:: 12/2020

Das statistische Unternehmen in den Wirtschaftsstatistiken – Ein »neuer« Unternehmensbegriff und seine Folgen

Das »Unternehmen« ist eine zentrale in den amtlichen Wirtschafts- und Unternehmensstatistiken. Bis einschließlich dem Berichtsjahr 2017 wurde in der deutschen amtlichen Statistik der Begriff »Unternehmen« mit »rechtlicher Einheit« gleichgesetzt. Seitens der Europäischen Union (EU) wurde nun ein neuer Unternehmensbegriff vorgegeben, der das Unternehmen als »kleinste Kombination rechtlicher Einheiten zur Erzeugung von Waren und Dienstleistungen« definiert. Mit dem sogenannten EU-Unternehmensbegriff werden unter anderem Erkenntnisgewinne hinsichtlich des tatsächlichen Umfangs des Strukturwandels der Wirtschaft Darstellungseinheit, aber auch genauere Analysen im Hinblick auf kleine und mittlere Unternehmen und Unternehmenskonzentration erwartet.

Der Beitrag beschreibt die Übernahme der Unternehmensdefinition gemäß der EU-Einheitenverordnung in die amtliche Wirtschaftsstrukturstatistik ab dem Berichtsjahr 2018. Dazu werden die neuen Methoden- und Verfahrensschritte erläutert, die zur Ergebnisdarstellung benötigt werden. Es handelt sich hierbei um einen weitreichenden Methodenwechsel in der amtlichen Statistik, der unter anderem auch dazu dient, die amtliche Unternehmensstatistik national und europaweit zu vereinheitlichen und sie für neue Auswertungskonzepte und Datenanforderungen zu ertüchtigen und zukunftsfähig zu machen.

Unternehmen und Betriebe – die gute alte Zeit

Schon seit Erlass der ersten Gesetze zu den bundesdeutschen Wirtschaftsstatistiken waren die Adressaten dieser amtlichen Erhebungen Unternehmen und deren Betriebe.1 Mit Unternehmen war in den Wirtschaftsstatistiken die »kleinste rechtliche Einheit« gemeint, die aus handels- oder steuerrechtlichen Gründen Bücher führt. Die Erhebungseinheit Unternehmen, umgangssprachlich auch »Firma« genannt, definierte sich also durch seine Rechtsform und bestand aus einem Betrieb oder mehreren Betrieben, den örtlichen Niederlassungen oder Filialen. Die Erhebungseinheit Betrieb untersteht immer einem einzigen Unternehmen, das seinerseits seinen Sitz stets in einem seiner Betriebe hat. Ohne weiter auf die Feinheiten dieser Definitionen eingehen zu wollen, kann man feststellen, dass die amtliche Statistik mit diesen Festlegungen in den letzten Jahrzehnten recht gut zurechtgekommen ist. Nicht zuletzt, weil die Begriffe »Unternehmen« und »Betrieb«, so wie sie bisher statistisch verwendet wurden, relativ eng an den umgangssprachlichen Begriffsgebrauch angelehnt waren. Und weil die Befragten im Rahmen der Erfüllung ihrer Auskunftsverpflichtungen in der Regel mit diesen Begriffen etwas anzufangen wussten. Die Zugehörigkeit eines Unternehmens oder Betriebs zu einem bestimmten Wirtschaftsbereich wird bestimmt, indem die wirtschaftliche Tätigkeit ermittelt wird, die den Schwerpunkt der Wertschöpfung dieses Unternehmens oder Betriebs bildet.2

Innerhalb dieses Definitionsrahmens entwickelten die Wirtschaftsstatistiken ein einheitliches und über die einzelnen Bereichsstatistiken hinweg verzahntes System zur Beobachtung der konjunkturellen Lage in den Wirtschaftsbereichen Produzierendes Gewerbe, Handel und Gastgewerbe sowie in Teilen des Dienstleistungsbereichs und lieferten Strukturdaten zur Beobachtung der langfristigen Veränderungen.

