:: 4/2007

Alternde Erwerbsbevölkerung: Problem oder Chance für den Wirtschaftsstandort Baden-Württemberg?

Mit dem Jahr 2000 hat in Baden-Württemberg eine demografische Zeitenwende stattgefunden: Erstmals in der Geschichte des Landes leben mehr ältere als jüngere Menschen im Land. Da auch weiterhin mit einer steigenden Lebenserwartung der Bevölkerung und relativ geringen Geburtenzahlen zu rechnen ist, wird der Anteil der älteren Menschen an der Bevölkerung in den nächsten Jahrzehnten noch weiter ansteigen.

Um abzuschätzen, welche Folgen die demografische Alterung auf die Zahl, die Altersstruktur und das berufliche Qualifikationsniveau der Erwerbspersonen haben könnte, wurde eine Erwerbspersonenvorausrechnung mit zwei Rechenvarianten erstellt. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass bei konstant bleibender Erwerbsbeteiligung bereits für das Jahr 2020 mit rückläufigen Erwerbspersonenzahlen zu rechnen ist. Dies würde voraussichtlich auch dazu führen, dass weniger Fachkräfte als heute dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Außerdem hätte eine kleiner werdende Gruppe von Erwerbspersonen eine stetig wachsende Gruppe von nicht im Erwerbsleben stehenden Personen im Hinblick auf die Alterssicherung, die Pflegeversicherung und das Gesundheitswesen mitzutragen.

Bei deutlich höherer Erwerbsbeteiligung, die durch kürzere Ausbildungszeiten, späteren Übergang in den Ruhestand und eine höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen erreicht werden könnte, würde die Zahl der Erwerbspersonen ansteigen. Damit würde sich die Situation im Hinblick auf das Fachkräfteangebot sowie das Zahlenverhältnis zwischen Einzahlern und Leistungsempfängern der sozialen Sicherungssysteme wesentlich entspannter darstellen.

Beide Rechenvarianten führen jedoch zu dem Ergebnis, dass zukünftig deutlich weniger junge und wesentlich mehr ältere Arbeitnehmer den Markt an Arbeitskräften bilden werden. Die Wahrung der Wettbewerbsfähigkeit des Hochtechnologiestandorts Baden-Württemberg dürfte ganz wesentlich davon abhängen, dass auf diese Herausforderung mit angemessenen Strategien reagiert wird.

Bevölkerungsvorausrechnung als Grundlage der Erwerbspersonenvorausrechnung

Basis der vorliegenden Erwerbspersonenvorausrechnung (vgl. i-Punkt) für die Jahre 2020 und 2030 in Baden-Württemberg ist eine landesinterne Bevölkerungsvorausrechnung, die – ausgehend von der Bevölkerung Baden-Württembergs zum 31. Dezember 2005, gegliedert nach Altersjahren und Geschlecht – eine Vorausrechnung bis 2050 bietet.1 Diese Bevölkerungsvorausrechnung kommt zu dem Schluss, dass bis 2011 die Einwohnerzahlen in Baden-Württemberg noch leicht zunehmen werden und ab 2012 mit Bevölkerungsrückgängen zu rechnen sein wird. Bis 2020 geht die Vorausrechnung noch von relativ geringen Bevölkerungsverlusten aus, für das Jahr 2030 wird allerdings nur noch mit 10,5 Mill. Einwohnern, das heißt mit rund einer viertel Million Menschen weniger gerechnet. Außerdem kommt die Bevölkerungsvorausrechnung zu dem Ergebnis, dass mit einer deutlichen Alterung der Einwohnerschaft Baden-Württembergs zu rechnen ist: Bereits mit Beginn des neuen Jahrhunderts gab es eine historische Zäsur, wonach erstmals mehr über 60-Jährige als unter 20-Jährige in Baden-Württemberg lebten. Diese Entwicklung wird fortschreiten und ist voraussichtlich nicht mehr umkehrbar, zumal die geburtenstarken Jahrgänge der 60er-Jahre des vorigen Jahrhunderts nach 2020 ins Seniorenalter hineinwachsen. Der Anteil der unter 20-Jährigen wird aus heutiger Sicht bis 2030 von 21 auf 17 % sinken, jener der über 60-Jährigen von heute rund 24 auf über 35 % ansteigen.

