:: 7/2018

Arbeiterinnen in der Kriegswirtschaft – Die Gewerbeaufsichtsbeamten berichten 1919

1919 erschienen in Stuttgart, gedruckt von der Stuttgarter Vereins-Buchdruckerei, die Jahresberichte der Gewerbeaufsichtsbeamten des Staates Württemberg für 1914–1918. Diese Zusammenfassung anstelle von jährlichen Berichten wurde auch erklärt: »Während des Kriegs standen einer ordnungsmäßigen Berichterstattung durch die Gewerbeaufsichtsbeamten derartige Schwierigkeiten entgegen, daß nach Bundesratsbeschluß die Erstattung der Jahresberichte für die Jahre 1914–1918 von Jahr zu Jahr bis zu Beginn des Jahres 1919 verschoben werden mußte …«

Im Jahr 1918 wurden insgesamt 8 078 Revisionen in revisionspflichtigen Betrieben vorgenommen, im Jahr 1913 waren es noch 23 982 Revisionen gewesen. Der Bestand an Gewerbeaufsichtsbeamten wechselte während des Krieges immer wieder. So wurden einige Gewerbeinspektoren zum Heeresdienst eingezogen, manchmal gelang es auch, den einen oder anderen vom Heeresdienst zurückstellen zu lassen. 1917 konnten zwei kriegsbeschädigte Diplom-Ingenieure gewonnen werden, aber es wurde auch »…die Gewerbeassessorin Weller an das Kriegsministerium abgegeben als Berichterstatterin in der Gruppe Frauenarbeit«. Ein anderer Inspektor musste zum Kriegsministerium als Berichterstatter des Überwachungsausschusses für die Sprengstoff- und Munitionsfabriken. »Das ärztliche Mitglied der Gewerbeinspektion Obermedizinalrat Dr. von Scheurlen war von Kriegsbeginn ab bis Ende November 1918 zum Heere eingezogen.«

Der Krieg brachte den Gewerbeaufsichtsbeamten viele neue Aufgaben, so mussten zum Beispiel für das stellvertretende Generalkommando des XIII. Armeekorps und das Kriegsministerium die Gutachten über Zurückstellungsgesuche für Angestellte und Arbeiter in Gewerbebetrieben erstellt werden. Auch Gutachten und Auskünfte für Behörden wurden verfasst bezüglich der Vergabe von Heeresaufträgen und der Zuverlässigkeit von Unternehmern.

Auch wenn infolge von Rohstoffmangel besondere Regelungen der Arbeitszeit nötig wurden oder bei der Regelung des gewerblichen Verbrauchs verschiedener Stoffe wie Leder, Treibriemen, Chemikalien und Seife, kam das Gewerbeaufsichtsamt zum Einsatz und stellte amtliche Bescheinigungen über den Umfang des Bedarfes aus. Dazu kam dann noch die Zuständigkeit für Fragen der Kriegsinvalidenfürsorge. Die Gewerbeaufsichtsbeamten waren während des Kriegs also nicht allein auf das Gebiet des Arbeiterschutzes beschränkt, sondern konnten »ihre allgemeinen Kenntnisse des Wirtschaftslebens und ihre technische Erfahrung« den auf die Mitarbeit technischer Sachverständiger angewiesenen Militär- und Zivilbehörden zur Verfügung stellen.

In fast jeder Branche nahm nicht nur die Zahl der Arbeiter ab, sondern auch die Zahl der Anlagen und Betriebe. »In der Industrie der Steine und Erden (Gruppe IV) ist die Zahl der Anlagen wesentlich zurückgegangen; bei den Ziegeleien allein im Jahr 1917 um 80 %, im Jahr 1918 noch um 60 % gegenüber 1913.«

Metallverarbeitungs- und Maschinenindustrie:

In der Metallverarbeitungs- und Maschinenindustrie war ein Rückgang der Anlagen um 13,6 % gegenüber 1913 zu verzeichnen, der vor allem daher rührte, dass ein wesentlicher Teil der »Kleinmeister« zum Heeresdienst einzogen und deren Betriebe stillgelegt waren. In dieser Industriegruppe nahm die Zahl der erwachsenen Arbeiter 1918 geringfügig zu um 3,4 %, doch stieg die Zahl der Arbeiterinnen im Jahr 1917 um 337 % und in 1918 um 361 %, was einer Anzahl von 29 114 Frauen entspricht.

