:: 9/2009

Wirtschaftskrisen und Konjunkturzyklen in Baden-Württemberg seit 1950

Die Finanzkrise und vor allem ihre realwirtschaftlichen Folgen, die die Öffentlichkeit seit nunmehr 2 Jahren mit unterschiedlicher Intensität beschäftigt, sind in ihrem Ausmaß im Vergleich bisheriger Konjunkturverläufe in Baden-Württemberg ohne Beispiel. Wann und wie sie überwunden oder die Folgen gemildert werden können, steht im Fokus der wirtschaftspolitischen Debatte. Zur Einordnung der aktuellen Umstände werden wichtige wirtschaftliche Kennzahlen für Baden-Württemberg in einer Gesamtschau und über einen längeren Zeitraum betrachtet, die einen Vergleich zurückliegender Konjunkturzyklen ermöglichen. In diesem Zusammenhang sollen mögliche Ursachen und Folgen vergangener Wirtschaftskrisen sowie Parallelen und Unterschiede zur aktuellen Lage beleuchtet werden.

Die markanteste und umfassendste Kennzahl der Wirtschaftsentwicklung ist sicherlich die reale Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts (BIP): Seit den 50er-Jahren ist hier in Baden-Württemberg – nicht anders als in Gesamtdeutschland – ein rückläufiger Wachstumstrend zu beobachten. Um diesen Trend bewegen sich konjunkturelle Schwankungen, von denen allerdings nicht jede Abschwächung das Etikett »Krise« verdient. Es lassen sich im Rückblick auf die annähernd sechs Jahrzehnte Wirtschaftsentwicklung Baden-Württembergs, soweit sie statistisch zugänglich sind, Ausschläge nach unten identifizieren, die vom Maß »normaler« konjunktureller Abschwungphasen abweichen. Der Blick auf den Arbeitsmarkt, die Preisentwicklung und den Export sollen das Bild über die vergangenen Wirtschaftskrisen und Konjunkturzyklen abrunden.

Die 50er-Jahre: Aufbaujahre mit außergewöhnlichen Wachstumsraten

Die 50er-Jahre waren durch außergewöhnliche Wachstumsraten gekennzeichnet, die real im Jahresdurchschnitt bei über 9 % lagen. Von der Angebotsseite her waren diese Zuwächse möglich, weil das Produktionspotenzial weniger von Kriegszerstörung betroffen war, als man annehmen konnte. Zudem bedeuteten die heimkehrenden Soldaten, die Flüchtlinge und Vertriebenen einen Zustrom an häufig gut qualifizierten Arbeitskräften, der vom Arbeitsmarkt problemlos aufgenommen wurde1. Die Initialzündung, die dieses Potenzial wirksam werden ließ, war zum einen die Währungs- und Wirtschaftsreform von 1948,2 die unternehmerisches Handeln auf eine sicherere Grundlage stellte, sodass der bis dahin zurückgestaute Investitionsbedarf wirksam werden konnte. Zum anderen expandierte Anfang der 50er-Jahre mit dem Ausbruch des Korea-Krieges die Nachfrage deutlich: dieser sogenannte »Koreaboom« wirkte nicht nur – und nicht einmal in erster Linie – über eine erhöhte ausländische Nachfrage nach deutschen Gütern, sondern vor allem über die indirekt stimulierte Binnennachfrage3.

Insgesamt war die Wirtschaft des Landes in der Phase des Wiederaufbaus infolge des hohen inländischen Güterbedarfs sehr binnenorientiert. So wurden 1950 nur gut 7 % des baden-württembergischen Bruttoinlandsprodukts für Warenexporte verwendet. Im Durchschnitt des früheren Bundesgebiets ergab sich eine Exportquote von 12 %4. Die rasante Zunahme der Auslandsnachfrage führte jedoch dazu, dass in Baden-Württemberg Ende der 50er-Jahre bereits knapp 17 % des Bruttoinlandsprodukts in den Export flossen (damaliges Bundesgebiet: 19 %). Schon damals zählten die Länder der heutigen Europäischen Union zu den Hauptabnehmern der baden-württembergischen Waren mit einem Anteil von rund 49 %. Die USA konnten ihren Anteil bis Ende der 50er-Jahre auf fast 10 % verdoppeln. Die übrigen 41 % verteilten sich auf eine Vielzahl von Ländern in der übrigen Welt, wobei keines dieser Länder – ähnlich wie heute – an den Exportanteil in die USA heranreichte.

