:: 2/2007

Lebendige Bürgergesellschaft in Baden-Württemberg

Ergebnisse des zweiten Freiwilligensurvey

Bürgerschaftliches und ehrenamtliches Engagement, das sich aus der Mitte der Gesellschaft selbst organisiert, erbringt vielfache Leistungen an die Gesellschaft zum Wohl und Nutzen der Menschen. Freiwilliges Engagement ist dabei stark durch Engagement im sozialen Nahraum, das heißt im persönlichen Lebensumfeld gekennzeichnet. Der sozio-kulturelle, ökologische und ökonomische Wert, sprich die Ausbildung von sozialem, ökologischem und ökonomischem Kapital kann nicht hoch genug eingeschätzt werden.

Die Landesstudie zu den Ergebnissen des Freiwilligensurvey 2004 für Baden-Württemberg ergibt, dass in diesem Bundesland 73 % der Bevölkerung ab 14 Jahren aktiv sind in Gruppen, Vereinen, Organisationen und öffentlichen Einrichtungen und damit 3 Prozentpunkte mehr als im Bundesdurchschnitt. Diese »Gemeinschaftsaktivitäten« sind folglich im Lande stark verbreitet. Das heißt auch, dass in Baden-Württemberg nur relativ wenige Bürgerinnen und Bürger nicht in Gemeinschaftsaktivitäten oder Engagement einbezogen sind: die Quote der Nichtaktiven sank von 29 % (1999) auf 27 % (2004).

Die Bereitschaft zur Übernahme von ehrenamtlichem bzw. freiwilligem Engagement ist im Zeitraum von 1999 bis 2004 in Baden-Württemberg von 40 % auf 42 % angestiegen.

Das Statistische Landesamt Baden-Württemberg dankt dem Zentrum für zivilgesellschaftliche Entwicklung (zze) Freiburg für die freundliche Abdruckgenehmigung der im Auftrag des Ministeriums für Arbeit und Soziales Baden-Württemberg erstellten landesspezifischen Auswertung des Freiwilligensurvey für Baden-Württemberg.

Entwicklung der Engagementquote

Engagiert ist, wer nicht nur in einem der nachgefragten Engagementfelder »gemeinschaftlich aktiv« ist, sondern auch Aufgaben und Arbeiten übernommen hat, die unbezahlt bzw. gegen eine geringe Aufwandsentschädigung wahrgenommen werden.

Die Bereitschaft zum freiwilligen Engagement, das heißt der Übernahme von ehrenamtlichen bzw. freiwillig gewählten Aufgaben in Initiativen/Gruppen, Vereinen und weiteren Assoziationen des dritten Sektors ist im Zeitraum von 1999 bis 2004 in Baden-Württemberg von 40 % auf 42 % angestiegen. Auch diese Quote liegt deutlich über dem Bundesdurchschnitt von 36 %.

Im Bundesdurchschnitt stieg die Engagementquote von 34 % auf 36 %. Damit zeigt sich ein signifikanter Abstand zwischen der Engagementquote im Bund (36 %) und derjenigen in Baden-Württemberg (42 %). Im Ländervergleich schneidet Baden-Württemberg hervorragend ab: In keinem anderen Bundesland wird eine solch hohe Engagementquote erreicht. Weiterhin hohe Engagementquoten finden sich mit je 39 % vor allem in Hessen und Rheinland-Pfalz. Durchschnittliche Engagementquoten haben die Bundesländer Bayern (37 %), Niedersachsen (37 %) und Nordrhein-Westfalen (35 %) aufzuweisen. Unter den Ländern mit unterdurchschnittlichen Engagementquoten sind überwiegend neue Bundesländer vertreten, die jedoch – im Vergleich zur Umfrage 1999 – deutlich aufgeholt haben.

Bereitschaft zum freiwilligen Engagement bei nicht Engagierten

Personen, die nicht freiwillig engagiert sind, wurden gefragt, ob sie sich vorstellen könnten, sich in Vereinen, Initiativen, Projekten oder Selbsthilfegruppen zu engagieren und dort Aufgaben bzw. Arbeiten freiwillig bzw. ehrenamtlich auszuüben. Damit sollte das »externe Potenzial« bei Personen, die sich bisher noch nicht engagiert zeigen, nachgefragt werden.

