:: 7/2018

Europa und der Südwesten vor 100 Jahren: »Drum leihe Dein ganzes Geld …dem Vaterland …«

Wer hätte im Sommer 1914 daran gedacht, dass schon wenige Monate später in jedem Haushalt ein entscheidender Beitrag dazu geleistet werden konnte, um »Deutschlands Vernichtung« entgegenzutreten. Das Badische Kriegskochbüchlein informierte 1915 die Frauen im Deutschen Reich über diesen »volkswirtschaftlichen Kampf« in der Küche und stellte fest: »Jeder Bissen, der gespart wird, trägt dazu bei, die Wehrkraft unseres Vaterlandes zu stärken.«.

Um das Geld, das im Haushalt täglich gespart wurde, um die privaten Ersparnisse auf der Bank oder die Goldmünzen im Familienbesitz hat das Deutsche Reich massiv geworben: Mit diesem Geld wurden über Kriegsanleihen die Kosten für den Ersten Weltkrieg finanziert. 1917 wurde die 6. Kriegsanleihe zur »Entscheidungsanleihe« ausgerufen: »Drum leihe Dein ganzes Geld, soweit Du es nicht unbedingt zum Leben brauchst, dem Vaterland, dem sichersten Schuldner der Welt.«.

Mit den insgesamt neun Kriegsanleihen, die von der Reichsbank zur Finanzierung des Krieges bis 1918 aufgelegt wurden, hat sich das Deutsche Reich Geld in Höhe von rund 98 Mrd. Reichsmark von der Bevölkerung und den Unternehmen geliehen. Insgesamt 39 Mill. Anleihen wurden als staatliches Wertpapier mit jährlicher Zinsgarantie gezeichnet.

Im September 1916 berichten die Mitteilungen des Königlichen Statistischen Landesamtes umfangreich über den Stand der Zeichnungen und stellen fest, dass sich bisher »… jede der 4 Kriegsanleihen …« zu einer wahren Volksanleihe gestaltet hat ... Für die … Kriegsanleihe sollen in diesen Tagen wieder neue Milliarden flüssig gemacht werden. Zur Ausgabe gelangen … langfristige Schuldverschreibungen (feste Rentenanleihen), … Reichsschatzanweisungen … Das bewährte Verfahren, die Anleihe ohne Begrenzung des Höchstbetrages aufzulegen, wurde beibehalten … Ebenso wird … die ganze Kriegsanleihe durch die Reichsbank dem Publikum unmittelbar angeboten. Vermittlungsstellen sind alle deutschen Banken, alle öffentlichen Sparkassen, Lebensversicherungsgesellschaften, Kreditgenossenschaften, die Postanstalten, Behörden, Schulen, Vereine, Fabrikbetriebe, Berufsvertretungen.

…Die Tatsache, dass in Deutschland und nur in Deutschland der starke Wille, mit dem eigenen Vermögen für den finanziellen Kriegsbedarf des Vaterlandes einzustehen, in allen Schichten der Bevölkerung lebendig ist und das jede der 4 Kriegsanleihen sich zu einer wahren Volksanleihe gestaltet hat, wird durch die große Zahl der kleinen Zeichnungen »… aufs neue erhärtet …«.

4 Jahre später, 1920, wird im Statistischen Jahrbuch des Deutschen Reiches ein erster Gesamtüberblick zur Höhe der Anleihen im Deutschen Reich veröffentlicht. Und zwar für die 3. bis 9. Kriegsanleihe nach Staaten und Landesteilen. Der Grund, warum nicht auch die ersten beiden Anleihen mit aufgenommen wurden, ist nicht angegeben. In den Anmerkungen ist die Summe der beiden ersten Anleihen genannt, sodass der Umfang von rund 98 Mrd. Mark für die insgesamt neun Anleihen wieder erreicht wird.

Diese Tabelle zeigt: Von den rund 84,1 Mrd. Mark der Anleihen drei bis neun kamen aus Württemberg 3,44 Mrd. Mark und aus Baden 3,16 Mrd. Mark. Der Anteil betrug rund 4 % für Württemberg und 3,7 % für Baden. Württembergs Anteil an der Bevölkerung des Deutschen Reiches lag ebenso bei rund 4 %. Badens Anteil lag bei 3,5 %: Rein rechnerisch hätten die Badener damit pro Kopf einen höheren Geldbetrag dem Deutschen Reich geliehen als die Württemberger. In den Mitteilungen des Königlichen Statistischen Landesamtes vom Oktober 1918 wird die eher schwache Aussagekraft solcher Vergleiche erläutert. Danach kann die Zahl der Zeichnungen nicht direkt ins Verhältnis mit der Bevölkerung gesetzt werden. Der Grund ist: Personen und Unternehmen wie Banken und andere Institutionen können mehrfach eine Anleihe zeichnen. Und: Auch die Höhe der Anleihen lässt keinen Schluss daraufhin zu, wer einen höheren Beitrag zum erwarteten Sieg (und damit zum angestrebten »Siegfrieden«) geleistet hat.

