:: 4/2005

Berufsvorbereitende Bildungsgänge– Chancenverbesserung an der Schwelle von der Schule zur Berufsausbildung?

Die schwierige Lage auf dem Lehrstellenmarkt führt dazu, dass immer mehr Jugendliche vollzeitschulische Alternativen zur »klassischen« dualen Berufsausbildung suchen (müssen). Ein Teilaspekt sind hierbei berufsvorbereitende Bildungsgänge. Sie sollen die Chancen von Jugendlichen verbessern, die keinen Ausbildungsplatz erhalten haben. Derzeit besuchen knapp 18 300 Schülerinnen und Schüler derartige Bildungsgänge in Baden-Württemberg. Der zahlenmäßig bedeutendste hierunter ist das Berufsvorbereitungsjahr (BVJ). Etwa die Hälfte der Schülerinnen und Schüler verfügt nicht über den Hauptschulabschluss. Allerdings wird ihn voraussichtlich ein großer Teil von ihnen im Lauf dieses Schuljahres nachholen.

Erfüllung der Berufsschulpflicht

Der derzeitige Lehrstellenmarkt veranlasst Jugendliche, die die allgemein bildenden Schulen verlassen, Alternativen zur Ausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf zu suchen. Oft führt dies zu einer Fortsetzung der Schullaufbahn an einer beruflichen Vollzeitschule. Hier können Jugendliche einen Beruf erlernen, ihren allgemein bildenden Abschluss verbessern oder berufsvorbereitende Kenntnisse erwerben. Vollzeitschulische Berufsausbildungen sind beispielsweise typisch für die technischen und kaufmännischen Assistentenberufe. An zweijährigen Berufsfachschulen können Hauptschulabgänger die Fachschulreife erwerben. Jugendliche mit mittlerem Bildungsabschluss können durch den Besuch eines beruflichen Gymnasiums zur Hochschulreife gelangen. Das zahlenmäßig bedeutendste Angebot unter den berufsvorbereitenden Bildungsgängen für Jugendliche ohne Ausbildungsplatz ist das Berufsvorbereitungsjahr (BVJ).

Beim BVJ handelt es sich allerdings meist nicht um ein Angebot, das von den Schülerinnen und Schülern freiwillig angenommen wird. In 40 der 44 Stadt- und Landkreise Baden-Württembergs ist der Besuch des BVJ verpflichtend für Jugendliche, die zu Beginn der Berufsschulpflicht kein Ausbildungsverhältnis vorweisen können. Lediglich in der Landeshauptstadt Stuttgart sowie in den Landkreisen Esslingen, Ludwigsburg und Rems-Murr-Kreis ist der Besuch des BVJ freiwillig. Die im Juli 2004 überarbeitete BVJ-Verordnung des Kultusministeriums nennt die Vertiefung und Erweiterung der allgemeinen Bildung und die Förderung des Erwerbs von Schlüsselqualifikationen als Zweck der Ausbildung. Durch die Vermittlung von beruflichem Grundwissen in bis zu drei Berufsfeldern soll die berufliche Orientierung und Berufsfindung unterstützt werden.1 Das BVJ besitzt verschiedene Ausprägungen. So gibt es zum Beispiel für Schülerinnen und Schüler mit geringen Deutschkenntnissen einen Bildungsgang mit Schwerpunkt »Erwerb von Deutschkenntnissen«. An ausgewählten Schulen können leistungsstärkere Jugendliche am Schulversuch »Teilqualifikation im BVJ« teilnehmen. Dort sollen unter anderem durch Praktika Qualifikationen erworben werden, die in einer späteren Berufsausbildung anerkannt werden können.

Weitere Angebote für Jugendliche ohne Ausbildungsvertrag

Neben dem »klassischen« BVJ gibt es weitere sehr ähnliche Angebote, die in eine Betrachtung der berufsvorbereitenden Bildungsgänge einzubeziehen sind. Dazu zählen das Sonderberufsvorbereitungsjahr (SBVJ), die Berufsfachschulen zur Förderung der Berufsreife von Hauptschulabgängern und die berufsvorbereitenden Berufsfachschulen. Daneben sind auch die gegenwärtig rund 1 400 Schülerinnen und Schüler zu berücksichtigen, die an Teilzeit-Berufs- oder Sonderberufsschulen unterrichtet werden, aber keinen Ausbildungsvertrag besitzen. Hierbei handelt es sich um Arbeitslose oder Jugendliche in Fördermaßnahmen. In größerem Umfang sind diese aber nur noch in den vier Stadt- und Landkreisen zu finden, in denen der Besuch des BVJ nicht verpflichtend ist.

Im SBVJ werden Jugendliche unterrichtet, die aufgrund einer Lern- oder anderen Behinderung besondere sonderpädagogische Unterstützung benötigen. In den Berufsfachschulen zur Förderung der Berufsreife sollen Jugendliche durch die Vermittlung beruflicher Grundkenntnisse und umfangreiche Praktika an die Berufswelt herangeführt werden. Die berufsvorbereitenden Berufsfachschulen sind im Grundsatz inhaltlich mit dem BVJ vergleichbar. Anders als diese öffentlichen Einrichtungen sind sie aber ausschließlich in privater Trägerschaft zu finden.

