:: 12/2004

Kinder? Jein! – Anmerkungen zur Allensbach-Studie »Einflussfaktoren auf die Geburtenrate«

Wieso gibt es in Deutschland wenige Kinder? Das Institut für Demoskopie in Allensbach ist dieser Frage nachgegangen und hat eine Studie erstellt über »Einflussfaktoren auf die Geburtenrate«. Den Auftrag für diese Untersuchung vergab das Staatsministerium Baden-Württemberg. An der Befragung haben 1 257 Frauen und Männer im Alter zwischen 18 und 44 Jahren teilgenommen. Ergebnisse der Befragung zu »Kinderwünschen und den Gründen für eine Entscheidung gegen (weitere) Kinder« wurden am 4. Oktober 2004 in Berlin vorgestellt. Die Ergebnisse sollen repräsentativ für Deutschland sein.

Was sind die zentralen Ergebnisse der Studie?

Familie und Kinderwünsche

  • Kinder erst ab 30 Jahren: 66 % der 30- bis 34-Jährigen und 76 % der 35- bis 44-Jährigen haben Kinder, gegenüber 3 % von den 18- bis 23-Jährigen und 29 % von den 24- bis 29-Jährigen.
  • Glücklich auch ohne Kinder: 63 % der Kinderlosen und 43 % der Eltern sind überzeugt, dass das Glück von Paaren nicht von Kindern abhängt.
  • Keine Abwehrhaltung gegenüber Kindern: Von den Kinderlosen wollen 42 % »bestimmt« Kinder, weitere 35 % »vielleicht« und 23 % keine Kinder.

Motive für die Entscheidung gegen (weitere) Kinder

  • Unbedingte Voraussetzung vor der Familiengründung: Stabile und gleichsinnige Partnerschaft (80 % bis 92 %) vor wirtschaftlichen Bedingungen (60 % bis 72 %), persönlichen Interessen (35 %) und politischen Voraussetzungen (gesicherte Kinderbetreuungsmöglichkeit: 25 %). Bei den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen steht berufliche Sicherheit vor finanziellem Auskommen.
  • Kinderlose mit Kinderwunsch: In der derzeitigen Situation fühlen sie sich noch zu jung (52 %) für Kinder. Außerdem fürchten sie finanzielle (42 %) und berufliche (31 %) Belastungen; 32 % haben noch nicht den passenden Partner gefunden.
  • Kinderlose ohne Kinderwunsch: In der derzeitigen Situation nennen sie vor allem persönliche Eigenschaften und Interessen und in zweiter Linie finanzielle und berufliche Gründe für ihre Kinderlosigkeit.
  • Genug ist genug: Eltern wünschen sich keine weiteren Kinder, vor allem weil sie die ideale Kinderzahl erreicht haben. Des Weiteren sprechen hauptsächlich finanzielle Gründe und – besonders bei Frauen – berufliche Pläne gegen ein weiteres Kind. Gerade Frauen fühlten sich durch ein weiteres Kind in ihren künftigen Möglichkeiten eingeschränkt.

Familienpolitik

  • Geld oder/und Betreuung: Bundesweit bevorzugen Eltern eine finanzielle Unterstützung (30 Euro mehr Kindergeld) anstelle besserer Kinderbetreuungsmöglichkeiten. Eltern aus Baden-Württemberg hingegen sprechen sich im Vergleich zum Bundesgebiet mit knapper Mehrheit für den Ausbau der Betreuungsmöglichkeiten aus.
  • Betreuungsmöglichkeiten fehlen: Einem Drittel der Eltern in Baden-Württemberg fehlen Betreuungsmöglichkeiten für Kinder, und damit etwas häufiger als den Eltern bundesweit. Betreuungsmöglichkeiten vermissen Frauen häufiger als Männer und Teilzeit arbeitende Mütter häufiger als Vollzeit arbeitende Mütter.

