:: 10/2007

Die italienische Gemeinde in Baden-Württemberg

Überlegungen und Bemerkungen zum schwierigen Integrationsverlauf

Um näher auf die Situation, die Probleme und Perspektiven der italienischen Gemeinde in Baden-Württemberg eingehen zu können, muss man sich zunächst die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen dieses Bundeslands vor Augen führen, das seit den 50er-Jahren eines der Hauptziele der italienischen Emigration nach Deutschland und Nordeuropa bildete.

Auch ist hervorzuheben, dass Italien unter den Handelspartnern Baden-Württembergs an dritter Stelle steht, zumal letzteres den Bestimmungsort für 25 % des gesamten italienischen Exports nach Deutschland darstellt. Die wirtschaftliche Bedeutung dieses Landes im allgemeinen Kontext der deutsch-italienischen Beziehungen ist nicht nur auf die Stärke seiner Industriestruktur und auf die geografische Nähe zu Italien zurückzuführen, sondern auch auf die Präsenz einer umfangreichen italienischen Gemeinschaft, welche im Großen und Ganzen italienische Produkte bevorzugt. Die zwischen Baden-Württemberg und Italien bestehenden Beziehungen in Wirtschaft und Handel zeigen wie so oft, dass eine im Ausland lebende italienische Gemeinde einen nicht zu unterschätzenden konkreten Beitrag zum »System Italien« leistet und garantiert.

Das Land Baden-Württemberg

Wenn wir in Italien auf gewisse Charakteristika des »Triveneto« hinweisen wollen, dann verwenden wir oftmals den Begriff »Nordosten«, der für eine klare und positive Bedeutung in wirtschaftlichem Sinne steht. Auf nahezu analoge Weise wird in der deutschen Presse Baden-Württemberg gerne als der Südwesten bezeichnet. Dank seiner technologisch hoch entwickelten Industriestruktur besitzt Baden-Württemberg als das drittgrößte Bundesland Deutschlands im Hinblick auf Bevölkerung (10,7 Mill. Bürger), Fläche (35 751 km) und Bruttosozialprodukt (337 Mrd. Euro) in der Tat eines der stärksten und stabilsten Wirtschaftssysteme Deutschlands. Dieses basiert vorwiegend auf kleinen und mittelständischen Betrieben, die vorrangig in den jeweiligen Produktionszentren angesiedelt sind und die sich durch ihre Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt auszeichnen. Jedoch stützt sich die Wirtschaft Baden-Württembergs auch auf die tief verwurzelte Präsenz von Weltfirmen wie DaimlerChrysler, Bosch und Porsche, die schon immer als die Quelle regionalen Wohlstands, als Arbeitsplatzgaranten und sogar als nationale Markenzeichen gesehen werden. Die Verankerung deren organischer Struktur auf dem Gebiet und unter der Bevölkerung Baden-Württembergs ist in gewisser Weise mit der des jahrzehntelangen Wirtschaftswunders FIAT und der damit verbundenen Automobilindustrie zu vergleichen.

Baden-Württemberg weist gegenüber anderen deutschen Bundesländern immer noch eine Wirtschaftsstruktur auf, deren stark ausgeprägter Industriesektor 30 % des Bruttosozialprodukts ausmacht. Außerdem handelt es sich hierbei um eine der innovativsten und dynamischsten Regionen Europas, in der 3,5 % der zur Verfügung stehenden Geldmittel für Forschung und Entwicklung bereitgestellt werden.

Die Stärke des Industrieapparats hat es diesem Bundesland ermöglicht, die Arbeitslosenrate relativ gering zu halten (5,4 %) und somit deutlich unter dem Bundesdurchschnitt von 9,8 % (Stand März 2007) zu bleiben. Darüber hinaus konnte hier Ende 2006 dank des Konjunkturaufschwungs, der vor allem dem steigenden Export zu verdanken ist, die höchste Wachstumsrate Westeuropas in Höhe von 3,5 % verzeichnet werden. Die günstige konjunkturelle Lage macht sich allmählich auf dem Arbeitsmarkt bemerkbar und bietet den Jüngeren unter der Bevölkerung bessere Chancen bei der Suche nach ihrem ersten Arbeitsplatz.

Allerdings zögern die Betriebe auch weiterhin bei der Einstellung von gering qualifizierten Arbeitskräften, benötigen sie doch hauptsächlich Facharbeiter. Im Laufe des Jahres 2006 ging die Zahl der in den verschiedenen Industriezweigen Beschäftigten um insgesamt 10 000 zurück und stabilisierte sich bei etwas weniger als 1,2 Mill. Beschäftigten – dem niedrigsten Niveau in der Industrie während der letzten 10 Jahre, was 82 000 Arbeitsplätze weniger bedeutet als im Rekordjahr 2001. Die laufenden Umstrukturierungs- und Rationalisierungsmaßnahmen (vor allem bei DaimlerChrysler) haben zu einem Verlust von 5 600 Arbeitsplätzen geführt. Auch in der Baubranche nahm die Zahl der Beschäftigten um 2 100 ab. Lediglich das hervorragende Ergebnis im Tertiärsektor ermöglichte es Baden-Württemberg, das Beschäftigungsniveau durch die Schaffung von 15 000 Arbeitsplätzen bei den bedeutendsten Dienstleistungsunternehmen beizubehalten bzw. zu verbessern.