Zwei Varianten der Erwerbspersonenvorausrechnung

Für die vorliegende Erwerbspersonenvorausrechnung wurden zwei Varianten berechnet: Eine sogenannte »Status-quo-Variante« und eine »Veränderungsvariante« (siehe Übersicht). Beide Varianten wurden für die Jahre 2020 und 2030 erstellt. Der Status-quo-Variante liegt die Annahme zugrunde, dass sich die altersspezifische Erwerbsbeteiligung der Männer und Frauen in Baden-Württemberg bis 2020 bzw. 2030 nicht ändern wird, sondern auf dem Niveau von 2005 verbleibt (Tabelle 1). Die voraussichtliche Erwerbspersonenzahl in den Jahren 2020 bzw. 2030 wurde berechnet, indem die im Rahmen des Mikrozensus (i-Punkt Seite 11) ermittelten alters- und geschlechtsspezifischen Erwerbsquoten des Jahres 2005 auf die Bevölkerungszahlen der Bevölkerungsvorausrechnung für die Jahre 2020 bzw. 2030 übertragen wurden. Bei der Status-quo-Variante stellt somit die voraussichtliche Bevölkerungsentwicklung den einzigen Einflussfaktor auf die Entwicklung der Erwerbspersonenzahl dar. Die Ergebnisse der Status-quo-Variante der Erwerbspersonenvorausrechnung können somit gleichsam als Untergrenze einer zukünftigen Erwerbspersonenentwicklung verstanden werden.

Bei der zweiten Rechenvariante, der Veränderungsvariante, wird von einer Veränderung der Erwerbsquoten ausgegangen; dahinter stehen folgende Überlegungen:

  • Durch die Verkürzung der Gymnasialzeit auf 8 Schuljahre und die angestrebte Straffung der Studienzeiten durch Bachelor- bzw. Masterstudiengänge wurde ein verändertes Ausbildungsverhalten unterstellt. Infolgedessen ist mit einem früheren Einstieg ins Berufsleben und damit mit höheren Erwerbsquoten in den jüngeren Altersgruppen zu rechnen.
  • Vor dem Hintergrund der bereits beschlossenen Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre, verbunden mit höheren Abschlägen bei vorzeitigem Ruhestand, wird von deutlich höheren Erwerbsquoten in den älteren Altersgruppen ausgegangen (Tabelle 1).
  • Ferner wurde bei der Veränderungsvariante eine Angleichung der Erwerbsquoten von Frauen und Männern vorausgesetzt. Diese Annahme greift Überlegungen auf, wonach eine solche Angleichung nicht nur möglich, sondern politisch gewollt und wirtschaftlich erforderlich sein könnte, da es volkswirtschaftlich nicht sinnvoll erscheint, das gut ausgebildete Arbeitskräftepotenzial der Frauen nur unzureichend zu nutzen. Eine Angleichung der Erwerbsquoten der Frauen an die der Männer setzt allerdings eine erhebliche Erweiterung des bereits bestehenden Kinderbetreuungsangebots vor allem durch einen Ausbau der Ganztagesschulen, der Ganztagesbetreuung und der Kleinkinderbetreuung voraus. Auch eine weitere Arbeitszeitflexibilisierung und ein steigendes Angebot an Teilzeitarbeitsplätzen könnte eine noch stärkere Erwerbsbeteiligung der Frauen unterstützen.

Die auf Basis der vorgenannten Annahmen im Rahmen der Veränderungsvariante unterstellten Erwerbsquoten für die Jahre 2020 und 2030 (Tabelle 1) wurden dann wiederum an die nach Altersgruppen und Geschlecht gegliederten Ergebnisse der Bevölkerungsvorausrechnung angelegt. Dabei wurden für das Jahr 2030 die gleichen Erwerbsquoten angenommen wie für das Jahr 2020.

