:: 9/2020

Zur Entwicklung der Säuglingssterblichkeit in Baden-Württemberg

Der Tod des eigenen Kindes ist sicherlich der schlimmste Schicksalsschlag, der Eltern treffen kann. Erfreulich ist deshalb, dass die Sterblichkeit im Kindes- und Jugendalter wie auch im mittleren und höheren Alter in den vergangenen Jahrzehnten deutlich gesunken ist. Diese Entwicklung gilt insbesondere auch für die Säuglingssterblichkeit, also die Zahl der im 1. Lebensjahr verstorbenen Kinder bezogen auf die Zahl der Lebendgeborenen. Während in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts annähernd jedes dritte Kind auf dem Gebiet des heutigen Baden-Württembergs nicht einmal das 1. Lebensjahr vollenden konnte, starben zuletzt nur noch etwa drei von 1 000 Neugeborenen im Südwesten.

Im Folgenden werden die langfristige Entwicklung der Säuglingssterblichkeit näher beleuchtet und unter anderem das derzeitige Niveau in Baden-Württemberg mit dem der anderen Bundesländer verglichen. Es soll in diesem Beitrag aber auch deutlich werden, dass in den letzten Jahren die Sterblichkeit im 1. Lebensjahr nicht mehr weiter abgesenkt werden konnte, obwohl dies mit Blick auf Staaten, in denen diese noch niedriger liegt, durchaus möglich erscheint.

Als entscheidend für die Entwicklung der Säuglingssterblichkeit im Laufe der vergangenen Jahrhunderte werden insbesondere die hygienischen Bedingungen, die Wohnsituation und die allgemeinen Lebensbedingungen, der Wohlstand und der Beruf der Eltern, die Witterung und das Klima sowie die Ernährung der Säuglinge angesehen. Aber auch die allgemeinen Einstellungen zu Leben und Tod spielten diesbezüglich eine Rolle. Nach Erkenntnissen der historischen Sozial- und Kulturforschung soll nämlich die Säuglingssterblichkeit in den vor- und frühmodernen Gesellschaften traditionell als nicht abzuwendendes Schicksal verstanden und – heute unvorstellbar – sogar von einer elterlichen Indifferenz begleitet worden sein. Erst aufgrund sinkender Geburtenraten gegen Ende des 19. Jahrhunderts änderte sich die gesellschaftliche Wahrnehmung der hohen Säuglingssterblichkeit, auch weil auf politischer Ebene befürchtet wurde, dass die Zukunft der Nation in wirtschaftlicher und militärischer Hinsicht nicht mehr zu gewährleisten sei.1

Sehr hohe Sterblichkeit im 19. Jahrhundert

Angaben zur Entwicklung der Säuglingssterblichkeit auf dem Gebiet des heutigen Landes Baden-Württemberg sind ab dem Jahr 1851 verfügbar. Im Schnitt starben zu Beginn der 1850er-Jahre etwa 300 von 1 000 lebendgeborenen Kinder bereits in ihrem 1. Lebensjahr. Verglichen mit dem übrigen Deutschland war die damalige Säuglingssterblichkeit vor allem in Württemberg extrem hoch, was darauf hindeutet, dass die bereits vorliegenden medizinischen und hygienischen Erkenntnisse entweder nicht bekannt waren oder wegen der schwierigen Lebensumstände nicht befolgt werden konnten.2

Das sehr hohe Niveau der Säuglingssterblichkeit in den 1850er- bis Mitte der 1870er-Jahre war durch deutliche Schwankungen von Jahr zu Jahr geprägt (Schaubild 1). Ursächlich hierfür war der starke Einfluss der Temperaturverhältnisse eines Jahres. Heiße Sommermonate begünstigten das Auftreten des in vielen Fällen tödlich verlaufenden Brechdurchfalls; in der kälteren Jahreszeit führten Erkältungskrankheiten, häufig verbunden mit Grippe und Lungenentzündung, zum Tode.3 Insgesamt betrachtet hatten damals im Winterhalbjahr geborene Kinder größere Überlebenschancen als diejenigen, die im Sommer auf die Welt kamen.4