Somit fällt das wirtschaftliche Wachstum Baden-Württembergs stärker aus als anderswo, wobei einige traditionelle Industriezweige – wie der Kraftfahrzeug- und Maschinenbau – nach wie vor die treibende Kraft darstellen und in der Lage sind, sich auf dem neuen Weltmarkt zu behaupten. Dies ist aber allein dem Rationalisierungsprozess zu verdanken, durch den das am Fließband tätige Personal reduziert wird, um Kosten zu senken und die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen.

Gerade diese Entwicklung in der Wirtschaft des Landes ist besonders hervorzuheben, da durch sie der Bedarf an nicht qualifizierten Arbeitskräften zurückgeht. Die Leidtragenden sind insbesondere ältere Arbeitnehmer, die aus den Produktionszyklen herausfallen und kaum wieder auf dem Arbeitsmarkt unterkommen können. Noch schlimmer sind hiervon jedoch junge Menschen betroffen, welche die Schule ohne einen nennenswerten Abschluss beenden und daher weder zu höheren Schulen noch zu Ausbildungsplätzen Zugang erhalten. Ohne Berufsausbildung gibt es in Deutschland kein Fortkommen. Dies stellt sicherlich ein generelles Problem dar, das auch Deutsche treffen kann, besonders ausgeprägt und dramatisch ist jedoch die Situation der Ausländer einschließlich die der Italiener. Man bedenke nur, dass die Arbeitslosenrate der Italiener bei 14 % liegt und unter der jungen Generation auf bis zu 20 % ansteigt, währenddessen der regionale Durchschnitt sich auf weniger als 6 % beläuft. Das Auseinanderklaffen der Schere ist nach inzwischen 50 Jahren Emigration nach Deutschland auf sozialer Ebene nicht mehr zu akzeptieren.

Um es kurz zu fassen, Baden-Württemberg ist nicht mehr das Land, das vor 50 Jahren unsere ersten Emigranten kennengelernt haben. Damals waren die großen Fabriken in der Lage, sämtliche verfügbaren Arbeitskräfte aufzunehmen und den Migranten, nach denen das Land für seine Industrieentwicklung verlangte, Arbeitsplätze zu garantieren. Heute dagegen ist in Baden-Württemberg ein Tertiarisierungsprozess im Gange. Der Dienstleistungssektor weitet sich aus, wodurch in zunehmendem Maße qualifizierte und spezialisierte Arbeitskräfte eingestellt werden.

Nach einer jüngsten Studie des Statistischen Landesamts Baden-Württembergs tendiert der Arbeitsmarkt gerade durch den strukturellen Wirtschaftswandel auf der einen Seite zu einer Ausgrenzung nicht qualifizierter Arbeitnehmer und andererseits allmählich zu einem Mangel an Fachkräften, der sich in den nächsten 15 Jahren zuspitzen und das Wachstum bremsen könnte. Aus diesem Grunde – so die Schlussfolgerung oben genannter Studie – muss das Schul- und Ausbildungsniveau junger Ausländer angehoben werden, das derzeitig deutlich unter dem der Deutschen liegt. Es genügt, hier auf einen Anteil von 36 % der zwischen 30- und 35-jährigen Ausländer ohne Berufsausbildung zu verweisen, der sich unter den Deutschen auf 8 % beläuft. Folglich geht es nun darum, das Potenzial des wachsenden Bevölkerungsanteils mit Migrationshintergrund, der in Baden-Württemberg 2,7 Mill. Bürger umfasst, auf bestmögliche Weise auszuschöpfen, damit sich dieser nicht zu einer schweren Bürde, sondern vielmehr zu einer Ressource für die hiesige Gesellschaft entwickelt. Die betreffende Studie bringt daher zum Ausdruck, dass man sich auf deutscher Seite so langsam – wenn auch nur schwerlich – darüber bewusst wird, dass der Integrationsprozess der jungen ausländischen (italienischen) Generation ein ernstes Problem für die lokale Gesellschaft darstellt, das unter die Verantwortlichkeit der öffentlichen Institutionen fällt.

Die italienische Gemeinde

Die wirtschaftliche Entwicklung der Region bildet den kritischen Punkt, von dem möglicherweise jegliche Aussicht auf Emanzipation der italienischen Gemeinde in Baden-Württemberg abhängig sein wird, zumal sich die Italiener schwertun, mit dem sozioökonomischen Wandel Schritt zu halten.

Von nicht allzu wichtiger Bedeutung erscheint das Erforschen der Herkunft und der Geschichte der italienischen Gemeinde in Baden-Württemberg. Hingegen gilt es, im Wesentlichen eine Vorstellung von den allgemeinen Lebensbedingungen der Italiener heute zu vermitteln. Allerdings dürfen wir hierbei nicht vergessen, dass die Art und Weise, wie sich die italienische Gemeinschaft im Laufe der Jahrzehnte gebildet und entwickelt hat, ausschlaggebend ist für ihre heutigen Merkmale. So leidet unsere Gemeinde immer noch an einigen strukturellen Defiziten, die im Zusammenhang mit ihren sozioökonomischen und kulturellen Wurzeln stehen und die ihre Integration in die hiesige Gesellschaft verzögert haben.

