:: 1/2008

Gesamtwirtschaftliche Strukturen und Entwicklungen im Bundesländervergleich

Betrachtungen zur Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung in drei Folgen – 2. Folge: Bruttowertschöpfung

Welche Wirtschaftsbereiche trugen den Aufschwung 2006? In jeweiligen Preisen war die Wirtschaftsleistung Deutschlands im Jahr 2006 um 3,0 % auf 2 309 Mrd. Euro angestiegen und preisbereinigt ergab sich ein Wachstum von 2,9 % gegenüber dem Vorjahr. Ging die positive Entwicklung dabei eher von den Dienstleistungsbereichen wie zum Beispiel dem Groß- und Einzelhandel, dem Gastgewerbe und dem Kredit- und Versicherungsgewerbe aus, oder waren eher Industrie und Baugewerbe die treibenden Kräfte? Gibt es regionale Unterschiede in der Wirtschaftsstruktur und welche Regionen in Deutschland sind die Wachstumszentren?

Strukturwandel der Wirtschaft Dienstleister bei 70 % BWS-Anteil

Der Beitrag der einzelnen Wirtschaftsbereiche zur gesamten Wirtschaftsleistung wird beschrieben durch deren Bruttowertschöpfung (BWS). Die BWS entspricht der innerhalb einer abgegrenzten Region insgesamt erbrachten wirtschaftlichen Leistung der Wirtschaftsbereiche. Rechnerisch aus der Differenz der Produktionswerte und der dabei eingesetzten Vorleistungen ermittelt, umfasst die BWS grundsätzlich alle erzeugten Waren und Dienstleistungen.

Im längerfristigen Vergleich lässt sich an der BWS der Wirtschaftsbereiche ein beachtlicher Strukturwandel der Wirtschaft ablesen. Den mit Abstand größten Anteil an der gesamtwirtschaftlichen Leistung stellen die Dienstleister. Nach dem Höchststand mit 70 % im Jahr 2003 hatte der Dienstleistungssektor – im Einzelnen sind das die Bereiche »Handel, Gastgewerbe und Verkehr«, »Finanzierung, Vermietung und Unternehmensdienstleister« sowie die »öffentlichen und privaten Dienstleister« – im Jahr 2006 in Deutschland insgesamt einen Anteil von 69 % an der nominalen gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung gegenüber 62 % im Jahr 1991 nach der Wiedervereinigung. Die Bedeutung des primären und sekundären Sektors hat sich dagegen deutlich verringert. Vor allem das Produzierende Gewerbe verlor in etwa in dem Maß an Bedeutung, wie die Dienstleistungsbereiche dazu gewonnen haben. Seit 1991 sank der Wertschöpfungsanteil des Produzierenden Gewerbes (ohne Baugewerbe) von knapp 31 % um rund 6 Prozentpunkte bis Mitte der 90er-Jahre auf unter 25 %. Aktuell verzeichnet das Produzierende Gewerbe aufgrund der hohen konjunkturellen Industriedynamik wieder einen leichten Anteilsanstieg auf zuletzt rund 26 % im Jahr 2006. Das Baugewerbe fiel seit einem zwischenzeitlichen Höchststand von 7 % im Jahr 1994 auf unter 4 % zurück und die Land- und Forstwirtschaft, Fischerei liegt inzwischen im Bundesdurchschnitt bei unter 1 % BWS-Anteil.

Die nach Bundesländern differenzierte BWS der einzelnen Wirtschaftsbereiche bringt deren ökonomische und gebietsmäßige unterschiedlich große Bedeutung zum Ausdruck und ist somit eine wichtige Kenngröße für Politik, Wirtschaft und Wissenschaft zur Analyse der regionalen Wirtschaftsentwicklung und ihrer strukturellen Veränderungen innerhalb der vergangenen Jahre.

Industrieland Baden-Württemberg –und dienstleistungsbetonte Stadtstaaten

Gemessen am nominalen Wertschöpfungsanteil der einzelnen Wirtschaftsbereiche an der BWS insgesamt lassen sich erhebliche Abweichungen hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen Bedeutung in den Bundesländern beobachten. Die geringste Bandbreite der BWS-Anteile zwischen den Bundesländern weist die Land- und Forstwirtschaft, Fischerei auf. Sie differierten 2006 von lediglich 0,1 % bis knapp 0,3 % in den Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg bis hin zu 2,7 % in Mecklenburg-Vorpommern. Vergleichsweise geringe strukturelle Unterschiede bestehen auch beim Baugewerbe. Mit einem Anteil von rund 2 % bis 3 % an der BWS in den Stadtstaaten bis knapp 6 % in Sachsen betrug der Abstand zwischen den niedrigsten und höchsten Werten des Wertschöpfungsbeitrags in 2006 hier nicht einmal mehr 4 Prozentpunkte. Deutliche Unterschiede der regionalen Wirtschaftsstruktur sind dagegen bei den Dienstleistungsbereichen und bei der Industrie festzustellen.

