:: 9/2020

Wirtschaftliche Entwicklung in Baden-Württemberg während der Corona-Pandemie: Eine erste Zwischenbilanz

Betrachtet man frühere Wirtschaftseinbrüche, so waren es oftmals Störungen innerhalb des Wirtschaftssystems, die zu einem Rückgang der Wirtschaftsleistung führten. So löste 2008 das Platzen der Preisblase am US-Immobilienmarkt die globale Finanzkrise aus. Mitte der 1990er-Jahre führte in Deutschland das Auslaufen der Sonderkonjunktur nach der Deutschen Einheit zu einer konjunkturellen Schwächephase. Im Gegensatz dazu ist der aktuelle Rückgang der Wirtschaftsleistung auf einen externen Faktor außerhalb des Wirtschaftssystems zurückzuführen. Nämlich auf ein neuartiges Coronavirus (COVID-19). Die nachfolgende Analyse zeigt Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die aktuelle Konjunkturentwicklung anhand aussagekräftiger Kennziffern. Neben Umsatzentwicklungen im Verarbeitenden Gewerbe oder ausgewählten Dienstleistungsbereichen werden hochfrequente Indikatoren betrachtet, durch die tagesgenau die durch die Corona-Pandemie ausgelösten Verhaltensänderungen deutlich werden.

Ausgangspunkt der Corona-Pandemie

Ausgehend von der chinesischen Provinz Hubei verbreitete sich das Coronavirus weltweit. Schaubild 1 zeigt die Entwicklung der Infektionszahlen für ausgewählte Volkswirtschaften. Eine Normierung der Zahl der Infektionen auf 100 000 Einwohner erlaubt eine bessere Vergleichbarkeit zwischen den Ländern. Hieraus wird ersichtlich, inwieweit die dort aufgeführten Länder die Infektion eindämmen konnten und ob die Maßnahmen auch im Zeitablauf erfolgreich blieben (»Zweite Viruswelle«). China gelang es, durch rigide Eindämmung die Infektionen in kurzer Zeit auf einem niedrigen Niveau zu stabilisieren. So blieb die 7-Tage-Inzidenz in China unterhalb der Marke von 2,3 Infektionen je 100 000 Einwohner. Bis zum 14. August 2020 infizierten sich dort insgesamt gut sechs Personen je 100 000 Einwohner mit COVID-19. Ab Anfang März 2020 trat das Virus vermehrt in Europa auf, sodass über die Hälfte der 7-Tage-Infektionen dort verzeichnet wurden. Besonders betroffen waren Spanien und Italien. In der kritischen Phase erreichte dort die 7-Tages-Summe knapp 120 bzw. 65 Infektionen je 100 000 Einwohner. Sowohl gemessen an den Gesamtinfektionen (Schaubild 2) wie dem kurzfristigen Infektionsgeschehen ist Spanien trauriger Spitzenreiter in der Europäischen Union (EU-27). In Deutschland und Frankreich verlief die Pandemie ähnlich, wenngleich die Regionen unterschiedlich stark betroffen waren. Dies zeigt sich am Beispiel Baden-Württembergs. Dort nahm die Zahl der Infektionen anfänglich einen ähnlichen Verlauf1 wie in Italien, ebbte dann jedoch glücklicherweise deutlich rascher ab (insgesamt knapp 350 gegenüber 420 Gesamtinfektionen je 100 000 Einwohner). Das Virus breitete sich im Vereinigten Königreich und der Schweiz stark aus, wo die Zahlen teilweise deutlich über den italienischen lagen. Eine Sonderrolle stellen die Vereinigten Staaten (USA) dar. Hier gelang es im Gegensatz zu anderen Ländern nicht, das kurzfristige Infektionsgeschehen in den Griff zu bekommen. Der in Schaubild 1 typische glockenkurvige Verlauf der Neuinfektionen ist dort nicht erkennbar. Die 7-Tage-Inzidenz erreichte Ende Juli sogar mit über 140 einen Höchststand. Insgesamt kommen seit Ende April über die Hälfte der weltweiten Neuinfektionen vom amerikanischen Kontinent. Denn neben den USA grassiert das Coronavirus auch in vielen Staaten Südamerikas.

Doch selbst wenn es Ländern mit hohem Aufwand gelang, die erste Infektionswelle einzudämmen, bleibt die Situation labil. Die Schweiz, Frankreich und insbesondere Spanien melden am aktuellen Rand wieder eine steigende Zahl an Neuinfektionen. Dies macht deutlich, dass das Virus sich weiterhin sehr schnell verbreiten und die Gefahr vor Ansteckung aktuell vor allem durch die Einhaltung der Abstands- und Hygieneregeln minimiert werden kann.