Stetiger Rückgang der Säuglingssterblichkeit bis zum Zweiten Weltkrieg

Ab Mitte der 1870er-Jahre ging dann aber die Säuglingssterblichkeit im heutigen Südwesten nachhaltig zurück. Starben um das Jahr 1875 von 1 000 Lebendgeborenen noch etwa 300 und kurz nach 1900 immerhin auch noch ca. 200, waren es vor dem Ersten Weltkrieg weniger als 150. Durch den Ersten Weltkrieg wurde diese positive Entwicklung nicht nennenswert beeinträchtigt, und nach dem Krieg setzte sich der Rückgang der Säuglingssterblichkeit weiter fort. Als ursächlich hierfür wurden ein deutlicher Anstieg der Stillquoten und der Stilldauer in den deutschen Städten im Zusammenspiel von relativ kühlen Sommern und stark gesunkenen Geburtenraten gesehen.5 Auf dem Gebiet des heutigen Baden-Württemberg sank die Säuglingssterblichkeit von Werten um 150 je 1 000 Lebendgeborene während des Ersten Weltkrieges auf Werte zwischen 110 und 115 je 1 000 Lebendgeborene in den Folgejahren (Schaubild 1). Bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges ging sie nochmals deutlich auf weniger als 60 Gestorbene je 1 000 Lebendgeborene zurück.

Im Gegensatz zum Ersten Weltkrieg führte dann aber der Zweite Weltkrieg zu einem erheblichen Wiederanstieg der Säuglingssterblichkeit; im Jahr 1945 lag sie mit 121 je 1 000 Lebendgeborenen doppelt so hoch wie vor dem Krieg. Entscheidend für diesen Anstieg dürfte gewesen sein, dass das Land im Gegensatz zum Ersten Weltkrieg von Kämpfen überzogen wurde und Millionen Menschen unter schwierigsten Umständen auf der Flucht waren.6

Derzeit etwa drei Sterbefälle je 1 000 Lebendgeborene

Nach der Überwindung dieser extrem schwierigen Lebensverhältnisse der Nachkriegsjahre kam es erneut zu einem Rückgang der Säuglingssterblichkeit. Sie konnte von 44 je 1 000 Lebendgeborene im Jahr 1952, dem Gründungsjahr des Südweststaats, auf 21 im Jahr 1970 und auf zehn im Jahr 1980 gedrückt werden. Dazu beigetragen hatten unter anderem die weitere Verbesserung des ärztlichen Dienstes, die Einführung und Gewährleistung von Vorsorgeuntersuchungen sowie die Einrichtung von speziellen Abteilungen in Krankenhäusern für Neugeborene.7 Bis etwa zur Mitte des vergangenen Jahrzehnts hat sich die Säuglingssterblichkeit nochmals deutlich auf etwa drei Sterbefälle je 1 000 Lebendgeborene reduziert.8 Seither konnte aber kein weiterer nennenswerter Rückgang erzielt werden.

Die Entwicklung der Sterblichkeit in den vergangenen 5 Jahrzehnten war je nach Lebensdauer der Säuglinge sehr unterschiedlich. Deshalb soll diese

  • zum einen für die in den ersten 7 Lebenstagen Verstorbenen (sogenannte Frühsterblichkeit)9 sowie – ergänzend hierzu – für diejenigen in den ersten 24 Stunden Verstorbenen und
  • zum anderen für Verstorbene nach dem 7. Lebenstag (sogenannte Spät- und Nachsterblichkeit) getrennt betrachtet werden.

Rückgang der Frühsterblichkeit besonders stark

1970 lag die Sterblichkeit der Säuglinge in den ersten 7 Lebenstagen noch bei 15 je 1 000 lebendgeborenen Kinder. Innerhalb von nur 3 Jahrzehnten sank dann die Frühsterblichkeit um annähernd 90 % auf 1,8 je 1 000 Lebendgeborene. Dabei war der Rückgang besonders stark während der 1970er-Jahre ausgeprägt. Dagegen konnte die Sterblichkeit der Säuglinge innerhalb der ersten 7 Lebenstage seit dem Jahr 2000 nicht mehr verringert werden.

