:: 9/2005

Bildungsintegration von Migranten

In Baden-Württemberg wie auch in den anderen Bundesländern fällt ein eklatanter Rückstand in der Bildungsbeteiligung ausländischer Kinder, Jugendlicher und junger Erwachsener auf. Bis zu Beginn der 80er-Jahre konnte eine gewisse Bildungsintegration von Migrantenkindern vor allem über die Realschule festgestellt werden. Seit Mitte der 80er-Jahre haben sich keine weiteren Verbesserungen in der Bildungsintegration ergeben. Es ist ein Stillstand in der Bildungsbeteiligung von jungen Menschen mit nicht deutscher Staatsangehörigkeit zu konstatieren.

Allerdings sollte dies nicht vorschnell dem »Ausländerstatus« als solchem zugeschrieben werden, es müssen vielmehr sozialstrukturelle Faktoren mit in den Blick gerückt werden. Gerade die starken Differenzen im Bildungserfolg zwischen ausländischen Schülern aus den früheren Anwerbeländern und anderen nicht deutschen Kindern und Jugendlichen deuten darauf hin, dass die schulischen Probleme der erstgenannten Gruppe auch das Phänomen einer »Unterschichtung«1der bundesrepublikanischen Sozialstruktur durch die Arbeitsmigration der 60er- und beginnenden 70er-Jahre widerspiegeln.

Bildung: Eine wesentliche Voraussetzung für Integration

Bildung und Ausbildung spielen eine zentrale Rolle bei der Verteilung von Lebenschancen. Bildungs- und Ausbildungsabschlüsse ermöglichen den Zugang zu beruflichen Positionen und Tätigkeitsfeldern. Bildung ist aber nicht nur für den Arbeitsmarkt von vorrangiger Bedeutung, in einem weit umfassenderen Sinne entscheidet Bildung darüber, inwieweit man an gesellschaftlichen Prozessen teilhaben kann – seien es soziale, politische oder auch kulturelle Vorgänge. Die Gestaltbarkeit des eigenen Lebenskontextes hängt neben dem Wissen um Fakten und Zusammenhänge auch vom persönlichen Reflexions- und Urteilsvermögen ab, mithin von Bildung in einem weiten Verständnis. Sowohl materielle Lebensgrundlagen als auch immaterielle soziokulturelle Lebensoptionen und Freiheitsspielräume werden damit maßgeblich durch den Bildungshintergrund vorstrukturiert und mitbestimmt.

Der Grad der Integration von Migrantenkindern in das Bildungssystem ist deshalb ein wesentlicher Indikator für die Integration von Migranten in die Gesellschaft insgesamt. In diesem Beitrag wird auf der Basis der verfügbaren Daten der amtlichen Statistik der Frage nachgegangen, inwieweit sich die schulischen Bildungsmuster bei Migrantenfamilien in Baden-Württemberg den Bildungsstrukturen der deutschen Bevölkerung angenähert haben oder – anders formuliert – inwieweit die Aufnahmegesellschaft den Kindern der Migranten eine gleichberechtigte Teilhabe an ihren Bildungsgütern und -institutionen gewährt und ermöglicht (i-Punkt).

In einer arbeitsteilig strukturierten »Leistungsgesellschaft« hat das Bildungssystem immer auch eine Selektionsfunktion. »Auslese durch das Bildungssystem ist jedoch nie ausschließlich Auslese nach Leistung, sondern immer auch – gewollt, geduldet oder ungewollt – soziale Auslese. Soziale Merkmale der jungen Menschen – ihre soziale, ethnische und regionale Herkunft, ihr Geschlecht – beeinflussen ihre Bildungskarrieren, entweder unabhängig von ihrer Leistung oder auch, weil Leistungen zum Teil mit Lebensbedingungen zusammenhängen, die wiederum mit den genannten sozialen Merkmalen verknüpft sind.«2

Migrantenkinder überwiegend auf Hauptschulen

Im Schuljahr 2004/05 gibt es an den öffentlichen und privaten Schulen in Baden-Württemberg insgesamt 160 842 ausländische Schüler. Dies entspricht einem Anteil von knapp 13 %. Allerdings weisen die einzelnen Schulformen sehr unterschiedliche Anteile an ausländischen Schülern auf. Während an Sonderschulen jeder vierte Schüler nicht die deutsche Staatsangehörigkeit hat, beträgt der Anteil ausländischer Schüler an Realschulen lediglich 7 % und an Gymnasien nur 4 % (Grund- und Hauptschulen: 18 %). Ausländische Schüler sind also an Grund- und Hauptschulen deutlich, an Sonderschulen sogar massiv überproportional vertreten, hingegen an Realschulen und Gymnasien auffallend unterproportional repräsentiert.

