:: 2/2004

Familienfreundliche Kommunen in Baden-Württemberg

Die Familienfreundlichkeit von Kommunen wird zunehmend mehr beachtet. Die Familienwissenschaftliche Forschungsstelle beim Statistischen Landesamt hat ein Projekt über kommunale familienfreundliche Konzepte in Baden-Württemberg durchgeführt. Wichtige Ergebnisse und Schlussfolgerungen aus diesem Projekt werden hier vorgestellt. Familienfreundliche Kommunen berücksichtigen die Interessen und Bedürfnisse von Familien und Kindern vor Ort. Ein wichtiger Baustein einer familienfreundlichen Kommune ist die Einrichtung und Förderung von Kontaktmöglichkeiten. Außerdem schaffen familienfreundliche Gemeinden und Städte Strukturen in Verwaltung und Politik, um Familien dauerhaft zu unterstützen. Am wichtigsten ist die Beteiligung von Familien an Entscheidungen, die sie betreffen.

Der Schwerpunkt kommunaler Familienpolitik liegt darin, ein Lebensumfeld für Familien zu schaffen und zu erhalten, sodass sie in ihrer Erziehungsleistung gestärkt werden und sich entfalten können. Dadurch unterscheidet sie sich von der Familienpolitik von Bund und Ländern, die hauptsächlich monetär ausgerichtet ist. Es geht darum, die Infrastruktur in Gemeinden, Städten, einzelnen Stadtbezirken und Wohngebieten zu gestalten und somit dazu beizutragen, ein familienfreundliches Umfeld zu schaffen. Dies wird immer wichtiger, da die Zahl der Familien und Kinder abnimmt und die Wohnumgebung zunehmend auf die Bedürfnisse der Arbeitsbevölkerung hin ausgerichtet ist.

Was ist familienfreundlich?

Gerade auf kommunaler Ebene, wo es um die Gestaltung von familienfreundlichen Bedingungen vor Ort geht, ist es schwierig festzulegen, was familienfreundlich ist. Fast jede Entscheidung oder Maßnahme in der Kommune berührt Familien oder ihre einzelnen Mitglieder. Familienfreundlichkeit soll die Interessen aller Familienmitglieder berücksichtigen und darüber hinaus noch generationenübergreifend sein. Das ist ein hoher Anspruch, und es ist fraglich, inwieweit er überhaupt realisierbar ist.

Die Bedürfnisse von Familien sind so vielfältig wie die Lebensformen der Familien. Sie hängen unter anderem von der jeweiligen Familienphase ab. Eltern mit Kleinkindern haben andere Interessen als Eltern mit jugendlichen Kindern. Familien mit zwei berufstätigen Elternteilen benötigen andere Rahmenbedingungen als Familien, bei denen sich ein Elternteil alleine der Familienarbeit widmet. Allein Erziehende sind vielfach stärker belastet als Familien, in denen beide Elternteile mit Kindern zusammenleben. Darüber hinaus haben einzelne Familienmitglieder unterschiedliche Interessen.

Familienfreundlichkeit wird oftmals mit Kinderfreundlichkeit gleichgesetzt. Kinderfreundlichkeit stellt die Bedürfnisse von Kindern in den Mittelpunkt. Insofern ergänzen sich Familien- und Kinderfreundlichkeit nicht zwangsläufig, sondern können auch im Konflikt zueinander stehen. Was elternfreundlich ist, muss nicht unbedingt kinderfreundlich sein. Darüber hinaus beeinflussen die vorhandenen Rahmenbedingungen wie Verkehr und Wohnumgebung die Interessen und Bedürfnisse von Familien und Kindern. Und letztendlich hängt es auch von der Einstellung der Eltern ab, was sie als familienfreundlich empfinden. Ebenso vielfältig wie Familien sind auch die Vorstellungen von Familienfreundlichkeit. Eine Wiederbelebung eines Bachlaufes in einer Innenstadt halten einige Eltern für ein gewinnbringendes Erlebnis für ihre Kinder, andere betrachten es als Sicherheitsrisiko für ihr Kind.

