:: 6/2008

Einwohnerdaten bei den Kommunen und in der amtlichen Bevölkerungsfortschreibung

Landtagsanfrage und Stellungnahme

Der Gesetzgeber hat der amtlichen Statistik die Aufgabe übertragen, laufend den Einwohnerstand in den Gemeinden festzustellen und fortzuschreiben. Basis dieser statistischen Fortschreibung ist das Ergebnis der jeweils letzten Volkszählung, das heißt, gegenwärtig basiert die laufende Bevölkerungsfortschreibung auf dem Zählungsergebnis vom Mai 1987. Die Gemeinden selbst führen ihre Einwohnermelderegister hauptsächlich für melderechtliche Zwecke. Obwohl in beide Quellen die gleichen Fortschreibungskomponenten (Geburten, Sterbefälle, Zu- und Fortzüge) eingehen – allerdings mit unterschiedlicher Verarbeitungsmethodik – sind zwischen den Einwohnerzahlen nach Ergebnissen der Melderegister und der statistischen Bevölkerungsfortschreibung zum Teil deutliche Differenzen festzustellen. Dies war Anlass einer Landtagsanfrage, deren Beantwortung im Folgenden wiedergegeben wird.

Landtag von Baden-Württemberg

14. Wahlperiode

Drucksache 14/1716, 13.09.2007

Antrag der Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel u. a. FDP/DVP und Stellungnahme des Finanzministeriums

Einwohnerdaten bei den Kommunen

Antrag

Der Landtag wolle beschließen, die Landesregierung zu ersuchen zu berichten,

  • 1. ob es zutrifft, dass die gemeindlichen Einwohnerzahlen der Datenzentrale (KIRU) und des Statistischen Landesamts voneinander abweichen;
  • 2. seit wann ihr diese Problematik bekannt ist;
  • 3. wie viele Städte und Gemeinden betroffen sind und in welcher Größenordnung sich die Differenzen bewegen;
  • 4. worauf die unterschiedlichen Daten zurückzuführen sind;
  • 5. welche finanziellen Folgen sich für Gemeinden in den einzelnen Gemeindegrößenklassen daraus positiv wie negativ beispielhaft ergeben haben;
  • 6. ob es zutrifft, dass eine Berichtigung der Einwohnerdaten des Statistischen Landesamts nicht erfolgen kann, weil es hierzu an einer gesetzlichen Grundlage fehlt;
  • 7. wenn ja, welche Maßnahmen sie ergreifen wird, um zukünftig eine nachträgliche Berichtigung der Einwohnerdaten zu ermöglichen.

12.09.2007

Dr. Wetzel, Fauser, Kluck, Dr. Bullinger, Bachmann FDP/DVP

Eingegangen: 13.09.2007/

Ausgegeben: 09.10.2007

Stellungnahme

Mit Schreiben vom 2. Oktober 2007 Nr. 5-9512/11 nimmt das Finanzministerium zu dem Antrag wie folgt Stellung:

Der Landtag wolle beschließen, die Landesregierung zu ersuchen zu berichten,

  • 1. ob es zutrifft, dass die gemeindlichen Einwohnerzahlen der Datenzentrale (KIRU) und des Statistischen Landesamts voneinander abweichen;
  • 2. seit wann ihr diese Problematik bekannt ist;
  • 3. wie viele Städte und Gemeinden betroffen sind und in welcher Größenordnung sich die Differenzen bewegen;
  • 4. worauf die unterschiedlichen Daten zurückzuführen sind;

Zu den Fragen 1. bis 4.:

Unterschiede zwischen den Einwohnerzahlen nach den gemeindlichen Melderegistern und den Ergebnissen der amtlichen Bevölkerungsfortschreibung haben verschiedene Ursachen:

Die statistische amtliche Bevölkerungsfortschreibung basiert auf den Ergebnissen der Volkszählung vom 25. Mai 1987 (§ 1 Abs. 2 Volkszählungsgesetz 1987). Durch das sogenannte »Volkszählungsurteil« des Bundesverfassungsgerichts war ein Abgleich der Melderegisterdaten mit den Ergebnissen der Volkszählung nicht zulässig. Daher ergaben sich bereits zum Basiszeitpunkt der heutigen Bevölkerungsfortschreibung Unterschiede zwischen beiden Quellen. Darüber hinaus wird jedes Fortschreibungssystem mit zunehmender Entfernung vom Basiszeitpunkt (hier Ergebnisse der Volkszählung vom 25. Mai 1987) ungenauer. Bei früheren Volkszählungen hat sich gezeigt, dass die statistische Fortschreibung bis zum Zählungsstichtag in der Regel höhere Einwohnerzahlen auswies, als die Zählung selbst ergab.