Der Sterblichkeit in den ersten 24 Stunden nach der Geburt kommt auch heute noch besondere Bedeutung zu, obwohl deren Entwicklung in den vergangenen Jahrzehnten sehr erfreulich war: Das Risiko von Lebendgeborenen, innerhalb der ersten 24 Lebensstunden zu sterben, lag bereits im Jahr 2000 mit 1,3 Sterbefällen je 1 000 Lebendgeborene um 86 % niedriger als 1970. Seither konnte die Sterblichkeit der Säuglinge innerhalb der ersten 24 Stunden aber nicht mehr weiter gesenkt werden (Schaubild 2).

Die Fortschritte bei der Senkung der Spät- und Nachsterblichkeit, also der Sterblichkeit nach dem 7. Lebenstag, waren dagegen geringer als bei denjenigen der Frühsterblichkeit: Von 1970 bis zum Jahr 2000 ging sie in Baden-Württemberg »nur« um zwei Drittel zurück. Ein Grund für die unterschiedlich stark ausgeprägte Verringerung von Frühsterblichkeit einerseits und der Spät- bzw. Nachsterblichkeit andererseits könnte unter anderem sein, dass es zunächst erfolgreich gelungen ist, zwar das Überleben in den ersten Lebenstagen zu sichern, im Verlaufe des weiteren 1. Lebensjahres dann aber Bedingungen wirksam wurden, die schließlich doch zum Tod geführt haben.10 Allerdings konnten bei der Spät- bzw. Nachsterblichkeit im Gegensatz zur Frühsterblichkeit auch noch in den vergangenen 2 Jahrzehnten Erfolge erzielt werden; im Jahr 2019 lag sie bei 1,3 Sterbefällen je 1 000 Lebendgeborene.

Der zeitliche Verlauf der Absenkung der frühen Sterblichkeit (in den ersten 24 Stunden sowie von 24 Stunden bis zum 7. Lebenstag) während der vergangenen 5 Jahrzehnten einerseits und derjenige der Spät- und Nachsterblichkeit andererseits verdeutlicht Schaubild 3:

  • Der Anteil der innerhalb der ersten 24 Stunden verstorbenen Säuglinge an allen verstorbenen Säuglingen halbierte sich zwischen 1970 und 1990 auf 22 %; anschließend stieg deren Anteil stetig an und lag im Jahr 2019 wieder etwa so hoch wie 1970 (46 %).
  • Spiegelbildlich dazu war der Verlauf bei denjenigen Säuglingen, die nach dem 7. Lebenstag verstarben; ihr Anteil verdoppelte sich im Zeitraum 1970 bis 1990 auf 60 %, um danach bis zum Jahr 2019 auf 42 % abzusinken. Damit war zuletzt – wie auch bereits 1970 – das Sterberisiko in den ersten 24 Stunden höher als in dem ungleich längeren Zeitraum zwischen dem 8. Lebenstag und dem 12. Lebensmonat.
  • Der Anteil der Säuglinge, die mit 24 Stunden bis zum 7. Lebenstag verstarben, sank seit 1970 relativ stetig auf zuletzt 12 %.

Höhere Sterblichkeit der männlichen Säuglinge …

Regelmäßig werden in Baden-Württemberg wie auch in Deutschland insgesamt mehr Jungen als Mädchen geboren. Das zahlenmäßige Geschlechterverhältnis der Lebendgeborenen beträgt im langjährigen Durchschnitt rund 1 050 Jungen zu 1 000 Mädchen. Zugleich sterben auch mehr männliche Säuglinge vor Vollendung des 1. Lebensjahres als weibliche. Zwar treten hier aufgrund der erfreulicherweise relativ kleinen Fallzahlen beträchtliche Schwankungen von Jahr zu Jahr auf, das Phänomen »Übersterblichkeit« der Jungen war jedoch in den vergangenen 5 Jahrzehnten in jedem Jahr zu beobachten: Wird die unterschiedliche Zahl von Jungen- und Mädchengeburten berücksichtigt, so lag die Sterblichkeit der Jungen im Säuglingsalter in den einzelnen Jahren zwischen 4 % und 53 % über der der Mädchen.