Kommunale Familienpolitik ist Querschnittspolitik

Für Kommunen ist es schwierig, objektive Kriterien für Kinder- und Familienfreundlichkeit festzulegen und dabei alle Seiten angemessen zu berücksichtigen. Deshalb ist es wichtiger, dass in einer Kommune eine Auseinandersetzung über die Kriterien der Kinder- und Familienfreundlichkeit und eine Abwägung von Interessen stattfindet. Dazu ist es notwendig, den Bedarf der Familien vor Ort zu kennen und Familien an den Entscheidungen zu beteiligen.

Die Vielfalt kommunaler Familienpolitik beruht auch auf ihrem Querschnittscharakter. Familienpolitik findet in vielen kommunalen Bereichen statt. Wichtig ist dabei nicht nur das Vorgehen in einzelnen Politikfeldern, sondern vor allem ihre Vernetzung, Koordination und Kooperation. Gemeinden und Städte beeinflussen durch ihre Entscheidungen das unmittelbare Lebens- und Wohnumfeld der Familien, die in der Kommune leben. Dabei gibt es in fast jedem Bereich Berührungspunkte zu Aspekten, die das tägliche Leben von Familien betreffen.

Bausteine familienfreundlicher Kommunen

Beteiligung von Familien an der Gestaltung kommunaler Familienpolitik:

Kinder- und Familienfreundlichkeit auf kommunaler Ebene bedeutet vor allem, dass Familien an der Gestaltung von Familienpolitik beteiligt sind und Einfluss darauf haben, den Begriff Familienfreundlichkeit für ihre Kommune zu konkretisieren. Sie haben die umfassendste Erfahrung damit, wie sich das Leben als Familie in ihrer Kommune gestaltet. Kommunale Planungen sollten sich nach ihren Bedürfnissen richten. Eine familienfreundliche Gemeinde oder Stadt zeichnet sich dadurch aus, dass ihren Entscheidungen Informationen über die Bedürfnisse von Familien und über die Situation von Familien zugrunde liegen.

Familienfreundliche Kommunen lassen sich unter anderem daran messen, dass sie Familien zu den familienbezogenen Angeboten befragen, beispielsweise die Eltern von (zukünftigen) Kindergartenkindern zu den Öffnungszeiten des Kindergartens. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht nur den Bedarf erfragen, sondern das Angebot am Bedarf ausrichten und den Familien bei der Realisierung ihrer Wünsche entgegenkommen. Sie beziehen Eltern und Kinder bei der Gestaltung von Angeboten wie beispielsweise Spiel- oder Schulplätze ein. Vielfach gibt es einen Arbeitskreis oder Runden Tisch, der sich mit der Situation von Familien oder Kindern befasst, an dem auch politische Entscheidungsträger teilnehmen.

Kontakt- und Kommunikationsmöglichkeiten für Familien:

Neben der Beteiligung von Familien gelten Kontakt- und Kommunikationsmöglichkeiten für Familien als weiteres wichtiges Kriterium für Familienfreundlichkeit auf kommunaler Ebene. Sie bieten ein Netzwerk für Familien und tragen dazu bei, dass Familienmitglieder dazu befähigt werden, ihren Alltag zu bewältigen und Probleme auch in schwierigen Situationen alleine zu lösen (empowerment). Dadurch wird verhindert, dass eine bis dahin stabile Familiensituation durch Stress in eine instabile Situation umschlägt. Vor allem neu in eine

Gemeinde oder Stadt zugezogene Familien leiden oftmals unter einem Mangel an Kontakten. Treffpunkte für Familien laden ein, Kontakte zu knüpfen und sich über die Situation mit Kindern auszutauschen. Darüber hinaus wirken sie in die gemeindlichen Strukturen hinein und tragen zur Verbesserung nachbarschaftlicher Beziehung bei. Sie können beispielsweise als Spielgruppen, Familiencafés oder Familienzentren organisiert sein.