Die im Rahmen der Veränderungsvariante zugrunde gelegten Erwerbsquoten sind als Obergrenze einer möglichen zukünftigen Entwicklung zu verstehen. Die auf Basis der Status-quo- und der Veränderungsvariante berechneten Erwerbspersonenzahlen stellen somit einen Korridor möglicher Entwicklungen dar: Die Untergrenze dieses Korridors wird durch die gegenwärtige Erwerbsbeteiligung bestimmt; in die Obergrenze sind Erwerbsquoten eingeflossen, die aus heutiger Sicht als maximal mögliche Erwerbsbeteiligungen zu sehen sind.

Bei konstanter Erwerbsbeteiligung bereits 2020 weniger Erwerbspersonen als 2005

Im Jahr 2005 zählten laut Mikrozensus von den insgesamt knapp 10,73 Mill. Baden-Württembergern annähernd 5,48 Mill. zu den Erwerbspersonen. Nach den Ergebnissen der Status-quo-Variante, das heißt bei konstanter Erwerbsbeteiligung, wird die Zahl der Erwerbspersonen entsprechend der Bevölkerungsentwicklung noch bis zum Jahr 2011 ansteigen und mit knapp 5,54 Mill. einen Höhepunkt erreichen. Bereits im Jahr 2020 liegt die Zahl der Erwerbspersonen voraussichtlich jedoch nur noch bei 5,35 Mill. und somit um knapp 130 000 Personen bzw. gut 2 % niedriger als 2005. Bei den weiblichen Erwerbspersonen fällt mit knapp −70 000 Personen bzw. −3 % der Rückgang etwas stärker aus als bei den männlichen (−60 000 Personen bzw. −2 %).

Für die einzelnen Altersgruppen zeigen sich sowohl bei den männlichen als auch weiblichen Erwerbspersonen weitgehend analoge Entwicklungen. Während sich in den jüngeren Altersgruppen der 15- bis unter 25-Jährigen und in den mittleren Altersgruppen der 35- bis unter 50-Jährigen die Zahl der Erwerbspersonen insgesamt rückläufig entwickelt, erhöht sie sich in den Altersgruppen der 50-Jährigen und Älteren erheblich. Am stärksten fällt dabei der Anstieg bei den 55- bis unter 60-Jährigen mit knapp 47 % (knapp +222 000 Personen) aus (Tabelle 2). Diese massive Zunahme ist darauf zurückzuführen, dass die heute am stärksten besetzte Altersgruppe der 40- bis unter 45-Jährigen, die zur Generation der geburtenstarken Jahrgänge zählen, bis 2020 in die Altersgruppe der 55- bis unter 60-Jährigen vorrücken wird. Die Alterung des Erwerbspersonenpotenzials zeigt sich besonders anschaulich auch bei der Betrachtung der Besetzung der Altersgruppen: Während heute die 40- bis unter 45-Jährigen mit knapp 840 000 Erwerbspersonen die zahlenmäßig größte Gruppe unter den Erwerbspersonen stellen, werden im Jahr 2020 die 50- bis unter 55-Jährigen mit gut 760 000 Personen die größte Altersgruppe bilden.

Bei konstanter Erwerbsbeteiligung wird sich bis zum Jahr 2030 die rückläufige Entwicklung der Erwerbspersonenzahlen verstärkt fortsetzen. Im Jahr 2030 sinkt die Zahl der Erwerbspersonen sogar unter die 5 Mill.-Grenze auf rund 4,8 Mill. und damit um knapp 650 000 Personen bzw. knapp 12 % unter das Ausgangsniveau des Jahres 2005. Dieser Rückgang vollzieht sich in allen Altersgruppen unter 55 Jahren, während die Zahl der 55-jährigen und älteren Erwerbspersonen ansteigt. Besonders deutlich spiegelt sich der Alterungsprozess der Bevölkerung in dem Anstieg der Erwerbspersonen im Alter von 65 und mehr Jahren mit über 50 % (+47 000 Personen) wider.

