:: 9/2004

Fremdsprachenunterricht in Baden-Württemberg

Wir sprechen alles außer Hochdeutsch…

… muss man annehmen, wenn in deutschen Fernsehprogrammen Alemannisch bereits mit Untertiteln gesendet wird; dem Schwäbischen, Fränkischen oder Kurpfälzischen ist diese Ehre allerdings noch nicht zuteil geworden. Andererseits werden von den 192 in Baden-Württemberg ansässigen Nationalitäten weit über 200 Sprachen gesprochen.

Bedeutender ist aber die Tatsache, dass am 1. Mai 2004 zehn neue Staaten in die Europäische Union aufgenommen wurden, in der nun zusammen 20 Amtssprachen und 35 weitere Regional- und Minderheitensprachen gesprochen werden; Fremdsprachenkenntnisse werden schon deshalb mehr und mehr zur wichtigen Schlüsselqualifikation. An den Grundschulen des Landes wird seit dem Schuljahr 2003/04 flächendeckend Englisch bzw. Französisch in den ersten Klassen unterrichtet. An den Hauptschulen ist in der Regel Englisch Pflicht, an den Realschulen lernen 18 % der Schüler zusätzlich zu Englisch noch Französisch als zweite Fremdsprache. Die allgemein bildenden Gymnasien bieten ein relativ großes Angebot an Fremdsprachen. So haben hier in der Klassenstufe 91 alle Schüler Englisch, 83 % Französisch, 32 % Latein. Während von 100 Neuntklässlern durchschnittlich nur einer Altgriechisch oder Russisch belegt, wählen immerhin 15 Spanisch.

Sprachen sind zunehmend wichtige Schlüsselqualifikation – schon die Erstklässler lernen Englisch oder Französisch

Am 1. Mai 2004 wurden zehn neue Staaten in die Europäische Union aufgenommen. Insgesamt zählt die Gemeinschaft nun 25 Staaten. Sprachkenntnisse erweisen sich dabei zunehmend als wichtige Schlüsselqualifikation für das Miteinander in Beruf und Freizeit und sind ein unerlässliches Werkzeug, um den Anforderungen der steigenden Globalisierung gerecht zu werden und das Zusammenwachsen Europas zu fördern. Den Schulen als primäre Vermittler von Fremdsprachenkenntnissen kommt damit ein besonderer Stellenwert zu. »Fremdsprachenunterricht soll Kinder und Jugendliche befähigen, sich in der Sprache der anderen mitzuteilen. Er soll sie aber auch neugierig machen auf andere Völker, Kulturen und Mentalitäten und schließlich zu lebenslangem Fremdsprachenlernen motivieren.«2

Zum Schuljahr 2003/04 wurde an den Grundschulen des Landes flächendeckend für alle Schüler in der ersten Klasse Fremdsprachenunterricht in Englisch bzw. (in den Landesteilen in Grenznähe zu Frankreich) in Französisch eingeführt. So lernten im vergangenen Schuljahr 94 346 (80,6 %) der Erstklässler an den Grundschulen Englisch, 21 197 (18,1 %) Französisch.3  Im Schuljahr 2006/07 werden dann flächendeckend alle vier Jahrgänge der Grundschule Fremdsprachen lernen. Auch viele andere Bundesländer haben Englisch oder andere Fremdsprachen zum Pflichtunterricht in der Grundschule gemacht. Beispielsweise hat Bayern Fremdsprachenunterricht (Englisch, Französisch oder Italienisch) flächendeckend an allen Grundschulen für die Klassen 3 und 4 umgesetzt, in Nordrhein-Westfalen begannen zum Schuljahr 2003/04 alle dritten Klassen der Grundschule mit Englisch.

