:: 10/2005

Bruttoinlandsprodukt, Bruttowertschöpfung und andere gesamtwirtschaftliche Indikatoren

2. Folge: Bruttowertschöpfung

2004 ist die deutsche Konjunktur wieder angesprungen. Im Vergleich zum Vorjahr wurde ein reales Wirtschaftswachstum von + 1,6 % verzeichnet. Welche Wirtschaftsbereiche trugen zur Konjunkturbelebung bei, eher das Produzierende Gewerbe oder die Dienstleister? Wo sind in Deutschland die Wachstumsregionen? Wie entwickelt sich die Wirtschaftsstruktur auf regionaler Ebene?

Betrachtungen zur Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung in drei Folgen

Die Bruttowertschöpfung zeigt die Bedeutung der Wirtschaftsbereiche

Der Anteil der einzelnen Wirtschaftsbereiche am Bruttoinlandsprodukt wird beschrieben durch deren Bruttowertschöpfung (BWS). Sie entspricht der innerhalb einer abgegrenzten Region erbrachten wirtschaftlichen Leistung der Wirtschaftsbereiche. Rechnerisch aus der Differenz der Produktionswerte und der eingesetzten Vorleistungen ermittelt, umfasst die BWS grundsätzlich alle erzeugten Waren und Dienstleistungen (siehe unten stehende Übersicht).

Die nach Wirtschaftsbereichen differenzierte BWS der Bundesländer bringt die wirtschaftlich und gebietsmäßig unterschiedlich große Bedeutung der einzelnen Bereiche zum Ausdruck und ist somit eine wichtige Kenngröße für Politik, Wirtschaft und Wissenschaft zur Analyse der regionalen Wirtschaftsentwicklung und ihrer strukturellen Veränderungen.

Dienstleister stellen 70 % der Bruttowertschöpfung

Dienstleister stellen in allen Bundesländern mit mehr oder minder deutlichem Abstand den größten Anteil an der gesamtwirtschaftlichen Leistung (Schaubild 1). 2004 erreichte der Dienstleistungssektor – im Einzelnen die Bereiche »Handel, Gastgewerbe und Verkehr«, »Finanzierung, Vermietung und Unternehmensdienstleister« sowie die »öffentlichen und privaten Dienstleister« – nominal mit insgesamt 1 398,2 Mrd. Euro in Deutschland einen Wertschöpfungsanteil von rund 70 %, gegenüber etwa 62 % im Jahr 1991. Seine wirtschaftliche Bedeutung hat sich in diesem Zeitraum kontinuierlich erhöht.

In Deutschland hat das Produzierende Gewerbe in etwa in dem Maß an Bedeutung verloren, wie die Dienstleistungsbereiche dazugewonnen haben. Der Anteil des Produzierenden Gewerbes an der BWS Deutschlands betrug 1991 noch gut 36 % und ging bis 2004 auf rund 29 % zurück.

Berlin und Hamburg mit höchster Dienstleistungsquote

Auf Länderebene variieren die Dienstleistungsanteile an der BWS von lediglich etwa 62 % in Baden-Württemberg als starkem Industriestandort bis zu 82,5 % in Berlin, dicht gefolgt von Hamburg mit knapp 82 %. Unter den Flächenländern sind Schleswig-Holstein, Hessen und Mecklenburg-Vorpommern am stärksten dienstleistungsorientiert. Gut drei Viertel ihrer gesamten Wirtschaftsleistung stammen aus den Dienstleistungsbereichen. In Hessen sind insbesondere der Bankensektor und die Unternehmensdienstleister stark vertreten, die 2004 über die Hälfte zur gesamten Wertschöpfung der Dienstleister beitrugen bzw. fast 38 % zur BWS aller Wirtschaftsbereiche des Landes beisteuerten (Schaubild 2).

0,1 % bis 38 % – »Kühe« in Berlin bis »Banken« in Hessen

Gemessen am Wertschöpfungsbeitrag der einzelnen Wirtschaftsbereiche lassen sich erhebliche Divergenzen hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen Bedeutung beobachten. Die mit Abstand geringsten BWS-Anteile, vor allem in den Stadtstaaten, wies 2004 die Land- und Forstwirtschaft, Fischerei aus. Sie differierten in einer Bandbreite von lediglich 0,1 % bis knapp 0,3 % in Berlin, Bremen und Hamburg bis hin zu 4,3 % in Mecklenburg-Vorpommern. Nur geringe strukturelle Unterschiede zwischen den Bundesländern bestanden beim Baugewerbe. Mit rund 2 bis 3 % Anteil an der BWS in den Stadtstaaten bis 6,3 % in Sachsen betrug der Abstand zwischen den niedrigsten und höchsten Werten des Wertschöpfungsbeitrags hier wie in der Landwirtschaft nur etwa 4 Prozentpunkte.

Die größte Spanne beim Anteil an der Bruttowertschöpfung, mit gut 21 Prozentpunkten Differenz zwischen den Ländern, wies 2004 das Verarbeitende Gewerbe auf. Wenig Industrie gibt es demnach in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin mit einem Wertschöpfungsbeitrag des Verarbeitenden Gewerbes von lediglich rund 11 %. Den höchsten Industrieanteil an der BWS mit annähernd 32 % hat dagegen Baden-Württemberg, gefolgt vom Saarland, Rheinland-Pfalz und Bayern, deren Industrieunternehmen etwa ein Viertel zur gesamten Wirtschaftsleistung beisteuern.

Wirtschaftsstruktur Ost – West

Entsprechend den jeweiligen Standortfaktoren und der historischen Entwicklung hat sich die Wirtschaftsstruktur in Deutschland regional und von Land zu Land ganz unterschiedlich ausgebildet. Zwischen den alten und neuen Bundesländern bestehen dabei zum Teil deutliche strukturelle Unterschiede.