Auch hier ergibt sich für Baden-Württemberg der erstaunliche Befund, dass trotz einer bereits hoch entwickelten Engagementquote die Quote derjenigen Baden-Württemberger, die prinzipiell zum freiwilligen Engagement »bestimmt bereit« wären, von 1999 auf 2004 nochmals von 9 Prozentpunkten auf 12 Prozentpunkte angestiegen ist; die Quote derjenigen, die »eventuell« zum freiwilligen Engagement bereit wären, stieg im entsprechenden Zeitraum von 19 % auf 20 % an. Nur rund ein Viertel (26 %) der Baden-Württemberger sind derzeit für diese Aktivitäten nicht zu gewinnen.

Bereiche des Freiwilligen Engagements

Im Blick auf die Engagementfelder, in denen freiwillig Aufgaben und Arbeiten übernommen werden, bleibt der Bereich »Sport und Bewegung« (15 %) das Hauptfeld des Engagements. Im Vergleich zu 1999 ergeben sich in Baden-Württemberg Zunahmen in den Engagementfeldern »Kultur und Musik« (6 % auf 9 %), »Schule und Kindergarten« (5 % auf 8 %) und im »sozialen Bereich« (4 % auf 7 %).

Engagierte nach Siedlungsgebieten in Baden-Württemberg

Bemerkenswert ist, dass bei einer Unterscheidung nach Siedlungsgebieten in Baden-Württemberg die Engagementquote insbesondere in den städtischen Kerngebieten1 von 41 % (1999) auf 47 % (2004) und in den ländlichen Gebieten von 52 % (1999) auf 60 % (2004) angestiegen ist. Die städtischen Kerngebiete zählen damit, zusammen mit den ländlichen Gebieten, zu den Spitzenreitern des Engagements in Baden-Württemberg. In den sehr aktiven ländlichen Gebieten ist anzunehmen, dass sich neben den traditionellen Organisationen wie Vereinen und Verbänden, sowie den Kirchen die Engagementstrukturen weiterentwickelt haben und durch flexiblere Formen des Engagements ergänzt worden sind. Die stärkere Beteiligung von älteren Menschen im Engagement hat dabei zu einer Revitalisierung traditioneller Engagementstrukturen beigetragen.

Die Engagementquote in den städtischen Randgebieten zeigt sich bundesweit im Zeitvergleich 1999 bis 2004 als stabil. In diesem Siedlungsmilieu zeigt sich jedoch für Baden-Württemberg eine unterdurchschnittliche Engagementquote im Vergleich mit den städtischen Kerngebieten und den ländlichen Gebieten.

Freiwilliges Engagement nach Geschlecht und Altersgruppen

Nach Geschlecht unterschieden zeigt sich in Baden-Württemberg eine beachtliche Entwicklung bei den Frauen, deren Engagementquote von 1999 bis 2004 von 37 % auf 42 % angestiegen ist und damit das Niveau der männlichen Engagierten (42 %) erreicht. Different sind allerdings die unterschiedlichen Engagementfelder geblieben.

Bei Betrachtung der Entwicklung des Engagements nach Altersgruppen zeigt sich vor allem in der jüngsten Altersgruppe von 14 bis 30 Jahren von 1999 bis 2004 eine deutliche Erhöhung der Engagementquote von 39 % auf 45 %; diese Entwicklung wird noch von der Altersgruppe der 46- bis 65-Jährigen übertroffen, welche ihre Engagementquote von 41 % auf 50 % steigern konnte. In dieser Altersgruppe ist jede/r zweite Baden-Württemberger/in freiwillig engagiert. Eine leichte Steigerung von 29 % auf 30 % zeigt sich auch für die Altersgruppe der 66-Jährigen und älteren, während die Altersgruppe der 31- bis 45-Jährigen eine rückläufige Tendenz von 46 % (1999) auf 41 % (2004) vorweist. Hier lässt sich vermuten, dass sich die zeitliche Belastung durch Familie und Beruf tendenziell negativ auswirkt, sowie auch die höhere Mobilität, die im Arbeitsleben heute zunehmend gefordert wird.

Im Blick auf die unterschiedlichen Engagementbereiche ergibt sich bei einer Unterscheidung nach Geschlecht, dass Frauen insbesondere in den Engagementbereichen »Schule und Kindergarten«, »Kirche und Religion« sowie im »sozialen Bereich« freiwillig Aufgaben wahrnehmen. Männer neigen eher zu Tätigkeitsfeldern wie »Sport und Bewegung«, »Kultur und Musik«, »Politik«.

