:: 10/2007

Wirtschaftsleistung Baden-Württembergs seit 1970 versechsfacht

Innerhalb der vergangenen rund dreieinhalb Jahrzehnte hat sich die nominale, also in jeweiligen Preisen berechnete Wirtschaftsleistung Baden-Württembergs mehr als versechsfacht. Seit 1970 ist das Bruttoinlandsprodukt, als das umfassende Maß für den Wert der hierzulande insgesamt produzierten Waren und erbrachten Dienstleistungen, in jeweiligen Preisen von knapp 56 Mrd. Euro auf gut 337 Mrd. Euro im Jahr 2006 angestiegen. Baden-Württemberg ist damit gemessen an der Wirtschaftsleistung nach Nordrhein-Westfalen (502 Mrd. Euro) und Bayern (409 Mrd. Euro) das drittstärkste Bundesland. Die Preissteigerungen herausgerechnet, ergibt sich im Südwesten ein Anstieg der »realen« Wirtschaftsleistung seit 1970 von insgesamt über 130 % bzw. ein durchschnittliches jährliches Wirtschaftswachstum um rund + 2,3 % über den gesamten Zeitraum bis 2006.

Regionale Wirtschaftsentwicklung von 1970 bis 2006

Mit der Ende April dieses Jahres vorgelegten Rückrechnung der Datenreihen zur Wirtschaftsentwicklung in den Ländern des früheren Bundesgebiets für die Jahre 1970 bis 1991 knüpft der Arbeitskreis »Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder« (vgl. i-Punkt) an die bereits im Februar 2006 auf Basis der Revision der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR) 2005 veröffentlichten Länderergebnisse ab dem Jahr 1991 an. Damit liegen erstmals methodisch vergleichbare lange Zeitreihen der Gesamtrechnungsergebnisse auf Bundesländerebene nach der umfassenden VGR-Revision vor.

Mit der Revision 2005 hat der Arbeitskreis »VGR der Länder« seine Methodik und Berechnungsgrundlagen den geänderten internationalen Konventionen und neuen europäischen Rechtsvorschriften angepasst.1 Eine der wesentlichen methodischen Änderungen war dabei der Übergang auf eine jährlich wechselnde Vorjahrespreisbasis. Damit werden im Zuge der internationalen Harmonisierung der Preis- und Volumenmessung die (bisher) realen, jetzt als preisbereinigt bezeichneten VGR-Ergebnisse nach der Deflationierung nicht mehr in Preisen eines festen Basisjahres (zuletzt in Preisen von 1995), sondern stets in Preisen des jeweiligen Vorjahres dargestellt. So wird das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2006 in Preisen des Jahres 2005 abgebildet und entsprechend das preisbereinigte BIP 2005 in Preisen des Jahres 2004. Dies hat den Vorteil, dass so immer die aktuellen Preis- und Güterrelationen berücksichtigt werden. Die Veränderung des preisbereinigten BIP gegenüber dem Vorjahres-BIP (in jeweiligen Preisen) bezeichnet die Höhe des (realen) Wirtschaftswachstums.

Im langfristigen Vergleich weisen die Veränderungsraten des preisbereinigten BIP im Südwesten ausgeprägte Schwankungen auf. Sie reichen von maximal +6 ½ % Anfang der 70er-Jahre und rund +5 ½ % im vereinigungsbedingten Boomjahr 1990 bis hin zu −4,1 % im Rezessionsjahr 1993. Die Schwankungsbreite der Wachstumsraten ist demnach hierzulande vor allem infolge des hohen Anteils des sehr konjunkturreagiblen Verarbeitenden Gewerbes deutlich größer als im Bundesdurchschnitt. Zwischen 1970 und 2006 wurde auf Bundesebene der höchste Anstieg des preisbereinigten BIP im Jahr 1990 mit +5,3 % verzeichnet und im Jahr 1993 mit rund −2,2 % der stärkste Rückgang.