An den 1 229 Hauptschulen in Baden-Württemberg ist in der Regel Englisch die Pflichtfremdsprache. Schüler in Vorbereitungs- und Förderklassen (in denen sich überwiegend Ausländer bzw. Aussiedler befinden) müssen aufgrund der vorhandenen Sprachprobleme keine Fremdsprache erlernen. Eine zweite Pflichtfremdsprache gibt es an Hauptschulen nicht. Auch an den 462 Realschulen ist für die 247 412 Realschüler (Schuljahr 2003/04) bis auf wenige Ausnahmen Englisch die erste Fremdsprache. Ab Klasse 7 kann dann Französisch als Wahlpflichtfach hinzugewählt werden. Von dieser Möglichkeit machten im Schuljahr 2003/04 immerhin 26,0 % der Realschüler in Klasse 7 bis 10 Gebrauch. Insgesamt beschäftigen sich 17,8 % der Realschüler mit Französisch als Pflichtunterricht. An den 46 Freien Waldorfschulen im Land werden entsprechend den Grundelementen der Waldorfpädagogik seit langem im Allgemeinen zwei Fremdsprachen bereits ab der 1. Klasse unterrichtet; dabei wählten von den 1 730 Schülern in Klassenstufe 1 im Schuljahr 2003/04

Englisch98,3 %
Französisch57,3 %
Russisch29,4 %

An den Sonderschulen werden von der Amtlichen Schulstatistik keine Angaben zum Fremdsprachenunterricht erhoben.4

Gymnasien mit vielfältigem Sprachenangebot – »Biberacher Modell« ermöglicht Latein und Englisch schon ab Klasse 5

Die Gymnasien sind sicherlich die Schulart, die bei relativ großen Schülerzahlen die größte Sprachenvielfalt aufweist und die deswegen auch im Mittelpunkt dieses Beitrages steht. In der 5. Klasse kann – je nach Profil – mit Englisch, Latein oder Französisch begonnen werden. Das so genannte »Biberacher Modell« ermöglicht es den Schülern, bereits in der 5. Klasse neben Latein gleichzeitig auch noch eine moderne Fremdsprache (Englisch oder Französisch) zu erlernen.5  Von den 40 570 Schülern in Klassenstufe 5 wählten im Schuljahr 2003/04 als erste Fremdsprache

Englisch688,5 %
Französisch5,6 %
Latein5,9 %

Bei Letzteren nutzte mehr als die Hälfte (1 363) der insgesamt 2 395 »Lateiner« das Biberacher Modell. Im Schuljahr 1993/94 lagen die Anteile von Französisch bzw. Latein als »Eingangssprache« in Klassenstufe 5 mit jeweils 6,4 % noch auf höherem Niveau, zulasten von Englisch mit einem Anteil von 87,2 %. Geht man nochmals 10 Jahre weiter zurück (Schuljahr 1983/84), lag der Anteil der Schüler in der 5. Klasse, die ihre Laufbahn am Gymnasium mit Latein begannen, noch bei 9,2 %, 6,9 % fingen mit Französisch an und nur 83,8 % mit Englisch7  (Schaubild 1).

83 % der Neuntklässler an Gymnasien lernen Französisch, 32 % Latein und 15 % Spanisch als Pflichtfremdsprache

Als Maßstab für die Beteiligung der Schüler am Pflichtfremdsprachenunterricht in der Sekundarstufe I (Klasse 5 bis 11) des Gymnasiums wird hier die 9. Klassenstufe gewählt, weil dort die meisten Schüler mit einer Fremdsprache »in Berührung« kommen, sei es als erste, zweite oder dritte Fremdsprache. In dieser Klassenstufe ist die Entscheidung über die Wahl einer eventuellen dritten Fremdsprache bereits abgeschlossen, ohne dass eine der vorher gewählten Pflichtfremdsprachen abgewählt werden konnte. Im Schuljahr 2003/04 belegten die Neuntklässler

Englisch zu100 %
Französisch zu83,2 %
Latein zu32,5 %

Vor 20 Jahren lag der Anteil von Latein noch bei 36,7 %, vor 15 Jahren sogar bei 38,2 %. Während er in den Schuljahren 1998/99 bis 2002/03 kontinuierlich gesunken ist (von 34,6 % auf 30,6 %), stieg der Anteil dieser alten Sprache im Schuljahr 2003/04 wieder leicht an.