Bereitschaft zum freiwilligen Engagement nach Geschlecht und Alter

Während sich bei den Frauen die reale Engagementquote im Zeitraum von 1999 bis 2004 von 37 % auf 42 % erhöht hat, ist hier die Quote derjenigen, die in Zukunft bereit wären sich zu engagieren mit 30 % gleich geblieben Bei den Frauen zeigt sich damit insgesamt ein sehr deutlicher Rückgang der Quote der Bürgerinnen ohne Engagement und ohne Interesse von 33 % auf 28 %.

Im Gegensatz dazu bleibt bei den Männern die Engagementquote mit 43 % (1999) bzw. 42 % (2004) relativ konstant, während die Quote derjenigen, die Bereitschaft und Interesse zeigen, sich zukünftig zu engagieren, deutlich von 26 % auf 35 % zugenommen hat, sodass im Resultat lediglich 23 % der Männer in Baden-Württemberg ohne Engagement sind und kein offensichtliches Interesse daran zeigen.

Sehr aufschlussreich ist auch eine Unterscheidung der Bereitschaft zum freiwilligen Engagement nach Alter. Generell zeigt sich hier für 1999 und auch für 2004, dass mit zunehmendem Alter die Quote derjenigen steigt, für die ein freiwilliges Engagement nicht in Frage kommt. Sie liegt 2004 bei der jüngsten Altersgruppe (14-30 Jahre) bei 14 %, bei der Altersgruppe der 31- bis 45-Jährigen bei 20 %, derjenigen der 46- bis 65-Jährigen ebenfalls bei 20 % und der ältesten Altersgruppe der über 65-Jährigen bei 55 %.

Allerdings sind in der Altersgruppe der 46- bis 65-Jährigen im Vergleich mit 1999 deutliche Zunahmen an Engagierten und Engagementbereiten zu verzeichnen. Ähnliche Zunahmen hinsichtlich Engagement und Engagementbereitschaft sind bei der jüngsten Altersgruppe zu konstatieren. Die Ergebnisse geben hier Anlass, sich insbesondere auch der älteren Altersgruppe zuzuwenden und hier konstruktive Überlegungen anzustellen, auf welche Weise in dieser Gruppe das Engagement und die Engagementbereitschaft erhöht werden könnte.

Ältere Menschen sind noch deutlich unterreprä­sentiert bei den Engagierten. Das gilt insbesondere für die über 65-Jährigen. Die deutlichen Unterschiede der Engagementquoten unter den Älteren, die im Alterssurvey sichtbar werden2, unterstreichen die Notwendigkeit einer differenzierten Betrachtung des Engagements Älterer.

Beginn mit Engagement und Motive für freiwilliges Engagement

In Baden-Württemberg beginnen die Menschen schon früh mit einem freiwilligen Engagement Deutlich mehr als die Hälfte der Engagierten (55 %) übten schon im Alter von 6 bis 20 Jahren, also in jungen Jahren, eine freiwillige Tätigkeit aus, während auf Bundesebene »nur« eine Quote von 50 % erreicht wird. In keinem anderen Bundesland beginnen so viele junge Menschen so früh mit einem Engagement. Dies lässt sich auch am durchschnittlichen Alter für den Engagementbeginn ablesen. Während dieses für Engagierte in Baden-Württemberg bei 30,3 Jahren liegt, beträgt es auf Bundesebene 37,5 Jahre.

Freiwillig Tätige setzen deutliche Prioritäten bei ihren Engagementmotiven. Über zwei Drittel (67 %) der Engagierten in Baden-Württemberg und damit mehr als im Bundesdurchschnitt (66 %) heben »voll und ganz« hervor, die Gesellschaft durch ihr Engagement (zumindest im Kleinen) mitgestalten zu können Noch nahezu zwei Drittel (62 %) der Engagierten im Lande stimmen der Auffassung »voll und ganz« zu, es sei für sie von Bedeutung, durch Engagement mit anderen zusammenzukommen. Das Motiv, durch eigenes Engagement die Gesellschaft (zumindest im Kleinen) mitzugestalten und zugleich das Bestreben, mit anderen Menschen zusammen zu kommen, scheinen also gerade auch die Motive der Engagierten in Baden-Württemberg am besten zu charakterisieren. Knapp jede/r zweite Engagierte (44 %) im Bund und in Baden-Württemberg stimmt der Aussage zu, dass es sich bei seinen/ihren freiwilligen Tätigkeiten um Aufgaben handelt, die gemacht werden müssen; überdurchschnittlich wird dies von älteren Engagierten angeführt. Weniger als im Bundesdurchschnitt (21 %) hat »voll und ganz« Bedeutung, dass das eigene Engagement auch als eine Form von politischem Engagement (16 %) zu werten sei.