Für die Unterstützung eines Treffpunktes für Familien mit kommunalen Mitteln muss ein öffentliches Interesse bestehen. Finanzielle Förderung und die Anerkennung eines öffentlichen Interesses werden von den Kommunen meistens dann befürwortet, wenn eine Einrichtung für alle Familien einer Gemeinde oder Stadt zugänglich ist und insbesondere auch sozial benachteiligte Familien erreicht. Kommunen fördern finanziell vielfach auch Angebote und Programme von Familienselbsthilfeeinrichtungen, die Aufgaben abdecken, die als kommunale Aufgaben anerkannt sind und die anderenfalls die Gemeinde übernehmen sollte oder müsste. Diese Beurteilung liegt jedoch im Spielraum der Gemeinden.

Kontinuierliche kommunale Familienpolitik unterstützt Familien verlässlich. Ein Familientag, der einmal jährlich stattfindet, bietet zwar Spaß und Kontaktmöglichkeiten, eine dauerhafte Förderung von Familien ist damit jedoch nicht erreicht. Erst ein gewisses Maß an Institutionalisierung von Angeboten für Familien ermöglicht die kontinuierliche Nutzung.

Familienfreundliche Kommunalverwaltung und -politik:

Die Zusammenarbeit zwischen ehrenamtlich Tätigen, Verwaltungsangehörigen und politischen Entscheidungsträgern ist in vielen Fällen durch Missverständnisse gekennzeichnet.

Engagierte Familien werden in kommunalen Verwaltungen und von politischen Entscheidungsträgern nicht immer mit offenen Armen aufgenommen. Häufig ist es ein langwieriger Prozess, bis die Beteiligten miteinander zurechtkommen. Dies liegt weniger an der Sache, denn Familienpolitik wird von allen als wichtig und förderungswürdig erachtet, als vielmehr an unterschiedlichen Erwartungen und Vorstellungen.

Familien erwarten, dass ihr Engagement begrüßt wird und ihre Vorschläge unterstützt werden. Sie stellen unter Umständen das vorhandene Angebot in Frage. Für ehrenamtlich Tätige sind die Vorgänge in der Verwaltung und die Entscheidungswege nicht transparent. Sie kritisieren häufig, dass die Kommunen zwar gerne ihre Dienste und Kompetenzen in Anspruch nehmen, dass die Gemeinden und Städte aber auf der anderen Seite nicht bereit seien, den Ehrenamtlichen entgegenzukommen.

Verwaltungsangehörige befürchten, durch familienpolitische Initiativen zusätzliche Arbeit leisten zu müssen. Sie möchten Kompetenzrangeleien innerhalb der Verwaltung vermeiden, die sich aufgrund des Querschnittscharakters von familienpolitischen Angeboten und Einrichtungen ergeben (zum Beispiel Zusammenarbeit des Jugendamts, des Sportamts und des Tiefbauamts bei der Errichtung eines Skaterparks). Für Familien und in der Familienpolitik engagierte Personen ist es wichtig, dass die vielfältigen Zuständigkeiten bei einem festen Ansprechpartner gebündelt werden, zum Beispiel in Form eines Familienbüros oder eines Amts für Familie.

Politische Entscheidungsträger bestimmen über finanzielle Unterstützung von ehrenamtlichen Initiativen und treffen die Entscheidungen über kommunale Angebote. Sie haben oftmals eigene Vorstellungen von Familienfreundlichkeit und Angeboten für Familien. Sie können sich durch ehrenamtliches Engagement in ihrer Entscheidungskompetenz übergangen fühlen. Dies ist insbesondere bei selbstverwalteten Angeboten von Eltern problematisch, bei denen die Gemeinde kein Mitspracherecht hat. Die politisch Verantwortlichen müssen auch andere Bedürfnisse und Interessen innerhalb der Kommune berücksichtigen und über die Vergabe von knappen Mitteln entscheiden. Sie sind vor allem an öffentlichkeitswirksamen Angeboten und Einrichtungen interessiert.