Dieses Ergebnis bestätigt sich, wenn man nur den Sekundarbereich betrachtet. Mit einem Anteil von 60 % besuchen ausländische Schüler im Sekundarbereich im Schuljahr 2004/05 im Land weitaus häufiger die Hauptschule als deutsche Schüler (22 %). Entsprechend besuchen nur 22 % der ausländischen Schüler im Sekundarbereich die Realschule im Vergleich zu 32 % bei den deutschen Schülern. Besonders drastisch sind die Unterschiede beim Gymnasialbesuch: Während von den deutschen Schülern im Sekundarbereich 43 % am Gymnasium unterrichtet werden, sind es bei den ausländischen Schülern lediglich 16 % (Schaubild 1).

Die Verteilung ausländischer Schüler auf die verschiedenen Schulformen hat sich in Baden-Württemberg seit Mitte der 80er-Jahre nicht verändert. Während sich von Anfang der 70er-Jahre bis Mitte der 80er-Jahre die Anteile der ausländischen Schüler an Sonder- und Realschulen deutlich und an Gymnasien leicht erhöht haben (und anteilig entsprechend weniger ausländische Kinder und Jugendliche Grund- und Hauptschulen besuchten), hat sich diese Entwicklung seit Mitte der 80er-Jahre nicht weiter fortgesetzt (Tabelle). Die für die 70er-Jahre und die erste Hälfte der 80er-Jahre zu konstatierende moderate »Bildungsintegration« ausländischer Kinder und Jugendlicher fand demnach vor allem über die Realschule statt.

Dass sich die strukturelle Bildungsbenachteiligung ausländischer Schüler in Baden-Württemberg in den letzten mehr als eineinhalb Jahrzehnten in keinster Weise verbessert hat, muss umso mehr überraschen, als inzwischen verstärkt ausländische Kinder und Jugendliche der zweiten und dritten Generation die Schule besuchen. Da diese häufig bereits in Deutschland geboren sind, wäre prinzipiell davon auszugehen, dass sie weit weniger mit Sprachschwierigkeiten (die häufig als eines der zentralsten Probleme von Migrantenkindern im Schulkontext angesehen werden) konfrontiert sind, als es früher der Fall war. Dies scheint jedoch nicht der Fall zu sein. Sprachbarrieren scheinen nach wie vor wichtige Gründe für mangelnde Schulerfolge zu sein.

Die Schulabschlüsse ausländischer Schüler in Baden-Württemberg spiegeln natürlich deren im Vergleich zu deutschen Schülern unterschiedliche Verteilung auf die einzelnen Schularten wider. So erwarben deutsche Schüler im Land im Jahre 2004 anteilig ca. viermal häufiger das Abitur (22 % aller Abgänge) als ausländische Schüler (5 %) (Schaubild 2).

Vor allem türkische, italienische, portugiesische, serbische und montenegrinische Kinder mit schlechten Schulerfolgen

Die einzelnen Staatsangehörigkeitsgruppen unter den ausländischen Schülern Baden-Württembergs weisen deutliche Unterschiede in ihren Verteilungen auf die verschiedenen Schularten/-typen auf. Dies gilt sowohl hinsichtlich des Sonderschulbesuchs als auch was den Besuch weiterführender Schulen (Sekundarbereich) anbetrifft. Im Sonderschulbereich sind es insbesondere italienische, portugiesische und vor allem serbische und montenegrinische Kinder und Jugendliche, die die Sonderschule im Vergleich zum Durchschnitt aller ausländischen Schüler häufiger besuchen.

Was den Besuch weiterführender Schulen im Sekundarbereich anbetrifft, so lassen sich hier unter den Staatsangehörigkeitsgruppen, welche den ehemaligen Anwerbeländern (bzw. im Falle Jugoslawiens seinen Nachfolgestaaten) zuzurechnen sind, ganz eindeutig zwei unterschiedliche Gruppen identifizieren, die starke Differenzen in der Bildungsbeteiligung aufweisen.