Die italienische Emigration nach Baden-Württemberg stammte größtenteils aus Süditalien und nahm Mitte der 50er-Jahre ihren Anfang. Am stärksten war sie in den 60er- und 70er-Jahren ausgeprägt. Heute kann man von einer stabilen Gemeinde sprechen, die nach der in Buenos Aires und Rio de Janeiro die zahlenmäßig größte im Ausland lebende italienische Gemeinschaft in Europa und in der Welt bildet. In Europa haben sich die Italiener im Ausland am stärksten in Stuttgart und dessen umliegenden Industriegebieten konzentriert (über 40 000). Die Zu- und Wegzüge betreffen nur einen kleinen Prozentsatz der italienischen Bürger. Letztere können sowohl der ersten als auch der dritten Generation von Auswanderern angehören, das heißt es geht um Erwachsene, die vor 30, 40 oder 50 Jahren aus Italien zugezogen oder aber um junge Menschen, die hier geboren und aufgewachsen sind. Nur noch selten handelt es sich im Falle der begrenzten Zuwanderung aus Italien um ganze Familien, da letztere vorwiegend zu Studien- oder Forschungszwecken oder im Rahmen einer selbstständigen Tätigkeit stattfindet und deshalb mehr vorübergehender Natur ist und sich jedenfalls stark von der Emigration in der unmittelbaren Nachkriegszeit unterscheidet.

Zum 31. Dezember 2006 beliefen sich die in ganz Baden-Württemberg ansässigen Italiener auf 165 992 und somit auf circa 13 % der gesamten ausländischen Bevölkerung (1 277 968) bzw. auf 1,57 % der Gesamtbevölkerung des Landes. 2005 waren es 169 033, 2004 172 557 und 2003 182 081 (Schaubild 1). Die Tendenz ist also sinkend, was auf die Negativdifferenz zwischen Zuzug und Rückkehr zurückzuführen ist, jedoch sicherlich auch auf die große Zahl derjenigen, die zwar als Kinder italienischer Eltern in Deutschland zur Welt gekommen sind und daher auch die italienische Staatsbürgerschaft besitzen, die aber aufgrund der neuen Bundesgesetzgebung über die Staatsangehörigkeit aus dem Jahr 2000 als Deutsche betrachtet und vom Statistischen Landesamt nicht mehr als Italiener erfasst werden.

Es gilt daher, die demografische Entwicklung der italienischen Bevölkerungsgruppe nach dem Inkrafttreten oben genannter neuer Gesetzgebung ins Auge zu fassen. Laut dem Statistischen Landesamt wurden zum 31. Dezember 2006 im Konsularbezirk Stuttgart, der ganz Baden-Württemberg umfasst mit Ausnahme von Südbaden, den Land- und Stadtkreisen Mannheim, Heidelberg und Rhein-Neckar, 115 772 hier wohnhafte Italiener gezählt. Dagegen betrug die Zahl der Italiener zum 31. März 2007 im Melderegister des Generalkonsulates, in dem auch Doppelstaater erfasst sind, 132 312. Zwischen dem Konsularregister und den deutschen statistischen Quellen besteht somit eine Differenz, die nach einer gebührenden Aktualisierung der Daten im Großen und Ganzen der Zahl der Doppelstaater entspricht. Dieser Unterschied beläuft sich inzwischen schon auf 14 % der italienischen Gemeinde insgesamt und wird während der nächsten 10 Jahre stetig zunehmen (wie es in anderen Ländern – zum Beispiel in denen Südamerikas – bereits der Fall ist), da in das konsularische Melderegister weiterhin die Doppelstaater – einschließlich die nach dem Jahr 2000 geborenen – einfließen werden, wohingegen die lokalen offiziellen Statistiken sie nicht der italienischen Bevölkerung zurechnen. Von Bedeutung bleibt für letztere nur die erste Staatsbürgerschaft, das heißt die deutsche, selbst im Falle von Kindern, deren Elternteile beide Italiener sind.

Auch wenn es für eine präzise Bewertung dieses Phänomens genauerer Informationen über die statistischen Erhebungsmethoden bedarf, wird man notwendigerweise nicht mehr ausschließlich von einer italienischen Gemeinde sprechen können, sondern auch von Deutschen italienischer Abstammung. Diese Entwicklung, die für die privaten und öffentlichen italienischen Institutionen geradezu als revolutionär in der Geschichte der italienischen Gemeinde in Deutschland erscheint, ist auf mittlere bis lange Sicht näher zu betrachten. Schon jetzt lässt sich allerdings vorhersagen, dass der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch die Geburt den Integrationsprozess der italienischen Gemeinschaft erheblich beschleunigen könnte, wie es die Dynamiken in der geschichtlichen Entwicklung unserer Gemeinden in den Vereinigten Staaten, in Südamerika oder in Belgien und Frankreich gezeigt haben.

Der schwierige Verlauf der Integration

Wie bereits erwähnt gehört die italienische Gemeinschaft in Baden-Württemberg bzw. in ganz Deutschland zu den zahlenmäßig größten in Europa und in der Welt, jedoch ist ihr politisches und kulturelles Gewicht in der hiesigen Gesellschaft gering und entspricht jedenfalls nicht der großen Anzahl ihrer Bürger. Der Übergang von der ersten zur zweiten und später zur dritten Generation brachte unter den Restaurantbesitzern und Arbeitern der Firma Bosch oder Mercedes keine Ärzte, Rechtsanwälte, Lehrer oder Beamten hervor, wie es in anderen von den Italienern gewählten Einwanderungsländern (Amerika, Frankreich, Belgien) geschehen ist.