Der Anstieg der Verbraucherpreise fiel im Durchschnitt moderat aus – eine Folge des Umstands, dass angebotsseitig keine knappheitsbedingten Lohn- und Preissteigerungen stattfanden, die sich in den Verbraucherpreisen hätten niederschlagen können. Schon in den 50er-Jahren zeigt sich ein rückläufiger Wachstumstrend, der angesichts des außergewöhnlich hohen Niveaus der Wachstumsraten kaum ein Problem, sondern im Gegenteil angesichts des immer enger werdenden Arbeitsmarkts – Ende der 50er-Jahre herrscht praktisch Vollbeschäftigung – wohl eher als Entlastung anzusehen ist. Unter diesen Bedingungen sank die Arbeitslosenquote5 in Baden-Württemberg in diesem Jahrzehnt von gut 4 % 1950 auf 0,3 % im Jahr 1960. Gerade mal 9 000 Arbeitslose wurden zu diesem Zeitpunkt im Land gezählt. Die Erwerbstätigkeit erlebte parallel eine beispiellose Expansion im Land. Von 1950 stieg die Zahl der Erwerbstätigen von rund 3,15 Mill. auf etwa 3,96 Mill. im Jahr 19606. Dieser enorme Zuwachs an Arbeitsplätzen ging in diesen Aufbaujahren fast ausschließlich auf die stürmische Beschäftigungsentwicklung im Produzierenden Gewerbe zurück, das ein Plus von etwa 600 000 Erwerbstätigen verzeichnete. Im Dienstleistungssektor erhöhte sich die Erwerbstätigenzahl lediglich um rund 318 000. Personen, während die Landwirtschaft in dieser Dekade mit deutlichen Arbeitsplatzverlusten an Bedeutung verlor.

Fortsetzung der Wirtschaftswunderjahre in den 60er-Jahren

Nach wie vor hohe reale Wachstumsraten und Vollbeschäftigung bei mäßigen, wenngleich durchaus schon anziehenden Inflationsraten aufgrund des sehr eng gewordenen Arbeitsmarkts kennzeichnen diese Dekade. Lediglich im Jahr 1967 wurde die baden-württembergische wie die gesamtdeutsche Wirtschaft von einem Konjunktureinbruch getroffen, der auf eine gewisse Sättigung bei privaten und öffentlichen Investitionen zurückzuführen war, aber angesichts der bislang aus der Nachkriegszeit gewohnten Wachstumsraten als krisenhaft angesehen wurde. In Baden-Württemberg wie im Bund lag das reale BIP-Wachstum bei nahe null Prozent (0,1 % bzw. −0,3 %) – auf bundesdeutscher Ebene Anlass genug, um mittels aktiver Nachfragepolitik steuernd einzugreifen. Im gleichen Jahr wurde das Stabilitätsgesetz verabschiedet und die keynesianische Lehre einer nachfrageorientierten Stabilisierungspolitik damit gewissermaßen »offiziell«. Die erste bundesdeutsche Nachkriegsrezession war schon im nächsten Jahr überwunden, wobei der Anteil, den die Fiskalpolitik daran hatte, durchaus umstritten ist7.