Wachstum der Südwestwirtschaft insgesamt überdurchschnittlich …

Im hier dargestellten Zeitraum von 1970 bis 2006 verlief die Wirtschaftsentwicklung in Baden-Württemberg mit einem jährlichen preisbereinigten BIP-Wachstum von gut 2,3 % im Vergleich zu den Ländern im früheren Bundesgebiet2, für die sich eine jährliche Zuwachsrate von durchschnittlich rund 2,1 % ergibt, etwas günstiger. Dies entspricht einem Anstieg der »realen« Wirtschaftsleistung seit 1970 – alle Preissteigerungen herausgerechnet – von insgesamt über 130 % im Südwesten bzw. von rund 112 % Plus im Durchschnitt der alten Bundesländer.2

Der Vergleich Baden-Württembergs mit den großen Flächenländern des früheren Bundesgebiets zeigt für Bayern, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen eine unterschiedliche Dynamik der langfristigen Wirtschaftsentwicklung. Über den gesamten Zeitraum 1970 bis 2006 erzielte Bayern mit einem durchschnittlichen jährlichen Anstieg des preisbereinigten BIP von +2,8 % das höchste Wirtschaftswachstum. Niedersachsen erreichte mit gut 2,0 % eine etwas niedrigere preisbereinigte Wachstumsrate als Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen blieb mit +1,6 % unter der 2%-Marke. Insgesamt entsprechen die durchschnittlichen jährlichen Wachstumsraten einer Steigerung der »realen« Wirtschaftsleistung seit 1970 von rund 174 % in Bayern, 106 % in Niedersachsen und knapp 75 % in Nordrhein-Westfalen.

In jeweiligen Preisen erreichte das baden-württembergische Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2006 einen Wert von gut 337 Mrd. Euro. Baden-Württembergs nominale Wirtschaftsleistung hat sich somit innerhalb der vergangenen rund dreieinhalb Jahrzehnte mehr als versechsfacht. Gemessen am BIP ist der Südweststaat damit das drittstärkste Bundesland. Eine höhere Wirtschaftsleistung erbringen nur Nordrhein-Westfalen mit 502 Mrd. und Bayern mit 409 Mrd. Euro, Niedersachsen kam auf rund 197 Mrd. Euro. Zusammen erwirtschafteten diese vier Bundesländer 2006 annähernd zwei Drittel des gesamtdeutschen Bruttoinlandsprodukts.

… aber mit abnehmender Zuwachsrate

Nach den vom Arbeitskreis »VGR der Länder« vorgelegten Rückrechnungsergebnissen des BIP lagen die Wachstumsraten in den 70er- und 80er-Jahren generell auf einem höheren Niveau als im vergangenen Jahrzehnt (Schaubild 1). Insgesamt hat sich demnach das Wirtschaftswachstum seit 1970 merklich verlangsamt. Während die Südwestwirtschaft in den Jahren 1971 bis 1980 noch ein jahresdurchschnittliches Wachstum von +3,2 % erzielen konnte, verringerte sich die Zuwachsrate des preisbereinigten Bruttoinlandsprodukts im Zeitraum 1981 bis 1990 bereits auf +2,8 % und im 10-Jahres-Durchschnitt 1991 bis 2000 weiter auf knapp +1,8 % bis zuletzt auf lediglich noch +1,1 % im Durchschnitt der Jahre 2001 bis 2006.

Für Deutschland insgesamt zeigt sich ein ähnliches Bild. Im Verlauf der letzten gut dreieinhalb Jahrzehnte hat sich das Wachstumstempo kontinuierlich vermindert, wobei die im früheren Bundesgebiet2 erzielten jahresdurchschnittlichen Wachstumsraten bis auf die 90er-Jahre etwas geringer ausfielen als im Südwesten. Zwischen 1970 und 1980 erhöhte sich die Wirtschaftsleistung im Länderdurchschnitt preisbereinigt um jährlich +2,9 %, in den 80er-Jahren um durchschnittlich +2,3 % und in den 90ern wie auch in Baden-Württemberg um +1,8 %. Im Durchschnitt der vergangenen 6 Jahre (2001 bis 2006) lag der jährliche BIP-Anstieg in den alten Ländern (ohne Berlin)2 schließlich mit rund 1 % wieder etwas unter der hiesigen Zuwachsrate.

Die 10-Jahres-Durchschnitte der Wachstumsraten werden überlagert von den Konjunkturzyklen. Das vergleichsweise hohe Wirtschaftswachstum in den 70er- und 80er-Jahren wurde jäh unterbrochen durch die beiden Ölkrisen 1974/75 und 1981/82 wovon sich die Südwestwirtschaft jedoch rasch wieder erholen konnte. Während die Auswirkungen der durch die Ölkrisen ausgelösten Rezessionsphasen auf den Südwesten mit einem Rückgang des BIP um rund 1 % im Jahr 1975 bzw. 0,3 % im Jahr 1982 ähnlich hoch waren wie im Bundesdurchschnitt, wurde die hiesige Wirtschaft durch die Rezession 1993 nach dem im vorhergehenden Wiedervereinigungsboom Deutschlands aufgetretenen hohen binnenwirtschaftlichen Wachstum besonders stark getroffen.