Die EU-Einheitenverordnung von 1993

Es ist offensichtlich, dass durch diese Sichtweise bestimmte wirtschaftliche Verflechtungen oder Abhängigkeiten zwischen einzelnen »Akteuren« am Markt in modernen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaften nicht aus jeder Sichtweise abgebildet werden. Mit zunehmender Unternehmensgröße wächst die Tendenz, unternehmerische Tätigkeitsfelder, die nicht unbedingt zum Kerngeschäft des Unternehmens gehören aber doch zum wirtschaftlichen Erfolg beitragen, organisatorisch und rechtlich auszulagern (»Outsourcing«). Umgangssprachlich kann man von einer Unternehmensgruppe oder einem Konzern sprechen.

Diese Entwicklungen vor Auge erließ die EU 1993 eine Verordnung »betreffend die statistischen Einheiten für die Beobachtung und Analyse der Wirtschaft in der Gemeinschaft«, im folgenden »EU-Einheitenverordnung« genannt.3 Das »Unternehmen« wird dabei folgendermaßen definiert: »Das Unternehmen entspricht der kleinsten Kombination rechtlicher Einheiten, die eine organisatorische Einheit zur Erzeugung von Waren und Dienstleistungen bildet und insbesondere in Bezug auf die Verwendung der ihr zufließenden laufenden Mittel über eine gewisse Entscheidungsfreiheit verfügt. Ein Unternehmen übt eine Tätigkeit oder mehrere Tätigkeiten an einem Standort oder an mehreren Standorten aus. Ein Unternehmen kann einer einzigen rechtlichen Einheit entsprechen.«

Wenn die ausgegliederten Einheiten im Rahmen eines Unternehmensverbundes weiter für die rechtliche Muttereinheit tätig sind und sie nicht mit Dritten am Markt agieren und in ihren unternehmerischen Entscheidungen nicht autonom sind, ist dahinter nicht unbedingt ein echter Strukturwandel zu vermuten.4 Es kann allerdings auch ganz anders sein. Ausgegliederte Einheiten sind teilautonom und agieren für die Muttereinheit und sind auch am Markt aktiv. Man sieht: die statistische Beobachtung wird deutlich komplexer und anspruchsvoller. Erhebliche Anforderungen an das Erhebungsgeschäft der amtlichen Statistik liegen auf der Hand.

Entscheidend ist, dass ein statistisches Unternehmen nach EU-Definition aus einer Kombination von rechtlichen Einheiten bestehen kann. Wie muss man sich das vorstellen? Die überwiegende Mehrzahl der Unternehmen besteht aus genau einer rechtlichen Einheit. Das sind zum Beispiel die in aller Regel inhabergeführten Handwerksbetriebe, Ladengeschäfte und Gaststätten. Häufig haben diese Unternehmen genau einen Betriebssitz, können aber, wie zum Beispiel Bäckereien, mehrere Betriebe (Filialen) haben.

Gliedert aber zum Beispiel eine GmbH aus haftungsrechtlichen Gründen ihr Immobilieneigentum aus, bezahlt sie die Pacht an eine andere rechtliche Einheit (Besitzgesellschaft), welche lediglich verwaltungstechnische Hilfstätigkeiten für die GmbH ausführt. Die Besitzgesellschaft ist nicht weiter wirtschaftlich aktiv und hat womöglich keine Beschäftigten, erzielt aber Umsätze. Aus Sicht der Rechnungslegung taucht der (Pacht-)Umsatz bei der GmbH als Ausgabeposten wieder auf. Aus der getrennten Betrachtung zweier rechtlicher Einheiten würde ein höherer Gesamtumsatz resultieren, da die Pacht im Umsatz der Besitzgesellschaft enthalten ist. Der (Pacht-)Umsatz der Besitzgesellschaft ist aber nicht am Markt erwirtschaftet und müsste wieder aus dem Gesamtumsatz »herausgerechnet« werden. Die beiden rechtlichen Einheiten müssten nach der EU-Einheitenverordnung als ein komplexes statistisches Unternehmen betrachtet werden (sofern bekannt ist, dass die beiden Einheiten »zusammengehören«).