Chemische Industrie:

Während in der Chemischen Industrie durch gesteigerte Pulver- und Sprengstoffherstellung die Zahl der Arbeiter und Arbeiterinnen leicht anstieg, nahm in der Textilindustrie die Belegschaft seit 1913 um 61 % ab, bei den Männern mehr als bei den Frauen und jugendlichen Arbeitern. »Von den weiblichen und jugendlichen Arbeitern ist ein beträchtlicher Teil zur Metallindustrie übergegangen. In der Papierindustrie ist der Ausfall an männlichen Arbeitern durch den Zuwachs von weiblichen und jugendlichen Arbeitern nahezu ausgeglichen worden.« In der Holzindustrie nahm die Zahl der Arbeiterinnen von 815 im Jahr 1913 auf 2064 in 1918 zu, also um 153 % und hierbei handelte es sich um körperlich schwere Arbeiten.

Nahrungs- und Genussmittelindustrie:

Hier war ebenfalls eine starke Zunahme von Arbeiterinnen zu verzeichnen, jedoch hauptsächlich durch deren Einsatz in der Zigarettenindustrie.

Metzgereien und Brauereien:

Die Zahl der Anlagen der Gewerbegruppe XIII, das sind die Metzgereien und Brauereinen, ging durch Stilllegungen stark zurück.

Baugewerbe und Bekleidungsgewerbe:

Auch hier ging sowohl die Zahl der Anlagen als auch die Zahl der Beschäftigten von 1913 bis 1918 stark zurück.

Unmittelbar nach Kriegsausbruch waren zahlreiche Unternehmen zu Betriebseinschränkungen genötigt. Durch die Einziehungen zum Heer entstanden Lücken in den Betrieben, die zunächst nicht aufgefüllt wurden. Wenn in Handwerksbetrieben der Inhaber eingezogen wurde, hatte dies meist einen sofortigen Stillstand zur Folge. Dies führte zunächst zu deutlicher Arbeitslosigkeit, die teilweise auch Lohndruck erzeugte. Nur in den Betrieben, die für direkten Heeresbedarf arbeiten konnten, z.B. bei Bekleidungs- und Ausrüstungsstücken, aber auch bei Waffen und Pulver, wurde die Produktion gesteigert, allerdings nicht durch eine Erweiterung der Anlagen oder Einstellungen, sondern zunächst durch Einführung von »Überarbeit«, also Überstunden. Die Industrie belebte sich in Württemberg langsamer als in anderen Regionen, weil »die württembergischen Betriebe anfänglich direkte Heeresaufträge fast gar nicht erhalten konnten und in der Hauptsache auf die Entgegennahme von Aufträgen aus zweiter und dritter Hand angewiesen waren.« Ab Ende 1915 nahm der Mangel an Textilrohstoffen und Leder zu, was wiederum zu Arbeitslosigkeit in den Spinnereien, den Webereien, den textilverarbeitenden Betrieben und in den Schuhfabriken führte. 1917 und 1918 war dagegen wieder ein deutlicher Mangel an Arbeitskräften da und es fand ein ständiger Zustrom in die Kriegsindustrie aus der Landwirtschaft und der Hauswirtschaft statt. (siehe I Punkt Kriegsindustrie)

Friedrichshafen:

Dort entstand eine Fabrik für Motoren- und Flugzeugbau, in der binnen kurzer Zeit etwa 4000 Arbeiter beschäftigt waren. 1918 arbeiteten dort im Motoren- und Luftschiffbau 6500 männliche und 1500 weibliche Arbeitskräfte.