Spannungsfeld Familie und Beruf

  • Mütter überwiegend erwerbstätig: Von den Frauen mit Kindern sind 43 % vollzeit- und 23 % teilzeiterwerbstätig; 34 % sind nicht berufstätig.
  • Teilzeit oder Beruf aufgeben: Gut die Hälfte der berufstätigen und nicht berufstätigen Frauen würde einer jungen Mutter zur Teilzeitarbeit raten, ein weiteres Drittel würde ein Ausscheiden aus dem Beruf nahe legen. Nur jede zwölfte Frau würde empfehlen, den Beruf wie bisher auszuüben. Männer rieten etwas seltener zu einer Teilzeitarbeit und häufiger zum Ausscheiden aus dem Beruf.
  • Familienergänzende Kinderbetreuung an erster Stelle: Nach Auffassung aller 18- bis 44-Jährigen erleichtern Kinderbetreuungsangebote der Kommunen, flexible Arbeitszeiten und betriebliche Kinderbetreuungsmöglichkeiten am ehesten die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Berufstätige Mütter nennen außerdem noch besonders häufig Ganztagesbetreuung und mehr Teilzeitarbeitsplätze. In dieser Rangordnung folgen dann finanzielle Leistungen durch den Staat.
  • Nicht alle Betriebe familienfreundlich: Von den berufstätigen Männern und Frauen machen 27 % die Erfahrung, dass ihr Unternehmen in keiner Weise bereit ist, auf familiäre Interessen Rücksicht zu nehmen. 29 % arbeiten in Betrieben, die sich gezielt um eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf bemühen, 35 % berichten, dass es zwar keine konkreten Programme für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie gebe, dass der Arbeitgeber sich jedoch bemühe, die familiären Interessen mit einzubeziehen.

Entfremdung von Kindern

  • Kind als »unbekanntes Wesen«: Kinderlose mit Kinderwunsch treffen wesentlich häufiger mit Kindern zusammen als Kinderlose ohne Kinderwunsch.
  • Kind als »Schrecken«: Kinderlose verbinden mit Kindern häufiger Nachteile als Eltern und seltener die Vorteile einer Elternschaft.

Elternschaft aus sozialer Verantwortung

  • Private Sache: Für drei Viertel der Kinderlosen und zwei Drittel der Eltern ist Kinder haben etwas ganz Privates, das mit der Gesellschaft nichts zu tun hat.

Wer die Studie von Allensbach angemessen beurteilen möchte, …

… muss zwischen den Ergebnissen und ihrer Interpretation unterscheiden. Dies gilt besonders für die Interpretation in der Kurzfassung, die Allensbach der Öffentlichkeit vorstellte. Die Ergebnisse belegen deutlich: Kinder sind gewollt. Aber entscheidend für die Gründung einer Familie ist die Partnerschaft, gefolgt von wirtschaftlichen Bedingungen, und hier in erster Linie von beruflichen und in zweiter Linie von finanziellen Aspekten. Dann erst zählen politische Rahmenbedingungen, wobei der Kinderbetreuung besonders in Baden-Württemberg eine stärkere Bedeutung zukommt als möglichen finanziellen Leistungen. Und eher am Ende stehen persönliche Interessen und Eigenschaften, die ein selbstverwirklichtes Leben ohne Kinder vorsehen.

»Nutzen und Kosten« von Kindern

Die empirischen Ergebnisse bestätigen damit weit gehend die umfassende Forschung über Bedingungen, unter denen Kinderwünsche verwirklicht oder nicht verwirklicht werden. So zeigt beispielsweise die Value-of-children-Forschung, weshalb Paare keine Kinder bekommen: Wenn Paare in Kindern ein Minimum an psychologisch-emotionalem Nutzen und gleichzeitig ein Maximum an potenziellen Kosten sehen, dann gibt es – theoretisch – keinen Nachwuchs.1 Die so genannten Opportunitätskosten aus entgangenem Nutzen etwa infolge beruflicher Einschränkungen sind für Frauen heute immer noch höher als für Männer, wie die Studie belegt.

Kinderwunsch und Lebensphase

Die Ergebnisse berücksichtigen in der Regel die Antworten aller 18- bis 44-Jährigen. Eine weitere Unterscheidung der Antworten findet kaum statt. Deutlich wird dies etwa bei den Motiven für die Entscheidung gegen (weitere) Kinder in der derzeitigen Situation. In dem gemeinsamen Topf landen die Antworten von 18-Jährigen wie 44-Jährigen, von Frauen und Männern, von Akademikerinnen und Frauen ohne Berufsausbildung. Unbeachtet bleibt, dass die befragten Personen sehr unterschiedliche Lebenslagen und Lebensverläufe repräsentieren und dass bestimmte Motive noch nicht oder nicht mehr infrage kommen. Kurzum: Die Distanz zur Elternschaft erklärt sich wesentlich durch die Stellung im Lebenszyklus.2 Beispielsweise dürfte eine sichere Kinderbetreuung für einen 18-jährigen Mann eine andere Bedeutung haben als für eine 30-jährige Akademikerin oder einen berufstätigen 40-jährigen Mann. Das Problem ist bekannt: Durchschnittswerte – hier über alle Lebensphasen – sind selten aussagekräftig, so auch die vorliegenden Ergebnisse zu den Motiven.