Komplizierter wird die Sachlage, wenn die ausgegliederten rechtlichen Einheiten Beschäftigte haben und an der Wertschöpfung des Produktionsunternehmens beteiligt sind. Ein schematisches Beispiel zeigt Übersicht 1.5 Wie Sturm und Redecker weiter ausführen, würde die deutsche Statistik in diesem Beispiel vier selbstständige Unternehmen, nämlich vier rechtliche Einheiten, in vier Wirtschaftsbereichen ausweisen. Als Anbieter von Waren und Dienstleistungen würde dagegen nur ein Unternehmen (die Produktionseinheit) am Markt auftreten. Die anderen Leistungen (Neben- und Hilfstätigkeiten) würden intern angeboten, wären aber zur Funktionsfähigkeit des statistischen Unternehmens unabdingbar.

Vollends komplex und auch für ausgewiesene amtliche Statistikerinnen und Statistiker bis vor kurzem erhebungstechnisches Neuland ist in Übersicht 2 die Abbildung einer realen Konzernstruktur (Unternehmensgruppe). Einige dieser in der Unternehmensgruppe enthaltenen komplexen Unternehmen entfalten eigene wirtschaftliche Aktivitäten am Markt, treffen autonome wirtschaftliche Entscheidungen, arbeiten gleichwohl einander zu und agieren innerhalb der wirtschaftlichen Ziele und der Ausrichtung der Unternehmensgruppe. Und obwohl die überwiegende Mehrzahl der deutschen Unternehmen aus genau einer rechtlichen Einheit bestehen bestimmen weniger als 2 % der komplexen Unternehmen der für die Strukturstatistiken relevanten Wirtschaftsabschnitte, rund 60 % des Gesamtumsatzes und rund 40 % der Beschäftigten (Tabelle).6

Vorteile für die Strukturanalyse der Wirtschaftsstatistiken

Folgende Fragen bzw. Untersuchungsansätze können beantwortet werden, wenn Unternehmen im Sinne der EU-Einheitenverordnung begriffen werden:

  • Ist die Zunahme der Bedeutung des Dienstleistungsbereichs gegenüber der Industrie Ausdruck eines »echten« Strukturwandels?
  • Inwieweit ist diese Entwicklung durch Qutsourcing, das heißt durch Auslagerung zum Beispiel zur Steuervermeidung, Abdeckung von Betriebsrisiken, Vermeidung von Tarifbindungen oder anderer unternehmensinterner Überlegungen bedingt?7
  • Werden Wirtschaftsstrukturen adäquat abgebildet, stimmt die Messung von Arbeitsproduktivität und Vorleistungsquoten, wo entstehen neue Arbeitsplätze und wo fallen sie aufgrund von Ausgliederungen oder tatsächlichem Abbau weg?
  • Inwieweit handelt es sich bei kleinen und mittleren Unternehmen um selbstständige Marktakteure? Oder handelt es sich um rechtliche Einheiten, die ausschließlich Dienstleistungen für die Muttereinheit erbringen?

Zusammenfassend könnte man feststellen, dass die Berücksichtigung komplexer Unternehmen eine neue realitätsnähere Sicht auf Unternehmenskonzentrationen in einzelnen Wirtschaftsbereichen ergibt.

Gibt es auch Nachteile bei auf diese Weise aggregierten Daten?

Bei der Aggregierung von Unternehmensdaten im Sinne rechtlicher Einheiten zu einem Bundesergebnis ergab die Addition der Länderergebnisse bisher das Bundesergebnis. Die Interpretation der Daten in regionaler Sicht – zum Beispiel auf Landesebene, teilweise sogar in tieferer regionaler Gliederung – war formal unproblematisch, da jede rechtliche Einheit an ihrem Hauptsitz nachgewiesen wurde. Statistische Unternehmen hingegen weisen die Daten am Sitz der Haupteinheit, das heißt der bestimmenden Rechtlichen Einheit (Unternehmenssitz) nach. Besteht das statistische Unternehmen aus mehreren rechtlichen Einheiten aus verschiedenen Bundesländern, wird der Unternehmensumsatz am Unternehmenssitz nachgewiesen und nicht auf die rechtlichen Einheiten in anderen Bundesländern verteilt. Regionale Analysen in der Aufbereitung nach statistischen Unternehmen fallen also deutlich anders aus im Vergleich zur Analyse nach rechtlichen Einheiten.