Erwartungen an freiwilliges Engagement

Die Erwartungen, die Engagierte mit ihrem freiwilligen Engagement verbinden, umfassen immer mehrere Aspekte und sind generell mit dem Wunsch nach einer sinnvollen Betätigung verbunden. Im Blick auf die Mittelwerte zeigt sich folgende Rangskala an Erwartungen:3

Dass19992004
die Tätigkeit Spaß macht4,44,5
man damit anderen Menschen helfen kann4,14,1
man damit etwas für das Gemeinwohl tun kann4,14,1
man mit sympathischen Menschen zusammenkommt4,14,0
man die eigenen Kenntnisse und Erfahrungen erweitern kann3,93,8
man eigene Verantwortung und Entscheidungs möglichkeit hat3,53,5
man für die Tätigkeit auch Anerkennung findet3,33,2
man damit auch berechtigte eigene Interessenvertreten kann2,72,6
man damit auch eigene Probleme in die Hand nehmen und lösen kann2,62,5
die Tätigkeit auch für die beruflichen Möglichkeiten etwas nutzt2,22,2

Schlusswürdigung

Der Freiwilligensurvey zeigt, dass das bürgerschaftliche und ehrenamtliche Engagement eine tragende Rolle spielt bei der sozialen, kulturellen und ökologischen Alltagsgestaltung und Daseinsvorsorge in nahezu allen gesellschaftlichen Lebensbereichen. Die Bürgerinnen und Bürger stellen sich den Herausforderungen unserer Gegenwartsgesellschaft und tragen auf vielfältige Weise zu ihrem solidarischen Gelingen durch die Gestaltung des Gemeinwesens und der alltäglichen Lebenswelt bei. Dieses Engagement schafft reiches Sozialkapital in Form von sozialen Netzwerken, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern und Teilhabe ermöglichen. Hier sollte künftig verstärkt darauf geachtet werden, benachteiligte Gruppen wie beispielsweise arbeitslose Menschen oder Migranten/-innen in bürgerschaftliches Engagement einzubeziehen.

Darüber hinaus erscheint es, auch mit Blick auf die Ergebnisse des fünften Berichts zur Lage der älteren Generation (BMFSFJ 2005), bedeutsam, die Potenziale des Alters für gesellschaftliches Engagement deutlich aufmerksamer als bisher geschehen in Blick zu nehmen und in die vielfältigen Prozesse des bürgerschaftlichen Engagements einzubeziehen. Die Ergebnisse des Freiwilligensurvey zeigen, dass gute Voraussetzungen für die Teilhabe älterer Menschen bestehen und gerade dies auch die intergenerationale Perspektive auf Engagement unterstreicht.

1 Bei »städtischen Kerngebieten« handelt es sich um Großstädte und Mittelstädte, beginnend mit mindestens 50 000 Einwohner/-innen. Als »ländliche Gebiete« wurden generell Kommunen mit unter 50 000 Einwohner/-innen definiert. Als »städtische Randgebiete« zusammengefasst wurden Kommunen im unmittelbaren Umfeld der Groß- und Mittelstädte, das heißt, solche Kommunen, die beispielsweise durch Pendlerströme mit den städtischen Kerngebieten einen gewissen Verflechtungszusammenhang herstellen.

2 Kühnemund, H., Tätigkeiten und Engagement im Ruhestand, in: Tesch-Römer, C. (Hrsg.) (2004), Sozialer Wandel und individuelle Entwicklung in der zweiten Lebenshälfte. Ergebnisse der zweiten Welle des Alterssurveys, Berlin.

3 Die Befragungsteilnehmer/-innen konnten abgestuft auf einer Antwortskala zwischen den Werten 1 bis 5 entscheiden, wobei der Wert 1 »unwichtig« und Wert 5 »außerordentlich wichtig« bedeutete. Ein Mittelwert von 4,5 über alle Befragten errechnet bedeutet folglich, dass dem Faktor Spaß eine außerordentlich wichtige Rolle bei der Ausübung einer freiwilligen Tätigkeit zukommt.