So haben im früheren Bundesgebiet vor allem der Bereich Finanzierung, Vermietung und Unternehmensdienstleister sowie das Verarbeitende Gewerbe eine wesentlich größere wirtschaftliche Bedeutung als in den neuen Ländern. Im Westen stellten diese Wirtschaftsbereiche 2004 über die Hälfte (55 %) der gesamten Wertschöpfung, der Bereich Finanzierung, Vermietung und Unternehmensdienstleister allein knapp ein Drittel. Im Osten kam dieser Bereich auf rund ein Viertel an der Bruttowertschöpfung und einschließlich dem Verarbeitenden Gewerbe auf lediglich einen Wertschöpfungsanteil von rund 43 %, das heißt 12 Prozentpunkte weniger als in den Westländern (jeweils ohne Berlin). Das Verarbeitende Gewerbe wies einen BWS-Anteil von 17,5 % aus, gegenüber knapp 24 % im früheren Bundesgebiet.

Entwicklung 2004 – Verarbeitendes Gewerbe setzt Wachstumsimpulse

Zur wirtschaftlichen Belebung in Deutschland im Jahr 2004 trugen alle Wirtschaftsbereiche mit Ausnahme des Baugewerbes bei. Den größten Anstieg der Bruttowertschöpfung mit einem Plus von real 4,6 % verzeichnete, nach Rückgängen in den beiden Vorjahren, das Verarbeitende Gewerbe, wobei die Wachstumsrate durch das geringere Vorjahresniveau etwas begünstigt wird. Die kräftigsten Wachstumsimpulse setzten hier vor allem die neuen Länder. Im Osten entwickelte sich die Wertschöpfung im Verarbeitenden Gewerbe mit + 8,8 % wesentlich dynamischer als im früheren Bundesgebiet mit + 4,3 % (jeweils ohne Berlin) (Schaubild 3) und übertraf sogar die bereits in den Jahren 2002 (+ 4,3 %) und 2003 (+ 5,9 %) erzielten überdurchschnittlichen Steigerungen. Somit hat sich der Anteil der Ostindustrie an der Wertschöpfung des Verarbeitenden Gewerbes in Deutschland insgesamt erneut erhöht: mit knapp 40 Mrd. Euro (in jeweiligen Preisen) 2004 auf einen Anteil von fast 9 %, gegenüber 7,5 % im Jahr 2000.

Im Baugewerbe setzte sich der in den vergangenen Jahren zu beobachtende Abwärtstrend mit ‑ 2,7 % etwas verlangsamt fort. Jedoch hat die Baubranche im Osten offensichtlich mit noch größeren Problemen zu kämpfen als im Westen. Von 2000 bis 2002 musste die Baubranche in den neuen Ländern Wertschöpfungseinbußen in zweistelliger Höhe bis zu - 14 % verkraften und 2003 noch ‑ 6,5 %, während das Baugewerbe in den alten Ländern im Jahr 2000 sogar noch leicht zulegen konnte (+ 1 %) und dann bis 2003 jährlich eine um etwa 3 % geringere Wertschöpfung auswies. Der Rückgang der BWS 2004 gegenüber dem Vorjahr war im Ostbaugewerbe mit - 3,7 % zwar erheblich schwächer ausgefallen als noch in den Jahren zuvor, aber erneut deutlich stärker als im Durchschnitt der alten Bundesländer (- 2,2 %). Mit einer BWS von rund 13 Mrd. Euro in jeweiligen Preisen ist der Anteil des Ostens an der Wertschöpfung der Baubranche in Deutschland insgesamt 2004 von knapp 30 % Mitte der 90er-Jahre auf inzwischen noch gut 16 % geschrumpft.

Erneut positiv beigetragen zur Konjunkturentwicklung 2004 in Deutschland haben dagegen die Dienstleistungsbereiche. Der Bereich Finanzierung, Vermietung und Unternehmensdienstleister konnte sein Ergebnis um 2,4 % verbessern. Im zusammengefassten Bereich Handel, Gastgewerbe und Verkehr war die Zunahme um 1,5 % gegenüber dem Vorjahr vor allem auf den starken Anstieg der BWS im Bereich Verkehr und Nachrichtenübermittlung (+ 3,8 %) zurückzuführen. In den neuen Ländern fiel der Zuwachs in diesen beiden Bereichen jeweils etwas geringer aus als im früheren Bundesgebiet. Bei den öffentlichen und privaten Dienstleistern ergab sich nur ein marginales Plus von 0,3 %, das allein auf die Steigerung in den alten Bundesländern zurückging. In den neuen Ländern war hier ein Rückgang der BWS 2004 gegenüber dem Vorjahr zu verzeichnen. Insgesamt erwirtschafteten die Dienstleister in den fünf neuen Ländern 2004 eine Bruttowertschöpfung in jeweiligen Preisen von gut 160 Mrd. Euro. Ihr Anteil an der BWS der Dienstleistungsbereiche in Deutschland hielt sich damit in den vergangenen Jahren seit 1996/97 konstant bei gut 11 %.

Mit einem BWS-Anstieg um 9,2 % in den neuen Ländern wies der Bereich Land- und Forstwirtschaft, Fischerei 2004 ein deutliches Wachstum aus. Allerdings hat der Agrarsektor auch in den neuen Ländern (ohne Berlin) mit rund 5 Mrd. Euro Wertschöpfung lediglich noch einen Anteil von rund 2,2 % an der Gesamtwirtschaft und in Deutschland insgesamt sogar nur noch knapp 1,1 %.