Wenn man sich mit den Deutschen unterhält, so bekommt man stets Ermutigendes und Beruhigendes zu hören. So sagt man gern, dass die italienische Emigration nach Deutschland erfolgreich verlaufen sei und die Italiener im Allgemeinen gut in die Gesellschaft integriert seien. Insbesondere sind bei der Behandlung der sogenannten Ausländerfrage nicht die Italiener gemeint, sondern andere ausländische Bevölkerungsgruppen, die durch ihr Verhalten ein soziales Problem aufwerfen. Nach der deutschen öffentlichen Meinung weisen die Italiener unter den verschiedenen Nationalitäten den höchsten Integrationsindex auf. Zu diesem positiven Urteil trägt die Vertrautheit bei, die zu allem Italienischen besteht: zu dessen Kultur, Gastronomie, Mode und Kunst. Die Deutschen schätzen einige Aspekte unseres nationalen Charakters wie beispielsweise unseren Fleiß und unsere Erfindungsgabe. Auch wird von ihnen der große Beitrag anerkannt, den die italienischen Arbeitskräfte in der Nachkriegszeit zum Wachstum der deutschen Wirtschaft erbracht haben.

Lange ist es her und vorbei sind die Zeiten, als sich gewisse ausländerfeindliche Äußerungen der deutschen Bevölkerung noch auf die Italiener konzentrierten, die als erste Ausländergruppe eingetroffen waren und lange Zeit den größten ausländischen Anteil gebildet hatten. Besagte Haltung war in gewisser Weise auch durch den letzten Krieg begründet. Jedoch entwickelte man in den darauffolgenden Jahrzehnten ein positives, wenn auch teilweise klischeehaftes Bild von den Italienern, das in bestimmten Fällen alte Vorurteile nicht nur über unsere hier lebenden Landsleute, sondern über ganz Italien weckt. Hierzu liefert die lokale Presse – selbst die eines gehobeneren Niveaus – ihren fragwürdigen Beitrag, wie uns die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 lehrte.

Oben genanntes Bild entspricht zwar durchaus der Wahrheit, spiegelt aber leider nur einen Teil von dieser wider. So ist es sicherlich richtig, dass die Italiener in Baden-Württemberg (bzw. in Deutschland) keine problematische Gemeinschaft darstellen, insoweit als sie sich in die Produktionszyklen eingefügt haben und für ihren Fleiß und ihre Zuverlässigkeit geschätzt werden. Sie leben in den verschiedenen Städten des Landes, die von Stuttgart bis Mannheim und von Freiburg im Breisgau bis Lörrach reichen, in Gemeinschaften von je 5 000 bis 15 000 Bürgern, die weder isoliert von der lokalen Bevölkerung noch in Gettos leben. Dies ist vor allem in den verschiedenen Zentren im Schwarzwald festzustellen, wo die Italiener einheimische Gewohnheiten und Traditionen angenommen haben und lokalen Vereinen beigetreten sind oder solche gegründet haben. Aber auch in Städten wie Stuttgart und in größeren industriellen Ballungszentren ist bei den Italienern keine Isolation oder Marginalisierung zu beobachten, die über das normale Ausmaß solcher Erscheinungen in einer modernen Gesellschaft hinausgehen. Auch die bedeutsame und prägende Zahl der Mischehen zwischen Deutschen und Italienern ist inzwischen keine Seltenheit mehr.

Die oben beschriebene Einstufung der Italiener findet auch in den Kriminalstatistiken, die ein sehr beruhigendes Bild zeichnen, ihre Bestätigung. Unter diesem Gesichtspunkt kommt das Verhalten der Italiener nahezu dem der Deutschen gleich, von welchem sich hingegen das anderer ausländischer Bevölkerungsgruppen unterscheidet. So haben die Gerichte Baden-Württembergs im Jahr 2005 124 640 Verurteilungen vorgenommen, die bezogen auf die Gesamtbevölkerung des Landes einer Kriminalitätsrate von 1,16 % entsprechen. Dieser Wert liegt bei den Italienern, die 169 033 Bürger umfassen und in 2 481 Fällen verurteilt wurden, bei 1,47 %. Dagegen liegt der allgemeine Prozentsatz der Ausländer in Höhe von 2,5 % bei einer Bevölkerungsgruppe von 1 277 968 Personen deutlich höher. Derzeit befinden sich in den lokalen Haftanstalten circa 251 Italiener, von denen 63 noch auf das Urteil warten und außerdem nicht alle hier wohnhaft sind und somit nicht der hiesigen italienischen Gemeinde angehören.

Man kann also sagen, dass aus juristischer und wirtschaftlich-sozialer Sicht eine Integration stattgefunden hat, die sicherlich die materiellen Ausgangsbedingungen der Italiener verbessert und zur Verbreitung von Wohlstand geführt hat. Aber auch nach 50 Jahren – wir sind mittlerweile bei der dritten Generation – findet die Integration der Italiener nur in den unteren Schichten der hiesigen Gesellschaft statt. Unsere Landsleute gehören weder zur Ober- noch zur Mittelschicht. Mit anderen Worten, es fand kein nennenswerter Aufstieg von einer Generation zur nächsten statt.

Betrachtet man den Werdegang der italienischen Bevölkerung in Baden-Württemberg, so fallen zwei negative Charakteristika auf, die ganz im Gegensatz zu dem Verlauf der Emigration in den Ländern Lateinamerikas, in Frankreich und in den Vereinigten Staaten von Amerika stehen: der größte Teil der italienischen Arbeiter und ihrer Angehörigen hat sich in gesellschaftlicher und kultureller Hinsicht nicht weiterentwickelt, sondern ist von einer Generation zur nächsten übergegangen, fast ohne dass dabei tatsächlich ein Fortschritt zu beobachten wäre; die Ströme von Migranten aus Ländern, die im Vergleich zu Italien weniger entwickelt sind, haben nicht dazu geführt, dass die italienische Bevölkerungsgruppe auf der gesellschaftlichen Leiter weiter nach oben rückt.

