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Wanderungsanalyse für Baden-Württemberg

Die Umzugsneigung wird von der Lebensphase beeinflusst, in der sich ein Mensch gerade befindet. Die Wahrscheinlichkeit für einen Wohnortwechsel ist deshalb in den jungen Erwachsenenjahren am höchsten, wenn Berufs- und Partnerwahl anstehen. Generell ist die ausländische Bevölkerung räumlich mobiler als deutsche. Da die Zuziehenden ins Land im Schnitt jünger sind als die Wegziehenden, bewirken die Wanderungsbewegungen einen Verjüngungseffekt: im Jahr 2001 stieg deshalb das Durchschnittsalter der Bevölkerung im Land nicht um 0,3, sondern nur um 0,2 Jahre an. Das Lebensalter hat auch Einfluss darauf, welche Wanderungsziele bevorzugt werden. Am attraktivsten für die das Wanderungsgeschehen prägende Altersgruppe der 18- bis 29-Jährigen sind die Ballungszentren des Landes. Unabhängig vom Alter dagegen ist die Vorliebe für einen neuen Wohnort in der Nähe des alten: 50 % aller innerhalb des Landes Umziehenden ziehen weniger als 12 km Luftlinie um.

Die Bevölkerungsentwicklung Baden-Württembergs und damit auch seiner Kreise und Gemeinden ist stark durch das Wanderungsgeschehen geprägt. Je tiefer regional sich dabei das Interesse richtet, desto bedeutsamer wird der Einfluss der Wanderungsbewegungen: So hat im Jahr 2001 die Bundesrepublik etwa 0,7 % ihrer Bevölkerung mit dem »Rest der Welt« ausgetauscht. In Baden-Württemberg betrug diese Quote bereits 2 % (zum »Rest der Welt« zählten hierbei auch die übrigen Bundesländer). In einer Stadt wie Bietigheim-Bissingen (ca. 41 000 Einwohner) belief sich der Austausch mit allen anderen Gemeinden in Deutschland und dem Ausland gar auf 6 % ihrer Einwohnerschaft.1

Diese Wanderungsbewegungen bleiben nicht ohne Auswirkungen auf die regionale Altersstuktur. Das Thema wird später in diesem Beitrag gestreift, wenn es um Attraktivitätsunterschiede der Stadt- und Landkreise für bestimmte Altersgruppen und die Verjüngungseffekte durch die Zuwanderung ins Land geht.

Lebensphase beeinflusst Entscheidung für Wohnortwechsel2

Zunächst wird der Fokus aber auf die altersspezifischen »Umzugsneigungen« im Land insgesamt gerichtet. Dazu sind getrennt nach dem Alter, dem Geschlecht und der Nationalität die Fortzugsraten (Fortzugswahrscheinlichkeiten) der Einwohner des Landes im Schnitt der Jahre 1993 bis 2001 im Schaubild 1 veranschaulicht. Im linken Teil des Schaubilds sind die Fortzugsraten für alle Wegziehenden wiedergegeben, im rechten Teil nur jene für die innerhalb des Landes Umziehenden.

Es zeigt sich, dass die Fortzugsraten stark von der Lebensphase abhängig sind, in der sich ein Mensch gerade befindet: in den jungen Erwachsenenjahren schnellen die Raten aufgrund der zu treffenden Entscheidungen über den Beruf, den Ausbildungsort oder dem Zusammenziehen mit dem Partner bei beiden Geschlechtern in die Höhe. Mit zunehmendem Alter dienen die dann selteneren Umzüge vorwiegend der beruflichen Verbesserung und der Steigerung der Wohnqualität oder der Suche nach einem für die Familie geeigneteren Umfeld. Diese Motive verlieren im weiteren Leben an Bedeutung.

