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Was und wie groß ist der Mittelstand?

Wenn in Wissenschaft oder Politik vom »Mittelstand« die Rede ist, so beziehen sich unterschiedliche Autoren oder Institutionen häufig auf verschiedene Kategorien von Unternehmen, also letztlich auf unterschiedliche Definitionen. Wer die Bedeutung des Mittelstandes allerdings »messen« möchte, wer also Angaben über die Anzahl oder den Anteil mittelständischer Unternehmen, über die Beschäftigten, Umsätze oder weitere Merkmale in diesen Unternehmen machen möchte, der braucht nicht nur eine quantifizierbare Definition, sondern auch entsprechende Daten, die eine solche Messung erlauben. Vor diesem Hintergrund wurden in einer vom Wirtschaftsministerium geförderten und als Gemeinschaftsprojekt des Tübinger Instituts für Angewandte Wirtschaftsforschung (IAW) und des Instituts für Mittelstandsforschung an der Universität Mannheim (ifm) in enger Kooperation mit dem Statistischen Landesamt Baden-Württemberg durchgeführten Studie die Potenziale und Grenzen des Unternehmensregisters für die Messung und Analyse des Mittelstandes in Baden-Württemberg untersucht1. Der folgende Beitrag fasst wesentliche Erkenntnisse und Ergebnisse dieser Studie zusammen.

Zur Abgrenzung des Mittelstands

Zur Abgrenzung des Mittelstands werden einerseits eher qualitative Kriterien wie zum Beispiel die finanzielle und rechtliche Unabhängigkeit, die Eigentümer-Unternehmerschaft oder interne Organisationsmerkmale der Unternehmen herangezogen. Andererseits kann sich die Definition primär auch an quantitativen Kriterien wie Beschäftigten- oder Umsatzzahlen orientieren. Nicht zuletzt ist »Mittelstand« aber auch ein politischer Begriff, der insbesondere in Deutschland breite Verwendung findet, mit dem auch zahlreiche wirtschaftspolitische Maßnahmen verknüpft sind und der je nach den politischen Zielen unterschiedlich verwendet wird.

Als Ansatzpunkte für Aussagen zur quantitativen Bedeutung des Mittelstands bieten sich insbesondere die Abgrenzungen an, die sich an Größenkriterien orientieren. In der vorhandenen Literatur existiert eine Vielzahl solcher quantitativer Mittelstandsdefinitionen (siehe Übersicht 1), die bestimmte Beschäftigten- oder Umsatzgrenzen als Merkmale mittelständischer Unternehmen heranziehen. Aufgrund der Datenverfügbarkeit waren bislang überwiegend solche Definitionen gebräuchlich, die nur auf einem einzigen Merkmal basieren. Gängig ist es beispielsweise, alle Unternehmen mit weniger als 500 Beschäftigten dem Mittelstand zuzurechnen (siehe Definition III in Übersicht 1). Seit einigen Jahren gibt es eine neue Definition der Europäischen Union, welche die Kleinen und Mittleren Unternehmen (KMU) anhand der Kombination mehrerer Kriterien abgrenzt2. So muss ein KMU gemäß der EU nicht nur weniger als 250 Beschäftigte haben, sondern es darf zugleich eine Umsatzhöchstgrenze von 50 Mill. Euro jährlich nicht überschreiten (siehe Definition I). Neben den beiden kombinierten UND-Definitionen (I und II) und den eindimensionalen Definitionen III und IV wurde auch noch eine sehr breite sogenannte ODER-Definition (V) berücksichtigt, die alle Unternehmen dem Mittelstand zurechnet, die entweder innerhalb einer bestimmten Beschäftigten- oder innerhalb einer bestimmten Umsatzgrenze liegen.

In der Definition der EU werden aber noch weitere Kriterien festgelegt, die ursprünglich eher den qualitativen Mittelstandsdefinitionen zuzurechnen sind. So werden zum einen öffentlich bestimmte Unternehmen grundsätzlich nicht dem KMU-Bereich zugerechnet. Zum anderen muss ein Unternehmen rechtlich und finanziell unabhängig sein, um als KMU gelten zu können.

Mittelstandsmessung mit dem Unternehmensregister

Da im Unternehmensregister (siehe i-Punkt) sowohl Beschäftigten- als auch Umsatzdaten enthalten sind, ist auf dieser Datengrundlage erstmals eine (weitgehende) Berücksichtigung dieser Kriterien möglich. Darüber hinaus sind auch öffentliche Unternehmen identifizierbar und es sind mit bestimmten Einschränkungen auch Aussagen über die Unabhängigkeit der Unternehmen möglich. Insgesamt wurden bei den Berechnungen 426 242 Unternehmen mit Sitz in Baden-Württemberg berücksichtigt, in denen über 3,4 Mill. Personen sozialversicherungspflichtig beschäftigt waren und von denen Umsätze von über 620 Mrd. Euro erzielt wurden.