Im Jahr 2019 starben von 1 000 lebendgeborenen Jungen 3,5 in den ersten 12 Lebensmonaten, bei den Mädchen waren es 2,6 je 1 000 Lebendgeborene. Der Rückgang der Säuglingssterblichkeit fiel damit bei beiden Geschlechtern seit 1970 nahezu gleich stark aus. Anfang der 1970er-Jahre war ihre Sterblichkeit jeweils noch rund siebenmal so hoch.

… und derjenigen von nichtverheirateten Eltern

Unterschiede in der Säuglingssterblichkeit zeigen sich auch dann, wenn die Geburten von verheirateten und nicht verheirateten Eltern betrachtet werden. Von 1970 bis 1972 starben pro Jahr annähernd 39 je 1 000 Lebendgeborene von nicht verheirateten Eltern im 1. Lebensjahr, bei verheirateten waren es nur halb so viele. Bis zum Jahr 201311 sank die Sterblichkeit von Säuglingen von nicht verheirateten Eltern auf 4,9 Sterbefälle je 1 000 Lebendgeborene, die von miteinander verheirateten Eltern ging auf 2,4 je 1 000 Lebendgeborene zurück.

Zwischenzeitlich – von Ende der 1990er-Jahre bis Mitte des vergangenen Jahrzehnts – lag die Sterblichkeit von Säuglingen nicht verheirateter Eltern sogar niedriger als die von Geborenen verheirateter Eltern. Die damalige Annäherung der Säuglingssterblichkeit verheirateter und nicht verheirateter Eltern dürfte eng damit zusammenhängen, dass mit der Zunahme nichtehelicher Lebensgemeinschaften und ihrer gewachsenen gesellschaftlichen Akzeptanz Geborene von nicht verheirateten Eltern überwiegend in stabile und abgesicherte Lebensverhältnisse hineingeboren werden.12

Keine aktuellen Angaben zum Geburtsgewicht als Risikofaktor

Als Einflussfaktoren auf die regional unterschiedliche Sterblichkeit der Säuglinge werden unter anderem neben angeborenen Fehlbildungen, der Altersstruktur und dem Bildungsgrad der Mütter, dem Rauchverhalten in der Schwangerschaft sowie der Organisation und Qualität der medizinischen Versorgung auch das Geburtsgewicht genannt.13 Auch aus diesem Grund ist es bedauerlich, dass mit der Novellierung des Bevölkerungsstatistikgesetzes die beiden Merkmale »Körpergewicht und -länge« ab dem Berichtsjahr 2014 aus dem Erhebungsprogramm für die Statistik der natürlichen Bevölkerungsbewegung gestrichen wurden. Deshalb bleibt hilfsweise nur ein Blick zurück: Das größte Sterberisiko hatten zu Beginn dieses Jahrzehnts die Lebendgeborenen mit einem Geburtsgewicht von unter 1 000 g. Aber dieses Risiko ist in den vergangenen Jahrzehnten deutlich verringert worden. Starben noch um das Jahr 1980 etwa drei Viertel dieser Kinder im Laufe ihres 1. Lebensjahres, so konnte dieses Schicksal bis zum Beginn dieses Jahrzehnts auf etwa ein Siebtel verringert werden. Verhältnismäßig noch stärker gesunken ist die Sterblichkeit von Lebendgeborenen mit einem Geburtsgewicht von 1 000 g bis unter 1 500 g. Sie nahm seit Anfang der 1980er-Jahre bis zu Beginn dieses Jahrzehnts von knapp einem Drittel auf fast ein Fünfzigstel ab.14