Die italienische Gemeinschaft in Baden-Württemberg hat sicherlich für sich Nischen eines isolierten aber soliden Wohlstands gefunden. Es sind viele italienische Unternehmen entstanden, die von einfachen Gaststätten bis zum Luxusrestaurant reichen, von Eisdielen und Autowerkstätten zu Elektrikerbetrieben und Bauunternehmungen, von Schneidereien bis hin zu Modeateliers und von Lebensmittelgeschäften bis zu Delikatessläden, die Wein und andere typisch italienische Produkte verkaufen. Zu erwähnen bleibt noch der Markt der Luxusartikel: Vertretungen von Markenartikeln und weltweit vertriebener Produkte in den Bereichen Mode und Design sowie sämtliche italienischen Gastronomiebetriebe mit ihrer oft großen Zahl an Mitarbeitern.

In der italienischen Gesellschaft ist eine Bürgerschicht aus Geschäftsleuten entstanden, die sich von der Masse der abhängig Beschäftigten abhebt und die oft einen gewissen sozialen Status erreicht hat. Diese Schicht hat für Wohlstand in der italienischen Gesellschaft gesorgt. Weiterhin hat sie eine wichtige Funktion bei der Förderung und Ausdehnung des »Systems Italien« ausgeübt (siehe den Stuttgarter Feinkost- und Weinhandel der Brüder Di Gennaro). Man denke nur daran, dass fast 50 % aller italienischen Kraftfahrzeuge, die nach Deutschland exportiert werden, nach Baden-Württemberg gelangen, einem Bundesland in das 25 % des gesamten italienischen Exports fließt (Schaubild 2).

Aber trotz des zweifellos vorhandenen wirtschaftlichen Erfolgs ist auch diese italienische Schicht im Wesentlichen unter sich geblieben und hat nur wenig Verbindung zum restlichen sozialen und kulturellen Leben. Außerdem ist ihre Fähigkeit zur Interaktion außerhalb eines begrenzten italienischen Personenkreises sehr gering. Ein Unternehmen zu gründen ist jedenfalls auch heute noch der einzige Weg für die italienische Gemeinschaft in Baden-Württemberg, sich auf gesellschaftlichem Gebiet weiterzuentwickeln.

Ursachen und Schwierigkeiten im Integrationsprozess

Hier stellt sich die grundlegende Frage: Warum ist der Prozess der wirtschaftlichen Integration der italienischen Bevölkerung nicht einhergegangen mit einer sozialen und kulturellen Emanzipation wie es in anderen europäischen und außereuropäischen Ländern, in die viele Italiener ausgewandert sind, der Fall war?

Die Gründe sind vielfältig und sowohl subjektiver als auch objektiver Art. Manchmal hängen sie mit der soziokulturellen Herkunft der Personen zusammen. Oder sie sind auf Situationen zurückzuführen, die die deutsche Gesellschaft geschaffen hat, die – so muss man hier vorausschicken – in der Vergangenheit sicherlich nicht die Integration der Italiener und anderer Ausländer gefördert haben. Man muss weiterhin bedenken, dass die deutsche Sprache immer eine psychologische Barriere bei gesellschaftlichen und persönlichen Kontakten dargestellt hat. Dies war in Einwanderungsländern, in denen Französisch, Englisch oder Spanisch gesprochen wird, weniger der Fall. Auch die Gesetzgebung zum Thema Staatsangehörigkeit, die in Deutschland bis zum Jahr 2000 nur eine begrenzte Zahl an Einbürgerungen zuließ, stellte somit beim Integrationsprozess der Ausländer eine unüberwindliche Hürde fast »ideologischer« Art dar. Zuvorderst unter den Ursachen steht schließlich die Schule, in der italienische Kinder von Anfang an gegen ungünstige Bedingungen in ihrer Schullaufbahn kämpfen müssen.

Um zu einem unmittelbaren Überblick über diese Gegebenheiten zu gelangen, genügt es, kurz die schulische Situation unserer Landsleute zu betrachten. Damit ist der schulische Misserfolg gemeint, der für die jüngeren Generationen immer noch charakteristisch ist und der den Zugang zum Ausbildungsmarkt und damit zum Arbeitsleben erschwert. Letzterer erfolgt, sofern er überhaupt stattfindet, in der Regel auf niedrigem Niveau.

Wenn man – wie uns die Wissenschaftler im Allgemeinen lehren – an der Eingliederung in das lokale Schulsystem den Grad der Integration einer nationalen Minderheit in eine moderne Gesellschaft messen kann, dann bleibt die Situation der Italiener dramatisch und mit einem hohen Risiko auch für die nachfolgenden Generationen behaftet.

So sind die jüngsten statistischen Angaben über die schulische Laufbahn italienischer Kinder in Baden-Württemberg auch eher besorgniserregend: von 2 061 italienischen Schülern besucht nur eine geringe Zahl das Gymnasium (6 %) oder die Realschule (13 %), das heißt Schulen, die zu einer höheren Ausbildung führen (Schaubild 3). Diese Prozentzahlen liegen deutlich unter dem allgemeinen Durchschnitt von 26 % bzw. 19 %. Der Unterschied ist grundlegend, da aus beiden Schultypen die Führungs- und Mittelschicht wie auch die Fachkräfte hervorgehen. Das bedeutet, dass in der nächsten Generation die sozialen Aufstiegschancen der Italiener immer noch gefährdet sind. Ein weiterer unerfreulicher Punkt ist die hohe Zahl italienischer Schulkinder in den Sonderschulen, die in Baden-Württemberg bei circa 10 % liegt im Vergleich zu 3,6 % im Bundesdurchschnitt.