In Baden-Württemberg brach das preisbereinigte BIP 1993 um 4,1 % gegenüber dem Vorjahr ein, im Ländervergleich der zweitstärkste Rückgang vor dem Saarland (−4,2 %), während im Bundesdurchschnitt aufgrund des anhaltend hohen Wachstums in den neuen Ländern lediglich ein Rückgang um 0,8 % verzeichnet wurde. In der anschließenden Aufschwungphase konnte der Südwesten jedoch nicht mehr an das grundsätzlich höhere Niveau der früheren Jahre anknüpfen. Nach der erneuten Schwächeperiode 2002 bis 2004, ausgelöst unter anderem durch das abrupte Ende der überhitzten konjunkturellen Entwicklung in der Informationstechnologie- (IT) und Kommunikationsbranche mit dem Platzen der »IT-Blase«, deutet erst das relativ starke Wirtschaftswachstum 2006 den Beginn einer neuen Aufschwungphase an. Mit 3,5 % Zuwachs des preisbereinigten BIP im Jahr 2006 verzeichnete der Südwesten vor allem aufgrund der starken Auslandsnachfrage nach hiesigen Industriegütern ein deutlich höheres Wachstum als Deutschland insgesamt (+2,7 %) und damit die kräftigste konjunkturelle Belebung seit dem Boomjahr 2000 bzw. die zweithöchste Wachstumsrate der letzten 15 Jahre. Für 2007 zeichnet sich für Baden-Württemberg eine Wachstumsrate in ähnlicher Größenordnung ab.

Strukturwandel zugunsten der Dienstleistungsbereiche

In der baden-württembergischen Wirtschaft vollzog sich in den vergangenen gut dreieinhalb Jahrzehnten ein nachhaltiger Strukturwandel. Erbrachte in den 70er-Jahren das Produzierende Gewerbe – hierzu zählt unter anderem das Verarbeitende Gewerbe bzw. die Industrie, als wichtigster Tragpfeiler der hiesigen Wirtschaft – noch gut die Hälfte der gesamten Wirtschaftsleistung Baden-Württembergs, so steuerten bereits Anfang der 80er-Jahre die stark wachsenden Dienstleistungsbereiche den größeren Anteil zur gesamtwirtschaftlichen Bruttowertschöpfung (BWS) bei (Schaubild 2).

In den folgenden Jahren hat die Bedeutung des Produzierenden Gewerbes – im Einzelnen sind das die Bereiche Verarbeitendes Gewerbe, Baugewerbe, Energie- und Wasserversorgung sowie der Bergbau – weiter deutlich abgenommen. Im gesamten hier betrachteten Zeitraum reduzierte sich der Wertschöpfungsbeitrag des Produzierenden Gewerbes in Baden-Württemberg seit 1970 von rund 55 % bis auf etwa 39 % im Jahr 2006, wobei der größte BWS-Anteil vor allem auf das Verarbeitende Gewerbe mit rund 33 % entfällt. Der Südwesten weist nach wie vor mit Abstand den höchsten Industrialisierungsgrad unter den Bundesländern auf. In Deutschland insgesamt kommt die Industrie 2006 lediglich noch auf einen Wertschöpfungsanteil an der Gesamtwirtschaft von unter 24 % bei einem Beitrag des Produzierenden Gewerbes an der gesamten BWS in jeweiligen Preisen von knapp unter 30 %. Aus der Land- und Forstwirtschaft entstammen hierzulande inzwischen weniger als 1 % der Wertschöpfung gegenüber rund 3 % Anfang der 70er-Jahre.

Demgegenüber haben die Dienstleistungsbereiche – im Einzelnen sind dies unter anderem die Bereiche Handel, Verkehr und Nachrichtenübermittlung, Finanzierung; Vermietung und Unternehmensdienstleister – ihre gesamtwirtschaftliche Bedeutung kontinuierlich erhöht. In Baden-Württemberg stieg ihr Wertschöpfungsanteil von knapp 42 % im Jahr 1970 auf etwas über 60 % im Jahr 2006 an. Der Südwesten weist trotz der beachtlichen Aufholtendenz damit unter allen Bundesländern allerdings die niedrigste Dienstleistungsquote auf. In den Stadtstaaten Berlin und Hamburg erbringen die Dienstleister mittlerweile fast 82 % der gesamten Wirtschaftsleistung und in Deutschland insgesamt kommen die Dienstleistungsbereiche insgesamt auf gut 69 % Anteil an der BWS in jeweiligen Preisen. Bei diesem Vergleich ist jedoch zu berücksichtigen, dass in Baden-Württemberg von der Industrie zahlreiche Dienstleistungsfunktionen wie Forschung und Entwicklung selbst erbracht werden und die Städte Berlin und Hamburg im Hinblick auf ihre überragende zentralörtliche Bedeutung traditionell einen hohen Dienstleistungsanteil aufweisen.