Auch wenn aktuelle Angaben zum Geburtsgewicht als Risikofaktor nicht verfügbar sind, so belegt die Todesursachenstatistik, dass eine zu kurze Schwangerschaftsdauer und ein damit verbundenes zu geringes Geburtsgewicht für die Sterblichkeit im Verlauf des 1. Lebensjahres weiterhin Bedeutung haben. Im Jahr 2018 wurde jeder zwölfte Säuglingssterbefall durch Störungen im Zusammenhang mit kurzer Schwangerschaftsdauer und niedrigem Geburtsgewicht (ICD-10 Pos.-Nr. P07) verursacht. Wesentlich häufiger waren aber angeborene Fehlbildungen (ICD-10 Pos.-Nr. Q00-Q99), die für mehr als jeden dritten Sterbefall verantwortlich waren. Ebenfalls relativ häufig waren Schädigungen des Neugeborenen insbesondere durch Komplikationen bei der Schwangerschaft, der Wehentätigkeit und der Entbindung (ICD-10 Pos.-Nr. P00-P04, 13 %). Erfreulich ist, dass die genannten Todesursachen jeweils um über 60 % gegenüber dem Jahr 1980 zurückgegangen sind. Dies gilt auch für den »Plötzlichen Kindstod« (ICD-10 Pos.-Nr. R95), der als Einzelursache Anfang der 1990er-Jahre mit 20 % sogar den zweithöchsten Anteil an allen Säuglings­sterbefällen hatte.15

Geringere Säuglingssterblichkeit als im Bundesdurchschnitt

Wo steht Baden-Württemberg bezüglich der Säuglingssterblichkeit im Bundesländervergleich? Der Südwesten hatte im Zeitraum 2016 bis 2018 sowohl bei den Jungen als auch bei den Mädchen eine etwas geringere Sterblichkeit als im Bundesdurchschnitt (Schaubild 4). Die geringsten Werte wiesen allerdings Sachsen und Thüringen bei den Jungen bzw. Sachsen und Brandenburg bei den Mädchen auf. Die aktuell geringere Sterblichkeit in Ostdeutschland ist dabei fast ausschließlich auf eine niedrigere Sterblichkeit innerhalb des 1. Lebensmonats zurückzuführen.16

Im Gegensatz dazu war die Säuglingssterblichkeit in den neuen Ländern nach der deutschen Wiedervereinigung zunächst noch überdurchschnittlich. Die seither in Ostdeutschland besonders positive Entwicklung wird damit in Zusammenhang gebracht, dass sich dort einige Indikatoren zur medizinischen Versorgung in der Geburtshilfe günstiger als im früheren Bundesgebiet entwickelt haben. So sei der Rückgang der Zahl der Krankenhäuser mit Entbindungen in den neuen Bundesländern geringer als im Westen gewesen; deshalb sei der Versorgungsgrad in den neuen Ländern bereits seit dem Jahr 2006 höher als im Westen. Schließlich sei in Ostdeutschland auch die Versorgung mit Hebammen besser als in den alten Bundesländern.17

Heidelberg mit dem derzeit günstigsten Wert

Innerhalb des Landes gibt es weiterhin deutliche Unterschiede beim Niveau der Säuglingssterblichkeit. Der Stadtkreis Heidelberg, der Zollernalbkreis sowie die Landkreise Konstanz, Heidenheim und Böblingen wiesen im Zeitraum 2017 bis 2019 die niedrigste Sterblichkeit auf. Hier starben pro Jahr im Durchschnitt weniger als zwei Säuglinge von 1 000 Lebendgeborenen. Die höchste Säuglingssterblichkeit verzeichneten zuletzt der Enz- und der Main-Tauber-Kreis sowie der Landkreis Tuttlingen mit etwas mehr als fünf bzw. knapp sechs gestorbenen Säuglingen je 1 000 Lebendgeborene (Schaubild 5).