Nach dem Eintritt in den Ruhestand zeigen sich deutliche Unterschiede im Umzugsverhalten zwischen den Deutschen und Nichtdeutschen (vgl. linker Teil des Schaubildes 1). Während die Umzugsneigung der deutschen Bevölkerung bis zur Mitte des 7. Lebensjahrzehnts eher noch sinkt, ziehen Ausländer nach Eintritt in den Ruhestand verstärkt in ihr Herkunftsland zurück. Bei der deutschen Bevölkerung steigen dagegen erst ab etwa dem 75. Lebensjahr, also mit zunehmender Pflegebedürftigkeit, die Raten wieder merklich an.

Ausländer räumlich mobiler als Deutsche

Bei Einbezug der Zielgebiete außerhalb des Landes (linker Teil des Schaubilds 1) weist die ausländische Bevölkerung beiderlei Geschlechts insgesamt eine deutlich höhere Wanderungsneigung als die deutsche Bevölkerung aus. Wesentliche Ursache für die höheren Fortzugsraten ist der Um- oder Rückzug in das Herkunftsland. Dabei ist für den untersuchten Zeitraum zu beachten, dass in ihm auch zahlreiche Rückzüge von Bürgerkriegsflüchtlingen in die Nachfolgestaaten Jugoslawiens stattfanden. Einen weniger verzerrten Vergleich der deutschen mit der ausländischen Bevölkerung liefert deshalb eine Betrachtung, in der nur die Umzüge mit Umzugszielen innerhalb Baden-Württembergs berücksichtigt werden (rechter Teil des Schaubilds 1). Die Abstände zwischen den Kurvenverläufen reduzieren sich dadurch erheblich. Trotzdem ist auch hier die Umzugsneigung ausländischer Männer bis ins 8. Lebensjahrzehnt stets höher als die der deutschen Männer. Diese Beobachtung gilt auch im Vergleich der ausländischen mit den deutschen Frauen, allerdings mit dem Unterschied, dass die ausländischen Frauen im jungen Erwachsenenalter mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit als ihre deutschen Geschlechtsgenossinnen umziehen. Auch weisen die ausländischen Frauen durchgängig niedrigere Fortzugsraten zwischen dem 18. und 60. Lebensjahr (dem erwerbsfähigen Alter) auf als die ausländischen Männer.

Verjüngungseffekt durch Wanderungsbewegungen

Da die Fortzugsraten in jüngeren Altersjahren vergleichsweise hoch sind, weicht die Altersstruktur der umziehenden Bevölkerung entsprechend stark von der Altersstruktur der Wohnbevölkerung ab. Dies veranschaulicht Schaubild 2, in dem die Alterstruktur der Wohnbevölkerung Baden-Württembergs derjenigen der Zuziehenden aus dem Ausland gegenübergestellt ist. Überproportional vertreten sind bei den Zuziehenden die Altersjahrgänge der 20- bis 40-Jährigen. Dies gilt auch für die Wanderungsströme innerhalb Deutschlands, weshalb das Durchschnittsalter aller Umziehenden deutlich unter dem der Bevölkerung insgesamt liegt. So trennte im Jahr 2001 die Gesamtbevölkerung von den Umziehenden im Schnitt ein Alter von 9,3 Jahren.

Zuwanderung dämpft Alterung der Bevölkerung

Unterschiede im Durchschnittsalter – wenn auch wesentlich geringere – sind auch im Vergleich der verschiedenen Wanderungsströme zu beobachten. So setzten sich alle Zuwanderungsströme aus im Schnitt jüngeren Personen zusammen als die Wanderungsströme der Fortziehenden. Mit einem Durchschnittsalter von 28,4 Jahren kamen die im Schnitt jüngsten Zuziehenden 2001 aus den neuen Bundesländern, die im Schnitt ältesten Wegziehenden waren mit 33,3 Jahren diejenigen mit einem Umzugsziel im Ausland. Selbst bei einer ausgeglichenen Wanderungsbilanz hätte Baden-Württemberg also einen »Verjüngungseffekt« verzeichnen können. Durch den positiven Wanderungssaldo von ca. 70 000 Personen im Jahr 2001 wurde dieser Effekt verstärkt und bewirkte letztlich eine Absenkung des Durchschnittsalters der Bevölkerung um 0,1 Jahre – ein nicht zu unterschätzender Wert, da ohne die Wanderungsbewegungen die Bevölkerung im Jahr 2001 im Schnitt nicht um 0,2, sondern um 0,3 Jahre »gealtert« wäre.

