:: 10/2004

Erben, Beschenkte und das Finanzamt

Erste Ergebnisse aus der Erbschaft- und Schenkungsteuerstatistik 2002

Mit der in den letzten Jahren stark gewachsenen Bildung von Geld- und Grundvermögen breiter Bevölkerungsschichten wächst auch die Wahrscheinlichkeit von Vermögensübertragungen durch Erben oder Schenken und somit auch die Bedeutung der Erbschaft- und Schenkungsteuer. Zwar stellt diese Steuer gemessen am allgemeinen Steueraufkommen fast schon eine Bagatellsteuer dar, aber im Jahr 2002 trug sie zum Landeshaushalt von Baden-Württemberg immerhin fast 400 Millionen Euro bei.

Das Erbrecht ist ein Grundrecht

Das Privatvermögen und das private Erbrecht ermöglichen den einzelnen Personen ein Stück Freiheit und Unabhängigkeit von Staat und Gesellschaft. In der Bundesrepublik Deutschland hat sowohl das Eigentum als auch das Erbrecht den Rang eines verfassungsgeschützten Grundrechts. Im Art. 14 I des Grundgesetzes heißt es dazu: »Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.«

Nach deutschem Erbrecht ist es jeder Person möglich, für den Fall des eigenen Todes eine Regelung über das rechtliche Schicksal ihres Vermögens zu treffen. Dadurch wird der Fortbestand des Privateigentums auch über den Tod des jeweiligen Eigentümers hinaus gewährleistet (siehe Übersicht 1). Dieser Grundsatz wird jedoch durch das familiengebundene Pflichtteilsrecht1 und die materielle Beteiligung des Staates durch die Erbschaft- und Schenkungsteuer eingeschränkt. Hier setzt oft die Kritik ein, dass das hinterlassene Lebenswerk hart erarbeitet und bereits hoch genug besteuert worden sei.

In Deutschland wird nicht der Nachlass einer Person besteuert, sondern das, was einer natürlichen oder juristischen Person oder einer Gruppe von Personen aus dem Nachlass eines Erblassers zufließt. Die Erbschaftsteuer wird auf der rechtlichen Grundlage des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes als Erbanfallsteuer erhoben.

Anzeigepflicht für Erbschaften und Schenkungen

Auch wenn der Volksmund – in Abwandlung eines Goethezitats – rät: »Was du ererbt von deinen Vätern hast, verbirg es, um es zu besitzen«, sollten Beschenkte und Erben dieser Aufforderung besser nicht folgen. Denn das Finanzamt erfährt in jedem Fall von der Vermögensübertragung. So bestimmt das Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz im § 30, dass der »Begünstigte« innerhalb von drei Monaten das zuständige Finanzamt über den »Erwerb von Todes wegen« zu informieren hat. Ebenso anzeigepflichtig ist ein steuerpflichtiger Erwerb durch Rechtsgeschäfte unter Lebenden (Schenkungen). Aber auch ohne Meldung des »Begünstigten« erfährt das Finanzamt vom Vermögensübergang. Um die Erfassung der Steuerfälle sicherzustellen, hat der Gesetzgeber einer Reihe von Personen und Einrichtungen eine Mitteilungspflicht auferlegt. So sind die Standesämter verpflichtet, die Finanzverwaltung über alle Sterbefälle zu unterrichten. Banken und Versicherungen müssen nach dem Tod des Kontoinhabers alle wichtigen Informationen an den Fiskus weitergeben.

Sobald das Finanzamt Kenntnis von einem vermutlich über den Freibeträgen liegenden Erbfall hat, fordert es den Steuerpflichtigen mit der Übersendung eines Erklärungsformulars nebst Erläuterungen zur Abgabe einer Steuererklärung auf. Dabei hat der »Erwerber« alle Gegenstände des Nachlasses aufzuführen und deren Wert zu ermitteln oder zu schätzen. Ist ein Testamentsvollstrecker oder ein Nachlassverwalter bestellt, ist auch dieser zur Abgabe der Erklärung verpflichtet.

Doppelte Progression und unterschiedlich hohe Freibeträge

Der Steuertarif bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer ist in doppelter Hinsicht progressiv. Die Steuer steigt mit abnehmendem Verwandtschaftsgrad von Steuerklasse zu Steuerklasse und außerdem in sieben Stufen mit der Höhe des steuerpflichtigen Erwerbs. Der Mindestsatz beträgt 7%, der Höchstsatz 50% (Übersicht 2).