Schüler mit türkischer, italienischer, serbischer und montenegrinischer sowie portugiesischer Staatsangehörigkeit bilden zusammen die erste Gruppe, welche durch eine besonders deutliche Schlechterstellung in der Bildungsbeteiligung – verglichen mit deutschen Schülern, aber auch Schülern anderer ausländischer Staatsangehörigkeiten – zu kennzeichnen sind. Da hierunter die drei zahlenmäßig stärksten Bevölkerungs- bzw. Schülergruppen vertreten sind, umfasste diese Gruppe im Schuljahr 2004/05 in Baden-Württemberg knapp 65 % aller ausländischen Schüler im Sekundarbereich (Schaubild 3).

Den Schülern mit türkischer, italienischer, serbischer, montenegrinischer und portugiesischer Staatsangehörigkeit ist Folgendes gemeinsam: Sie besuchen mit einem Anteil von jeweils knapp 70 % (im Falle der Schüler aus Serbien und Montenegro sogar mit einem Anteil von 74 %) häufiger die Hauptschule verglichen mit der Gesamtheit der ausländischen Schüler im Sekundarbereich, von denen »lediglich« rund 61 % die Hauptschule besuchen. Demgegenüber weisen Jugendliche dieser Nationalitäten einen Gymnasiastenanteil von durchgehend jeweils etwa 10 % auf, während rund 16 % aller ausländischen Schüler im Sekundarbereich auf das Gymnasium gehen. Der Anteil der Realschüler liegt mit jeweils rund 22 % auf dem Durchschnittsniveau aller ausländischen Sekundarstufenschüler, mit Ausnahme der serbischen und montenegrinischen Schülergruppe, die lediglich einen Realschüleranteil von 18 % aufweist.

Wie bereits beim Sonderschulbesuch festgestellt, stellt sich die Situation der Serben und Montenegriner als besonders auffällig dar. Sie weisen eindeutig den höchsten Hauptschüleranteil und den niedrigsten Realschüleranteil auf. Überraschend ist die zahlenmäßige Übereinstimmung zwischen türkischen, italienischen und portugiesischen Schülern und Schülerinnen, was ihre Verteilung auf die unterschiedlichen Schularten im Sekundarbereich anbetrifft.

Bessere Schulerfolge bei griechischen, spanischen, kroatischen und slowenischen Kindern

Eine zweite, davon deutlich unterscheidbare Gruppe bilden Schüler mit griechischer, spanischer, kroatischer und slowenischer Staatsangehörigkeit. Diese Gruppe ist dadurch gekennzeichnet, dass ihre Bildungsbeteiligung (im Sekundarbereich) zwar immer noch deutliche Unterschiede zu der der deutschen Schüler aufweist, allerdings sind diese Differenzen weitaus geringer als bei der ersten Gruppe. Entsprechend ist der Anteil von Realschülern und Gymnasiasten in dieser Gruppe weitaus höher und der Anteil von Hauptschülern deutlich niedriger als in der Gruppe der Türken, Italiener, Serben, Montenegriner und Portugiesen. Diese zweite Gruppe umfasst im Schuljahr 2004/05 in Baden-Württemberg 10 % aller ausländischen Schüler im Sekundarbereich.

Von den griechischen Schülern im Sekundarbereich besucht nur knapp jeder zweite die Hauptschule, 30 % die Realschule und 23 % das Gymnasium. Das sind anteilig mehr als doppelt so viele Schüler wie unter den Türken, Italienern, Serben, Montenegrinern und Portugiesen. Die spanischen Schüler weisen bei einem gleichen Anteil von Realschülern einen noch höheren Gymnasiastenanteil auf. Von ihnen besuchen 30 % das Gymnasium und nur 40 % die Hauptschule. Unter den kroatischen Schülern im Sekundarbereich sind es schließlich rund 27 %, die das Gymnasium besuchen, 32 % gehen auf die Realschule und 41 % besuchen die Hauptschule. Jugendliche mit slowenischer Staatsangehörigkeit besuchen zu 30 % ein Gymnasium, 32 % eine Realschule und 38 % eine Hauptschule.

Während also jeweils nur knapp ein Drittel der türkischen, italienischen und portugiesischen Schüler und Schülerinnen im Land im Sekundarbereich eine Realschule oder ein Gymnasium besuchen (bei den serbischen und montenegrinischen Schülern sind es nur etwa ein Viertel), sind es bei den Griechen mehr als 50 %, bei den Spaniern 60 %, bei den Kroaten knapp 59 % und bei den Slowenen 63 %. Zum Vergleich: bei den deutschen Schülerinnen und Schülern besuchen ca. 78 % eine Realschule oder ein Gymnasium.