Über 18 000 Jugendliche in berufsvorbereitenden Maßnahmen

Im laufenden Schuljahr 2004/05 besuchen knapp 18 300 Jugendliche berufsvorbereitende Bildungsgänge. Die Tabelle zeigt, dass die überwiegende Zahl im BVJ zu finden ist. Mit fast 13 700 wird hier ein neuer Höchststand erreicht. Die zahlenmäßige Bedeutung der Berufsfachschule zur Förderung der Berufsreife ist nur gering. Junge Männer sind mit 57 % an den aufgeführten Einrichtungen häufiger vertreten als junge Frauen.

Schaubild 1 zeigt für die vergangenen 25 Jahre eine wellenförmige Entwicklung der Schülerzahlen. Ein erster Höhepunkt wurde im Schuljahr 1981/82 erreicht, als in berufsvorbereitenden Bildungsgängen rund 14 600 Jugendliche unterrichtet wurden. Die Entwicklung in den 80er-Jahren spiegelt die Ausweitung des verpflichtenden BVJ-Besuchs im Land wider. Der Zunahme der Zahl der BVJ-Schüler entsprach ein Rückgang der Schülerinnen und Schüler ohne Arbeitsvertrag an Teilzeit-Berufsschulen. Die Gesamtzahl sank bis zum Schuljahr 1989/90 auf 8 300 ab. Der nächste »Wellenberg« trat im Schuljahr 1998/99 mit gut 14 900 Schülerinnen und Schülern auf. Nach dem leichten Rückgang in den darauf folgenden Jahren steigt die Schülerzahl seit dem Schuljahr 2001/02 wieder an.

Im laufenden Schuljahr erreicht die Schülerzahl im Sonder-BVJ mit 1 300 erstmals den vierstelligen Bereich. Die berufsvorbereitenden Berufsfachschulen tragen seit dem vergangenen Schuljahr wesentlich zum Anstieg der Schülerzahlen bei. Mittlerweile besucht fast jeder zehnte Schüler in berufsvorbereitenden Bildungsgängen eine solche Einrichtung.

Die Hälfte ohne Schulabschluss

Im Schuljahr 2003/04 konnten rund 8 700 Jugendliche beim Eintritt in die betrachteten Bildungsgänge keinen Hauptschulabschluss vorweisen, was ziemlich genau der Hälfte der damaligen Teilnehmer entsprach. Nicht viel geringer war die Zahl der Schülerinnen und Schüler mit Hauptschulabschluss mit etwa 8 400. Weniger als 300 Jugendliche besaßen einen mittleren Abschluss oder eine Hochschulzugangsberechtigung. Diese besuchen weit überwiegend den Unterricht an einer Teilzeit-Berufsschule, ohne einen Ausbildungsvertrag zu besitzen. Die Vorbildungsstruktur ist bei den Geschlechtern übrigens genau umgekehrt: Während 57 % der weiblichen Teilnehmer über einen Hauptschulabschluss verfügten, besaßen 57 % der männlichen keinen Hauptschulabschluss.

Die Zahl der Jugendlichen, die ohne Hauptschulabschluss einen berufsvorbereitenden Bildungsgang begonnen haben, und die Zahl der Schulabgänger ohne Hauptschulabschluss des Jahres 2003 sind annähernd identisch. Somit scheint die Teilnahme an berufsvorbereitenden Maßnahmen für Abgänger ohne Hauptschulabschluss unausweichlich zu sein. Allerdings konnten im Schuljahr 2003/04 an den Berufsschulen rund 2 000 Schülerinnen und Schüler ohne Hauptschulabschluss, aber mit Ausbildungsvertrag gezählt werden. Dieser scheinbare Widerspruch ist erklärbar: Ein Teil der Jugendlichen durchläuft öfter als einmal berufsvorbereitende Maßnahmen und taucht daher in verschiedenen Jahren in der Statistik auf. Da die Schulstatistik keine individuellen Bildungsverläufe abbildet, kann das Ausmaß dieser »Schleifen« nicht beziffert werden.

Der Anteil der Teilnehmer am BVJ mit Hauptschulabschluss hat sich in den vergangenen Jahren stark erhöht. Im Schuljahr 1992/93 konnte ihn nur etwa jeder sechste (16 %) Jugendliche im BVJ vorweisen. Mittlerweile haben rund 55 % der Schülerinnen und Schüler im BVJ einen Hauptschulabschluss. Der Anstieg der Schülerzahl im BVJ geht also größtenteils auf das Konto der Abgänger mit Hauptschulabschluss. Dies kann als Folge der verschlechterten Chancen von Hauptschulabgängern auf dem Lehrstellenmarkt gedeutet werden.