Fleisch aus der Dose:

»Eine ungewöhnlich rasche Entwicklung nahm eine Anlage zur Herstellung von Fleischkonserven. Der Betrieb wurde im Jahre 1915 in den Räumen eines vorhandenen Gebäudes mit 5 Arbeitern aufgenommen. Das Geschäft nahm in solchem Umfang zu, daß im Jahr 1918 in dem Betrieb mit der Herstellung von Fleischkonserven und daneben auch Gemüsekonserven nahezu 400 Arbeiter beschäftigt wurden.«

Heim- und Hausarbeit

1914 gab es verschiedene Arten der »Hausindustrie«, also der Heimarbeit. Sie gab es bei der Zigarren- und Zigarettenfabrikation, einem Teil der Strickerei-Industrie, in der Kinder- und Leibwäschefabrikation und bei der Harmonikafabrikation. Kurz nach Beginn des Krieges wurde Heimarbeit knapp. Obwohl ins Stocken gekommene Industriezweige bald wieder Beschäftigte einstellten, kam dies mehr den in den Betrieben beschäftigten Arbeiterinnen zugute und weniger denjenigen, die Heimarbeit verrichteten. »Ein Teil der Heimarbeiterinnen, namentlich diejenigen, deren männliche Angehörige ins Feld gezogen waren, suchten daher als Fabrikarbeiterinnen unterzukommen.« Durch die steigenden Einberufungszahlen bei den Männern waren immer mehr Frauen auf Erwerb angewiesen »…und zwar auch Frauen solcher Kreise, die noch nie Lohnarbeit verrichtet hatten.« Währenddessen stieg die Nachfrage nach Heimarbeit. Wenn eine Fabrik die Abgabe von Heimarbeit ankündigte, meldeten sich oft hunderte von Frauen. Dies wiederum erzeugte Lohndruck. Ab Frühjahr 1917 gab es eine Landesvermittlungsstelle für Heimarbeit mit etwa 100 Zweigstellen im Land. Die Arbeit ging in erster Linie an bedürftige Personen. Arbeit gab es vor allem bei der Produktion von Wäsche, Kleidungsstücken und Ausrüstungsgegenständen. Erst war es Neuanfertigung, dann immer mehr Instandsetzungsarbeit von gebrauchten Sachen. In besonderen Werkstätten wurden die Frauen eingelernt. »Die Landesvermittlungsstelle erwies sich als segensreich, sie bewirkte unter gleichzeitigem Schutz der Heimarbeiterin, daß auch schwache bedürftige Kräfte, die in der Industrie nicht unterkommen konnten, Arbeit fanden.« Die Art der herzustellenden Produkte änderte sich mit dem Kriegsverlauf.

Trikotwarenfabrikation:

Hemden und Hosen, nun auch für den Heeresbedarf.

Strickerei-Industrie:

Statt Strümpfen und Sportwaren nun Socken, Unterhosen, Kniewärmer, Kopfschützer, Handschuhe

und Westen für den Heeresbedarf.

Korsettindustrie:

Nun Heereslieferungen wie Zwiebacksäckchen, Brot- und Zeltstockbeutel, Leibbinden, Zeltbahnen, Sandsäcke, Bettwäsche.

Uhrenfabrikation im Schwarzwald:

Anfertigung von Munition und dabei kaum mehr Heimarbeit.

Spielwarenindustrie in Ludwigsburg:

Große Nachfrage nach »Soldaten«, mit viel Heimarbeit. Im Herbst 1916 wurden neue Maschinen aufgestellt, die die Heimarbeit ablösten.

Zigarren- und Zigarettenindustrie:

Ab dem Jahr 1915 wurde die Heimarbeit immer mehr durch Betriebsarbeiterinnen abgelöst, mit neuen Maschinen mit höherem Ausstoß. Heimarbeit gab es nicht mehr aus Mangel an Tabak.

Papier- und Kartonagenfabrikation:

Gleichmäßig Heimarbeit; die Produkte wie Schachteln, Briefumschläge usw. gingen jedoch in den Heeresbedarf.