Entsprechend ist der Hauptschüleranteil im Sekundarbereich im Schuljahr 2004/05 in Baden-Württemberg mit knapp 70 % bei Türken, Italienern und Portugiesen bzw. mit 74 % bei Serben und Montenegrinern mehr als dreimal so hoch wie bei Deutschen mit 22 %.

Kinder aus anderen EU-Staaten überdurchschnittlich erfolgreich

Im Gegensatz zu den ausländischen Hauptbevölkerungs- bzw. Schülergruppen in Baden-Württemberg lässt sich für Schüler aus anderen EU-Staaten kein Bildungsrückstand im Vergleich zu deutschen Schülern feststellen – im Gegenteil: baden-württembergische Schüler im Sekundarbereich aus anderen EU-Staaten als Griechenland, Italien, Portugal und Spanien weisen mit 51 % einen noch höheren Gymnasiastenanteil auf als deutsche Schüler. Und auch der Sonderschüleranteil ist bei dieser Gruppe geringer als bei deutschen Schülern. Aus diesen Verteilungswerten lässt sich schließen, dass sich die Schüler aus anderen EU-Staaten (als Griechenland, Italien, Portugal und Spanien) vorwiegend aus der (gehobenen) Mittelschicht bis Oberschicht rekrutieren, deren Eltern überproportional häufig über sehr gute hoch qualifizierte Berufe verfügen und Teil einer transnational orientierten europäischen »Beschäftigungs- und Erwerbselite« sind.

Fazit und Hintergründe

Zusammenfassend kann also festgehalten werden, dass mit den Türken, Italienern, Serben und Montenegrinern die Hauptnationalitätengruppen unter der ausländischen Bevölkerung Baden-Württembergs (sowie zusätzlich mit den Portugiesen eine kleinere Gruppe) auch die größten Defizite in der Schulbildung aufweisen. Diese Gruppe macht etwa zwei Drittel aller ausländischen Schüler an allgemein bildenden Schulen aus. Im Vergleich zu deutschen, aber auch zu anderen ausländischen Schülern partizipieren sie nur sehr unzureichend an den Chancen und Möglichkeiten des baden-württembergischen allgemein bildenden Schulsystems. Besonders schlecht stellt sich die Situation für serbische und montenegrinische Kinder und Jugendliche dar: Ein auffallend hoher Anteil an Sonderschülern und sehr geringe Anteile an Realschülern und Gymnasiasten sprechen hier eine deutliche Sprache. Türkische, italienische und portugiesische Schüler bilden in ihrer Verteilung auf die verschiedenen Schularten eine weit gehend homogene Gruppe, bei der vor allem ein sehr niedriger Gymnasiastenanteil auffällt. Als einzige Ausnahme vom gemeinsamen Verteilungsmuster ist interessanterweise der Sonderschüleranteil der Türken niedriger als der der Italiener und Portugiesen.

Die viert- und fünftgrößte Nationalitätengruppe unter den ausländischen Schülern Baden-Württembergs, Griechen und Kroaten sowie die kleineren Gruppen der Spanier und Slowenen, weisen hingegen eine deutlich bessere Bildungsstruktur auf. Kennzeichnend sind hier deutlich höhere Anteile an Realschülern und Gymnasiasten sowie deutlich geringere Anteile an Sonderschülern (abgesehen von den Spaniern, die sich hier auf mittlerem Niveau bewegen) im Vergleich zur obigen Gruppe.

Diese Ergebnisse sind in mehrerlei Hinsicht überraschend. Zunächst fallen die Unterschiede zwischen italienischen (und portugiesischen) Schülern auf der einen Seite und griechischen (und spanischen) Schülern auf der anderen Seite ins Auge, handelt es sich dabei doch in allen Fällen um südeuropäische EU-Staaten mit eher begrenzten kulturellen Unterschieden zur deutschen Gesellschaft.