Die Umsetzung der Einheitenverordnung in der deutschen amtlichen Strukturstatistik

Die bisherigen Ausführungen lassen erahnen, welche erhebungspraktischen Probleme hinter dieser Einheitenverordnung lauerten. Aus welchen Quellen sollen denn die Daten kommen, die die wirtschaftlichen Verbindungen zwischen rechtlichen Einheiten bis hin zu komplexen Unternehmen in der Wirtschaftsstrukturstatistik abbilden? Wie können diese Daten statistisch erhoben werden?

Obwohl die theoretischen Überlegungen hinter dem Konzept der Abbildung von Unternehmen nach EU-Einheitenverordnung durchaus nachzuvollziehen waren, befiel (nicht nur) die deutsche amtliche Statistik eine gewisse Ratlosigkeit. Zum einen waren die methodischen Instrumente zur Ermittlung von Unternehmenszusammenhängen in den Jahren nach 1993 noch nicht bis zur praktischen Anwendbarkeit vorhanden. Das vom statistischen Amt der Europäischen Union (EUROSTAT) verordnete Konzept sprach zudem auch die europäische und globale Arbeitsteilung an, was weitere Komplikationen versprach. Zum anderen war nicht ganz klar, wer beim komplexen Unternehmen zur Auskunftspflicht herangezogen werden müsste und wie die Informationen konkret vorzuliegen haben – wären womöglich umfangreiche Gesetzesänderungen nötig gewesen, wenn nicht mehr die rechtlichen Einheiten wie bisher befragt werden müssten.8 Die statistischen Ämter des Bundes und der Länder waren darüber hinaus seit Mitte der 1990er-Jahre damit beschäftigt, Unternehmensregister aufzubauen und mit administrativen Daten zu befüllen, um die deutsche Unternehmens- und Betriebslandschaft über fast alle Wirtschaftsbereiche hinweg vollständig abbilden zu können. Dies würde erst die Grundvoraussetzung zur Steuerung und Unterstützung umfangreicherer Unternehmensstatistiken schaffen, band aber seitens der Bundesländer wie auch im Bundesamt erhebliche Kapazitäten.9

Ohne auf die weiteren Entwicklungen in der Diskussion um die Umsetzung des Einheitenkonzepts an dieser Stelle weiter einzugehen, kulminierten die Ereignisse in der Forderung von EUROSTAT an Deutschland und andere Mitgliedsländer Ende 2014, die Einheitenverordnung umzusetzen und Aktionspläne zu erstellen, um zu einer inhaltlich vergleichbaren europäischen Unternehmensstrukturstatistik zu kommen.10 Die Mitgliedstaaten waren frei bei der Wahl und Umsetzung ihrer nationalen Konzepte sofern die Lieferverpflichtungen an EUROSTAT damit bedient werden können. Die Leitungen der statistischen Ämter in Deutschland beschlossen darauf im November 2015 einen Aktionsplan für die deutsche amtliche Statistik, der von EUROSTAT akzeptiert wurde und Mitte 2020 die Lieferung von Unternehmensstrukturdaten für Wirtschaftsstatistiken nach neuem Konzept erstmals für das Berichtsjahr 2018 vorsah.11

Das deutsche Konzept und seine Umsetzung

Im Zuge dieser Einigung zwischen den Mitgliedstaaten und EUROSTAT verzichtete EUROSTAT, hauptsächlich aus pragmatischen Gründen darauf, die europäische bzw. globale Dimension der neuen Unternehmensdefinition zunächst weiterzuverfolgen.12 Die von den Amtsleitungen der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder eingesetzte Projektgruppe, die diesen Aktionsplan zu koordinieren und die Auswirkungen der Anwendung des EU-Unternehmensbegriffs auf die Strukturstatistiken zu bedenken hatte, einigte sich nach eingehender Diskussion auf einen pragmatischen Lösungsvorschlag, der in dem geforderten Zeitrahmen umsetzbar erschien.