»Die früher von Frauen nur selten ausgeübte, selbständige Betätigung in der Herrenkleiderfabrikation kam im Kriege bei der Anfertigung von Bekleidungsstücken für das Heer sehr zur Geltung. ...ja, es wurden sogar Frauen angetroffen, die selbständig Waffenröcke nähen konnten.« In die Heimarbeit gingen Aufträge zur Herstellung von Drillichanzügen, Anzügen für Gefangene und die Herstellung von Mützen. »Das Umlernen und wieder Neu-Einlernen und Einstellen auf eine andere Arbeit war im Kriege das Los vieler Heimarbeiterinnen, insbesondere der Näherinnen.« Je nachdem, welchen Bedarf die Militärbehörde gerade hatte, mussten einmal Zeltbahnen und Brotbeutel, dann wieder Sandsäcke oder Ober- und Unterkleidung hergestellt werden. Manche Produkte waren sehr rasch fertigzustellen, dies erforderte dann Überzeit und Nachtarbeit. Auch musste öfter das Unternehmen gewechselt werden. »Fabriken, deren Industrie darniederlag, wie z. B. die Möbelfabrikation, wurden durch Aufträge der Bekleidungsämter in den Stand gesetzt, Heimarbeiterinnen zu beschäftigen.« Im letzten Kriegsjahr wurde versucht, das Zertrennen von Militärkleidung zwecks Umarbeitung als Heimarbeit zu vergeben. Hierbei gab es große Staubentwicklung und es bestand Ansteckungsgefahr wegen möglicher unzureichender Desinfektion. Deshalb untersagte das Gewerbeaufsichtsamt diese Arbeit für die Hausindustrie.

Kriegsbetriebe: gute Verdienstmöglichkeiten

Die Arbeiterschaft in den Betrieben setzte sich bald anders zusammen als noch in Friedenszeiten. »Am auffälligsten war zunächst die außerordentlich starke Hereinnahme von Arbeiterinnen insbesondere in die Betriebe, welche der Massenherstellung von Heeresbedarf dienten.« Auch zunehmender Stellenwechsel zeigte sich, wenn sich die Betriebe der Kriegsindustrie vergrößerten. Manche Arbeiter erhofften sich in diesen Betrieben eine größere Aussicht auf dauernde Zurückstellung vom Heeresdienst. Die Kriegsindustrie zahlte vergleichsmäßig gut, so dass auch gelernte Arbeiter wechselten und sich in den Kriegsbetrieben anlernen ließen. Es zogen Leute vom Land in die Stadt und selbstständige Handwerksmeister schlossen teilweise ihre Betriebe vorübergehend, weil die Beschäftigung in den Kriegsbetrieben besser bezahlt wurde. Teilweise wurden auch kriegsgefangene Russen, Belgier und Italiener eingesetzt. Allerdings ergaben sich Probleme. »Die Leistung derselben war ganz gering und stand in keinem Verhältnis zu dem Aufwand und den Störungen, die sie im Betrieb verursachten…« Lediglich die italienischen Kriegsgefangenen hatten einen guten Ruf: »Es gab keinerlei Anstände mit denselben, sie waren stets arbeitswillig und verhielten sich auch in ihrer Freizeit im Quartier ordentlich und anständig.«

Was die Arbeitszeiten betraf, wurde vermerkt, dass viele Kriegsbetriebe bald von regelmäßiger Tagesarbeitszeit auf mehrschichtige Arbeitszeiten übergehen mussten. Viele Arbeiter hatten auch lange Schichten durchzuhalten von 12-13 Stunden, manchmal von 14-15 Stunden, gerade in den Großbetrieben der Feinmechanik zum Beispiel zur Zünder-Anfertigung. Auch Sonntagsarbeit gab es nun häufiger: »Für die Dauer des Krieges sollen alle Sonntagsarbeiten, die für den Heeresbedarf und für die Lebensmittelversorgung des Heeres und der Bevölkerung zu leisten sind, nicht beanstandet werden.«

1913 waren 79 535 Arbeiterinnen registriert, im Jahre 1918 waren es 95 544, also eine Zunahme um 20 %. Grund war einerseits ein gestiegener Arbeitskräftebedarf in der Kriegsindustrie und andererseits der nötige Ersatz für zum Heer eingezogene männliche Arbeiter. Dies führte dazu, dass die Arbeiterinnen nicht mehr wie bisher üblich, »leichtere Beschäftigungsarten« auszuführen hatten, sondern dass sie nun auch schwerere Arbeiten erledigen mussten. »So wurden in der Holzindustrie die Frauen an Holzbearbeitungsmaschinen aller Art, in der Lederindustrie an Sattler-, Schuhmacher- und Nietmaschinen, in der Schuhindustrie an Schleif-, Fräs-, Kopier-, Bims-, Polier und Überholmaschinen, in der Papierindustrie an Papiermaschinen und Kalandern beschäftigt, durchweg Maschinen, die früher nur von Männern bedient worden waren.«

In der Zigarettenindustrie lernte man Frauen als Maschinenführerinnen ein, in den Buchdruckereien bedienten Frauen die Setzmaschinen. »In Elektrizitätswerken wurden sie zur Bedienung der Schalttafeln, in chemischen Fabriken zum Kontrollieren und zum Ablesen an Apparaten benutzt.«

Auch an Hobelmaschinen und den Brennöfen der Majolikafabrik fand man nun Frauen. In die Metall- und Maschinenindustrie meldeten sich viele Frauen, weil dort die Löhne höher waren oder weil die angestammten Betriebe wegen Rohstoffmangel geschlossen hatten und die Arbeiterinnen entließen.