Je nach Verwandtschaftsverhältnis zu einem Erblasser oder Schenker haben die Erben bzw. die Beschenkten einen persönlichen Freibetrag, der nicht besteuert wird. Eheleute können 307 000 Euro steuerfrei erben oder geschenkt bekommen, Kinder und Stiefkinder 205 000 Euro. Enkel haben ebenfalls einen Freibetrag von 205 000 Euro, wenn die Eltern nicht mehr leben, ansonsten können sie 51 200 Euro steuerfrei erhalten. Die Freibeträge können bei Schenkungen alle 10 Jahre neu ausgeschöpft werden. Im Erbfall kommt für Ehegatten ein Versorgungsfreibetrag von 256 000 Euro hinzu, für Kinder und Enkel je nach Alter zwischen 10 300 und 52 000 Euro.

Vor dem Hintergrund dieser Freibeträge ist es leicht nachvollziehbar, dass die engsten Angehörigen im Zahlenbild der Erbschaft- und Schenkungsteuerstatistik nicht den Rang einnehmen, den man dieser Personengruppe aus persönlicher Einschätzung beimessen würde.2 Obwohl erfahrungsgemäß Vermögensgegenstände an nahe stehende Personen wie Ehegatten, Kinder und Enkel übertragen werden, zählen weniger als 20 % der unbeschränkt steuerpflichtigen Erwerber zu diesem Personenkreis der Steuerklasse I. Dagegen stellen Steuerpflichtige der Steuerklasse II wie Geschwister, Nichten und Neffen oder Schwiegereltern fast die Hälfte aller Steuerfälle. Die Gruppe der übrigen Erwerber wie entfernte Verwandte, Familienfreunde, Verlobte oder Lebensgefährten (Steuerklasse III) sind mit gut einem Drittel unter den Erbschaft- und Schenkungsteuerpflichtigen vertreten.

Die relativ geringe Anzahl von Personen der Steuerklasse I, die trotz der hohen Freibeträge im Jahr 2002 zur Steuer herangezogen werden, bezog durchschnittlich Erwerbe in Höhe von rund 280 000 Euro je Steuerfall. Von den gesamten in Baden-Württemberg veranlagten unbeschränkt steuerpflichtigen Erwerben vereinigt diese zahlenmäßig kleine Gruppe rund die Hälfte des übertragenen Vermögens auf sich. Ein Drittel der übertragenen Werte ging an Angehörige der Steuerklasse II; hier beträgt der Durchschnittserwerb 55 000 Euro. Die übrigen Erwerber (Steuerklasse III) erhielten im Schnitt nur 51 000 Euro; auf diese Gruppe entfielen nur 20 % des übertragenen Vermögens.

Für den Fiskus haben die Erwerbe, die an andere als an enge Familienangehörige fallen, eine besondere Bedeutung, denn die oben beschriebenen hohen Erwerbe in der Steuerklasse I führen lediglich zu 45 % des Steueraufkommens. Die überwiegende Steuerleistung wird demnach von den entfernteren Verwandten (29 %) bzw. nicht verwandten Erben und Beschenkten (26 %) getragen (Schaubild 1).

Großes Erbe – hohe Steuern

Über vier Fünftel aller Fälle und fast drei Viertel des gesamten steuerpflichtigen Erwerbs bezogen sich auf die Erwerbe von Todes wegen, das heißt auf Erbschaften gemäß gesetzlicher Erbfolge oder letztwilliger Verfügung der Verstorbenen.

Rund 8 600 Erblasser vermachten ihren Nachkommen einen Nachlass im Gesamtwert von 2,9 Milliarden Euro. Davon entfielen fast zwei Drittel des Betrages (60 %) auf Kapitalvermögen, Kunstgegenstände, Schmuck und Ähnliches. Ein Drittel der Summe (34 %) betraf vererbtes Grundvermögen und 5 % vererbtes Betriebsvermögen. Nach Abzug der hinterlassenen Schulden sowie der bei den Steuerveranlagungen der 21 200 Erben zu berücksichtigenden Freibeträge verblieb ein Betrag in Höhe von 1,8 Milliarden Euro, der steuerpflichtig war. Die Erben hatten 322 Mill. Euro Erbschaftsteuer an den Fiskus zu entrichten (Tabelle).

Steuerpflichtige Erwerbe von Todes wegen bis 10 000 Euro machten im Veranlagungsjahr 2002 gut ein Viertel aller Steuerfälle aus, am steuerpflichtigen Erwerb waren sie jedoch nur mit 1,5 % und an der festgesetzten Steuer sogar nur mit 1,2 % beteiligt. Dagegen repräsentieren Erwerbe von mehr als 500 000 Euro nur 2,2 % aller Steuerfälle, ihr Anteil am steuerpflichtigen Erwerb belief sich demgegenüber auf 39 %, während diese Erwerbe 46 % zum Erbschaftsteueraufkommen beitrugen (Schaubild 2).