Tertiarisierung gestoppt?

In den letzten Jahren hat sich der strukturelle Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungswirtschaft zunehmend verlangsamt und scheint zuletzt gänzlich zum Stillstand gekommen zu sein. Tendenziell ist in jüngster Zeit sogar eine gegenläufige Entwicklung aufgrund einer weitgehend konjunkturell bedingten Bedeutungszunahme des Industriesektors zu beobachten.

Nachdem im Südwesten seit Mitte der 90er-Jahre lediglich noch ein vergleichsweise schwacher Anstieg des Anteils der Dienstleistungsbereiche an der gesamten Bruttowertschöpfung in jeweiligen Preisen von gut 60 % im Jahr 1995 bis auf knapp über 61 % im Jahr 2003 zu verzeichnen war, ging der BWS-Anteil der Dienstleistungsbereiche innerhalb der vergangenen 3 Jahre nach Erreichen des bisherigen Höchststandes von 61,2 % Anteil 2003/04 erstmals wieder um rund einen Prozentpunkt zurück. Eine ähnliche Entwicklung zeichnet sich auch auf Bundesebene ab: seit 2003 reduzierte sich der Wertschöpfungsbeitrag der Dienstleister von ihrem bisherigen Höchstwert mit 70,1 % um einen Prozentpunkt auf 69,1 % im Jahr 2006.

Die sich jüngst strukturell abzeichnende Zunahme der gesamtwirtschaftlichen Bedeutung der Industrie gegenüber dem Dienstleistungssektor ist die Folge der unterschiedlichen Entwicklung der Wirtschaftsleistung in den einzelnen Wirtschaftsbereichen. So erzielte das Verarbeitende Gewerbe in Baden-Württemberg seit dem Jahr 2003 deutlich höhere jährliche Zuwächse der preisbereinigten Bruttowertschöpfung als die Dienstleister: Die Südwestindustrie konnte im Zeitraum von 2003 bis 2006 insgesamt einen preisbereinigten Wertschöpfungsanstieg um 14,4 % verbuchen, während sich für die Dienstleistungsbereiche in diesem Zeitraum lediglich ein Zuwachs um 2,9 % ergab.

Bis in die 90er-Jahre verlief die Entwicklung allerdings umgekehrt: Im Zuge der auch im Südwesten rasch fortschreitenden Tertiarisierung der Wirtschaft warteten die Dienstleister mit deutlich höheren Wachstumsraten auf als die Industrie. So hat sich im hier betrachteten Rückrechnungszeitraum von 1970 bis 1991 die »reale« Wirtschaftsleistung der Dienstleistungsbereiche mit einem Zuwachs um 129 % mehr als verdoppelt, während das Produzierenden Gewerbe3 lediglich ein Plus von rund 56 % aufwies. Und auch im darauf folgenden 10-Jahres-Zeitraum 1992 bis 2001 haben die Dienstleister mit insgesamt 31 % noch einen deutlich höheren preisbereinigten Wertschöpfungszuwachs erzielen können als das Produzierende Gewerbe mit knapp +5 % bzw. die Industrie mit rund 8 % Plus. Im Bundesdurchschnitt sind die jüngsten Wachstumsunterschiede zwischen den Dienstleistern und der Industrie nicht ganz so ausgeprägt wie hierzulande, weisen jedoch in dieselbe Richtung. Für die Industrie ergibt sich ein Zuwachs der preisbereinigten BWS von 2003 bis 2006 um 13,5 % gegenüber lediglich 3,7 % bei den Dienstleistungsbereichen.

1 Siehe Fischer, Berthold/Thalheimer, Frank: Revision 2005 der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen der Länder, in: Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 6/2006, S. 30–34.

2 Als Vergleichswert für die Jahre 1991 bis 2006 zu den Rückrechnungsergebnissen 1970 bis 1991 für die Länder im Früheren Bundesgebiet dient als Annäherung der Durchschnittswert der VGR-Ergebnisse der alten Länder (ohne Berlin).

3 Im Rahmen der Rückrechnung der VGR-Ergebnisse von 1970 bis 1991 wird das Verarbeitende Gewerbe nicht getrennt nachgewiesen. Die Rückrechnung ist in ihrer Wirtschaftsbereichstiefe auf die Bereiche Land- und Forstwirtschaft, Produzierendes Gewerbe und den Dienstleistungssektor beschränkt.