Die größte Spanne beim Anteil an der BWS im Jahr 2006 wiesen, neben dem Dienstleistungssektor, das Produzierende Gewerbe mit gut 20 Prozentpunkten bzw. darunter das Verarbeitende Gewerbe mit 21 Prozentpunkten Differenz zwischen den Anteilswerten der Ländern auf. Vergleichsweise wenig industrialisiert sind demnach die Länder Mecklenburg-Vorpommern und Berlin, mit einem Wertschöpfungsbeitrag des Verarbeitenden Gewerbes von lediglich rund 12 %. Von deutlich größerer wirtschaftlicher Bedeutung ist die Industrie demgegenüber im Saarland mit knapp 30 % BWS-Anteil des Verarbeitenden Gewerbes und vor allem in Baden-Württemberg. Im Südweststaat tragen die Industrieunternehmen rund ein Drittel zur gesamten Wirtschaftsleistung des Landes bei. Stark industrieorientiert sind auch Rheinland-Pfalz und Bayern mit rund 26 % Anteil der nominalen Wertschöpfung des Verarbeitenden Gewerbes an der gesamten BWS.

Entsprechend der Entwicklung auf Bundesebene hat sich auch in den Ländern die wirtschaftliche Bedeutung der Dienstleistungsbereiche innerhalb der letzten Jahre kontinuierlich erhöht. Insgesamt variieren die Dienstleistungsanteile an der BWS im Jahr 2006 von rund 82 % in den Stadtstaaten Berlin und Hamburg bis zu lediglich knapp über 60 % in Baden-Württemberg, dem bundesweit industriestärksten Standort. Bei diesem Vergleich ist jedoch zu berücksichtigen, dass in Baden-Württemberg von der Industrie zahlreiche Dienstleistungsfunktionen wie Forschung und Entwicklung selbst erbracht werden und die Städte Berlin und Hamburg im Hinblick auf ihre überragende zentralörtliche Bedeutung traditionell einen hohen Dienstleistungsanteil aufweisen.

Unter den Flächenländern sind Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein und Hessen am stärksten dienstleistungsorientiert. Jeweils etwa drei Viertel ihrer gesamten Wirtschaftsleistung stammen aus den Dienstleistungsbereichen. Dabei dominieren in Hessen insbesondere der Bankensektor und die Unternehmensdienstleister, die 2006 etwa die Hälfte zur gesamten Wertschöpfung der Dienstleister bzw. rund 37 % zur BWS aller Wirtschaftsbereiche des Landes beitrugen.

Wirtschaftsstruktur Ost–West

Gemäß der regional vorherrschenden Standortfaktoren und großteils auch historisch bedingt hat sich die Wirtschaftsstruktur innerhalb Deutschlands von Land zu Land ganz unterschiedlich ausgebildet. Dabei bestehen zwischen den alten und neuen Bundesländern, trotz der nach der Wiedervereinigung seit 1991 zu beobachtenden fortschreitenden wirtschaftsstrukturellen Angleichung, auch 2006 zum Teil noch deutliche Strukturunterschiede.

So wiesen im früheren Bundesgebiet vor allem die Bereiche Finanzierung, Vermietung und Unternehmensdienstleister sowie das Verarbeitende Gewerbe eine wesentlich größere wirtschaftliche Bedeutung auf als in den neuen Ländern. In den alten Bundesländern stellten diese beiden Wirtschaftsbereiche 2006 über die Hälfte (54 %) der gesamten Wertschöpfung, der Bereich Finanzierung, Vermietung und Unternehmensdienstleister allein fast 30 %. In den neuen Ländern blieb dieser Bereich knapp unter einem Viertel an der BWS und die beiden Bereiche zusammen kamen lediglich auf einen Wertschöpfungsanteil von rund 43 %, das heißt 11 Prozentpunkte weniger (jeweils ohne Berlin). Das Verarbeitende Gewerbe trug 19 % zur gesamten Wirtschaftsleistung bei, gegenüber rund 25 % im früheren Bundesgebiet.

Deutlich stärker aufgestellt sind die neuen Länder dagegen bei den öffentlichen und privaten Dienstleistern mit einem Wertschöpfungsbeitrag dieses Bereichs im Jahr 2006 von über 27 % gegenüber knapp 21 % im früheren Bundesgebiet. Obgleich die traditionell größere Bedeutung des Baugewerbes in den Ostländern, mit gut 12 % Anteil an der Gesamt-BWS 1991 gegenüber knapp 6 % in den Ländern des früheren Bundesgebiets (ohne Berlin), mittlerweile beträchtlich geschrumpft ist, hatte die Bauwirtschaft mit 5,6 % im Jahr 2006 hier noch einen leicht höheren Anteil an der Wirtschaftsleistung (3,8 %).

Wachstum 2006 auf breiter Basis

Der Aufschwung in Deutschland 2006 erfolgte auf einer breiten Basis. Alle Wirtschaftsbereiche mit Ausnahme der Land- und Forstwirtschaft, Fischerei (3,5 %) trugen positiv zur Wirtschaftsentwicklung bei. Selbst im Baugewerbe scheint der jahrelange Abwärtstrend mit einem Anstieg der preisbereinigten BWS von 4,8 % gegenüber dem Vorjahr gestoppt. Lediglich das Verarbeitende Gewerbe wies mit +5,7 % einen höheren Zuwachs auf. In den zusammengefassten Bereichen Handel, Gastgewerbe und Verkehr (+3,3 %), Finanzierung, Vermietung und Unternehmensdienstleister (+1,7 %) sowie öffentliche und private Dienstleister (+0,4 %) erhöhte sich ebenfalls die Wirtschaftsleistung. Insgesamt stieg die preisbereinigte Bruttowertschöpfung aller Wirtschaftsbereiche um 2,7 %.