Bei den Berechnungen wurde ermittelt, wie sich die Anwendung verschiedener größenbezogener Abgrenzungen (für SV-Beschäftigte und Umsätze) auf die Anteile des Mittelstandes auswirken. Daneben wurde auch die Einbeziehung der Kriterien »Öffentlich bestimmter Wirtschaftsbereich« sowie »Unabhängigkeit« getestet. Konkret wurden folgende Mittelstandsabgrenzungen analysiert (siehe auch Übersicht 2):

Abgrenzung A: Alle Unternehmen, deren Beschäftigten- und Umsatzzahlen innerhalb der von der jeweiligen Mittelstandsdefinition festgelegten Grenzen liegen.

Abgrenzung B: Alle Unternehmen, die nicht öffentlich bestimmt sind und die Kriterien der Definition A erfüllen.

Abgrenzung C: Alle Unternehmen, die den Kriterien der Definition B entsprechen. Wenn das Unternehmen darüber hinaus als Organträger oder als Organgesellschaft Teil einer Organschaft ist, wird es nur dann dem Mittelstand zugerechnet, wenn auch die Beschäftigten und/oder Umsatzsummen des gesamten Organkreises innerhalb der von der jeweiligen Mittelstandsdefinition festgelegten Grenzen liegen (siehe i-Punkt).

Hinsichtlich der Identifikation des öffentlich bestimmten Wirtschaftsbereiches (Abgrenzung B) bietet das Unternehmensregister zwei Möglichkeiten, die bei der Analyse kombiniert genutzt wurden. Zum einen lassen sich anhand des Merkmales »Rechtsform« Unternehmen mit öffentlicher Rechtsform erkennen. Zum anderen sind im Unternehmensregister auch Angaben aus der Statistik »Öffentliche Fonds, Einrichtungen und Unternehmen« enthalten. Anhand dieser Angaben lassen sich auch öffentlich bestimmte Unternehmen in privaten Rechtsformen identifizieren. Beide Kategorien wurden für die Definitionen B und C ausgeschlossen.

Das Unabhängigkeitskriterium kann mit dem derzeitigen Stand des Unternehmensregisters noch nicht befriedigend erfasst werden3. Mit dem Merkmal der Organschaftszugehörigkeit verfügt das Register aber dennoch über eine Information, die zumindest indirekte Hinweise auf die Unabhängigkeit von Unternehmen enthält. Im Rahmen einer dritten Möglichkeit der Mittelstandsabgrenzung (Abgrenzung C) wurden daher Organschaften wie einzelne Unternehmen behandelt. Damit wurden alle organschaftszugehörigen Unternehmen dann nicht dem Mittelstand zugerechnet, wenn die Organschaft, der sie angehören, insgesamt nicht innerhalb der (größenbezogenen) Grenzen der jeweiligen Mittelstandsdefinition lag4.

Art der Abgrenzung beeinflusst Ergebnisse stark

Die Unternehmens-, Beschäftigten- und Umsatzanteile des Mittelstandes nach den verschiedenen Definitionen und Abgrenzungen sind in der Tabelle dargestellt5. Dabei fällt auf, dass die Anteile mittelständischer Unternehmen an allen Unternehmen in Baden-Württemberg fast durchweg über 99 % liegen und die Unterschiede zwischen den einzelnen Definitionen bei dieser unternehmensbezogenen Betrachtung nicht so stark in Gewicht fallen. Deutlich werden die Unterschiede zwischen den Definitionen und Mittelstandsabgrenzungen erst bei einer Betrachtung der Beschäftigten- und Umsatzanteile des Mittelstandes. Mit Abweichungen von mehr als 20 Prozentpunkten zwischen den Extremdefinitionen beim gleichen Merkmal zeigt sich insgesamt ein erheblicher Einfluss der gewählten Abgrenzung auf das Ergebnis.

Im Gegensatz zur anzahlbezogenen Betrachtung fallen hier aber insbesondere die Unterschiede zwischen den größenbezogenen Definitionen ins Gewicht. Vor allem die auf den ersten Blick eher spitzfindig wirkende Frage, ob die Umsatz- und Beschäftigtengrenzen im Sinne einer UND- oder einer ODER-Definition miteinander verknüpft werden, beeinflusst das Ergebnis maßgeblich. Dies ist insbesondere der Tatsache geschuldet, dass in der Realität häufiger »asymmetrische« Fälle anzutreffen sind, bei denen jeweils eines der beiden Merkmale innerhalb und eines außerhalb der beiden Grenzwerte liegt. Konkret sind dies also Unternehmen mit relativ wenigen Beschäftigten, aber hohen Umsätzen (Beispiel: Großhandel) sowie Unternehmen mit vielen Beschäftigten, aber geringem Umsatz (Beispiel: Universitäten). Durch den Ausschluss öffentlich bestimmter Unternehmen reduzieren sich die Mittelstandsanteile in allen größenbezogenen Definitionen leicht, allerdings ist hier in einzelnen Branchen wie insbesondere der Elektrizitäts- und Wasserversorgung ein deutlich stärkerer Einfluss erkennbar. Die (partielle) Berücksichtigung des Unabhängigkeitskriteriums im Rahmen der derzeit gegebenen Möglichkeiten reduziert die Mittelstandsanteile in einer ähnlichen Größenordnung wie der Ausschluss öffentlich bestimmter Unternehmen. Eine vollständigere Erfassung würde aber sicherlich noch zu einer weiteren Reduzierung des Mittelstandes beitragen.