Veränderungsvariante: Erwerbspersonenzahlen auch 2030 noch über dem heutigen Niveau

Unter der Voraussetzung, dass die Erwerbsquoten für Männer und Frauen in den Jahren 2020 bzw. 2030 deutlich steigen würden und eine Angleichung der Erwerbsbeteiligung der Frauen an die der Männer erzielt würde (siehe Tabelle 1), würde sich eine im Hinblick auf die Systeme der sozialen Sicherung unserer Gesellschaft ausgeglichenere Entwicklung ergeben. So würde sich die Zahl der Erwerbspersonen bis zum Jahr 2020 um rund 764 000 Personen bzw. knapp 14 % auf insgesamt gut 6,24 Mill. Erwerbspersonen erhöhen (Tabelle 3). Diese Entwicklung würde in erster Linie von einer erheblich gestiegenen Zahl weiblicher Erwerbspersonen getragen. Unter der Annahme einer vollständigen Angleichung der Erwerbsquoten von Frauen und Männern würde die Zahl der weiblichen Erwerbspersonen bis zum Jahr 2020 um knapp 670 000 Personen bzw. gut 27 % ansteigen, bei den männlichen aber nur um rund 95 000 Personen bzw. 3 %. Gegliedert nach Altersgruppen ergibt sich nach der Veränderungsvariante in der Gruppe der 15- bis unter 20-Jährigen und bei den 35- bis unter 50-Jährigen ein Rückgang der Erwerbspersonenzahlen, während sich bei den 20- bis unter 35-Jährigen und insbesondere bei den 50-Jährigen und Älteren jeweils ein zum Teil erheblicher Anstieg zeigt. Die höhere Erwerbsbeteiligung der älteren Baden-Württemberger führt in der Veränderungsvariante zu einem noch stärkeren Alterungseffekt. Während – wie bereits erwähnt – im Jahr 2005 die 40- bis unter 45-Jährigen die größte Gruppe der Erwerbspersonen stellten, sind es bei der Veränderungsvariante im Jahr 2020 die Gruppe der 50- bis unter 55-Jährigen sowie die der 55- bis unter 60-Jährigen mit jeweils gut 800 000 Personen.

Auch im Jahr 2030 würde die Zahl der Erwerbspersonen, unter den Annahmen der Veränderungsvariante, noch deutlich über dem Ausgangsniveau des Jahres 2005 liegen. Zwar zeigt sich gegenüber dem Jahr 2020 ein schwächerer Anstieg, dennoch würde sich die Erwerbspersonenzahl gegenüber 2005 noch um knapp 210 000 Personen bzw. 4 % auf insgesamt knapp 5,69 Mill. erhöhen. Auch diese Entwicklung wird in erheblichem Maße vom Anstieg der weiblichen Erwerbspersonen (+404 000 Personen bzw. knapp 17 %) getragen, während die Zahl der männlichen bis zum Jahr 2030 zurückgeht (−195 000 Personen bzw. −6 %).

Systeme der sozialen Sicherung: zunehmende Belastung oder Lastenverteilung?

Von hoher Bedeutung für die öffentlichen Haushalte und die Tragfähigkeit der Systeme der sozialen Sicherung ist der Anteil der Erwerbspersonen an der Gesamtbevölkerung. Dieses Verhältnis gibt Aufschluss darüber, wie viele Erwerbspersonen der Gruppe der nicht im Erwerbsleben stehenden Personen gegenüberstehen und diese Personengruppe somit im Hinblick auf die Alterssicherung, das Gesundheitswesen und andere sozialstaatliche Leistungen mittragen müssen. Ausgehend von einem Anteil der Erwerbspersonen an der Gesamtbevölkerung von 51 % im Jahr 2005 ergibt sich auf Basis der Status-quo-Rechenvariante ein Anteil von 50 % im Jahr 2020 und nur noch 46 % im Jahr 2030 (Schaubild). Weniger als die Hälfte der Bevölkerung würde somit im Jahr 2030 zum Erwerbspersonenpotenzial zählen. Eine immer kleiner werdende Gruppe an Erwerbspersonen müsste somit die Lasten der sozialen Sicherungssysteme tragen.

Eine zunehmende Erwerbsbeteiligung gemäß der Veränderungsvariante hätte hingegen zur Folge, dass die Lasten der sozialen Sicherungssysteme auf deutlich mehr Schultern verteilt würden: So würde bei steigenden Erwerbsquoten der Jüngeren und Älteren sowie einer vollständigen Angleichung der Erwerbsbeteiligung der Frauen an die der Männer, bis 2020 der Anteil der Erwerbspersonen an der Gesamtbevölkerung gegenüber 2005 um gut 7 Prozentpunkte auf rund 58 % ansteigen. Und auch im Jahr 2030 würde der Anteil der Erwerbspersonen mit 54 % noch deutlich über dem Ausgangsniveau von 51 % im Jahr 2005 liegen (Schaubild).