Schenken statt Vererben

Die Erbschaftsteuer wird durch die Schenkungsteuer ergänzt. Mit ihr soll vermieden werden, dass die Erbschaftsteuer für den künftigen Erbübergang durch Schenkungen unter Lebenden umgangen werden kann. Trotzdem bietet die Schenkungsteuer Gestaltungsmöglichkeiten, größere Vermögenswerte »steuerschonend« oder sogar völlig steuerfrei auf die nächste Generation zu übertragen. Da die Freibeträge alle 10 Jahre neu ausgeschöpft werden können, nutzte mancher Erblasser die Möglichkeiten der frühzeitigen Vermögensübertragung und hat seine Erben bereits zu Lebzeiten bedacht. Mit »warmer Hand« wurden im Veranlagungsjahr 2002 steuerpflichtige Schenkungen mit einem Volumen von 612 Mill. Euro an die Begünstigten weitergegeben. Über 456 Mill. Euro (75 %) der steuerbelasteten Vermögensübertragung kam den nächsten Familienangehörigen zugute. Knapp 4 400 Schenkungsfälle bearbeiteten die baden-württembergischen Finanzämter und setzten hierfür 71 Mill. Euro an Schenkungsteuer fest (Tabelle).

Bundesverfassungsgericht prüft Erbschaft- und Schenkungsteuer

In steter Regelmäßigkeit wird über eine Reform der Erbschaftsteuer diskutiert. Trotz der zahlreichen lebhaften Debatten zur Steuergerechtigkeit und zu Verteilungsfragen hat die Legislative seit 1997 noch keine Neugestaltung des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes auf den Weg gebracht. Im Sommer 2002 kam erneut Bewegung in die Diskussion um die Erbschaftsteuer, als der Bundesfinanzhof in dieser Sache das Bundesverfassungsgericht angerufen hat. Die Richter des Bundesfinanzhofes hatten Bedenken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der geltenden Regeln, denn wer Aktien oder Bargeld erbt, wird weit stärker belastet als jene Nachfahren, die ein Unternehmen, Immobilien oder land- und forstwirtschaftlichen Besitz übernehmen. Das Bundesverfassungsgericht hat verlauten lassen, dass es im Jahr 2004 in dieser Sache nicht mehr entscheiden wird.

Vor diesem Hintergrund hat Schleswig-Holstein im Juni 2004 einen Gesetzentwurf in den Bundesrat eingebracht, mit dem Ziel, größere Erbschaften stärker zu besteuern. »In Deutschland werde Vermögen unterdurchschnittlich besteuert«, sagte Simonis. »Jemand, der ‚leistungslos’ einen erheblichen Vermögenszuwachs habe, solle auch seinen Teil zur Finanzierung der öffentlichen Aufgaben leisten.«3 Neben den verteilungspolitischen und ökonomischen Argumenten dürfte ein weiteres Motiv für die Bundesratsinitiative zum jetzigen Zeitpunkt die Befürchtung gewesen sein, dass nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts die Erbschaft- und Schenkungsteuer das Schicksal der Vermögensteuer teilt. Die Erbschaft- und Schenkungsteuer, die komplett den Ländern zusteht, könnte nicht mehr erhoben werden, weil das ihr vorgeschaltete Bewertungsgesetz seine Gültigkeit verliert.

Die geschilderten neuesten Entwicklungen lassen vermuten, dass die nächste Erbschaft- und Schenkungsteuerstatistik für das Veranlagungsjahr 2007 auf einer anderen gesetzlichen Grundlage beruhen dürfte.

1 Durch Testament, Erbvertrag, Schenkungen und Stiftungen kann jeder selbst bestimmen, wer sein Vermögen nach seinem Ableben erhält. So können beispielsweise auch nicht verwandte Personen als Erben eingesetzt oder Vermächtnisse und Testamentsvollstreckungen angeordnet werden. Dem Recht des Erblassers, zu vererben, steht jedoch das Recht des Erben gegenüber, kraft Erbfolge zu erwerben. Wenn ein »Erblasser« seine Verwandten gerader Linie und seinen Ehegatten übergeht, steht diesen ein Mindestrecht in Form eines Pflichtteilanspruches zu.

2 Bei den Ergebnissen der »Erbschaft- und Schenkungsteuerstatistik« ist zu beachten, dass aufgrund der hohen Freibeträge nur ein kleiner Teil der tatsächlichen Erbschafts- und Schenkungsfälle zur Steuer herangezogen wurde.

3 Pressemitteilung der Landesregierung Schleswig-Holstein, veröffentlicht am: 10 Juni 2004.