Frauen fanden sich nun an Drehbänken, an Fräs-, Bohr- und Schleifmaschinen und wurden zum Glühen, Schweißen, Schmieden, Löten und Anstreichen eingesetzt, ebenso »… als Kranenführerinnen und am Dampfhammer…«. Dabei stellte die Gewerbeinspektion fest, dass die Betriebe, die zuvor schon Arbeiterinnen beschäftigt hatten, bei der Zuweisung von Arbeiten eher an die besondere »Veranlagung« und die Körperkräfte der Frauen dachten, als vor allem kleinere Firmen, die erst durch die Kriegsverhältnisse erstmals Frauen beschäftigen mussten. Auf Anweisung der Gewerbeinspektion wurden auch Hilfseinrichtungen angeschafft, die den Arbeiterinnen schwere Arbeiten erleichtern sollten, zum Beispiel Hebevorrichtungen für die Bearbeitung schwerer Munition.

Lange Arbeitszeiten und Schichtbetrieb

Manche Betriebe nahmen zunächst an, dass auch für die Arbeiterinnen Überarbeit und Nachtarbeit ohne weiteres zulässig sei. Wegen Bedenken für die Gesundheit der Arbeiterinnen stellte die Gewerbeinspektion deshalb fest, dass die Schonungszeiten für Wöchnerinnen unter allen Umständen einzuhalten waren, dass bei reiner Tagesbeschäftigung die Arbeitszeit höchstens auf 12 Stunden verlängert werden durfte und das nur für kurze Zeit, und dass bei Schichtarbeit die Einführung von 3 Schichten mit je 8 Stunden anzustreben war. Bei nötigen längeren Schichten sei die Höchstgrenze 10 Stunden. Auch verlangte die Gewerbeinspektion für Nachtschichten ein Angebot an warmen Speisen und an Getränken für die Pausen. Nicht überall stießen die 8-Stunden-Schichten auf Zustimmung, denn manche Arbeitskräfte kamen mit dem Zug zur Arbeit und die Zugverbindungen waren oftmals ungünstig.

So blieb manchen nur eine kurze Ruhezeit zu Hause. Auch hier erstellte die Gewerbeinspektion klare Anweisungen. Es zeigte sich schnell, dass die Heranziehung von Arbeiterinnen zur Überarbeit am Anfang sehr stark war und dann im Laufe der Jahre um mehr als die Hälfte zurückging. Die Gewerbeinspektion erteilte inzwischen kaum mehr Ausnahmebewilligungen aus »Rücksicht auf die langjährige Überanstrengung der Arbeiterinnen und die schlechten Ernährungsverhältnisse«.

Auswirkungen auf Lebenshaltung und Gesundheit

Die Gewerbeinspektion stellte früh fest, dass die außergewöhnlichen Anforderungen an die Frauen in der Industrie auf die Gesundheit vieler Arbeiterinnen einen »nachteiligen Einfluß« ausübten. Vor allem war dies der Fall bei schweren körperlichen Arbeiten, wo keine entsprechende Hilfseinrichtung zur Verfügung gestellt werden konnte oder wenn die »allgemeinen gesundheitlichen Verhältnisse des Betriebes ungünstige waren«.