Anteil der über 50-jährigen Erwerbspersonen wird nach beiden Rechenvarianten dramatisch anwachsen

Die Unternehmen in Baden-Württemberg müssen sich darauf einstellen, dass ihre Belegschaften zukünftig aus mehr älteren Arbeitnehmern bestehen werden. Sowohl bei konstanter als auch bei steigender Erwerbsbeteiligung resultiert ein sinkender Anteil der unter 50-jährigen Erwerbspersonen und ein ansteigender Anteil an älteren, über 50-jährigen Erwerbspersonen. Während im Jahr 2005 das Erwerbspersonenpotenzial in Baden-Württemberg zu knapp drei Vierteln aus unter 50-jährigen und zu rund einem Viertel aus 50-jährigen und älteren Personen bestand, wird der Anteil der älteren Erwerbspersonen bis 2020 auf knapp 35 % (laut Status-quo-Variante) bzw. sogar rund 38 % (Veränderungsvariante) ansteigen (Tabelle 4). Bis zum Jahr 2030 ist zwar nach beiden Rechenvarianten wieder ein leichter Rückgang des Anteils der älteren Erwerbspersonen zu erwarten, allerdings wird das Ausgangsniveau des Jahres 2005 bei Weitem nicht mehr erreicht. Insbesondere die Gruppe der über 60-Jährigen wird nach beiden Rechenvarianten deutlich größer werden. Nach der Status-quo-Variante werden die Anteile der 60-jährigen und älteren Erwerbspersonen von heute knapp 6 % auf über 7 % im Jahr 2020 sogar auf gut 9 % bis 2030 anwachsen. Nach der Veränderungsvariante wird sich der Anteil der über 60-Jährigen im Jahr 2020 mit rund 11 % gegenüber 2005 bereits nahezu verdoppelt haben; im Jahr 2030 wären sogar 14 % der Erwerbspersonen 60 Jahre und älter.

Vor dem Hintergrund der demografischen Alterung des Erwerbspersonenpotenzials stellt sich unter anderem die Frage nach der zukünftigen internationalen Konkurrenz- und Innovationsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Baden-Württemberg. Flexibilität, Kreativität und die Fähigkeit neue, innovative Konzepte zu entwickeln bzw. anzuwenden werden gemeinhin eher den jüngeren Bevölkerungsgruppen zugeschrieben. Dennoch muss eine Alterung des Erwerbspersonenpotenzials nicht zwingend Nachteile mit sich bringen: Ältere Erwerbspersonen verfügen über langjährige Berufserfahrung sowie über fachliche und soziale Kompetenz, die sich junge Berufseinsteiger erst über Jahre hinweg aneignen müssen. Im Hinblick auf die Sicherung des Wirtschaftsstandorts Baden-Württemberg wird es von großer Bedeutung sein, das Potenzial der älteren Erwerbspersonen richtig zu nutzen. Darüber hinaus muss auch das Qualifikationsniveau der mittleren und älteren Jahrgänge durch geeignete Maßnahmen erhalten und gesteigert werden. »Lebenslanges Lernen« wird für die Zukunft eine entscheidende Strategie sein. Eine weitere Grundvoraussetzung um das Potenzial der älteren Erwerbspersonen auch tatsächlich nutzen zu können ist, dass eine angemessene Gesundheitsförderung und -prävention (auch für bereits jüngere Erwerbspersonen) betrieben wird.

Muss die baden-württembergische Wirtschaft mit einem Fachkräftemangel rechnen?