Die rechtlichen Einheiten sollten weiterhin als Auswahl-, Befragungs- und Beobachtungseinheiten verwendet werden und in anschließenden Aufbereitungsschritten aus diesen Erhebungsdaten Ergebnisse für statistische Unternehmen abgeleitet werden.13 Gesetzesänderungen in den jeweiligen Wirtschaftsstatistiken waren nach dieser Umsetzungsvariante nicht erforderlich. Eine zusätzliche Belastung auskunftspflichtiger Unternehmen würde entfallen. Ein Hauptnutzer der Daten auf Basis rechtlicher Einheiten, die Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen des Bundes und der Länder, könnte weiterhin problemlos bedient werden. Die Erhebungsprozesse in den betroffenen Fachstatistiken könnten weiter wie gewohnt ablaufen, wenngleich in zeitlich gestraffter Form. Wesentlich für die Wahl des Umsetzungskonzeptes war, dass das Unternehmensregister des Bundes und der Länder als Erhebungs- und Auswahldatenbank unmittelbar genutzt werden konnte.

Das Unternehmensregister des Bundes und der Länder wurde in den letzten Jahren mehrfach digital ertüchtigt und gewann bei der Verarbeitung verschiedener administrativer Quellen und Erhebungsdaten deutlich an Aktualität. 9 Monate nach Ablauf eines Kalenderjahres stellt das Unternehmensregister vollständige Daten über rechtliche Einheiten für das vorangegangene Jahr zur Verfügung.14 Auch Erkenntnisse über Unternehmenszusammenhänge können inzwischen verarbeitet werden. Damit kann die Datengewinnung zum Aufbau statistischer Unternehmen maßgeblich unterstützt werden.

Die Beziehungen zwischen rechtlichen Einheiten müssen aber erst bekannt sein, um komplexe Unternehmen identifizieren zu können. Für eine Ergebnisaufbereitung nach statistischen Unternehmen müssen darüber hinaus für alle rechtlichen Einheiten eines komplexen Unternehmens über die Wirtschaftszweige hinweg Daten vorliegen, damit die internen Leistungsströme berechnet werden können. Bei den Erhebungen zur Unternehmensstrukturstatistik auf der Basis rechtlicher Einheiten handelt es sich teilweise um Stichproben, die hochgerechnet werden, teilweise um Totalerhebungen mit Abschneidegrenze. Übersicht 3 listet die wirtschaftsstatistischen Erhebungen zur Unternehmensstrukturstatistik auf. Daraus wird ersichtlich, dass die benötigten Daten für komplexe Unternehmen, – vor allem mit rechtlichen Einheiten aus unterschiedlichen Wirtschaftsbereichen – häufig nicht vollständig vorliegen und ergänzt werden müssen.

Es bedarf demnach weiterer Arbeitsschritte zunächst bei der Datengewinnung, dann im Datenaufbereitungsprozess, um das Ziel zu erreichen.

Neue Methoden: Profiling – Imputation und Konsolidierung

Um die Aufbereitung der Unternehmensstrukturdaten im Sinne der EU-Einheitenverordnung vornehmen zu können, müssen komplexe Unternehmen als solche erkannt und die wirtschaftlichen Austauschprozesse und Zusammenhänge zwischen den beteiligten rechtlichen Einheiten beschrieben werden. Die Ergebnisse werden im Unternehmensregister dokumentiert und fortgeschrieben. Die amtliche Statistik bedient sich dabei der Methode des »Profiling«, die im EU-Empfehlungshandbuch zum Unternehmensregister zur Behandlung großer und komplexer Unternehmen erläutert wird:

»Das [Profiling] ist ein Verfahren zur Analyse der rechtlichen und operationalen Struktur sowie der Rechnungslegungsstruktur einer Unternehmensgruppe (…) um die statistischen Einheiten innerhalb der Gruppe und die Verbindung zwischen ihnen (…) zu ermitteln.«15

In Abhängigkeit von der Größe und Komplexität der Unternehmensgruppe sind manuelle Recherchen oder, für weniger bedeutende Unternehmensgruppen gemessen an Umsatzgröße und Beschäftigtenzahl, automatische Verfahren zur Identifizierung komplexer Unternehmen möglich. Die größten Konzerne Deutschlands werden in wenigen Fällen aufgrund der Vielfalt der Verflechtungen sogar befragt werden müssen, um Rechercheergebnisse verifizieren (oder falsifizieren) zu können.16 Bei der überwiegenden Zahl der einfachen Unternehmen, die aus jeweils einer rechtlichen Einheit bestehen, können die Angaben wie bisher aus den Unternehmensstrukturerhebungen übernommen werden.