Im Gegensatz zur Konjunktursituation in Baden-Württemberg blieb die Weltwirtschaft 1967, wenn auch etwas abgeschwächt, auf Wachstumskurs. Die Nachfrage aus dem Ausland nach baden-württembergischen Produkten nahm weiterhin zu, sodass hierzulande die Exporte bei stagnierendem BIP im Jahr 1967 mit einem realen Plus von nahezu 7 % zulegen konnten. Die 60er-Jahre kennzeichnen insofern eine Wende, als die Exportquote Baden-Württembergs erstmals den Bundesdurchschnitt übertraf und sich diese Größenrelation so auch weitgehend in den nachfolgenden Dekaden fortsetzte. Mittlerweile war in Baden-Württemberg gut ein Fünftel der gesamtwirtschaftlichen Produktion für den Export bestimmt.

Die Arbeitslosenquoten lagen von 1960 bis 1966 mit jährlich maximal 0,3 % auf einem extrem niedrigen Niveau. Mit rund 4 300 Arbeitslosen wurde 1962 die geringste Arbeitslosenzahl in der Nachkriegszeit des Landes registriert. Im Rezessionsjahr 1967 ging die Quote zwar auf 0,7 % hoch, insgesamt war jedoch der Arbeitsmarkt in Baden-Württemberg in der ersten Wirtschaftskrise nach dem Zweiten Weltkrieg nur mäßig betroffen. In den beiden Jahren 1966 und 1967 erhöhte sich die Arbeitslosenzahl insgesamt lediglich um gut 19 000. Anschließend sank dann bis 1970 die Arbeitslosenquote wieder auf einen Niedrigstwert von 0,2 %.

Die Ausweitung der Erwerbstätigkeit ging in den 60er-Jahren weiter. Im Jahr 1961 lag die Zahl der Erwerbstätigen erstmals über 4 Mill, wobei sich allerdings gegenüber den enormen Zuwächsen in den 50er-Jahren im Laufe der 60er-Dekade der Beschäftigungsaufbau deutlich verlangsamte. In den beiden Rezessionsjahren sank die Erwerbstätigkeit wieder leicht unter die 4-Millionen-Grenze, um dann zum Ende des Jahrzehnts diesen Wert wieder leicht zu überschreiten. Vor allem ab Mitte der 60er-Jahre kamen die stärkeren Beschäftigungsimpulse nicht vom Produzierenden Sektor, sondern vom Dienstleistungsbereich – ein Trend, der sich in den darauf folgenden Perioden fortsetzen sollte.

Die Angebotsschocks der 70er- und 80er-Jahre – die erste Ölkrise als Zeitenwende?

Auf die schnell ausgestandene Krise von 1967 folgten bis zum Beginn der ersten Ölkrise im Herbst 1973 Jahre ausgeprägt kräftigen Wirtschaftswachstums mit deutlichen Anzeichen einer Überhitzung, wie an der Entwicklung der Inflationsrate abzulesen ist. Die Fiskalpolitik war an dieser Entwicklung nicht schuldlos, da eine Ausweitung der Staatstätigkeit politisch gewollt war, und die Erhöhung der Staatsquote billigend in Kauf genommen wurde8. Hinzu kam das Bestreben der Gewerkschaften, deren Verhandlungsmacht durch die Vollbeschäftigung erheblich gestärkt war, mittels entsprechender Lohnforderungen eine Umverteilung zugunsten der Arbeitnehmer zu erreichen.