Regional und sektoral differenzierende Analysen zeigen zum Teil deutliche Unterschiede in der Bedeutung des Mittelstandes in den baden-württembergischen Regionen, vor allem aber in den Wirtschaftszweigen. Bei sektoral differenzierender Betrachtung wirken sich natürlich besonders die Charakteristika einzelner Wirtschaftszweige (zum Beispiel Bedeutung öffentlicher Unternehmen, Bedeutung von Großunternehmen etc.) stark aus. Regionale Betrachtungen zeigen unter anderem, dass die Region Stuttgart über die geringsten Mittelstandsanteile verfügt. Eine Differenzierung nach verschiedenen Regionentypen zeigt aber auch, dass nicht etwa ein linearer Anstieg der Mittelstandsanteile von städtischen hin zu den ländlichen Räumen zu verzeichnen ist, sondern dass neben den städtischen Regionen auch die Verdichtungszonen im ländlichen Raum über geringere Mittelstandsanteile verfügen, während die Randzonen um die Verdichtungsräume sowie der ländliche Raum im Durchschnitt höhere Mittelstandsanteile haben.

Fazit und Ausblick

Mit dem Unternehmensregister steht in Deutschland erstmals ein Datensatz zur Verfügung, der eine umfassende quantitative Erfassung und Bewertung des mittelständischen Wirtschaftsbereiches zulässt. Hervorgehoben werden muss dabei insbesondere die parallele Verfügbarkeit von Beschäftigten- und Umsatzdaten, die eine substanziell verbesserte Beurteilung der Größe von Unternehmen zulassen. Die derzeit schon vorhandenen, vor allem aber die zukünftig möglichen Informationen etwa zu den Verbindungen zwischen Unternehmen machen das Unternehmensregister zu einer äußerst wertvollen Datenquelle, die in einem weiten Feld von Untersuchungen ganz wesentlich verbesserte Möglichkeiten bieten wird. Besonders erwähnenswert ist die Tatsache, dass das Unternehmensregister aus der Verknüpfung bereits bestehender Daten hervorgeht. Daher vermeidet die Registererstellung für die erfassten Unternehmen bürokratischen Aufwand und bietet dennoch einen nicht zu unterschätzenden Mehrwert. Für diese Verknüpfungen vorhandener Datensätze bestehen auch zukünftig noch zahlreiche weitere vielversprechende Möglichkeiten.

Hinsichtlich der Mittelstandsabgrenzung und der Mittelstandsmessung, die ein zentraler Teil des Gutachtens waren, zeigen die Daten des Unternehmensregisters nicht nur den Umfang des mittelständischen Wirtschaftsbereiches inklusive zahlreicher Aspekte, sondern insbesondere auch die große Sensibilität der Definitionen. Scheinbar kleine Veränderungen an den Definitionsgrenzen des mittelständischen Wirtschaftsbereiches, aber auch Veränderungen der Abgrenzungskriterien beeinflussen ganz wesentlich die Bedeutung des Mittelstandes. Aus wissenschaftlicher Sicht scheint es hier zukünftig geboten – nicht zuletzt im Hinblick auf europaweite länderübergreifende Vergleichsstudien – sich auf einige wenige klar umrissene Definitionen zu beschränken. Die KMU-Definition der EU könnte in dieser Hinsicht einen ersten wichtigen Schritt darstellen. Das Statistische Landesamt wird sich daher auch künftig – abgesehen von anlassbezogenen Auswertungen – auf diesen Ansatz konzentrieren. Wünschenswert wäre zukünftig sicherlich noch die Aufnahme von Daten, die auch Informationen zu den internationalen Verbindungen zwischen Unternehmen zulassen.

1 Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg und Statistisches Landesamt Baden-Württemberg (Hrsg.): Neue Datenquelle »Unternehmensregister« – Mehr Informationen über den Mittelstand ohne neue Bürokratie, Abschlussbericht an das Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg, Tübingen und Mannheim, April 2007.

2 Empfehlung der Kommission vom 6. Mai 2003 betreffend die Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen (Bekannt gegeben unter Aktenzeichen K(2003) 1422, Amtsblatt Nr. L 124 vom 20. Mai 2003).

3 Da derzeit umfassendere Informationen zu den Verbindungen zwischen einzelnen Unternehmen in das Unternehmensregister eingearbeitet werden, wird dies künftig viel besser möglich sein.

4 Aufgrund des auf Baden-Württemberg beschränkten Datensatzes konnte dies nur für Organschaftsmitglieder innerhalb des Landes untersucht werden.

5 Die in bisherigen Veröffentlichungen zu dieser Thematik dargestellten Ergebnisse entsprechen der Abgrenzung A I. Vgl.: Schwarz, Thomas: »Mittelständische Wirtschaft Baden-Württembergs«, in: »Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 5/2004« und Kössler, Richard: »Zur Bedeutung Kleiner und Mittlerer Unternehmen (KMU)«, in: »Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 2/2006«