Der Landkreis Tuttlingen zählte beispielsweise bereits im Zeitraum 2009 bis 2011 zu den Kreisen mit der höchsten Säuglingssterblichkeit. Andererseits war diese damals im Main-Tauber-Kreis – im Gegensatz zum Zeitraum 2017 bis 2019 – noch weit unterdurchschnittlich. Auch bei anderen Kreisen kam es zum Teil zu deutlichen Verschiebungen im Ranking. Das deutet darauf hin, dass die Kreisergebnisse aufgrund erfreulicherweise kleiner Fallzahlen und trotz der Zusammenfassung zu 3-Jahresdurchschnitten sicherlich auch Zufallseinflüssen unterliegen. Es kann sich deshalb bei den im Schaubild 5 dargestellten Ergebnissen lediglich um eine Momentaufnahme handeln.

Fazit und Ausblick

Die Säuglingssterblichkeit in Baden-Württemberg konnte in den letzten 170 Jahren um rund 99 % verringert werden. Ursächlich hierfür waren sicherlich nicht zuletzt die sich im Laufe der vergangenen Jahrzehnte deutlich verbesserten allgemeinen Lebensverhältnisse der Bevölkerung. Hinzu kamen die verstärkte Inanspruchnahme von Vorsorgeuntersuchungen, eine Intensivierung der perinatologischen Forschung, der Einsatz moderner Technik und Methoden in der Geburtshilfe sowie die besondere Berücksichtigung von Risikoschwangerschaften und der damit verbundenen Lebenssituationen der Schwangeren.18 Schließlich dürften sich auch steigende Stillquoten19, das abnehmende Rauchverhalten der Mütter und ein Zurückdrängen des plötzlichen Kindstods positiv ausgewirkt haben.20

In den letzten 10 Jahren wurden allerdings keine nennenswerten Verbesserungen in der Säuglingssterblichkeit mehr erzielt. Dies könnte unter anderem darauf zurückzuführen sein, dass sich hierfür maßgebliche demografische Faktoren eher ungünstig entwickelt haben. So ist der Anteil der Mütter in Baden-Württemberg, die bei Geburt ihres Kindes mindestens 35 Jahre alt waren und damit altersbedingt als Risikoschwangere gelten21, allein seit dem Jahr 2000 von 17 % auf 26 % angestiegen. Auch die Geburt von Mehrlingskindern gilt als Risikoschwangerschaft; der Anteil von Mehrlingskindern an allen Neugeborenen hat sich im Südwesten seit der Jahrhundertwende ebenfalls erhöht, allerdings nur relativ leicht und zwar von 3 % auf 4 %.

Auch wenn in den letzten Jahren keine Verbesserungen in der Säuglingssterblichkeit erreicht werden konnten, scheinen dennoch auch künftig Fortschritte mit Blick auf Staaten, in denen die Sterblichkeit noch niedriger liegt, durchaus möglich. Im Jahr 2018 schnitten diesbezüglich Island, Slowenien, Montenegro und Estland mit weniger als zwei Sterbefällen je 1 000 Lebendgeborene innerhalb Europas am besten ab.22 So könnte nach Einschätzung von Uwe Hasbargen, Leiter des Perinatalzentrums der Ludwig-Maximilians-Universität München, ein Teil der angeborenen Fehlbildungen wie beispielsweise die spina bifida (»offener Rücken«) durch die Einnahme von Folsäure in den ersten Wochen der Schwangerschaft vermieden werden.23

Außerdem sieht Uwe Hasbargen entsprechende Potenziale durch die Lösung struktureller Probleme bei der medizinischen Betreuung von Schwangeren und Babys in Deutschland. Es gäbe viel zu viele kleine Kliniken, die nicht genug Erfahrungen für komplizierte Verläufe hätten; er fordert deshalb entsprechende größere Zentren sowie Netzwerke zwischen kleineren und größeren Kliniken, um Erfahrung zu bündeln.24 Tatsächlich belegen Studien nach Angaben der Stiftung Kindergesundheit, dass das Sterberisiko der Kinder in großen Perinatal-Zentren deutlich geringer als in kleinen Frauen- und Kinderkliniken sei. Eine Untersuchung in Hessen habe außerdem deutlich gemacht, dass dann, wenn die Geburt in einer Klinik mit weniger als 500 Geburten pro Jahr stattfand, die perinatale Sterblichkeit mehr als dreifach höher im Vergleich zu einer Klinik mit mehr als 1 500 Geburten pro Jahr liegt.25