In gewissem Sinn markiert die erste Ölkrise, die im Herbst 1973 durch eine politisch motivierte Drosselung der Ölfördermengen durch die OPEC-Länder eingeleitet wurde, eine Zeitenwende – nicht so sehr, weil hier die vermeintlich goldenen Wirtschaftswunderjahre ihr Ende gefunden hätten und nun abrupt die Zeit dauerhaft niedriger Wirtschaftswachstumsraten angebrochen wäre. Darauf, dass die rückläufige Trendwachstumsrate ein kontinuierlicher Prozess war (und bis heute ist), wurde an anderer Stelle bereits hingewiesen. Das eigentlich Gravierende an dem Ölschock von 1973 war die Gesamtheit der unmittelbaren Folgen in den beiden darauf folgenden Jahren: Negative BIP-Veränderungsraten im Land (1974: −0,1 %, 1975: −0,9 %), über dem Trend liegende Inflationsraten (»Stagflation«) und schließlich ein erstmals in Baden-Württemberg registrierter scharfer Anstieg der Arbeitslosigkeit. Gerade das Zusammentreffen der beiden erstgenannten Faktoren kennzeichnet die Auslöser der Krise als Angebotsschock (aufgrund gestiegener Kosten für Energie und Arbeit), dem mit Nachfrageimpulsen allein nicht ursachenadäquat begegnet werden kann. Genau dieses wurde aber seitens der Bundesregierung versucht. Die Bundesbank, die zunächst eher noch die Eindämmung der hohen Inflationsraten im Blick hatte, schwenkte angesichts der dramatisch steigenden Arbeitslosigkeit ebenfalls auf einen leicht expansiveren geldpolitischen Kurs ein (den instrumentellen Spielraum dafür hatte sie mittlerweile aufgrund des Übergangs zu einem System flexibler Wechselkurse). Ab 1976 sprang das Wirtschaftswachstum zeitweilig wieder an, die Exporte schnellten in die Höhe, zugleich gingen die Inflationsraten zurück, ebenso die Arbeitslosigkeit. Dennoch blieb ein schaler Beigeschmack: Das Trendwachstum verlangsamte sich weiter, die Inflation blieb vergleichsweise hoch und vor allem die Arbeitslosigkeit verharrte auch nach der konjunkturellen Erholung auf einem hohen Niveau.

Starker Anstieg der Arbeitslosigkeit 1975 und beginnende Sockelarbeitslosigkeit

Der Ölpreisschock von 1973 markiert damit den Beginn eines bis dahin in der Nachkriegszeit auf dem Arbeitsmarkt nicht gekannten Musters, nämlich eines über die Konjunkturzyklen der folgenden fast drei Jahrzehnte stetigen trendmäßigen Anstiegs der Arbeitslosenquote. Es zeigt sich ein ganz anderes Bild als in der Rezession der 60er-Jahre: Die Arbeitslosenquote schnellte von 0,5 % im Jahr 1973 auf 3,5 % im Jahr 1975 hoch. In den beiden Jahren 1974 und 1975 erhöhte sich die Arbeitslosenzahl mit zusammen etwa 110 000 weitaus stärker als in der vorangegangenen Rezession. Die Arbeitslosigkeit ging auch nicht wieder auf das vormals niedrige Niveau zurück, sodass sich der beginnende Aufbau der Sockelarbeitslosigkeit in einer Arbeitslosenquote manifestierte, die auch in der Erholungsphase am Ende des Jahrzehnts noch über 2 % liegt. Die andere Seite der Medaille des Arbeitsmarktes spiegelte sich wider in einer relativen Stagnation der Beschäftigung. Zwar stieg die Zahl der Erwerbstätigen bis 1973 auf den bis dahin höchsten Stand von rund 4,3 Mill. an – ein Niveau, das erst wieder 1980 erreicht wurde –, von Mitte bis Ende der 70er-Jahre bewegte sich die Zahl der Erwerbstätigen aber nur noch in einer Bandbreite von etwa 4,2 Mill. bis 4,3 Mill. Die 70er-Jahre markieren auch das Ende eines hinsichtlich der Beschäftigung expandierenden Produzierenden Gewerbes, während gleichzeitig der Dienstleistungsbereich an Bedeutung gewinnt. Am Ende dieses Jahrzehnts verzeichnete der Produzierende Sektor ein Minus von 182 000 und der Dienstleistungssektor ein Plus von 406 000 Erwerbstätigen gegenüber dem Beginn der 70er-Jahre9.