Nach Abschluss der Erhebungen ist zu prüfen, ob für alle komplexen Unternehmen statistische Daten zur Verfügung stehen. Da die Wirtschaftsstatistiken wirtschaftsbereichsspezifisch abgegrenzt (in Verarbeitendes Gewerbe, Baugewerbe, Handel, Gastgewerbe usw.) und Unternehmensstrukturstatistiken teilweise Stichproben sind bzw. Abschneidegrenzen haben (siehe Übersicht 3), sind die Datensätze für komplexe Unternehmen häufig nicht vollständig. Mittels methodisch anspruchsvoller statistischer Verfahren werden die fehlenden Werte generiert – das Verfahren wird Imputation genannt und ersetzt gewissermaßen die klassische Hochrechnung.17 Nach diesem Arbeitsschritt liegen für alle rechtlichen Einheiten über alle relevanten Wirtschaftsbereiche hinweg Einzeldaten vor; rechtliche Einheiten, die mit anderen in Austauschbeziehungen stehen, sind identifiziert. Da diese Informationen aus dezentralen Statistiken in einer zentralen Datenbank zusammengeführt, geprüft, weitergeführt und fehlerbereinigt werden müssen, erfolgen die Arbeiten zentral im Statistischen Bundesamt.

Nach Abschluss der Imputation kann ein Sichtwechsel weg von der Betrachtung rechtlicher Einheiten hin zu statistischen Unternehmen erfolgen. Rechtliche Einheiten, die zu komplexen Unternehmen gehören, stehen in unterschiedlichen Austauschbeziehungen. Es schließt sich der Arbeitsschritt der Konsolidierung an, in dem die internen Leistungsströme zwischen den rechtlichen Einheiten desselben komplexen Unternehmens »verrechnet« oder »herausgerechnet« werden müssen.18 Es würde an dieser Stelle zu weit führen, auf alle Verästelungen gegenseitiger Verflechtungsmöglichkeiten einzugehen, auf die zitierten Fachartikel sei ausdrücklich verwiesen.

Betrachtet man nochmals Übersicht 2 unter dem Gesichtspunkt typischer Leistungsverflechtungen lassen sich Beispiele von Verflechtungstypen herauslesen:

  • Eine Haupteinheit mit einer Verkaufseinheit (Unternehmen 2).
  • Zwei Einheiten mit vertikal integrierten Tätigkeiten (Unternehmen 3), die ihre Erzeugnisse an die nachgelagerte Einheit (Unternehmen 2) weitergeben.
  • Eine Haupteinheit mit zwei Hilfseinheiten aus dem Dienstleistungs- und Forschungsbereich (Unternehmen 4), die ihre Dienstleistungen an die Haupteinheit »verkaufen«.
  • Eine Haupteinheit zur Unternehmensführung mit nachgelagerter Einheit (Unternehmen 1), ohne direkte Transaktionen zu anderen nachgelagerten Einheiten, zur Funktion der Unternehmensgruppe aber erforderlich.

Nicht alle »Tauschbeziehungen« sind für die strukturelle Unternehmensstatistik statistisch relevant. Den statistisch relevanten Tauschbeziehungen (zum Beispiel gemessen an Umsätzen, Warenverkäufen, Investitionen) werden mittels geeigneter Schätzmethoden in Abhängigkeit des Wirtschaftszweigs der rechtlichen Einheit Gewichtungswerte bzw. Klassifikationsmerkmale (wie wirtschaftliche Haupt-, Neben- oder Hilfstätigkeit) zugeordnet, um die Leistungstausche miteinander verrechnen zu können. Den Arbeitsschritt der gegenseitigen Verrechnung nennt man Konsolidierung. Die Verfahren der Imputation und Konsolidierung wurden mit Datenmaterial früherer Erhebungsjahre umfangreich getestet, die Algorithmen zur Zusammenfassung rechtlicher Einheiten wurden geprüft und angepasst, die Schätzparameter mehrfach verfeinert, sodass die Qualität der Ergebnisse gewährleistet werden kann.