Granaten und Minen: Die schwersten Arbeiten, die Frauen verrichten mussten, gab es bei der Bearbeitung von großen Granaten und Minen. »Die Arbeiterinnen hatten hierbei unter Umständen bis zu 80-90 Pfund schwere Stücke teilweise bis zu 50mal täglich zu heben.« Die Gewerbeinspektion befürchtete gravierende Gesundheitsschäden, die sich nicht immer sofort, sondern auch im Laufe der Jahre herausstellen würden. Oftmals verleitete auch der höhere Verdienst die Frauen dazu, »…für ihre körperlichen Verhältnisse ungeeignete Arbeiten zu übernehmen.«

Die Belegschaften waren vielfältig; es fanden sich Kellnerinnen, Köchinnen, Dienstmädchen, Näherinnen, Sängerinnen, also Berufsgruppen, die die lauten Maschinengeräusche und das lange Stehen nicht gewöhnt waren. »Von einer Munitionsfirma, die mit solch verschiedenartigem Personal arbeitete, wurde berichtet, daß kaum ein Tag oder eine Nacht vergehe, an welcher nicht ein oder mehrere Arbeiterinnen Nervenanfälle bekämen.«

Auch der Schichtbetrieb war ungewohnt, so dass manche Frauen bei Tag nach der Nachtschicht zu wenig schliefen, abends zu lange aufblieben und die Unterernährung inzwischen ein Dauerzustand war. Gerade in der zweiten Hälfte der Nachtschicht wurden stark nachlassende Leistungen aufgrund von Übermüdung konstatiert. Dazu kamen noch weite Wege zu Fuß oder mit der Bahn und dass zuhause noch häusliche Arbeiten zu verrichten waren. Die Bereitschaft zur besser bezahlten Überzeit oder Nachtarbeit ließ umso mehr nach, je länger der Krieg dauerte. »Öfter wurde die Beobachtung gemacht, daß die Arbeiterinnen Gesundheitsstörungen niederkämpften und Krankheitsbehandlungen auf eine spätere stille Zeit verschoben.«

»Häufig geklagt wurde auch über das sittliche Verhalten mancher Arbeiterinnen bei der engen Zusammenarbeit von Mann und Frau.« Dies wurde zwar nicht näher ausgeführt, aber an dem Umstand ausgemacht, dass es in vielen Betrieben keine getrennten Umkleide- und Waschräume gab. Diese Betriebe mussten mit behördlichen Vorschriften und Anweisungen rechnen.

Bei der Firma Robert Bosch A.G. wurde im Herbst 1917 eine Anlernwerk-statt für aus dem Betrieb hervorgegangene Hilfsarbeiterinnen eingerichtet. Die Ausbildung betrug 8 Wochen sowohl praktisch als auch theoretisch. Die Firma Wilhelm Binder, Silberwarenfabrik in Gmünd, richtete 1918 eine besondere Lehrwerkstatt zur Ausbildung von Arbeiterinnen als Silberschmiede ein mit guten Erfahrungen. »Die besten Erfolge bei der einviertel bis einhalb Jahr dauernden Lehrzeit wurden bis jetzt mit 17-20jährigen Mädchen gemacht. Jüngere Mädchen waren teilweise zu flatterhaft.« Arbeitsschutz und Betriebsunfälle Die Gewerbeaufsichtsbeamten hatten sich zusammen mit den technischen Aufsichtsbeamten der Berufsgenossenschaften seit Jahren um Unfallverhütungsmaßnahmen in den Betrieben bemüht. Nun stellten sie im Krieg nicht nur eine verminderte Überwachung fest, sondern auch immer weniger gelernte und eingearbeitete männliche Arbeiter, weil diese an die Front mussten. Deshalb arbeitete immer mehr ungelerntes Personal, das keinen Begriff von den Unfallgefahren hatte und auch ohne »tüchtiges Aufsichtspersonal« arbeiten musste. Das Einlernen neuer Arbeitskräfte musste rasch erfolgen, Änderungen in der Produktion kamen häufiger vor, sowohl Rohstoffe wechselten und dann die entsprechenden Ersatzstoffe, wenn Rohmaterial ausging. Bleche und Eisen für Schutzvorrichtungen fehlten immer häufiger, so dass zu Bewehrungen aus Holz gegriffen wurde, die aber schneller zerschlissen waren. Auf einer Tagung in Stuttgart 1918 wurde festgestellt, dass eine Steigerung der Unfälle im Allgemeinen nicht eingetreten sei. Die Zahl der tödlichen Unfälle käme hauptsächlich von Explosionen in Sprengstoffbetrieben und sei somit mit Zahlen der letzten Friedensjahre nicht vergleichbar.