Mobilität während Corona-Pandemie deutlich reduziert

Hochfrequente Daten stellen am besten die durch die Corona-Pandemie ausgelösten Verhaltensänderungen dar. Hierzu sind in Schaubild 3 die Zahl der Aufenthalte in Bahnhöfen und an Haltestellen (ÖPNV), Arbeitsstätten sowie Wohnorten im Südwesten im Zeitverlauf dargestellt. Bürgerinnen und Bürger nutzten bereits vor Beschluss der Corona-Verordnung der baden-württembergischen Landesregierung weniger den ÖPNV und suchten seltener ihre Arbeitsstätten auf. Allerdings trat der weit größere Rückgang nach Inkrafttreten der Verordnung bis Mitte April auf. In der Spitze reduzierte sich die Zahl der Aufenthalte in Bahnhöfen um knapp 60 % und bei den Arbeitsstätten um über 55 % verglichen zur Referenzperiode Anfang 2020. 2 Im Gegenzug blieben Personen im Südwesten zu Hause, was sich in einem knapp 20-prozentigen Anstieg der Zahl der Aufenthalte an den Wohnorten bis Mitte April niederschlug. Die Erleichterungen, die die zweite Fassung der Corona-Verordnung mit sich brachten, zeigen sich auch in den Mobilitätsdaten. So stieg die Zahl der Aufenthalte in Bahnhöfen und Haltestellen von ihrem Jahrestief wieder an, blieb bis Mitte Juni allerdings durchschnittlich 1/3 unter der Referenzperiode. Nahezu parallel verlief die Entwicklung bei den Aufenthalten in den Arbeitsstätten. Weiter normalisiert hat sich die Situation nach den Pfingstferien in der zweiten Juni-Hälfte. Mitte Juli lagen die Aufenthalte in Bahnhöfen und Arbeitsstätten noch knapp 15 % unter der Referenzperiode von Anfang 2020. Die Aufenthalte in den Wohnorten rangiert 4 % darüber. Das leichte Abfallen am aktuellen Rand seit Ende Juli markiert den Beginn der Schulferien im Südwesten.

Energieverbrauch besonders im 2. Quartal 2020 stark rückläufig

Nun können Bewegungs- und Mobilitätsdaten nur ein Baustein sein, die realwirtschaftlichen Effekte der Corona-Pandemie abzubilden. Ein weiterer Indikator für die wirtschaftliche Aktivität ist der Stromverbrauch, welcher ebenfalls auf Tagesbasis verfügbar ist (Schaubild 4). Hier wird deutlich, dass bereits seit Jahresbeginn der Stromverbrauch unter dem Durchschnitt des Referenzzeitraums 2015 bis 2019 lag. Im 1. Quartal 2020 verbrauchte Baden-Württemberg knapp 4 % und Deutschland 1 % weniger Strom. Ein Grund könnte in dem sehr milden Winter liegen, ein anderer in der bereits vor der Corona-Pandemie schwächeren Weltkonjunktur und damit verbunden mit einer verhaltenen Nachfrage nach Industrieprodukten aus dem Südwesten. Dies würde auch den Abstand zwischen Baden-Württemberg und Deutschland teilweise erklären. Ein Großteil des nachlassenden Stromverbrauchs fand zwischen Mitte März und Mitte April statt. In der Spitze sank der Stromverbrauch um 25 % in Baden-Württemberg bzw. 17 % in Deutschland. Insgesamt summierte sich das Vorjahresminus im 2. Quartal auf 10 % im Südwesten und auf 8 % in Deutschland. Seit dem 3. Quartal hat sich die Situation dank der wieder anziehenden Konjunktur stabilisiert und erreichte Anfang August sogar das Niveau der Vorjahre. Dennoch liegt der durchschnittliche Stromverbrauch seit Juli über 5 % unter den Werten des Vorjahres. Damit übersetzt sich das Muster der Bewegungsdaten bereits in erste harte ökonomische Kennziffern.