Hoher Anteil ausländischer Schüler

Schaubild 2 zeigt die Verteilung der Schülerschaft auf die verschiedenen Staatsangehörigkeiten im Schuljahr 2003/04. Fast jeder Dritte Jugendliche besaß keinen deutschen Pass. Die größte Gruppe unter den ausländischen Schülern sind die knapp 2 100 Türken, gefolgt von den gut 700 italienischen Schülerinnen und Schülern und den knapp 400 Jugendlichen aus Serbien und Montenegro.

Der Anteil ausländischer Schülerinnen und Schüler liegt hier deutlich über dem der anderen beruflichen Schularten. Im Durchschnitt aller beruflichen Schulen ist nur etwa jeder neunte Schüler Ausländer. Der relativ hohe Ausländeranteil in den berufsvorbereitenden Bildungsgängen hängt unter anderem mit der Vorbildung der Teilnehmer zusammen. Von den Schulabgängern ohne Hauptschulabschluss an allgemein bildenden Schulen waren 2003 rund 31 % Ausländer. Diese Schulabgänger besuchen mit hoher Wahrscheinlichkeit berufsvorbereitende Maßnahmen. Unter den Abgängern allgemein bildender Schulen, die den Hauptschulabschluss erworben haben, besaß etwa jeder fünfte nicht die deutsche Staatsangehörigkeit. Der Vergleich dieser Zahlen mit dem höheren Ausländeranteil in berufsvorbereitenden Bildungsgängen legt den Schluss nahe, dass ausländische Schulabgänger ohne und mit Hauptschulabschluss noch größere Probleme beim Wechsel in die Berufsausbildung haben als ihre deutschen Altersgenossen.

Erfolgreiche Chancenverbesserung?

Das Ziel aller hier betrachteten Bildungsgänge ist die Vorbereitung der Jugendlichen auf den Übergang in das Berufsleben. Hierzu sollen vorhandene Defizite – wie beispielsweise ein fehlender Schulabschluss – ausgeglichen und grundlegende berufliche Kenntnisse vermittelt werden. Die Zielgruppe dieser Maßnahmen sind Jugendliche, die aus eigener Kraft keinen Ausbildungsplatz gefunden haben. In der Antwort auf eine Landtagsanfrage spricht das Kultusministerium davon, dass im BVJ der Anteil an so genannten »schulmüden Jugendlichen« und Jugendlichen aus schwierigsten sozialen Verhältnissen sehr hoch ist. 2 Bei steigenden Ansprüchen an die Qualifikation der Ausbildungsplatzbewerber und einem knappen Ausbildungsplatzangebot sind die Aussichten für diese Jugendlichen eher schlecht. Können diese Maßnahmen also ihr Ziel erreichen?

Mit den Mitteln der amtlichen Schulstatistik lässt sich diese Frage nur ansatzweise beantworten. Immerhin knapp drei Viertel der über 11 800 Abgänger des BVJ konnten im Jahr 2003 ihren Bildungsgang erfolgreich beenden. Knapp 5 100 Jugendliche holten dabei den Hauptschulabschluss nach. Das waren rund vier von fünf Jugendlichen, die das BVJ ohne Hauptschulabschluss begonnen hatten. Allerdings ist diese Zahl mit einer gewissen Unschärfe behaftet. Auch Jugendliche, die bereits in der Hauptschule diesen Abschluss erworben hatten, können ihn wiederholen, um ihre Abschlussnote zu verbessern. Die statistischen Meldungen der Schulen lassen diese Unterscheidung nicht deutlich erkennen.

Im Schuljahr 2003/04 begannen gut 4 300 Schülerinnen und Schüler einen Bildungsgang an einer beruflichen Schule, die zuvor das BVJ besucht hatten. Darunter waren mehr als 1 600, die einen Ausbildungsvertrag abgeschlossen hatten. Über 1 100 wollten über den Besuch einer 2-jährigen Berufsfachschule einen mittleren Bildungsabschluss erwerben und knapp 1 400 setzten ihre Schullaufbahn an einer anderen Berufsfachschule fort.

Diese Zahlen zeigen, dass es nach dem Abschluss eines berufsvorbereitenden Bildungsganges durchaus einen Anschluss geben und sogar der Übergang in ein Ausbildungsverhältnis gelingen kann. Auch wenn vielleicht nicht alle Übergänge in eine Berufsausbildung in der Statistik gemeldet werden, verdeutlichen die im Vergleich zu den Absolventen berufsvorbereitender Maßnahmen relativ geringen Eintritte in das duale System die Schwierigkeiten, die die betroffenen Jugendlichen immer noch haben.

1 Verordnung des Kultusministeriums über die Ausbildung und Prüfung im Berufsvorbereitungsjahr (BVJVO) vom 22. Juli 2004 (K.u.U. 2004, S. 233).

2 LT-Drucksache 13/3686 »Berufsvorbereitungsjahr (BVJ)« vom 21. Oktober 2004.