Einen ähnlichen Weg, um die Säuglingssterblichkeit weiter zu verringern, schlägt der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) vor. In einer Richtlinie hat er ein Stufenkonzept der perinatologischen Versorgung definiert, das verbindlich Mindestanforderungen an die Versorgung von bestimmten Schwangeren und von Früh- und Reifgeborenen in Krankenhäusern regelt. Nur wenn die entsprechenden Anforderungen erfüllt sind, dürfen bestimmte Leistungen erbracht werden. So sollen beispielsweise Schwangere, bei denen das Geburtsgewicht des Frühgeborenen voraussichtlich weniger als 1 250 g betragen wird, in einem sogenannten Perinatalzentrum Level 1, also einer Einrichtung der höchsten Versorgungsstufe, aufgenommen werden.26

1 Vögele, Jörg: Säuglingsfürsorge, Säuglingsernährung und die Entwicklung der Säuglingssterblichkeit in Deutschland während des 20. Jahrhunderts, in: Fangerau, Heiner/Polianski, Igor J. (Hrsg.): Medizin im Spiegel ihrer Geschichte, Theorie und Ethik – Schlüsselthemen für ein junges Querschnittsfach. Stuttgart, 2012, S. 203 ff.

2 Die ungünstigen Ergebnisse sind aber möglicherweise etwas überhöht, da damals offenbar vor allem in katholischen Bevölkerungskreisen die Tendenz bestand, totgeborene Kinder als lebendgeboren, notgetauft und dann verstorben zu melden; vgl.: Steinki, Paul/Pristl, Karl/Gröner, Gerhard: Die Säuglingssterblichkeit in Baden-Württemberg, in: Jahrbuch Baden-Württemberg, 1989, S. 13.

3 Paulus, Ruth: Säuglingssterblichkeit 1972, in: Baden-Württemberg in Wort und Zahl, 12/1973, S. 376.

4 Imhof, Arthur E.: Die gewonnenen Jahre – Von der Zunahme unserer Lebensspanne seit dreihundert Jahren oder von der Notwendigkeit einer neuen Einstellung zu Leben und Sterben. München, 1981, S. 51.

5 Vögele, Jörg: Säuglingsfürsorge, Säuglingsernährung und die Entwicklung der Säuglingssterblichkeit in Deutschland während des 20. Jahrhunderts, in: Fangerau, Heiner/Polianski, Igor J. (Hrsg.): Medizin im Spiegel ihrer Geschichte, Theorie und Ethik – Schlüsselthemen für ein junges Querschnittsfach. Stuttgart, 2012, S. 210.

6 Steinki, Paul/Pristl, Karl/Gröner, Gerhard: Die Säuglingssterblichkeit in Baden-Württemberg, in: Jahrbuch Baden-Württemberg 1989, S. 15.

7 Ebenda, S. 15.

8 Die so berechnete Säuglingssterblichkeit durch Bezug der Sterbefälle auf die Zahl der Lebendgeborenen des gleichen Berichtsjahrs ist allerdings mit Unschärfen behaftet. Beispielsweise kann nämlich ein im Jahr 2018 verstorbener Säugling bereits 2017 auf die Welt gekommen sein; andererseits kann ein Neugeborenes des Jahres 2018 auch erst im Jahr 2019 verstorben sein. Weil aber – wie noch gezeigt wird – die Sterblichkeit der Säuglinge kurz nach der Geburt am höchsten ist, und die Zahl der Geburten von einem Jahr zum anderen keine großen »Sprünge« aufweist, sind die Abweichungen gegenüber einer exakteren Berechnung nach der sogenannten Raths-Methode gering. Beispielsweise ergab sich für den Zeitraum 2016 bis 2018 gar keine Abweichung zwischen den beiden Berechnungsmethoden: Die Säuglingssterblichkeit der Jungen in Baden-Württemberg betrug jeweils 3,4 und die der Mädchen 2,8; vgl. zu den Ergebnissen nach der Raths-Methode zur Nieden, Felix: Säuglingssterblichkeit in Deutschland nach 1990, in: WISTA 2/2020, Statistisches Bundesamt (Hrsg.), S. 70.