Wirtschaftliche Schwächephase bereits vor Corona

Im 1. Quartal 2020 schrumpfte die reale Wirtschaftsleistung im Südwesten um 1,3 % zum Vorquartal.3 In Deutschland fiel das Minus mit 1,7 % etwas stärker aus. Allerdings war dort der Rückgang im 4. Quartal 2019 weniger stark ausgeprägt als in Baden-Württemberg (– 0,4 % gegenüber – 0,7 % zum Vorquartal). Somit verlief die Dynamik in beiden Ländern sehr ähnlich. Doch bereits vor Corona neigte sich der Konjunkturzyklus seinem Ende entgegen. Nennenswerte Konjunkturimpulse blieben seit etwa Mitte 2018 aus, wie ein Blick auf die Vorquartalsveränderungen zeigt. Gerade 2019 verlief die Konjunkturentwicklung sehr unstet – einem Wachstum folgte im nächsten Quartal ein Rückgang der Wirtschaftsleistung (Schaubild 5).

Hinter der nachlassenden Konjunkturdynamik steht vor allem das Verarbeitende Gewerbe. Dieser für den Südwesten und Deutschland wichtige Wirtschaftszweig steuerte bereits seit der 2. Jahreshälfte 2018 keine nennenswerten Impulse zum Gesamtwachstum bei bzw. bremste dieses. Bis zum 4. Quartal 2019 glichen die Dienstleistungsbereiche die Industrieschwäche aus. Diese Stabilisierungsfunktion konnten diese seitdem nicht mehr ausüben. Im 1. Quartal 2020 zog der Dienstleistungssektor das Wachstum sogar stärker nach unten als das Verarbeitende Gewerbe.

Verarbeitendes Gewerbe in der Jahresmitte 2020: Aus dem Gröbsten raus?

Für das Verarbeitende Gewerbe4 insgesamt rangierte der preisbereinigte Umsatz im 1. Halbjahr 2020 knapp 16 % unter dem Vorjahr. Aus Schaubild 6 wird deutlich, dass ein Großteil des Einbruchs dem 2. Quartal zuzuordnen ist, während der Rückgang im 1. Quartal 2020 verglichen dazu noch moderat ausfiel. Ein etwas detaillierterer Blick in die Unterbereiche des Verarbeitenden Gewerbe zeigt in den meisten Bereichen ein dickes Minus. Im ersten Halbjahr konnten nur wenige Branchen ihren realen Umsatz zum Vorjahr konstant halten beziehungsweise steigern. Dazu zählen die Hersteller von DV-Geräten (0,7 %) und die Hersteller von Nahrungs- und Futtermitteln (0,3 %). Ein deutliches Umsatzplus verzeichnete die Pharmabranche (6,4 %), wobei ein Großteil des Zuwachses im März stattfand. Stark rückläufig waren die Umsätze in den Schlüsselbranchen Maschinen- und Kraftfahrzeugbau. Hier sticht insbesondere die negative Entwicklung in den Monaten April und Mai heraus. Zwischen 63 % und 81 % des Umsatzrückgangs im Halbjahr fand in diesen beiden Monaten statt. Insgesamt lag der Umsatz im Maschinenbau um knapp 17 % und im Kraftfahrzeugbau sogar um knapp 26 % unter dem Niveau des Vorjahres. Dennoch geben trotz der negativen Entwicklung in der baden-württembergischen Industrie die Wachstumsraten am aktuellen Rand Anlass zur Hoffnung, denn der in den Monaten April und Mai sehr ausgeprägte Abwärtstrend scheint im Juni gestoppt zu sein.

Nachlassende Dynamik im Dienstleistungssektor

Die nominale Umsatzentwicklung in vier ausgewählten Dienstleistungsbereichen war im 1. Quartal rückläufig (– 1,3 %). Bei den sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistungen, die auch die Zeitarbeitsbranche beinhalten, lagen die Erlöse 2,2 % unter dem Vorjahr. Diese Entwicklung begann jedoch deutlich früher. So erreichte der nominale Umsatz Ende 2017 seinen bisherigen Höhepunkt und liegt aktuell 11,5 % darunter. Ebenfalls seitwärts entwickelten sich die Erlöse im Bereich Verkehr und Lagerei. Auf Jahressicht rangierten diese im 1. Quartal sogar leicht im Minus (– 0,7 %). Deutlich an Dynamik verloren hat auch die Information und Kommunikation. Hier schwächte sich die Umsatzentwicklung bereits 2019 deutlich ab und drehte im 1. Quartal sogar ins Minus (– 1,9 % zum Vorjahr). Das Konjunkturmuster vervollständigt der leicht rückläufige Umsatz im Bereich »Freiberufliche, wissenschaftliche und technische Dienstleistungen« (– 0,4 % zum Vorjahr).