Altgriechisch – die im humanistischen Bildungsgang angebotene alte Sprache – spielt seit jeher anteilsmäßig nur eine relativ kleine Rolle. Dennoch ist auch hier der Anteil in den letzten 20 Jahren von 1,5 % im Schuljahr 1983/84 noch tiefer auf 0,9 % im Schuljahr 2003/04 gesunken und liegt damit nur noch knapp über Russisch mit 0,8 %.8 

Der Anteil von Französisch schwankt in den betrachteten 5 Schuljahren (Tabelle 1) nur mäßig zwischen 86,6 % und 83,2 %. Doch auch bei dieser modernen Fremdsprache ist in den letzten 5 Jahren seit 1999/2000 (Anteil: 87,5 %) ein leichter, aber stetiger Rückgang um insgesamt 4,3 Prozentpunkte zu beobachten. Zugenommen hat dagegen das Interesse der Gymnasiasten in Klassenstufe 9 an Italienisch und Spanisch. Italienisch konnte seinen Anteil von 2,7 % im Schuljahr 1998/99 auf 4,3 % im Schuljahr 2003/04 steigern, Spanisch im selben Zeitraum von 7,7 % auf 15,3 %. Diese Werte sind umso beachtlicher, als beide Sprachen noch vor 10 Jahren kaum eine Rolle gespielt haben.

Neben den hier untersuchten Fremdsprachen werden zwar vereinzelt auch Portugiesisch, Türkisch und Sonstige als Pflichtfach angeboten, allerdings sind deren Anteile statistisch nicht relevant.

Die Kursstufe an den Gymnasien 2003/04: Neun von zehn Schülern belegen Englisch, jeder vierte Französisch als 4-stündigen Kurs

Bei der Kurswahl im 1. Schulhalbjahr 2003/04 dominierte unter den Fremdsprachen eindeutig Englisch, neun von zehn Schülern in der gymnasialen Oberstufe wählten diese Sprache als 4-stündigen Kurs. Jeder vierte Kursteilnehmer entschied sich für Französisch. Der Anteil der Kursstufler, die Latein 4-stündig belegten, lag nur knapp über dem von Spanisch. Für Italienisch entschieden sich 1,6 % der Schüler in der Kursphase, für (Alt-)Griechisch nur 0,4 % (Tabelle 2).

Dabei bleiben viele Schüler, die im Vorjahr in der 11. Klasse (G8: 10. Klasse) eine bestimmte Fremdsprache belegt hatten, dieser auch in der Kursstufe treu: 18 % der »Lateiner« und 44 % der »Griechen« des Vorjahres wählten im ersten Jahr der Kursstufe (Schuljahr 2003/04) die jeweilige Sprache als 4-stündigen Kurs. Bei Spanisch beträgt diese »Übergangsquote« 54 %, bei Italienisch 47 %.

Ab 2007/08 lernen schon ab Klasse 5 alle Gymnasiasten zwei Sprachen

Ab dem aktuellen Schuljahr 2004/05 wird für alle 5. Klassen das 8-jährige Gymnasium verbindlich eingeführt. Dies bedeutet, dass die erste Fremdsprache in Klasse 5 beginnt und die zweite Fremdsprache für alle Profile bereits in Klasse 6 folgt. Ab Klasse 8 kommt dann – im sprachlichen Profil – die dritte Fremdsprache hinzu. Beim naturwissenschaftlichen Profil sowie beim musisch-künstlerischen oder sportlichen Profil wird diese dritte Fremdsprache durch das entsprechende Schwerpunktfach ersetzt.

Zum Schuljahr 2007/08 werden zum ersten Mal flächendeckend alle Schüler, die auf ein Gymnasium wechseln, bereits vier Jahre Unterricht in Englisch (bzw. an der Rheinschiene Französisch) gehabt haben. Sie werden daher schon in der 5. Klasse mit einer zweiten Fremdsprache beginnen. Wer in den Klassen 1 bis 4 der Grundschule Englisch hatte, wird dies in Klasse 5 weiterführen, aber zusätzlich Französisch, Latein oder Russisch wählen müssen. Beide Fremdsprachen sind bis einschließlich der 10. Klasse beizubehalten. Im sprachlichen Profil sowie im humanistischen Profil kommt in Klassenstufe 8 noch eine dritte Fremdsprache hinzu. In der Kursstufe ist dann eine Fremdsprache verbindlich, weitere können nach Wahl hinzukommen.