Angesichts der möglichen Entwicklungen im Hinblick auf Umfang und Altersstruktur des zukünftigen Erwerbspersonenpotenzials stellt sich auch die Frage, ob Baden-Württemberg in den nächsten Jahren und Jahrzehnten mit einem Fachkräftemangel konfrontiert sein wird; dazu wurde die mögliche Qualifikationsstruktur der Erwerbspersonen für die Jahre 2020 und 2030 berechnet. Dabei wurde angenommen, dass das heute erreichte Qualifikationsniveau der jungen, 30- bis unter 35-jährigen Erwerbspersonen, die das höchste berufliche Bildungsniveau aller Altersgruppen aufweisen, auch von zukünftigen Generationen erreicht wird. Im Jahr 2020 würde daher die Bildungsstruktur der 30- bis unter 50-Jährigen der der heute 30- bis unter 35-Jährigen entsprechen. Im Jahr 2030 würde die Bildungsstruktur der 30- bis unter 60-Jährigen der der heute 30- bis unter 35-Jährigen entsprechen. Damit ergäbe sich die Situation, dass das berufliche Ausbildungsniveau der Erwerbspersonen in den Jahren 2020 und 2030 insgesamt über dem der heutigen Erwerbspersonen liegen würde (siehe auch i-Punkt).

Bei stagnierender Erwerbsbeteiligung teilweise rückläufige Zahl an Fachkräften

Unter der Voraussetzung einer konstanten Erwerbsbeteiligung wird das Angebot an Erwerbspersonen mit Fachhochschul- und Hochschulabschluss von heute rund 824 000 Personen auf rund 876 000 im Jahr 2020 ansteigen. Bis 2030 ist die Zahl der Akademiker zwar wieder rückläufig, würde aber mit 833 000 immer noch über dem heutigen Niveau liegen. Demgegenüber ist nach der Status-quo-Variante sowohl für die Zahl der Erwerbspersonen mit abgeschlossener Lehre als auch für die mit einem Meister- bzw. Technikerabschluss ein deutliches Minus zu erwarten: Bei den Erwerbspersonen mit abgeschlossener Lehre ist ein Rückgang um nahezu 300 000 Personen bis zum Jahr 2030 zu erwarten, bei den Erwerbspersonen mit Meister- bzw. Technikerabschluss ein Rückgang von heute rund 570 000 auf nur noch 488 000 Personen im Jahr 2030 (Tabelle 5).

Nach der Veränderungsvariante ist für Erwerbspersonen aller Ausbildungsabschlüsse (mit Ausnahme der Meister bzw. Techniker) mit einem zunehmenden Angebot zu rechnen. Bis 2020 wird die Zahl der Erwerbspersonen mit abgeschlossener Lehre und mit Fachhochschul- bzw. Hochschulabschluss deutlich ansteigen (siehe Tabelle 5). Bis 2030 sind zwar rückläufige Zahlen zu erwarten, sie bleiben aber bei allen Ausbildungsabschlüssen (mit Ausnahme der Meister bzw. Techniker) über denen von 2005.

Von Fachkräftemangel ist dann zu sprechen, wenn die Nachfrage nach Fachkräften höher ist als das Angebot. Die Nachfrage nach Fachkräften ist jedoch vor allem auch abhängig von der zukünftigen konjunkturellen Entwicklung und der Branchenausrichtung. Falls die baden-württembergische Wirtschaft in den Jahren 2020 und 2030 quantitativ und qualitativ den selben Bedarf an Fachkräften haben wird wie heute, dann wird sie unter der Voraussetzung, dass die Erwerbsbeteiligung auf heutigem Niveau bleibt (Status-quo-Variante), bereits im Jahr 2020 zu wenig Fachkräfte mit abgeschlossener Lehre, sowie Meister und Techniker auf dem Arbeitsmarkt vorfinden. Unter der Voraussetzung, dass die Erwerbsbeteiligung erheblich steigt (Veränderungsvariante) und der Bedarf quantitativ und qualitativ gleich bleibt, wird die baden-württembergische Wirtschaft auch in den Jahren 2020 und 2030 ein quantitativ und qualitativ ausreichendes Angebot an Fachkräften auf dem Arbeitsmarkt vorfinden.