Die Differenzen sind teilweise auch bedingt durch die zeitlich unterschiedliche Verarbeitung von Zu- und Abgängen. Während die Melderegister tagesaktuell geführt werden können, verarbeitet das Statistische Landesamt die Datenlieferungen der baden-württembergischen Gemeinden monatsweise. Diese gelieferten Daten enthalten zum Beispiel jedoch auch Zu- und Fortzüge, die sich bereits in Vormonaten ereignet haben. Darüber hinaus wird in der Statistik ein Fortzug aus einer Gemeinde erst dann verbucht, wenn die neue Zielgemeinde diesen Fall als Zugang an das Statistische Landesamt gemeldet hat. Auf diese Weise ergeben sich zeitliche Verschiebungen zwischen der Registrierung im Melderegister und der Verarbeitung in der amtlichen Bevölkerungsfortschreibung. Daher können zu einem bestimmten Stichtag in der Regel die Einwohnerzahlen im Melderegister nicht mit den Ergebnissen der Bevölkerungsfortschreibung übereinstimmen.

Neben den grundsätzlichen methodischen Unterschieden zwischen statistischer Bevölkerungsfortschreibung und der Führung der Melderegister ergeben sich auch aus Fehlern in der melderechtlichen Praxis, die durch die Lieferdaten der Gemeinden in die Statistik hineingetragen werden, Abweichungen zwischen beiden Quellen. Hierzu zählen nicht zutreffende Angaben der meldepflichtigen Bürger bei Umzügen über Herkunfts- bzw. Zielort, Eingabefehler bei den Meldebehörden und Korrekturbuchungen in den Melderegistern, die nicht an die Statistik weitergegeben werden. Vor Einführung der automatisierten Datenübermittlung seitens der Meldebehörden im Jahre 1995 waren auch Fehlzuordnungen bei der Bearbeitung im Statistischen Landesamt nicht auszuschließen. Hinzu kommen Fehlerquellen, die nur die Melderegister betreffen und dort zu Fehlbeständen oder Überbeständen (»Karteileichen«) führen. Diese Fehler entstehen beispielsweise dann, wenn ein Bürger sich nicht anmeldet (Fehlbestand) oder eine Rückmeldung an die Wegzugsgemeinde in der Zuzugsgemeinde nicht erstellt oder nicht versandt wird oder in der Wegzugsgemeinde nicht registriert wird.

Das Statistische Landesamt informiert die Gemeinden vierteljährlich – dies war auch schon vor der Volkszählung 1987 so – durch eine gesonderte Informationsunterlage über die Ergebnisse der statistischen Bevölkerungsfortschreibung, um die Gemeinden in die Lage zu versetzen, durch einen Vergleich dieser Daten mit den Registerdaten deren Richtigkeit zu überprüfen. Belegt eine Gemeinde, dass einzelne Bevölkerungsbewegungen in der Statistik nicht richtig verbucht worden sind, so wird dies zum nächst möglichen Fortschreibungstermin korrigiert.