9 Teilweise wird auch die sogenannte neonatale Sterblichkeit berechnet, die die Zahl der Sterbefälle in den ersten 28 Lebenstagen betrachtet. Da aber der Großteil der in den ersten 28 Tagen verstorbenen Säuglinge bereits innerhalb der ersten 7 Lebenstage verstorben ist, soll hierauf verzichtet werden.

10 Cornelius, Ivar: »Säuglingssterblichkeit in Baden-Württemberg«, in: »Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 10/2013«, S. 20.

11 Ab dem Berichtsjahr 2014 sind keine validen Angaben mehr verfügbar.

12 Cornelius, Ivar: »Säuglingssterblichkeit in Baden-Württemberg«, in: »Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 10/2013«, S. 22.

13 Gaber, Elisabeth/Wildner, Manfred: Sterblichkeit, Todesursachen und regionale Unterschiede; Gesundheitsberichterstattung des Bundes, Robert Koch-Institut (Hrsg.), Heft 52, 2011, S. 72, https://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Gesundheitsberichterstattung/GBEDownloadsT/sterblichkeit.pdf?__blob=publicationFile (Abruf: 03.07.2020).

14 Cornelius, Ivar: »Säuglingssterblichkeit in Baden-Württemberg«, in: »Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 10/2013«, S. 23.

15 Baumann, Lothar: »Säuglingssterblichkeit 2004 auf niedrigstem Stand«, in: »Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 1/2006«, S. 16.

16 Zur Nieden, Felix: Säuglingssterblichkeit in Deutschland nach 1990, in: WISTA 2/2020, Statistisches Bundesamt (Hrsg.), S. 69.

17 Ebenda, S. 69.

18 Cornelius, Ivar: »Säuglingssterblichkeit in Baden-Württemberg«, in: »Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 10/2013«, S. 26.

19 Vor 20 Jahren wurden nur 45 % der Kinder im Alter von 4 Monaten in Deutschland gestillt, heute sind es rund 60 %, vgl. Newsletter der Stiftung Kindergesundheit: Babys bekommen länger die Brust – super! Ausgabe Mai 2020, https://www.kindergesundheit.de/aktuelles/newsletter/ (Abruf: 29.06.2020).

20 Zur Nieden, Felix: Säuglingssterblichkeit in Deutschland nach 1990, in: WISTA 2/2020, Statistisches Bundesamt (Hrsg.), S. 71.

21 Ebenda, S. 67.

22 Eurostat: Säuglingssterblichkeit, https://ec.europa.eu/eurostat/de/web/products-datasets/product?code=tps00027 (Abruf: 03.07.2020).

23 Uhlmann, Berit: Warum in Deutschland immer noch Babys sterben, Süddeutsche Zeitung vom 20. Februar 2018, https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/geburtsmedizin-warum-in-deutschland-immer-noch-babys-sterben-1.3875731 (Abruf: 24.06.2020).

24 Ebenda.

25 Newsletter der Stiftung Kindergesundheit: Säuglingssterblichkeit – der Kampf ist noch nicht gewonnen, Ausgabe Januar 2015, S. 3, https://webcache.googleusercontent.com/search?q=cache:59EYBXIReOEJ:https://www.kindergesundheit.de/app/download/733234/Newsletter_01_15.pdf+&cd=1&hl=de&ct=clnk&gl=de (Abruf: 03.07.2020).

26 Qualitätssicherungs-Richtlinie Früh- und Reifgeborene/QFR-RL, Gemeinsamer Bundesausschuss, Richtlinie vom 20. September 2005, zuletzt geändert am 14. Mai 2020, https://www.g-ba.de/downloads/62-492-2160/QFR-RL_2020-05-14_iK-2020-05-14.pdf (Abruf: 01.07.2020).