Ein anderes Beispiel für fehlende Differenzierung sind die Ergebnisse zur Beurteilung der eigenen wirtschaftlichen Lage durch Kinderlose. So verwundert es nicht, dass Kinderlose ohne Kinderwunsch ihre wirtschaftliche Lage besser einschätzen als Kinderlose mit Kinderwunsch. Bei Kinderlosen ohne Kinderwunsch dürfte es sich vorwiegend um ältere Personen mit entsprechenden beruflichen Karrieren und eher höheren Einkommen handeln. Im Gegensatz dazu dürften Kinderlose mit Kinderwunsch eher zu den jüngeren Personen gehören, die zumeist am Anfang ihrer beruflichen Entwicklung stehen und eher über niedrigere Einkommen verfügen. Mit anderen Worten: Hinter dem scheinbaren Zusammenhang zwischen Kinderwunsch und wirtschaftlicher Situation kann das Alter als drittes Merkmal und gemeinsamer Ursache für »Kinderwunsch« und »wirtschaftliche Situation« stehen. Eine tiefer gehende Differenzierung stößt allerdings rasch an quantitative Grenzen der Stichprobe von 1 257 befragten Personen. Allein eine Unterscheidung nach Frauen und Männern, vier Altersgruppen, Eltern und Kinderlosen würde 16 Gruppen ergeben mit jeweils – unter Annahme der Gleichverteilung – rund 78 Personen. Weitere Unterscheidungen etwa nach Ausbildung und Erwerbsbeteiligung, die mit Blick auf Kinderwünsche und den Gründen für oder gegen Kinder wichtig wären, sind deshalb kaum möglich.

Eine tiefer gehende Differenzierung stößt allerdings rasch an quantitative Grenzen der Stichprobe von 1 257 befragten Personen. Allein eine Unterscheidung nach Frauen und Männern, vier Altersgruppen, Eltern und Kinderlosen würde 16 Gruppen ergeben mit jeweils – unter Annahme der Gleichverteilung – rund 78 Personen. Weitere Unterscheidungen etwa nach Ausbildung und Erwerbsbeteiligung, die mit Blick auf Kinderwünsche und den Gründen für oder gegen Kinder wichtig wären, sind deshalb kaum möglich.

Gleichzeitige Vereinbarkeit von Beruf und Familie

Eine zentrale Schwäche der Studie ist, dass sie fast ausschließlich bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie das sukzessive Modell thematisiert, nach dem traditionell die Frau (»junge Mutter«) die Kinder erzieht und dafür ihre Berufstätigkeit einschränkt oder unterbricht. An keiner Stelle wird die Möglichkeit des simultanen Modells, dass beide Partner beruflich nicht zurückstecken müssen, als Voraussetzung für Familiengründung nachgefragt.

Auch die Bewertung der Familienpolitik allein durch die Eltern ist einer Ergänzung würdig. Sie haben sich bereits für Kinder entschieden und sich damit auch mit der gegebenen Familienpolitik mehr oder weniger zufrieden arrangiert. Ungefragt sind aber die Kinderlosen geblieben. Sie stehen noch vor der Entscheidung, etwa künftig Beruf und Kind zu vereinbaren. Deshalb wäre es interessant gewesen, was sie denn beim Ausbau der Familienförderung präferierten: finanzielle Unterstützung oder Verbesserung der Betreuungsinfrastruktur?

Allerdings wäre die Frage: »30 Euro mehr Kindergeld oder mehr Kinderbetreuung?« von den meisten kinderlosen Frauen und Männern wohl kaum ernst genommen worden. Denn man muss wissen: Gerade in Lebensphasen, in denen Familien gegründet werden, ist das Einkommensgefälle zwischen kinderlosen Paaren und Paaren mit Kindern mit am steilsten. Da geht es dann nicht um 30 Euro oder 50 Euro, sondern um 600 Euro bis 650 Euro pro Kopf und Monat, und zwar netto. Nachzulesen ist dies im neuen Familienbericht von Baden-Württemberg.