Aber auch den italienischen Kindern insgesamt geht es nicht besser: circa 70 % von ihnen besuchen die Grund- und Hauptschule, die am wenigsten qualifizierenden Schulen also, durch deren Besuch man der Schulpflicht nachkommt, die es jedoch nicht ermöglichen, einen auf dem Arbeitsmarkt gefragten Abschluss einer weiterführenden Schule zu erwerben.

Es ist also der niedrige Bildungsstand, der junge Italiener daran hindert beruflich voranzukommen und der es unmöglich macht, im Laufe des Lebens alle Chancen wahrzunehmen, die die hiesige Gesellschaft bietet. Der schulische Misserfolg verstärkt die ungünstigen Ausgangsbedingungen, die unsere Emigranten belasten und die sich von Anfang an als disqualifizierend für unsere Auswanderung nach Deutschland erwiesen haben, indem er jene Bedingungen immer wieder aufs Neue konsolidiert.

Misserfolg in der Schule

Um die derzeitige Situation der Italiener in Baden-Württemberg vollständig zu erfassen, müssen wir also unser Augenmerk auf die Schule richten und die wichtigsten Gründe analysieren, die unter den italienischen Jugendlichen der dritten Generation zwangsweise Schulleistungen erzeugen, die deutlich unter dem Durchschnitt der deutschen Altersgenossen liegen und die in einer postindustriellen Gesellschaft vollkommen unzureichend sind.

Die Faktoren, die im Ursprung des verbreiteten schulischen Misserfolgs der jüngeren italienischen Generationen liegen, sind unterschiedlich, in mancherlei Hinsicht überraschend und nicht leicht zu erklären, wenn man bedenkt, dass es sich um Italiener handelt, die im Allgemeinen hier geboren wurden oder die in sehr jungen Jahren nach Deutschland gekommen sind. Sie gehen hauptsächlich auf das Verhalten der Familien und auf den selektiven Charakter des deutschen Schulsystems zurück.

Es kommt allzu oft vor, dass italienische Familien sich als wenig aufmerksam erweisen, wenn es um schulische Angelegenheiten ihrer Kinder geht. Es besteht kein Zweifel, dass italienische Kinder zuhause nicht die notwendige Unterstützung erhalten, die sie bräuchten. Innerhalb der Familien können also die ersten Ursachen für schulischen Misserfolg entstehen, zumal die Eltern nicht verstehen, dass das Erlernen der deutschen Sprache eine unerlässliche Voraussetzung für einen normalen Schulverlauf ist, ohne den es unmöglich wird, eine Verbesserung der allgemeinen Lebenssituation zu erreichen.

Dieses geringe Interesse italienischer Familien an der Schulbildung ihrer Kinder lässt sich nun erklären, wenn man die italienische Emigration, die ambivalent und nicht vollständig vollzogen ist, näher betrachtet.

Der Traum von der »baldmöglichen Rückkehr in die Heimat« hat eine Gesellschaft geschaffen, die ständig »mit dem Koffer unter dem Bett« gelebt hat. Aber ein sicherer Arbeitsplatz und die darauf folgende Gründung einer Familie im Aufnahmeland haben unter den ersten Migranten dazu geführt, die Rückkehr nach Hause immer wieder zu verschieben. Somit wurde ein dauerhaftes Provisorium geschaffen. Die Tatsache, dass man Arbeit hatte, wurde als eine deutliche Verbesserung betrachtet im Vergleich zu den vorherigen Lebensbedingungen, vor denen man geflüchtet war und die von Unannehmlichkeiten, Bedrückung und Unsicherheit gekennzeichnet waren.

So gesehen wurde die Erfahrung der Emigration fast ausschließlich als eine wirtschaftliche Verbesserung erlebt und nicht auch als ein Mittel zur persönlichen Emanzipation. Deutschland als einziger Ausweg aus der Armut, in der man in Italien lebte, wurde daher für die erste Generation der Italiener zum Land, in dem man arbeitete, und das wirtschaftliche Perspektiven und die Möglichkeit eines gewissen Wohlstands eröffnete. Dabei blieb der Wunsch zur Rückkehr in die Heimat immer wach. In der ständigen Erwartung wieder in der Heimat zu leben, verzichtete man darauf, sich in anderen Bereichen zu behaupten und die soziale bzw. berufliche Situation zu verbessern. So hat zum Beispiel die Investition in ein eigenes Haus in Italien bei vielen Familien dazu geführt, die Arbeit als einzigen Lebensinhalt zu betrachten. Dabei wurde häufig die Familie und besonders der schulische Werdegang der Kinder vernachlässigt. Die Verfolgung dieses für sie vorrangigen Ziels, bei dem sich die mühsam erarbeitete finanzielle Sicherheit konkretisieren sollte, hat in vielen italienischen Familien dazu geführt, ihre Zeit im Ausland mit wenig Kontakten zur hiesigen Gesellschaft – ja man könnte fast sagen – losgelöst von dieser Gesellschaft zu verbringen.

Die zentrale Bedeutung der Familie, die auch nach Generationswechseln in der italienischen Gesellschaft nie abhanden gekommen ist, sowie die Eltern und Kindern gemeinsamen Verhaltensmuster und traditionellen Werte haben ihrerseits dazu geführt, dass Instabilität und Provisorien von der ersten Generation an die nachfolgenden weitergegeben wurden. Diese betrachteten wie ihre Eltern eine feste Anstellung mit einem sicheren Einkommen als das wichtigste Anliegen, wobei von vornherein auf ehrgeizigere Berufsziele verzichtet wurde. In dieser Einstellung wurden die jungen Menschen fast unbewusst von ihren Eltern unterstützt. So führte die Entscheidung, ob eine höhere Schule besucht wird oder nicht, nie zu Konflikten innerhalb der Familie.