Für die Exportwirtschaft brachte die erste Ölkrise heftige Einschnitte. Erstmals war in Baden-Württemberg wie auch im Bund infolge des weltweiten Konjunktureinbruchs 1975 ein drastischer Rückgang der Warenexporte um real fast 8 % zu registrieren. Dazu hatten vor allem die Nachfrageausfälle in den USA beigetragen, die bereits seit 1973 deutlich weniger Waren aus dem Südwesten bezogen. Schließlich sind dann 1975 auch die Exporte in die Europäische Union in den Minusbereich abgerutscht. Mit dem Anspringen der Weltkonjunktur 1976 konnten die Exporte dann wieder mit einer realen 2-stelligen Zuwachsrate von nahezu 13 % aufwarten.

Zwischen der zweiten Ölkrise 1981 und der Krise des Europäischen Währungssystems (EWS) 1993

Der Wirtschaftskrise, die in Baden-Württemberg im Jahr 1982 in einer BIP-Veränderungsrate von −0,3 % (Bund: −0,4 %) kumulierte, ging die zweite Ölkrise voraus. Ausgelöst wurde dieser neuerliche Ölpreisschock durch die politischen Umwälzungen im Iran 1979 und den iranisch-irakischen Krieg im Folgejahr. Wie schon im Zuge der ersten Ölkrise waren ein Anstieg der Inflation und der Arbeitslosigkeit die unmittelbaren Folgen. Die eher durchwachsenen Erfahrungen mit den damals ergriffenen aktiven antizyklischen Konjunkturmaßnahmen bedeuteten einen Dämpfer für den einstigen Steuerungsoptimismus. Gleichwohl ergriffen Bund und Länder expansive Maßnahmen, um der neuerlichen Flaute entgegenzuwirken10. Anders dagegen fiel die wirtschaftspolitische Reaktion der Bundesbank aus, die schon seit dem Frühjahr 1979 einen restriktiven, stärker auf Preisstabilität ausgerichteten Kurs verfolgte, diesen auch noch bis 1982 beibehielt, als die Wirtschaftskrise ihren Höhepunkt erreicht hatte, und die Fiskalimpulse damit konterkarierte. Diese Konstellation von expansiver Fiskalpolitik und restriktiver Geldpolitik ließ sich auch in den USA beobachten. Der Interessenkonflikt zwischen der Notenbank, die Preisstabilität als Grundvoraussetzung für Wachstum und Stabilität ansieht (was langfristig sicherlich zutrifft), und der Regierung, die unmittelbaren Beschäftigungseinbußen entgegenwirken möchte, tritt in der Zeit zwischen 1979 bis 1981 deutlich zutage. Allerdings legen die Zeitreihen von realem BIP-Wachstum, Arbeitslosenquote und Inflationsrate nahe, dass die »kurze Frist« und die »lange Frist« nicht unabhängig voneinander sind11. Mitunter wird die These vertreten, dass die (bis an den aktuellen Rand!) recht erfolgreiche Inflationsbekämpfung mit dem Anstieg der Sockelarbeitslosigkeit teuer erkauft wurde.

Als Ursache für dieses nicht nur in Deutschland, sondern in den westeuropäischen Volkswirtschaften allgemein festzustellende Phänomen sinkenden Trendwachstums und steigender Sockelarbeitslosigkeit wurden verkrustete Strukturen auf der Angebotsseite identifiziert, insbesondere auf Seiten des Arbeitsangebots, sowie ein vermeintlich leistungsfeindliches Steuersystem12. Entsprechend bestimmten angebotsorientierte Vorschläge zur Überwindung der Wachstumsschwäche die akademische und politische Diskussion der 80er-Jahre. In Deutschland manifestierte sich dieser Richtungswechsel politisch mit der Ablösung der sozial-liberalen Regierung durch eine christlich-soziale, der maßgeblich durch die Wirtschaftskrise nach dem zweiten Ölschock und den Streit um die angemessene wirtschaftspolitische Antwort darauf herbeigeführt wurde13. Das in der ersten Regierungserklärung des Bundeskanzlers Kohl verkündete wirtschaftspolitische Programm steht ganz im Geist der Angebotspolitik (ohne diesen Begriff zu verwenden): Haushaltskonsolidierung, Senkung der Abgabenlast und Entlastung der sozialen Sicherungssysteme sollten Arbeits- und Investitionsanreize setzen und der Wirtschaftsentwicklung so neuen Schwung verleihen14.