Dass die Zahl der gemeldeten Unfälle nicht weiter gestiegen war, wurde damit begründet, dass die Kriegsbetriebe hauptsächlich der Massenherstellung dienten, die weitgehende Arbeitsteilung zuließ und dass der größte Teil der ungeübten Kräfte mit reiner Handarbeit oder mit Arbeiten an einfachen leichten Maschinen beschäftigt wurde, während die gefährlichen und schweren Arbeiten weiterhin den Männern vorbehalten blieben. Eine Gruppe von Verletzungen nahm während des Krieges erheblich zu: die Finger- und Handverletzungen an Pressen und Stanzen in der Metall- und Papierverarbeitungsindustrie. Die Zahl der Pressen und Stanzen nahm in der Kriegsindustrie zu und es musste vielfach ungeeignetes Personal an die Stanzen. »So wurde oft darüber geklagt, daß die Schutzvorrichtungen von den Arbeiterinnen unwirksam gemacht worden waren.« Auch wurde festgestellt, dass unscheinbare Verletzungen, die in früheren Jahren komplikationslos heilten, nun teilweise zu dauerhafter Arbeitsbeschränkung und in einzelnen Fällen sogar zum Tode führten. »Es hängt dies wohl mit der durch Unterernährung geschwächten Widerstandsfähigkeit des Körpers zusammen.«

Der Bedarf an Munition stieg und es wurde auch immer mehr Munition in privaten Betrieben hergestellt. Es gab jedoch auch immer mehr militärische Munitionsanstalten, von denen die ersten in Württemberg Anfang 1915 eingerichtet wurden. Weil dauernd Änderungen vorgenommen wurden und auch ungenügend geprüfte Prozesse in Produktion gingen, »gestaltete sich die Übernahme der Mitverantwortung für diese Betriebe für den Gewerbeinspektor zeitweise recht schwierig.«

So fand sich zufällig eine Anlage zur Herstellung von Leuchtmitteln, weißen Leuchtsternen mit Aluminiumpyroschliff, bei der 6 Arbeiterinnen beschäftigt wurden und bei der die Lagerung der Rohstoffe, der Fertigfabrikate und die Herstellung alles in einem einzigen Raum stattfand und das ohne Beachtung jeglicher Vorschriften, so dass die sofortige Einstellung des Betriebes durch das Oberamt herbeigeführt wurde. Das war wohl auch nötig. »In den im Reich für den Heeresbedarf arbeitenden Privatbetrieben, welche Sprengstoffe herstellten oder zu Munition verarbeiteten, kamen in den ersten Kriegsjahren mehrere größere Explosionen vor, welche teilweise starke Menschenverluste brachten und die Bereitstellung der für das Heer nötigen Munition zeitweilig gefährdeten.«

Insgesamt ereigneten sich 1914-1918 in Württemberg in den Betrieben, die Sprengstoff herstellten oder verarbeiteten,15 Explosionen und Brände, bei denen 32 Personen getötet und 60 verletzt wurden. »In einer Leucht- und Signalpatronenfabrik fand eine Explosion statt, der 2 männliche und 10 weibliche größtenteils jugendliche Arbeiter zum Opfer fielen.« Das Gebäude war vorschriftswidrig in einer Stadt untergebracht und es gab wohl eine Staubexplosion. In einer Pulverfabrik erlitt eine Arbeiterin tödliche Verbrennungen, die eine Trockenwanne aus Aluminium fallen ließ und weil dies einen Funken ergab. Hier wurde angeordnet, dass die Arbeiterinnen künftig Hosen zu tragen hätten.

Die »Fabrikpflegerin«: Ein neues Berufsbild entsteht

»Eine Überfüllung der Arbeitsräume mit Menschen und Maschinen, unzureichende Lüftung der Arbeitsräume, mangelhafte oder fehlende sanitäre Einrichtungen waren häufig zu beanstanden.« In einer Anlage zur Füllung von Granaten, für die neben anderen Sprengstoffen auch Trinitroanisol in geschmolzenem Zustand verwendet wurde, kam es zu vielen Erkrankungen. Es handelte sich um Verätzungen der Haut mit nachfolgender Hautentzündung. Und aus Krankenkassenakten war ersichtlich, dass es häufig Verdauungsstörungen gab und »…bei den Arbeiterinnen vermehre sich Blutarmut.« Auch in den Pikrinsäureabteilungen der chemischen Industrie gab es immer wieder Vorfälle: Anilismuserkrankungen durch Einatmen von Anilindämpfen und Hautausschläge. In einem Tonwerk kam Ammonpulver zum Einsatz und Quecksilber, das in großen Schalen aufgestellt war. Hier wurden Quecksilbervergiftungen bei den Arbeiterinnen befürchtet. Deshalb wurden bestimmte Körperpflegemaßnahmen angeordnet und die Verwendung von jugendlichen Personen untersagt.