Was ist und was sein soll: Zur normativen Interpretation statistischer Ergebnisse

Zwischen dem, was derzeit »ratsam« ist, und dem, was »favorisiert« wird, kann ein riesengroßer Unterschied liegen. Es stimmt: Die Mehrheit der 18- bis 44-Jährigen rät einer »jungen Mutter mit Kleinkind«, ihren Beruf nur noch in Teilzeit auszuüben (49 %) oder ganz aus dem Beruf auszuscheiden (29 %). Falsch ist die Interpretation des Ergebnisses, dass »die deutsche Bevölkerung nach wie vor einen (partiellen) Ausstieg von Müttern kleiner Kinder aus dem Beruf favorisiert«. Unter den heutigen Bedingungen der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, wie sie vor allem in Westdeutschland herrschen, mag eine berufliche Einschränkung tatsächlich ratsam sein. Ist sie allerdings auch eine, die man bevorzugt, die man sich wünscht?

Allzu leicht werden empirische Sachverhalte normativ interpretiert. Politisch ist das legitim, wissenschaftlich ist das falsch. Deshalb ist auch unter der Schlagzeile »Sorge vor finanziellen Einschränkungen« die Interpretation falsch, dass »60 % der Kinderlosen erwarten, dass sich ihre materielle Situation durch Kinder deutlich verschlechtern würde«. Zunächst wurde gefragt, wie sich mit einem Kind die eigene finanzielle Situation verändern würde. Darauf antworteten 82 %, dass sie dann eher weniger Geld zur Verfügung hätten. 60 % gaben an, dass dieser Unterschied »deutlich spürbar« sei und dass sie sich »sehr einschränken« müssten. Aus der empirischen Forschung ist bekannt, dass Paare sehr wohl wissen, dass auf sie finanzielle Einschränkungen zukommen werden und dass diese zum »Kalkül Elternschaft« gehören, aber nicht stets mit »Sorge« oder »Verschlechterung« gleichzusetzen sind.3

Fazit

Kinder? Ja, aber! Nur unter bestimmten Bedingungen, und die liegen heute wohl seltener denn je vor: ein Partner, mit dem man auch eine Familie gründen will und kann, ein Arbeitsplatz, der Perspektive und finanzielle Sicherheit bietet, und politische Rahmenbedingungen, die es einem ermöglichen, auch dann einen Beruf auszuüben, wenn ein Kind zu betreuen ist. Heute sind Kinder eine Option und keine Selbstverständlichkeit. Die Studie bestätigt dies mit ihren Ergebnissen weit gehend. Sie zeigt aber auch: Für die Verwirklichung des Kinderwunsches zählen vornehmlich private und wirtschaftliche Bedingungen, für die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie sind hingegen politische Rahmenbedingungen und hier besonders familienergänzende Kinderbetreuung wichtig. Dass die Studie bei dem Problem »Vereinbarkeit« mehr Handlungsbedarf aufzeigt, als auf dem ersten Blick zu erkennen ist, ist ihr verdeckter Verdienst.

1 Siehe Nauck, Bernhard: Der Wert von Kindern für ihre Eltern. »Value of Children« als spezielle Handlungstheorie des generativen Verhaltens, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Heft 3/2001, S. 407-435.

2 Schneewind, Klaus A./ Vaskovics, Laszlo A. u.a.: Optionen der Lebensgestaltung junger Ehen und Kinderwunsch. Verbundstudie, hrsg. vom Bundesministerium für Familie und Senioren, Schriftenreihe des Bundesministeriums für Familie und Senioren; Band 9, Stuttgart, 1992, S 135 (Zitierweise: Schneewind/ Vaskovics: Optionen, 1992).

3 Schneewind, Klaus A./Vaskovics, Laszlo A. u.a.: Optionen der Lebensgestaltung junger Ehen und Kinderwunsch, Verbundstudie – Endbericht, hrsg. vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Schriftenreihe des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Band 128.1, Stuttgart, 1996, S. 96-97. – Schneewind/Vaskovics: Optionen, 1992, S. 235 –sowie Nauck, Bernhard: Kinder als Objekte individuellen und kollektiven Nutzens. Anmerkungen zur familien- und sozialpolitischen Diskussion, in: Zeitschrift für Sozialreform, 50/2004, S. 60-80.