Die realen Umsätze im Einzelhandel entwickelten sich im 1. Quartal 2020 mit 1,7 % zum Vorjahresquartal noch robust, lagen dagegen im 2. Quartal 2020 um 0,4 % unter dem Niveau des Vorjahres. Stark von der Corona-Pandemie in Mitleidenschaft gezogen wurde das Gastgewerbe. Hier fielen die Einschränkungen besonders stark aus, sodass die Umsätze deutlich zurückgingen. Im 1. Quartal lagen diese um knapp 16 %, im 2. Quartal sogar über 61 % unter den jeweiligen Vorjahreswerten.

Kurzarbeit stabilisiert Beschäftigung, Zahl der gemeldeten Stellen stark rückläufig

Auch wenn der Arbeitsmarkt der Konjunkturentwicklung üblicherweise nachläuft, sind bereits deutliche Bremsspuren erkennbar. So stieg die Arbeitslosenquote im Juli auf 4,4 %, ein Plus von 1,3 Prozentpunkten gegenüber dem Vorjahr. Insgesamt waren im Juli somit 280 700 Personen arbeitslos, ein Plus von 44,8 % zum Vorjahr. Der steile Anstieg fand insbesondere ab April 2020 statt, was teilweise auf die coronabedingten wirtschaftlichen Einschränkungen zurückzuführen ist. In dieser Zeit konnten nicht alle Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik fortgeführt werden, sodass deren Teilnehmer wieder arbeitslos wurden. Durch diverse Politikmaßnahmen wie die Ausweitung der Kurzarbeiterregeln konnte ein noch stärkerer Einbruch verhindert werden. Von März bis Juli 2020 haben vorläufigen Angaben der Bundesagentur für Arbeit zufolge 121 800 Betriebe für rund 2 Millionen (Mill.) Beschäftigte Kurzarbeit angezeigt. Im Monat Mai sank die Beschäftigung um 0,5 % zum Vorjahresmonat auf 4,72 Mill. und damit deutlich schwächer als es die Umsatzrückgänge erwarten ließen.

Deutlicher wird der Wirtschaftseinbruch beim Bestand an gemeldeten Stellen. Dieser sank bereits vor der Corona-Pandemie mit zweistelligen Raten. Seit April 2020 hat sich die Dynamik noch einmal beschleunigt. Im Juli waren lediglich 66 723 offene Stellen bei den baden-württembergischen Arbeitsagenturen gemeldet. Dies waren 40 % weniger als im Vorjahr.

Wirtschaftserholung vom weiteren Infektionsgeschehen abhängig

Weltweit wurden umfangreiche Konjunkturpakete beschlossen, um die wirtschaftlichen Folgen durch das Coronavirus zu begrenzen. In Deutschland und dem Südwesten sicherte Kurzarbeit viele Beschäftigungsverhältnisse ab, wenngleich dies für die betroffenen Arbeiterinnen und Arbeiter trotzdem mit teilweise empfindlichen Gehaltseinbußen verbunden ist. Auch die temporäre Mehrwertsteuersenkung dürfte den Binnenkonsum stützen und die aktuell ausbleibende Auslandsnachfrage teilweise ersetzen. Ebenfalls verschaffen die unterschiedlichen Formen staatlicher Unterstützung5 den Unternehmen etwas Luft. All diese Maßnahmen haben zum Ziel, die durch die Corona-Pandemie eingebüßte Wirtschaftsleistung so schnell wie möglich wieder aufzuholen. Ob der prognostizierte Wirtschaftsaufschwung tatsächlich so eintritt, wird vor allem davon abhängen, wie sich das Infektionsgeschehen weiterentwickelt und wann ein effektiver Impfstoff zur Verfügung stehen wird.

1 Das Maximum der 7-tägigen Neuinfektionen lag bei 70 je 100 000 Einwohner.

2 Hierbei wird der Median des Zeitraums 3. Januar 2020 bis 6. Februar 2020 herangezogen.

3 Stand Ende Juli 2020.

4 Einschließlich Bergbau und Gewinnung von Steinen und Erden.

5 Ein Beispiel ist hier der Beteiligungsfonds in Baden-Württemberg. Dieser richtet sich an baden-württembergische Unternehmen mit zwischen 50 und 250 Mitarbeitern, die hierzulande eine besondere Relevanz haben. Deutschlandweit wurde der Wirtschaftsstabilisierungsfond (WSF) aufgelegt.