Auswirkungen

Welche Auswirkungen auf die Ergebnisse sind zu erwarten, wenn der Fokus auf die Darstellung statistischer Unternehmen gelegt wird? Die hier kurz angesprochenen neuen Verfahren Profiling, Imputation und Konsolidierung führen notwendigerweise zu gewissen Effekten bei der Ergebniserstellung. Auf einfache Unternehmen wirkt nur ein Hochrechnungseffekt. Auf komplexe Unternehmen wirken Profiling-, Imputations- und Konsolidierungseffekte, die sich jedoch teilweise gegenseitig aufheben. Nach jetzt vorliegenden ersten Ergebnissen für das Jahr 2018 wird sich deutschlandweit betrachtet die Zahl der Unternehmen im Vergleich zur Zahl rechtlicher Einheiten aufgrund des Profilingeffektes etwas verringern (rund 2 %). Auf die Beschäftigtenzahl komplexer Unternehmen wirken Imputations- und Konsolidierungseffekte, sie wird sich insgesamt sogar etwas erhöhen (rund 2 %, auch aufgrund einer besseren Abdeckung der betrachteten Wirtschaftsbereiche). Der Umsatzwert hingegen wird aufgrund der Konsolidierung komplexer Unternehmen insgesamt etwas sinken (knapp 2 %). Verschiebungen wird es auch zwischen Wirtschaftsbereichen und Bundesländern geben. Das Verarbeitende Gewerbe wird zum Beispiel aufgrund »unechten outsourcings«, das durch Profilingverfahren bereinigt wird, zu Lasten des Handels- und Dienstleistungsbereichs »gewinnen«. Im Bundesländervergleich werden zum Beispiel Regionen mit gewachsenen Industrie- und Handelsstrukturen erwartungsgemäß profitieren, da der Sitz der Haupteinheit für das gesamte komplexe Unternehmen steht.19

Ob eine regionale Betrachtung nach Bundesländern überhaupt sinnvoll ist, da komplexe Unternehmen deutschlandweit20 agieren, wird derzeit vonseiten der Länder noch diskutiert. Gegebenenfalls müssen für eine Analyse nach Bundesländern in einem weiteren Arbeitsschritt Daten, die am Hauptsitz des komplexen Unternehmens zentral nachgewiesen wurden, dem Bundesland wieder zugeordnet werden, in dem die wirtschaftliche Wertschöpfung tatsächlich erfolgte.

Ist der Aufwand mit dem die Ergebnisdarstellung von Unternehmen gemäß EU-Einheitenverordnung betrieben wird, eigentlich gerechtfertigt? Wie eingangs erwähnt, war die deutsche amtliche Statistik und mit ihr noch weitere statistische Ämter anderer Mitgliedsstaaten letztlich gezwungen, die EU-Einheitenverordnung von 1993 umzusetzen. Die Verwendung einheitlich definierter statistischer Einheiten in der europäischen Statistik ist aber eine der Voraussetzungen, ein einheitliches System europäischer Unternehmensstatistiken etablieren zu können. Dazu gehören auch einheitliche Merkmalsdefinitionen und abgestimmte Befragungszyklen.

Mit der Umsetzung der Verordnung (EU) 2019/2152 des Europäischen Parlaments und des Rates über europäische Unternehmensstatistiken im Bereich Unternehmensstatistiken vom 27. November 2019, die sogenannte EBS-Verordnung (Regulation on European business statistics), werden die Wirtschaftsstrukturstatistiken ab dem Berichtsjahr 2021 um bisher nicht befragte Wirtschaftsabschnitte vervollständigt werden (Erziehung und Unterricht; Gesundheit und Sozialwesen; Kunst, Unterhaltung und Erholung; überwiegend persönliche Dienstleistungen; sowie Erbringung von Finanz- und Versicherungsdienstleistungen, soweit bisher noch nicht erhoben). Auch hier wird die Einheitenverordnung greifen.