Deutlich wird dies in der Tabelle am Beispiel von Berlin. Hier lebten zwar nur 3 % der Einwohner des Deutschen Reiches, der Anteil des eingeworbenen Geldes an den 84,1 Mrd. Mark betrug aber 17,5 %. In Berlin, der Hauptstadt des Deutschen Reiches, hatten viele Unternehmen ihren Hauptsitz oder haben dort über ihre Niederlassungen »ihren vaterländischen« Beitrag gezeichnet. Die Anleihen wurden damit auch in Berlin verbucht.

Die aus der Tabelle »Die Ergebnisse der deutschen Kriegsanleihen« erstellte Grafik zeigt die Zahl der Zeichnungen nach der Höhe der Anleihe. Bis 200 Mark wurden rund 19 Mill. Anleihen von 1914 bis 1918 gezeichnet. Damit wurden dem Deutschen Reich 1,5 Mrd. Mark von der Bevölkerung und den Unternehmen treuhänderisch überlassen. 6 430 Anleihen wurde jeweils in einer Höhe von 1 Mill. Mark und mehr gezeichnet: Diese 6 430 Anleihen brachten dem Deutschen Reich 20,4 Mrd. Reichsmark. Die Grafik zeigt: Die finanzielle Mobilmachung hat zwar zu 19 Mill. Zeichnungen kleiner Anleihen geführt (Volksanleihe). Die entscheidenden Mrd. »…für den Schwertschliff…« kamen aber von den Anleihen ab 600 Mark aufwärts.

Exemplarisch für die finanzielle Mobilisierung der kleinen Anleger sind die Schulen. So zeigt die Tabelle aus dem Deutschen Philologen-Blatt die »Statistik der Sammelzeichnungen auf die fünfte Kriegsanleihe an den höheren und mittleren Schulen sowie den Lehrerfortbildungsanstalten des Deutschen Reiches«. Danach wurde in 73 % der »Anstalten« für die 5. Kriegsanleihe geworben. Rund 54 Mill. Reichsmark haben die Schüler mit dieser Anleihe »eingesammelt«. Hier geht es nicht nur um die Zeichnungen von Schülern in den Schulen, die natürlich die Eltern unterschreiben mussten. Sondern auch um Sammlungen von Schülern im Umfeld der Schule wie auf der Straße oder bei Einzelhandelsgeschäften.

Die Grafik zeigt die »Zahl der Zeichner« (Schülerinnen und Schüler) nach Bundesstaat. Danach konnten in Braunschweig 71 % der Schüler eine Anleihe abschließen. In Hessen, etwa vergleichbar mit Württemberg, waren es 51 %, in Württemberg 35 %. Die Bildpostkarten zeigen, wie für Kriegsanleihen geworben wurde. In Frankreich und auch in England war das Verfahren ähnlich wie im Deutschen Reich.

Für die Kriegsgegner des Deutschen Reiches liegen in diesem Sonderheft nur exemplarisch Beispiele zu der Einwerbung von Kriegsanleihen vor. In den Vereinigten Staaten von Amerika wurden drei Kriegsanleihen aufgelegt und eine Siegesanleihe (Victory Loan). Über die Ergebnisse der dritten Anleihe informierte der Haushaltsbericht des US-Finanzministeriums im Dezember 1918. Danach wurden 18,4 Mill. Anleihen gezeichnet in einer Höhe von insgesamt 4,2 Mrd. Dollar. Um einen Vergleich zu haben, wurden diese Anleihen ins Verhältnis zur Bevölkerung der jeweiligen Staaten gesetzt, obwohl die Zahl der Zeichner wie oben erläutert auch in den USA daraus nicht eindeutig abgeleitet werden kann. Das wie im Deutschen Reich »… bewährte Verfahren, die Anleihe ohne Begrenzung des Höchstbetrages aufzulegen …« galt auch in den USA. Eine Spalte der Tabelle gibt sogar die Überzeichnungen an: So war im US-Bundesstaat Delaware die Zahl der Zeichner viermal so hoch wie von der US-Bundesbank vorgesehen.

Die Bank von England konnte erst 1926 einen Geschäftsbericht für die Jahre 1914 bis 1921 erstellen, der nicht veröffentlicht wurde. Der Bericht kann heute online abgerufen werden und zeigt: Mit einer 4 ½ %-Anleihe wurde am 21. Juni 1915 erstmals auch der kleine Investor (small investor) angesprochen, eine Kriegsanleihe zu zeichnen. Hier wurde der Verlauf innerhalb von 16 Tagen bis zum Ende der Zeichnungsfrist festgehalten: 547 000 Anleihen wurden gezeichnet. Dieser Ansturm auf die Anleihe konnte nur bewältigt werden, indem Lagerhäuser angemietet wurden, so der Bericht. In den kriegführenden Staaten waren die Zeichnungstage oder die Zeichnungssonntage auch mit Paraden erbeuteter Waffen vom Gegner Gesellschaftsereignisse (Events).