Dass der Bildungserfolg von italienischen (und portugiesischen) Kindern und Jugendlichen in Baden-Württemberg deutlich geringer ausfällt als der ihrer griechischen (und spanischen) Schulkameraden und -kameradinnen, ist deshalb zunächst nicht unbedingt zu erwarten. Auch würde man vermuten, dass sich für türkische Kinder und Jugendliche die Situation im deutschen Schulsystem schwieriger darstellt als für ihre italienischen Altersgenossen – aufgrund von größeren kulturellen, politischen und religiösen Barrieren, die es zu überwinden gilt. Der höhere Sonderschüleranteil unter italienischen als unter türkischen Schülern weist jedoch anscheinend in eine andere Richtung, wobei der ausbleibende Sonderschulbesuch bei türkischen Schülern nicht vorschnell mit einem nicht vorhandenen Förderbedarf gleichgesetzt werden sollte.

Eine weitere auffallende Differenz zeigt sich zwischen kroatischen bzw. slowenischen und serbischen bzw. montenegrinischen Schülern. Während die ersteren hinsichtlich des Bildungserfolges unter den ausländischen Schülern Baden-Württembergs eindeutig die »Spitze« der (zahlenmäßig relevanten) Nationalitätengruppen bilden, markieren letztere ebenso eindeutig das »Schlusslicht«.

In den unterschiedlichen Bildungserfolgen von ausländischen Schülern vor allem aus Italien, Serbien, Montenegro und der Türkei auf der einen Seite und den von ausländischen Kindern und Jugendlichen aus anderen zahlenmäßig geringer vertretenen Ländern, und hier insbesondere aus den mittel- und nordeuropäischen Ländern auf der anderen Seite, spiegelt sich auch die bundesdeutsche und baden-württembergische Migrationsgeschichte insgesamt wider. Die erste Ländergruppe, die deutliche bildungsstrukturelle Defizite aufweist, setzt sich aus den klassischen Gastarbeiter-Anwerbeländern zusammen. Die Eltern oder Großeltern dieser Schüler sind häufig bereits in den 60er- oder 70er-Jahren nach Baden-Württemberg gekommen und gehören sozialstrukturell vor allem zur Arbeiterschicht. Eine gewisse Distanz zum deutschen Bildungssystem ist hier also nicht unbedingt in erster Linie auf die ausländische Herkunft, sondern auch auf den schichtspezifischen Kontext zurückzuführen.

Gleichwohl besteht weiter gehender Erklärungsbedarf für die aufgezeigten Differenzen in der Bildungsbeteiligung erstens zwischen Italienern (und Portugiesen) auf der einen Seite und Griechen (und Spaniern) auf der anderen Seite sowie zweitens für die extremen Unterschiede im Bildungserfolg zwischen Serben bzw. Montenegrinern und Kroaten bzw. Slowenen. Bei Letzteren müsste man näher untersuchen, wie die sozialstrukturelle Zusammensetzung der Migranten jeweils aussieht und inwiefern sie sich möglicherweise unterscheidet. Entsprechend müsste auch die Geschichte und der Hintergrund der Migration dieser beiden Gruppen im Kontext des zerfallenen Ex-Jugoslawien, ihre Erfahrungen von Bürgerkrieg, Vertreibung, Flucht, Entwurzelung, Traumatisierung etc. in die Betrachtung einbezogen werden.

Die auffallenden Schulprobleme italienischer Kinder und Jugendlicher in Baden-Württemberg, die sich in einem deutlich geringeren Anteil an Realschülern und Gymnasiasten im Vergleich zu den Griechen und einem höheren Anteil an Sonderschülern im Vergleich zu den Türken dokumentieren, stellen ein Alarmzeichen dar, sind die Italiener doch in Baden-Württemberg besonders stark vertreten und galten gerade sie bislang als besonders gut integriert.

1 Der Schweizer Soziologe Hoffmann-Novotny (1987, S. 48) hat die Zuwanderung von ethnischen Minderheiten in die hoch industrialisierten Gesellschaften Westeuropas als Unterschichtung der Aufnahmeländer bezeichnet, das heißt, die Einwanderer treten in die untersten Positionen der Sozialstruktur des Einwanderungslandes ein. Vgl. Hoffmann-Nowotny, H.-J.: Gastarbeiterwanderungen und soziale Spannungen, in: Reimann, H. (Hrsg.): Gastarbeiter, 2. Auflage, Opladen 1987, S. 46-66.

2 Vgl. Geißler, R.: Die Sozialstruktur Deutschlands, 3. Auflage, Wiesbaden, 2002, S. 333.