Der in diesem Beitrag in der nötigen Kürze beschriebene Methodenwandel ist somit Teil der Antwort auf »neue Organisationsformen der nationalen und internationalen Arbeitsteilung«.21 Bisher bestehende Datenlücken werden geschlossen. Neue Methoden der Datengewinnung und Verarbeitung werden aufgegriffen – immer vor dem Hintergrund der geringstmöglichen Belastung der auskunftspflichtigen Unternehmen. Die so ertüchtigten Wirtschaftsstrukturstatistiken sollen auch in Zukunft den wirtschaftlichen Wandel adäquat abbilden können. Für regionale Analysen auf Bundesländer- und regionaler Ebene kann natürlich nach wie vor auf die hierfür besser geeignete Darstellung in Form rechtlicher Einheiten zurückgegriffen werden.

1 Zum Beispiel ProdGewStatG vom 15. Juli 1957, mehrmals revidiert, jetzt in der Fassung vom 21. März 2002, zuletzt geändert durch Art. 8 des Gesetzes vom 22.11.2019.

2 Die zugehörige nationale Wirtschaftssystematik ist die »Klassifikation der Wirtschaftszweige«, derzeit die Ausgabe 2008. Diese baut rechtsverbindlich auf die Systematik der Wirtschaftszweige in der EU auf (NACE Rev. 2).

3 Verordnung (EWG) Nr. 696/93 des Rates vom 15. März 1993 betreffend die statistischen Einheiten für die Beob­achtung und Analyse der Wirtschaft in der Gemeinschaft, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 76/1.

4 Opfermann, Rainer/Beck, Martin: Einführung des EU-Unternehmensbegriffs, in: WISTA 1/ 2018, S. 65.

5 Übernommen aus Sturm, Roland/Redecker, Matthias: Das EU-Konzept des Unternehmens, in: WISTA 3/2016, S. 62.

6 Beck, Martin/Baumgärtner, Luisa/Bürk, Katja-Verena/Redecker, Matthias: Auswirkungen der Einführung des EU-Unternehmensbegriffs, in: WISTA 3/2020.

7 Hier und im Folgenden nach Sturm/Redecker, a.a.O., S. 64.

8 Sturm/Redecker, a.a.O., S. 59 ff.

9 Sturm, Roland/Tümmler, Thorsten: Das statis­tische Unternehmensregister – Entwicklungsstand und Perspektiven, in: WISTA 10/2006, S. 1023.

10 EUROSTAT machte Druck mit der Ankündigung, ein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten. Neben Deutschland wurden 23 weitere Mitgliedsstaaten aufgefordert, die Einheitenverordnung endlich umzusetzen. Sturm/Redecker, a.a.O. S. 60.

11 Opfermann, Rainer/Beck, Martin: Einführung des EU-Unternehmensbegriffs, in: WISTA 1/2018, S. 66.

12 Sturm/Redecker, a.a.O. S. 60.

13 Siehe dazu ausführlich Opfermann/Beck, a.a.O.

14 Dazu ausführlich: Sturm, Roland/Tümmler, Thorsten: Das statistische Unternehmensregister – Entwicklungsstand und Perspektiven, in: WISTA 10/2006.

15 Zitiert nach: Redecker, Matthias/Sturm, Roland: Profiling von Unternehmen, in: WISTA 6/2017, S. 11.

16 Dazu ausführlich: Andom, Senait: »Profiling von Unternehmen zur Umsetzung des EU-Unternehmensbegriffs«, in: »Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 7/2020«, S. 18 ff.

17 Hierzu ausführlich: Baumgärtner, Luisa et.al.: Imputation und Konsolidierung: Neue Aufgaben für die Unternehmensstatistik, in: WISTA 6/2018. Zur Methode der Imputation siehe S. 38 ff.

18 Baumgärtner et.al., a.a.O. S. 41.

19 Beck et.al., a.a.O. S. 55.

20 Europäische bzw. globale Aktivitäten von Unternehmen (zum Beispiel Umsätze im europäischen Ausland) werden methodisch und statistisch nicht erfasst.

21 Dazu ausführlich: Waldmüller, Bernd/Weisbrod, Joachim: Neuere Entwicklungen in den Unternehmensstatistiken, in: WISTA 5/2015, S.34.