Das Statistische Landesamt hat keine regelmäßige Kenntnis der Melderegisterbestände der baden-württembergischen Gemeinden. Das Ausmaß der Abweichungen zwischen den Einwohnerbeständen der Melderegister und der Bevölkerungsfortschreibung wurde erstmals zum Stand 30. Juni 1997 im Rahmen eines Testes zur Methodik eines registergestützten Zensus untersucht. Diese Ergebnisse hat das Statistische Landesamt im April 2000 veröffentlicht. Zuletzt war ein Vergleich der Melderegisterbestände mit den Ergebnissen der statistischen Bevölkerungsfortschreibung im Rahmen des sogenannten Zensustestes 2001 (Gesetz zur Vorbereitung eines registergestützten Zensus vom 27. Juli 2001) zum Dezember 2001 möglich. Danach gab es 694 Städte und Gemeinden, in denen die statistische Bevölkerungsfortschreibung höhere Einwohnerzahlen aufweist als die gemeindlichen Melderegister. In 403 Gemeinden lag das statistische Ergebnis niedriger als der Registerbestand. Bei 15 Gemeinden ergaben sich gleich hohe Einwohnerzahlen in beiden Quellen. Am häufigsten finden sich Abweichungen von unter einem Prozent: In 331 Gemeinden lag die Bevölkerungsfortschreibung um weniger als ein Prozent über dem Registerstand, in weiteren 229 war die Fortschreibung um weniger als ein Prozent niedriger als das Melderegister. Es bleibt in diesem Zusammenhang anzumerken, dass mit diesen Zahlenvergleichen letztlich nicht geklärt werden kann, ob die Melderegisterbestände im Dezember 2001 näher an der tatsächlichen Einwohnerzahl lagen oder die Daten der Bevölkerungsfortschreibung.

  • 5. welche finanziellen Folgen sich für Gemeinden in den einzelnen Gemeindegrößenklassen daraus positiv wie negativ beispielhaft ergeben haben;

Zu Frage 5.:

Etwa 1/3 der Gesamtleistungen des Landes an die Kommen werden einwohnerbezogen auf die Gemeinden und Kreise verteilt. Nach § 30 FAG werden dabei die Einwohnerzahlen nach dem Ergebnis der amtlichen Bevölkerungsfortschreibung berücksichtigt. Gemeinden, deren amtlich fortgeschriebene Einwohnerzahl höher ist als die Einwohnerzahl der örtlichen Melderegister, haben damit Vorteile gegenüber einer Verteilung, deren Maßstab die Daten der örtlichen Melderegister wäre. Die Auswirkungen lassen sich nicht berechnen, weil die hierfür notwendigen Basisdaten aktuell nicht zur Verfügung stehen. Im Durchschnitt erhält eine Gemeinde für einen zusätzlichen Einwohner jährliche Finanzzuweisungen in Höhe von rund 700 Euro.

  • 6. ob es zutrifft, dass eine Berichtigung der Einwohnerdaten des Statistischen Landesamts nicht erfolgen kann, weil es hierzu an einer gesetzlichen Grundlage fehlt;
  • 7. wenn ja, welche Maßnahmen sie ergreifen wird, um zukünftig eine nachträgliche Berichtigung der Einwohnerdaten zu ermöglichen.

Zu den Fragen 6. und 7.:

Im Zuge der laufenden statistischen Bevölkerungsfortschreibung führt das Statistische Landesamt als Qualitätssicherung seiner Statistiken Berichtigungen durch, wenn in Zusammenarbeit mit der jeweiligen Gemeinde Fehler in der regionalen Verbuchung von Bevölkerungsbewegungen aufgedeckt werden. Das gilt auch für zurückliegende Jahre. Diese Korrekturen werden jedoch stets zukunftsgerichtet in den nächstmöglichen Fortschreibungsmonat eingearbeitet. Eine rückwirkende Änderung bereits festgestellter Einwohnerstände ist aus Gründen der Rechtssicherheit nicht möglich. Andernfalls könnte eine nachträgliche und rückwirkende Veränderung der zum 30. Juni eines Jahres festgestellten Einwohnerzahl auch Rückwirkungen auf die Einteilung von Wahlkreisen, die Zahl der zu wählenden Gemeinderäte oder auf die Erklärung von Gemeinden zu Großen Kreisstädten haben. Eine Berichtigung des Volkszählungsergebnisses 1987 kann heute nicht mehr erfolgen, weil die Einspruchsfristen abgelaufen sind.

Der für das Jahr 2011 geplante registergestützte Zensus wird die Einwohnerzahlen in den Städten und Gemeinden auf eine neue Basis stellen. Eine Änderung der gesetzlichen Grundlagen für die Berichtigung der Einwohnerdaten ist nicht vorgesehen.

Die Stellungnahme ist mit dem Innenministerium abgestimmt.

Stratthaus

Finanzminister