Fazit

Aus dem demografischen Wandel ergeben sich Herausforderungen für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft:

  • Bei konstanter Erwerbsbeteiligung wird sich zukünftig das Zahlenverhältnis von Erwerbspersonen zu Nichterwerbspersonen und folglich auch das von Einzahlern in die sozialen Sicherungssysteme gegenüber den Leistungsempfängern eklatant verschieben. Diese Schieflage dürfte große Probleme für die öffentlichen Haushalte, die Systeme der sozialen Sicherung aber auch das Gesundheitswesen nach sich ziehen. Unter der Voraussetzung einer steigenden Erwerbsbeteiligung könnten hingegen die Lasten der sozialen Sicherungssysteme auf mehr Schultern verteilt werden. Eine höhere Erwerbsbeteiligung könnte durch kürzere Ausbildungszeiten, späteren Übergang in den Ruhestand und eine höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen erreicht werden.
  • Eine für die Konkurrenzfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Baden-Württemberg nachteilige Entwicklung könnte entstehen, wenn infolge konstanter Erwerbsbeteiligung nicht nur die Zahl der Erwerbspersonen insgesamt rückläufig ist, sondern auch weniger Fachkräfte auf dem Markt sind. Auch hier könnte eine höhere Erwerbsbeteiligung für Entspannung sorgen. Vor dem Hintergrund, dass unter den Erwerbspersonen weniger junge Menschen sein werden, ist es von großer Bedeutung, diesen nachwachsenden Generationen die bestmögliche schulische und berufliche Ausbildung zukommen zu lassen. In der diesem Beitrag zugrunde liegenden Rechenvariante hinsichtlich der zukünftigen Bildungsstruktur wurde unterstellt, dass auch zukünftige Generationen das Bildungsniveau der heute jungen Menschen erreichen. Dies ist jedoch keine Selbstverständlichkeit, sondern bedarf größerer Anstrengungen. Die PISA-Studien der letzten Jahre haben gezeigt, dass in Deutschland ein Nachholbedarf hinsichtlich der Qualität des Bildungswesens besteht. Die Daten der amtlichen Statistik über die Qualifikation junger Menschen zeigen außerdem, dass das Potenzial von Migranten bislang nur unzureichend genutzt wird. Vor dem Hintergrund, dass heute jeder dritte Jugendliche unter 18 Jahren in Baden-Württemberg einen Migrationshintergrund aufweist, ist eine angemessene Förderung dieser Bevölkerungsgruppe und eine gute schulische und berufliche Ausbildung aller jungen Menschen eine wesentliche Strategie für die Sicherung des Wirtschaftsstandorts Baden-Württemberg.

Sowohl bei konstanter als auch bei steigender Erwerbsbeteiligung ist für die nächsten Jahre und Jahrzehnte damit zu rechnen, dass immer weniger junge und immer mehr ältere Arbeitnehmer den Markt an Arbeitskräften bilden werden. Die Unternehmen werden Wege finden müssen, mit Belegschaften, die aus wesentlich mehr älteren Arbeitnehmern bestehen als heute, auf dem Markt konkurrenzfähig zu bleiben. Dies kann nur dann gelingen, wenn die Potenziale älterer Arbeitnehmer angemessen genutzt werden. Bislang gelten ältere Arbeitnehmer häufig als weniger leistungsfähig, weniger kreativ und weniger innovativ. Diese vermeintlichen Defizite haben bislang dazu beigetragen, dass ältere Arbeitnehmer – ungeachtet ihrer unbestrittenen Vorzüge wie Erfahrungswissen und soziale Kompetenz – häufig lange vor dem Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze aus dem Arbeitsleben ausgegliedert wurden. Die gegenüber jüngeren Arbeitnehmern gesehenen Defizite dürften jedoch auch darauf beruhen, dass ältere Arbeitnehmer nicht optimal gefördert wurden, weil genügend jüngere (und billigere) Arbeitskräfte zur Verfügung standen. Maßnahmen wie lebenslanges Lernen, Erhalt bzw. Steigerung der beruflichen Qualifikation, nachhaltige Gesundheitsförderung aber auch eine Unternehmenskultur, die die Potenziale älterer Arbeitnehmer zu schätzen und zu nutzen weiß, dürften deshalb wesentliche Strategien zur Sicherung der Wettbewerbs- und Konkurrenzfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Baden-Württemberg darstellen.2