Das, was für die erste Generation eine praktische Notwendigkeit war, wurde ein von allen bejahter Zustand. Auch wenn Kinder und Heranwachsende die von ihren Eltern erbrachten Opfer vielleicht nicht am eigenen Leibe verspürt hatten, so haben sie von ihnen dennoch die Angst es nicht zu schaffen übernommen und fanden sich daher mit einer schnell gefundenen Arbeit ab, auch wenn diese qualitativ unbefriedigend ist.

Es war also unvermeidbar, dass mit dem Festhalten an dieser Werteskala die Schulbildung unterbewertet und vernachlässigt wurde, obwohl diese unerlässlich ist für den kulturellen und beruflichen Aufstieg, der wiederum die einzige Möglichkeit für Menschen ausländischer Herkunft darstellt, ihre Lebensbedingungen grundlegend zu ändern.

Der selektive Charakter des deutschen Schulsystems ist eine Art Diskriminierung auf institutioneller Ebene, da es nicht ausreichend Rücksicht auf die besonderen Bedürfnisse ausländischer Schüler nimmt und vor allem nicht auf ihre benachteiligte Ausgangssituation. Im Übrigen haben verschiedene internationale Institutionen hervorgehoben, dass das deutsche Schulsystem eines der besten sei, was die Möglichkeiten betrifft, den Generationswechsel in den Oberschichten in allen Bereichen zu gewährleisten. Gleichzeitig wird jedoch zum Ausdruck gebracht, wie wenig sich dieses System an eine immer bunter werdende multikulturelle und vielsprachige Gesellschaft anpasst, die die anfänglichen Sprachschwierigkeiten der vielen ausländischen Kinder in den Schulklassen Baden-Württembergs nicht außer Acht lassen darf. Hinzukommt dass die Auffassung, wonach der Aufenthalt italienischer Familien in Deutschland nur vorübergehend ist, die örtlichen Behörden sicherlich nicht dazu bewogen hatte, sich der Schwierigkeiten italienischer Schüler auf ernsthafte Weise anzunehmen und Unterstützungsmöglichkeiten für deren schulischen und sozialen Integrationsprozess zu entwickeln.

Das aktuelle Schulsystem riskiert es daher, seiner grundlegenden institutionellen Aufgabe nicht gerecht zu werden, während zahlreiche ausländische Jugendliche, die wenig qualifiziert oder arbeitslos sind, Gefahr laufen, auf lange Sicht zu einer großen Last der örtlichen Gesellschaft zu werden.

Was kann und was muss man tun, um die Situation zu verbessern?

Das Ausmaß der Schwierigkeiten wird inzwischen auch von den deutschen Behörden wahrgenommen. Die Stadt Stuttgart mit ihrer weitsichtigen und engagierten Ausländerpolitik gibt diesbezüglich ein vorbildliches Beispiel ab.

Auch auf Bundesebene richtet sich die aktuelle Debatte über die Integration von Ausländern als ein für Bundeskanzlerin Merkel prioritäres Thema immer mehr auf den Bereich Schule. Aber die Zersplitterung des Schulsystems aufgrund der Zuständigkeit der einzelnen Bundesländer, in denen nicht nur unterschiedliche didaktische Einheiten behandelt werden, sondern auch allgemein verschiedene Ausrichtungen vorhanden sind, sowie der Widerstand vieler Bundesländer gegen strukturelle Veränderungen und die kurzfristige Umsetzung auch kleinerer Reformen lassen darauf schließen, dass ein langer und steiniger Weg bewältigt werden muss.

Natürlich wird obige Entwicklung von staatlicher italienischer Seite aktiv unterstützt, ohne jedoch hierbei deren Dauer und Ausgang bestimmen zu können. Die Wahrheit ist, dass unser Spielraum begrenzt ist. Daher ist bei unserer Arbeit nicht nur eine radikale Änderung unserer Vorgehensweise wichtig, sondern auch und vor allem ein von Grund auf neuer allgemeiner Ansatz.

Wir müssen zuallererst davon ausgehen, dass man nicht verlangen kann, das deutsche Schulsystem gänzlich und sofort zu verändern. Wir sollten auch vermeiden, uns nutzlosen Protesten und Kritiken hinzugeben, die zu nichts führen. Wir sollten pragmatisch vorgehen, indem wir die bestehenden Schwierigkeiten aufzeigen und konkrete Verbesserungsvorschläge einbringen, wo dies möglich ist.

Wir müssen uns darüber hinaus fragen, ob unsere Maßnahmen eine adäquate Antwort auf die aktuellen Bedürfnisse sind oder ob es vielmehr neuer Methoden und Inhalte bedarf.

Viel zu häufig haben wir uns auf die Durchführung des muttersprachlichen Unterrichts als eine gesonderte Frage konzentriert und haben es dabei sogar bei der Anwendung der in Italien üblichen Lehrpläne belassen. Wir haben auf diese Weise keine Verbindung zum hiesigen Schulsystem und zu den für unsere Kinder problematischen Aspekten hergestellt, aufgrund derer diese Gefahr laufen, in ihrer Schullaufbahn den Zug der kulturellen und beruflichen Emanzipation schon während der ersten Schuljahre zu verpassen.