Die Überzeugung und das Bewusstsein für eine kinder- und familienfreundliche Planung im Gemeinderat, in der Verwaltung und vor

allem beim Bürgermeister sind wichtiger als ein formaler Ratsbeschluss. Vor allem in kleineren Städten und Gemeinden hängt der Erfolg einer familienfreundlichen Entwicklung entscheidend davon ab, ob sich der Bürgermeister dafür einsetzt und der Verwaltung als Ziel vorgibt.

Vorteile von familienpolitischem Engagement für eine Kommune

  • den Kontakt zwischen Familien fördern
  • Zusammenarbeit zwischen Verwaltung, Bürgermeister, Gemeinderat sowie Bürgerinnen und Bürgern stärken
  • den Anstieg der Jugendhilfe- und Sozialhilfekosten bremsen
  • ein besseres Klima für Kinder und Jugendliche schaffen und damit negativen Konsequenzen (zum Beispiel Sucht, Vandalismus etc.) vorbeugen
  • in besonderer Weise präventiv wirken
  • alternative Angebote für Kinder und Familien schaffen
  • bürgerschaftliches Engagement aktivieren
  • von Unternehmen als Standortvorteil wahrgenommen werden
  • von Familien als Infrastrukturvorteil wahrgenommen werden
  • zu einem familienfreundlichen Image für die Kommune führen
  • Identifikation mit der Gemeinde fördern und dazu beitragen, dass sich Familien in der Gemeinde wohlfühlen.

Gemeinden und Städte können nicht alle Faktoren, die das Leben und die Situation der Familien bestimmen, beeinflussen. Bei vielen Regelungen stoßen sie an finanzielle Grenzen oder unterliegen gesetzlichen Bestimmungen. Dennoch können Gemeinde und Städte auf viele Rahmenbedingungen, die unmittelbar die Situation der Familien in der Kommune beeinflussen und von den Kommunen als nicht von ihnen regelbar wahrgenommen werden (zum Beispiel öffentlicher Nahverkehr, Arbeits- oder freier Wohnungsmarkt), zumindest mittelbar einwirken.

Die wichtigsten Bereiche kommunaler Familienpolitik sind:

  • Bauen und Wohnen (zum Beispiel Baulandvergabe, Mehr-Generationen-Wohnen, Bau- und Wohnungsplanung)
  • Erziehung und Betreuung von Kindern (zum Beispiel Kindergarten, Hort, Hausaufgabenbetreuung, Schülermittagstisch)
  • Spielen und Freizeit (zum Beispiel Spielplätze, Gestaltung von Plätzen, Ferienprogramm)
  • Verkehrswesen (zum Beispiel Schulwegeplan, Verkehrsberuhigung, Kinderstadtplan, Spielstraßen)
  • Familienberatung und Familienbildung (zum Beispiel Informationsbroschüren, Volkshochschulen, Elternbriefe, Kurse, Seminare)
  • Wirtschaftliche/finanzielle Angebote für Familien (zum Beispiel Familienpass, Hilfe in Notfällen, familiengerechte Staffelung von Gebühren)
  • Verwaltung und Politik (zum Beispiel Spielecke im Rathaus, Familienförderplan für Verwaltungsangehörige, Familienbericht)
  • Familienunterstützende Betreuungsangebote für Seniorinnen und Senioren und pflegebedürftige Personen und ihre Angehörigen (zum Beispiel Betreutes Wohnen, ambulante Dienste, Begegnungsstätten)
  • Bildung und Kultur (zum Beispiel Kinder- und Jugendbibliothek, Musikschule, Kinderkulturfest)
  • Treffpunkte für Familien (zum Beispiel Familienzentrum, Familiencafé, Spielgruppe)