Nachdem die Krise von 1982 überwunden war, folgten zwischen 1983 und 1991 in Baden-Württemberg immerhin 7 Jahre mit einem realen Wirtschaftswachstum, das über dem Trend lag. Tatsächlich deutet sich in dieser Zeit erstmals seit Beginn der Aufzeichnungen sogar ein leichter Anstieg des Trendwachstums an, ehe der wirtschaftliche Einbruch von 1993 dieser Phase ein Ende setzte.

Exporte auf Wachstumskurs – deutlicher Arbeitsplatzabbau im Verarbeitenden Gewerbe

Die zweite Ölkrise hat beim Export insgesamt gesehen deutlich weniger Spuren hinterlassen als die erste Krise 1975. So mündete die Abschwächung der realen Wachstumsrate der Warenexporte Baden-Württembergs und des früheren Bundesgebiets 1983 in ein Minus von jeweils nur rund 1 %. Ausschlaggebend für diese Entwicklung waren die Exporte in die Länder der heutigen Europäischen Union. Dagegen sind die Exporte in die USA in den Jahren 1981 bis 1983 ungeachtet der Krise stets im 2-stelligen Bereich gewachsen. Dies dürfte damit zusammenhängen, dass es den USA durch die bereits oben erwähnte expansive Fiskalpolitik und der damit verbundenen hohen Güternachfrage gelungen ist, sich von der weltweiten Konjunkturabschwächung abzukoppeln. Die Exporte blieben von 1984 bis 1989 auf Wachstumskurs, was insbesondere einer kontinuierlich positiven Nachfrageentwicklung aus den Ländern der heutigen Europäischen Union zu verdanken war. Dagegen mussten die baden-württembergischen Exporteure bereits zum Ausgang der 80er-Jahre erhebliche Einbrüche beim USA-Geschäft hinnehmen.

Bemerkenswert ist, dass die Wachstumsphase nach der zweiten Ölkrise zwar – nicht in allen Bundesländern, wohl aber unter anderem in Baden-Württemberg – die Arbeitslosigkeit reduziert hat, jedoch keine Trendwende am Arbeitsmarkt herbeiführen konnte. Die Arbeitslosenquote stieg im Krisenjahr 1983 auf 5,9 %, das bedeutete mehr als 230 000 Arbeitslose im Land. Die Zunahme um insgesamt 110 000 in den Jahren 1982 und 1983 entsprach der Entwicklung in den beiden Krisenjahren der 70er-Jahre. Anschließend sank die Arbeitslosigkeit wieder, es blieb jedoch eine weiter gestiegene Sockelarbeitslosigkeit, die auch in den Boomjahren Anfang der 90er nicht mehr unter 159 000 Arbeitslosen lag. Die Zahl der Erwerbstätigen konnte mit rund 4,38 Mill. erst 1980 wieder das Niveau von 1973 übertreffen. Sie erhöhte sich dann kontinuierlich mit leichten Zuwächsen bis Ende der 80er-Jahre. Auch begünstigt durch hohe Zuwächse bei der Teilzeitarbeit war der Motor dieses enormen Beschäftigungsgewinns einmal mehr der Dienstleistungssektor. Aufgrund des deutlichen Zugewinns an Arbeitsplätzen im Dienstleistungsbereich waren 1982 dort erstmals mehr Erwerbstätige beschäftigt als im Produzierenden Gewerbe. Gebremst wurde die Beschäftigung im Produzierenden Gewerbe durch den starken Arbeitsplatzabbau in den Krisenjahren – wie schon in den Rezessionen davor. Der Aufschwung der 80er-Jahre war, wie so oft in der bundesdeutschen Geschichte, außenwirtschaftlich induziert, Strukturreformen auf dem Arbeitsmarkt blieben hingegen begrenzt.