Die Unterbringung und Ernährung von Arbeiterinnen verursachte vor allem in den Betrieben Probleme, die vorher keine weiblichen Kräfte beschäftigt hatten. Nicht nur der Weg zur Arbeit war zu organisieren, auch Beköstigung und Wohnung. »Das Bedürfnis der Unterstützung des Betriebsinhabers … durch eine weibliche Hand machte sich bei diesen Aufgaben bald dringend fühlbar.« Deshalb übergab eine Gewehrfabrik die Leitung ihrer Abteilung Arbeiterinnenfürsorge einer erfahrenen Sozialbeamtin, die Speiseanstalten und Heime für Arbeiterinnen organisierte und dazu auch weitere weibliche Kräfte anstellte (Heimleiterinnen, Wirtschafterinnen, Köchinnen, auch Handarbeitslehrerinnen). Es wurden eigene Fürsorkurse für Wäsche und Kleidung, auch Schuhkurse zur Ausbesserung von Schuhen. Manche Firmen schafften »Wanderkörbe« für Wöchnerinnen an, die Wäsche für ca. 6 Wochen enthielten. Nach 6 Wochen wurden diese zurückgegeben, Sachen ausgebessert und an die nächste Wöchnerin übergeben. Die meisten Betriebe wollten im Übrigen diese Fürsorgerinnen auch nach dem Krieg halten, weil sie deren Einsatz in der Familienfürsorge schätzen gelernt hatten. Die Gewerbeaufsichtsbeamten überprüften regelmäßig die Einhaltung der Arbeitsbedingungen in den Betrieben, insbesondere bei denen, die Frauen beschäftigten. Die Entwicklung der dokumentierten Verstöße zeigt, wo es Probleme gab:

Bericht der Aufsichtsbeamten

Der Bergamtsvorstand hatte die Aufsicht über die Einhaltung der Bestimmungen der Gewerbeordnung über die Beschäftigung von Arbeiterinnen und jugendlichen Arbeitern und über die Sonntagsruhe. Es handelte sich um 7 Anlagen, darunter eine für die Solegewinnung und eine chemische Fabrik. Noch 1915 waren in diesen Bereichen keine Frauen beschäftigt, 1916 waren es 91 Frauen, 1917 waren es 49 und 40 Frauen im Jahr 1918. Auch wurden dort regelmäßig etwa 200 Kriegsgefangene eingesetzt. »Die Arbeiterinnen waren in der Hauptsache beim Trocknen, Lagern, Vergällen und Versand von Siedesalz beschäftigt; ein Steinsalzwerk beschäftigt seit Jahren eine Frau mit dem Reinigen der Geschäftsräume und mit Botengängen.« Ende Dezember 1918 wurden noch 27 Arbeiterinnen in diesen 7 Betrieben gezählt. »Kriegsverletzte sind von den Werken in weitgehendstem Entgegenkommen wieder als Arbeiter aufgenommen worden«.

Säuglingssterblichkeit

Am Schluss noch ein Hinweis aus dem Statistischen Handbuch für Württemberg 1914-1921, Seite 153: Kinder kamen immer auf die Welt, aber ab 1920 waren es wieder mehr als sonst. Ab 1916 wurde auch ein Anstieg der »unzeitigen Geburten«, also der Frühgeburten verzeichnet, was auch ein Hinweis auf die schlechte körperliche Verfassung der Mütter sein kann. Die Zahlen wurden erhoben in den Entbindungsanstalten, wovon es 4 öffentliche und 3 bzw. teilweise 4 private gab. Auch die Säuglingssterblichkeit wurde erhoben anhand der im ersten Lebensjahr gestorbenen Kinder (siehe Nachdruck der Tabellen aus dem Statistischen Handbuch).