Stadtkreise für junge Erwachsene besonders attraktiv

In der Gunst der Umziehenden stehen die Kreise des Landes je nach Altersgruppe recht unterschiedlich hoch. Indikator dafür sind die für die einzelnen Altersgruppen berechneten »relativen Attraktivitäten« (siehe Tabelle; zur Berechnung der »relativen Attraktivitäten« siehe i-Punkt).

So üben dichter besiedelte Gebiete und im besonderen die Stadt- und Landkreise mit größeren Universitäten auf die räumlich mobilste Altersgruppe der 18- bis 29-Jährigen die stärkste Anziehungskraft aus. Im Gegensatz dazu bevorzugen alle übrigen Altersgruppen tendenziell weniger verdichtete Gebiete, in den letzten Jahren besonders die am südlichen Oberhein gelegenen Kreise (insbesondere den Ortenaukreis und den Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald), die Landkreise der Region Heilbronn-Franken sowie die Landkreise im Südosten des Landes (Biberach, Sigmaringen).

50 % ziehen nicht mehr als 12 km weit fort

Zur Vervollständigung des Bildes des Wanderungsverhaltens steht noch die Betrachtung der Umzugsentfernungen aus. Aufgrund der Datenlage konnten nur die Umzüge innerhalb des Landes ausgewertet werden. Somit ist eine maximale Umzugsentfernung von 282 km möglich (das ist die Luftlinie zwischen Grenzach-Wyhlen im Kreis Lörrach und Großrinderfeld im Main-Tauber-Kreis). Die Ergebnisse der Analyse dieser »Binnenwanderungen« im Land sind im Schaubild 3 zusammengefasst.

Die Anteile der Umziehenden nach der zurückgelegten Umzugsentfernung enthält der linke Teil des Schaubilds 3. Danach wählten 50 % der Umziehenden ein Umzugsziel innerhalb eines Umkreises von 12 km Luftlinie um den vormaligen Wohnort. Ein weiteres Viertel zog zwischen 12 und 30 km um. Im Durchschnitt wurde beim Umzug zwar eine Entfernung von 27,9 km zurückgelegt, diese »hohe« Durchschnittsentfernung ist aber Folge des großen »Hebels« der relativ wenigen, weiten Umzüge auf den Durchschnittswert.

Für einen Vergleich der bei einem Umzug zurückgelegten Entfernungen der Bevölkerungsgruppen ist die Durchschnittsentfernung gleichwohl ein geeigneter Indikator (siehe Schaubild 3, rechte Seite). Trotzdem gilt auch hier, dass jeweils etwa 70 % der Umziehenden unterhalb der ausgewiesenen Durchschnittsentfernung umgezogen sind. Mit der höheren Wanderungsneigung in den jungen Erwachsenenjahren gingen demnach sowohl bei der deutschen als auch ausländischen Bevölkerung höhere Umzugsentfernungen einher. Ein zweiter Anstieg der Umzugsentfernungen ist um das 60. Lebensjahr zu beobachten, wobei der Anstieg bei der deutschen Bevölkerung früher eintritt als bei der ausländischen.3

1 Zur rechnerischen Vereinfachung wurde für die Berechnung dieser »Austauschquoten« ein ausgeglichener Wanderungssaldo unterstellt. Der »Austausch« durch die »natürliche« Bevölkerungsbewegung (Sterbefälle und Geburten) betrug im Jahr unabhängig von dem betrachteten Gebiet jeweils knapp 1 %.

2 Das Statistische Landesamt erfasst lediglich Umzüge, bei denen eine Gemeindegrenze überschritten wird. Die (viel häufigeren) Umzüge innerhalb einer Gemeinde können in diesem Beitrag deshalb nicht berücksichtigt werden.

3 Wegen der niedrigen Besetzungszahlen der höheren Jahrgänge der ausländischen Bevölkerung sind die Schwankungen der Werte für diese Jahrgänge relativ groß.