Wer in den ersten vier Klassen der Grundschule Französisch gelernt hat, führt diese Sprache in der Regel weiter und wählt ab Klasse 5 Englisch, Russisch oder Latein hinzu. Wird Englisch nicht als zweite Fremdsprache gewählt, muss diese normalerweise ab Klasse 8 als dritte Fremdsprache belegt werden.9 

Wir sprechen alles außer Hochdeutsch?

Die Einführung einer Fremdsprache bereits in der Grundschule ist sicherlich ein wichtiger Schritt, um die Sprachfähigkeit der Schüler zu erhöhen und frühestmöglich zu fördern. Eine wirkliche »Auswahl« unter mehreren Pflichtfremdsprachen findet sich aber unter den »großen« Schularten nur an den Gymnasien, welche jedoch immerhin fast ein Viertel der gesamten Schüler an allgemein bildenden Schulen (ohne 2. Bildungsweg) repräsentieren. Die Europäische Union verfügt derzeit über 20 Amtssprachen. Englisch ist die am weitesten verbreitete Sprache in Europa. 16 % der europäischen Bürger sprechen diese Sprache als Muttersprache, weitere 31 % verfügen über Englischkenntnisse, die für ein Gespräch ausreichend sind. 24 % der Bevölkerung der EU sprechen Deutsch als Muttersprache. Für 16 % der EU-Bürger ist Englisch, Französisch oder Italienisch die Muttersprache.10

Diesen (Sprach-)Gegebenheiten tragen zumindest die Gymnasien Rechnung. Dennoch verwundert es, dass Latein in Klassenstufe 5 nicht häufiger als erste Fremdsprache gewählt wird; schließlich ist Latein die Muttersprache vieler moderner Fremdsprachen (Portugiesisch, Spanisch, Französisch, Italienisch und Rumänisch) und schafft damit eine ideale Basis für das Erlernen dieser Sprachen. Dieses Wahlverhalten wird sich vielleicht ändern, wenn mit Beginn des Schuljahres 2007/08 bereits in Klasse 5 zu (üblicherweise) Englisch gleichzeitig eine zweite Fremdsprache gewählt werden muss. Hier könnten viele dem Latein vor Französisch den Vorzug geben.

1 Hier und im Folgenden: »Klassenstufe 9« bzw. »Neuntklässler« bezieht sich auf das 9-jährige Gymnasium (G9), beim 8-jähri-gen Gymnasium (G8) wurde jeweils entsprechend die Klassenstufe 8 in die Berechnung einbezogen.

2 Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg (Hrsg.): Fremdsprachen in den weiterführenden Schulen, Dezember 2003, S. 1.

3 Die Summe der Prozentsätze gibt nicht 100, da Schüler in muttersprachlichen Klassen sowie in Vorbereitungs- und Förder-klassen nicht berücksichtigt sind.

4 Außer bei zwei Sonderschulen mit Bildungsgang Gymnasium.

5 Dabei wird in der Regel die moderne Fremdsprache mit geringerer Wochenstundenzahl unterrichtet und ist nicht versetzungsrelevant.

6 Darunter 187 Schüler mit der Fremdsprachenfolge Englisch/Latein im Biberacher Modell. Da Latein in diesen Fällen nicht versetzungsrelevant ist, wird nur Englisch als erste Fremdsprache gezählt.

7 In den letzten Schuljahren hat sich der Anteil von Latein als erste Fremdsprache dank des Biberacher Modells von 5,2 % im Schuljahr 2000/01 (= niedrigster Anteilswert der letzten 20 Jahre) leicht erholt auf 5,6 % im Schuljahr 2001/02 und 6,0 % im Schuljahr 2002/03.

8 Zur Stärkung des Alt-griechischen wurde an humanistischen Gymnasien ab dem Schuljahr 2003/04 ein so genannter »europäischer« Zug eingerichtet mit zwei alten und zwei modernen Fremdsprachen.

9 Eine genauere Übersicht zu den Fremdsprachen in der Grundschule und im Gymnasium findet sich in Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg (Hrsg): Spektrum Schule – Bildungswege in Baden-Württemberg, eine Informationsschrift der Reihe »Dokumentation Bildung«, Oktober 2003.

10 Die Prozentangaben zu den Muttersprachen beziehen sich auf eine Sonderstudie von Eurobarometer aus dem Jahr 2001, also noch auf das Europa der 15.