Viel zu häufig haben wir uns auf die hohe Zahl der Schüler konzentriert, die die Sonderschule besuchen und dabei vergessen, dass fast sämtliche italienischen Schüler die deutsche Schule verlassen, ohne ihr Potenzial entfaltet zu haben. Zu oft und in zu starkem Maße haben wir uns darauf beschränkt, den diskriminierenden Charakter des deutschen Schulsystems zu beklagen, ohne konkret zu den örtlichen schulischen Strukturen sowie zwischen letzteren und den Familien ein Vertrauensverhältnis und Formen der Zusammenarbeit aufzubauen als der einzigen Möglichkeit, die objektive Selektivität des deutschen Schulsystems abzuschwächen und konkrete Ergebnisse – wenn auch nur teilweise, jedoch von grundlegender Bedeutung – zu erzielen.

Maßnahmen und Projekte

Es gibt leider keine schnellen und einfachen Lösungen, niemand hat, wie es so schön heißt, »einen Zauberstab« zur Hand. Man darf daher nicht locker lassen und muss vielmehr Tag für Tag geduldig daran arbeiten, dass alle Möglichkeiten genutzt werden, die dem Schulerfolg italienischer Kinder zugute kommen. Hierzu zählen eine engmaschige, an die Familien gerichtete Informationskampagne; Initiativen, die die deutschen Behörden sensibilisieren und anregen und die Aufmerksamkeit der lokalen Presse auf die Schulproblematik lenken sollen; die Auszeichnung durch das italienische Staatsoberhaupt, das den verdienstvollsten Schülern einen Preis verleiht; die Einrichtung bilingualer deutsch-italienischer Schulen in möglichst vielen deutschen Städten, um somit die italienische Sprache zu verbreiten und eine bessere schulische Integration italienischer Schüler zu erlangen. Dieselbe Zielsetzung wird mit den bereits laufenden Pilotprojekten verfolgt, durch die das Unterrichtsfach Italienisch sowie der Förderunterricht in das Angebot der Schulen eingegliedert werden soll (Einführung von Italienischunterricht in AGs an Ganztagsschulen, Tandemunterricht); ferner muss es Angebote für Schüler mit besonderen Schwierigkeiten geben (Koordinationslehrer), die den Italienischlehrerinnen und -lehrern hierbei eine Vermittlerrolle zwischen der Schule und den italienischen Familien übertragen.

Der Leitfaden sollte so aussehen, dass man sich um eine möglichst geschlossene Zusammenarbeit mit den deutschen Schulen bemüht, und zwar angefangen bei den Schulen, in denen italienische Schüler am stärksten vertreten sind. Dort liegt der Schlüssel zum Erfolg unserer Kinder und Jugendlichen.

Auf diese Art und Weise muss auch das Problem des Italienischunterrichts angegangen werden. Abgesehen vom Fall Rastatt ist es zweifellos so, dass die Schulbehörden tendenziell von der Art und Weise abrücken, in der der mutter-sprachliche Unterricht gemäß der EU-Richtlinie 77/486 bisher durchgeführt wurde. Mit Blick auf die Tatsache, dass durch die derzeitige Situation die Aussicht auf eine Rückkehr nach Italien in weite Ferne gerückt ist, betrachtet man diesen Unterricht als überholt und daher als unzweckmäßig (wenn nicht sogar als schädlich, wie behauptet wird) für den schulischen Erfolg insgesamt von Schülern mit Migrationshintergrund. Man muss sich jedoch auch eingestehen, dass die bisherige Durchführung des muttersprachlichen Unterrichts fast immer am Rande der deutschen Schule verlief und sich dadurch kaum zu einer zusätzlichen Ressource für den schulischen Erfolg der italienischen Kinder entwickelte.

Wir müssen auch weiterhin auf dem Prinzip bestehen, wonach die EU-Richtlinie den Ländern Pflichten auferlegt, denen sie sich nicht einseitig und gänzlich entziehen können, ohne mit Sanktionen durch die europäische Rechtsordnung rechnen zu müssen. Wir müssen in der Lage sein, Gegenvorschläge über neue Formen des Italienischunterrichts zu unterbreiten, der auch in Zukunft auf die Bedürfnisse unserer Landsleute abzustimmen und in das Unterrichtsangebot der Schulen einzugliedern ist. Dabei soll durch die Präsenz unserer Italienischlehrer – die gleichzeitig als potenzielle Tutoren fungieren – der Schulerfolg unserer Kinder und Jugendlichen in der deutschen Schule begünstigt werden. Darüber hinaus ist nicht so sehr die Anzahl der theoretisch gemeldeten Kurse (die möglicherweise nicht von allen eingeschriebenen Schülern besucht werden) von Bedeutung, als vielmehr ihre Qualität und vor allem ihre positive Auswirkung auf die Schullaufbahn der Schüler.

Den verschiedenen Kontakten, die wir täglich mit den zuständigen lokalen Behörden pflegen, entnehmen wir, dass die Deutschen die Probleme im Zusammenhang mit der schulischen Integration wahrgenommen haben und heute entschlossen dagegen angehen. So weisen sie in erster Linie darauf hin, dass das Erlernen der deutschen Sprache unerlässlich ist und dass die Mehrsprachigkeit eine Aufwertung erhalten muss. Dies deutet also auf eine Chance hin. Um diese nutzen zu können, müssen wir im Rahmen der gemeinsamen Bemühungen unseren Beitrag mit der gebührenden Qualität, Kontinuität und Zuverlässigkeit beisteuern. Nur so können wir uns in den lokalen schulischen Kontext integrieren.