicht mehr bestellt werden konnten, da viele Männer im Krieg waren und viele Frauen in der Industrie arbeiten mussten.

Tübingen ohne Magarine

Ausführliche Tabellen (siehe auf den Seiten 40 bis 44) widmen sich den Preisen »der notwendigsten Lebensmittel und Bedarfsartikel im Januar der letzten 5 Jahre« erhoben in den Städten Stuttgart, Heilbronn, Esslingen, Reutlingen, Tübingen, Heidenheim, Aalen, Ulm und Ravensburg. So stieg der Preis für einen Liter Petroleum zwar in allen Städten von ca. 21 Pfennig im Jahr 1913 auf 32 Pfennig im Jahr 1917, es darf aber bezweifelt werden, ob jeder, der Petroleum brauchte, es auch zu diesem Preis oder überhaupt bekam. Für Margarine, die im Jahr 1913 noch mit 85 Pfennig für ein Pfund in der Preiserhebung war und deren Preis sich bis 1916 fast verdoppelte, findet sich im Jahr 1917 bis auf eine Notierung in der Tübinger Spalte keine Listung mehr, was den Schluss nahelegt, dass es sie einfach nicht mehr gab. Produkte, die 1917 ebenfalls »fehlten« waren, Haferflocken, Kakao, Reis, Käse, Seife und Stearinkerzen.

Ein interessanter Hinweis erfolgt am Schluss des Kriegswirtschaftsbüchleins, nämlich der auf eine Liste mit vom Handel ausgeschlossenen Personen, insgesamt 1080, die von der Volkswirtschaftlichen Abteilung des Kriegsernährungsamtes in Berlin an die Landespreisstelle in Stuttgart gemeldet wurde. »Ferner hat die Landespreisstelle Aufzeichnungen von allen in Württemberg vom Handel ausgeschlossenen Personen, z.Zt. 23, allen in Stuttgart zum Handel nicht zugelassenen Personen, z. Zt. 51, sowie eine vervielfältigte Zusammenstellung über Fälle von Kettenhandel.«

Am 23. Januar 1917 wurde vom Ministerium des Inneren eine »Mittelstelle« gegründet, zur stetigen Aufklärung über den Nahrungsmittelverkehr und zur Bekämpfung des »wilden Handels«. Sie sollte »von unten auf« durch Ortsaus-schüsse und Bezirksausschüsse unterstützt werden. Für die Ortsausschüsse kamen als Mitglieder in Betracht: »Ortsvorsteher, Geistliche, Lehrer, sonst einflußreiche Männer von verantwortlicher Gesinnung, insbesondere auch Frauen.« Diese Leute sollten sich in den Gemeinden über die Erzeugung von Lebensmitteln auskennen und stetig informieren und außerdem Sammelstellen einrichten für Nahrungsmittel, »für welche Sammlung und Ablieferung nicht abschließend durch amtliche Einrichtungen geordnet ist«. Dies waren vor allem Eier, Butter, Hülsenfrüchte, Speiseöl, Gemüse und Obst. »Die Ablieferung der Nahrungsmittel geschieht gegen Bezahlung«. Vorsitzender des Landesausschusses war Regierungsdirektor Dr. von Hieber, als Geschäftsführer fungierte Oberregierungsrat Neef, der Kanzleidirektor der Zweiten Kammer, die sich in der Kronprinzstraße 2 befand.