… mit starken Impulsen der Industrie und dem Baugewerbe

Der Wirtschaftsaufschwung 2006 wurde vor allem von der Industrie getragen. Die kräftigsten Wachstumsimpulse setzten hier vor allem die Industrieunternehmen in den neuen Bundesländern. In den Ostländern entwickelte sich die Wertschöpfung im Verarbeitenden Gewerbe 2006 mit +11,6 % preisbereinigtem Anstieg gegenüber dem Vorjahr wesentlich dynamischer als im früheren Bundesgebiet mit durchschnittlich nur +4,9 % (jeweils ohne Berlin). Die höchsten Zuwachsraten erreichten dabei Sachsen und Sachsen-Anhalt mit über 14 % bzw. über 12 %. In beiden Ländern trägt die Industrie jeweils rund ein Fünftel zur BWS insgesamt bei.

Die Baubranche, in den neuen Ländern in den letzten Jahren mit erheblich größeren Wertschöpfungsrückgängen konfrontiert als im früheren Bundesgebiet, hat sich 2006 selbst in den neuen Ländern etwas erholt, blieb mit durchschnittlich +4,4 % Zuwachs gegenüber 2005 aber unter dem im früheren Bundesgebiet erzielten Anstieg von 4,9 %.

Auch in den Dienstleistungsbereichen, die 2006 ebenfalls positiv zur Konjunkturentwicklung in Deutschland beigetragen haben, fiel der Zuwachs in den neuen Ländern mit +1,2 % im Durchschnitt aller Bereiche etwas geringer aus als im früheren Bundesgebiet (+1,8 %). Das marginale Plus bei den öffentlichen und privaten Dienstleistern (0,4 %) ging gar allein auf die Steigerung in den alten Bundesländern zurück, im Durchschnitt der neuen Länder stagnierte die preisbereinigte BWS hier auf dem Vorjahresniveau.

Tertiarisierung gestoppt?

In den letzten Jahren hat sich der strukturelle Wandel von der Industrie zur Dienstleistungswirtschaft zunehmend verlangsamt und scheint zuletzt gänzlich zum Stillstand gekommen zu sein. Tendenziell ist in jüngster Zeit sogar eine gegenläufige Entwicklung aufgrund der weitgehend konjunkturell bedingten Bedeutungszunahme des Industriesektors zu beobachten.

Vor allem in den alten Bundesländern war seit Mitte der 90er-Jahre lediglich noch ein vergleichsweise schwacher Anstieg des Anteils der Dienstleistungsbereiche an der gesamten Bruttowertschöpfung in jeweiligen Preisen von 66,2 % in 1995 bis auf 69,4 % im Jahr 2003 zu verzeichnen. Danach fiel der BWS-Anteil der Dienstleistungsbereiche erstmals wieder um rund einen Prozentpunkt zurück. Eine ähnliche Entwicklung zeichnet sich auch auf Bundesebene ab: seit 2003 reduzierte sich der Wertschöpfungsbeitrag der Dienstleister von ihrem bisherigen Höchstwert mit 70,1 % um einen Prozentpunkt auf 69,1 % im Jahr 2006.

Die sich jüngst strukturell abzeichnende Zunahme der gesamtwirtschaftlichen Bedeutung der Industrie gegenüber dem Dienstleistungssektor ist die Folge der unterschiedlichen Entwicklung der Wirtschaftsleistung in den einzelnen Wirtschaftsbereichen, insbesondere die sich zuletzt abzeichnende Dynamik im industriellen Sektor. So erzielte das Verarbeitende Gewerbe seit dem Jahr 2000 deutlich höhere jährliche Zuwächse der preisbereinigten Bruttowertschöpfung als die Dienstleister: So konnte die Industrie in den alten Ländern (einschließlich Berlin) von 2000 bis 2006 insgesamt einen preisbereinigten Wertschöpfungsanstieg um knapp 11 % verbuchen und die fünf neuen Länder erzielten gar einen beachtlichen Zuwachs um fast 43 %, während sich für die Dienstleistungsbereiche in diesem Zeitraum lediglich ein Anstieg um jeweils rund 8 % ergab.

Inwieweit diese Tendenz fortbesteht bleibt abzuwarten. Insbesondere vor dem Hintergrund eines noch höheren Tertiarisierungsgrades beispielsweise im Nachbarland Frankreich mit knapp 77 %, im Vereinigten Königreich mit rund 76 % oder in den Niederlanden mit rund 74 % Anteil der Dienstleistungsbereiche an der Bruttowertschöpfung insgesamt im Jahr 2005 dürfte langfristig eher von einer anhaltenden Tertiarisierung auszugehen sein.