EWS-Krise – Baden-Württemberg besonders stark betroffen

Die Wirtschaftskrise des Jahres 1993 war mit einem preisbereinigten Rückgang des BIP von 4,1 % die schwerste, die das Land Baden-Württemberg bis dato zu verkraften hatte. Vorausgegangen waren die erwähnten wachstumsstarken 80er-Jahre nach der zweiten Ölkrise sowie ab 1990 eine durch die deutsche Einheit bedingte Sonderkonjunktur, die durch die Ausgabenpolitik der Bundesregierung weitere Nahrung erhielt15. In dieser Phase befanden sich die meisten anderen Länder bereits in einer Abschwungphase. Die Folge waren Inflationsraten, die deutlich über der 2 %-Marke lagen – Raten, die die Europäische Zentralbank (EZB) heute als nicht tolerabel ansehen würde. Die Bundesbank verfolgte kein solches explizites Inflationsziel, betrachtete die Inflationsraten jedoch als nicht vereinbar mit der Preisstabilität und steuerte schon ab Ende der 80er-Jahre mit Zinserhöhungen entsprechend gegen. Die Folge war, dass die Zinserhöhungen in anderen Ländern des Europäischen Währungssystems nachvollzogen werden mussten, wenn die Wechselkurse verteidigt werden sollten. Die Entwicklung kumuliert im Jahr 1993, als an den Devisenmärkten Zweifel an der Nachhaltigkeit dieser Politik aufkamen und in entsprechenden Währungsspekulationen mündeten. Für die Wirtschaftskrise 1993 waren demnach vor allem folgende Wirkungszusammenhänge verantwortlich: Der Restriktionskurs der Bundesbank zeigte zum einen unmittelbar Wirkung auf die Binnennachfrage; die Nachfrage nach heimischen Exportgütern litt zum anderen unter dem wechselkursbedingten Verlust an preislicher Wettbewerbsfähigkeit und unter dem dämpfenden Effekt, den die von wichtigen Handelspartnern nachvollzogene restriktiven Zinspolitik auf die Güternachfrage hatte. Es dürfte gerade der letztgenannte Effekt sein, der dafür verantwortlich war, dass die baden-württembergische Wirtschaftsleistung mit −4,1 % deutlich stärker zurückging als die gesamtdeutsche (−0,8 %).

Der Rückgang der Gesamtexporte setzte 1990 mit der Abschwächung der Weltkonjunktur ein. Im Jahr 1993 war dann seit den Aufzeichnungen der Warenexporte in Baden-Württemberg mit einem realen Minus von gut 4 % der zweitstärkste Einbruch im Exportgeschäft nach der Ölkrise im Jahr 1975 zu verzeichnen. Bei der 93er-Rezession sind die Warenexporte im Bundesdurchschnitt mit annähernd 6 % etwas stärker zurückgegangen als in Baden-Württemberg. Aufgrund der stärkeren Exportorientierung der Südwestwirtschaft hat der Rückgang der Exporte hierzulande zu dem höheren BIP-Rückgang beigetragen. Zwar konnten die Exporte 1993 in die USA schon wieder deutlich zulegen, doch die Währungsturbulenzen in den europäischen Abnehmerländern und die damit einhergehenden enormen Einbußen bei den Exporten in die heutige Europäische Union haben letztendlich dazu geführt, dass die Gesamtbilanz der Geschäfte negativ ausfiel.

Den Arbeitsmarkt in Baden-Württemberg traf diese Entwicklung mit voller Wucht. Auf der bereits aufgebauten Sockelarbeitslosigkeit wurde in den beiden Krisenjahren 1992 und 1993 mit zusammen zusätzlichen 122 000 Arbeitslosen abermals ein stärkerer Anstieg als bei der letzten Rezession verzeichnet. Die Arbeitslosenzahl stieg auf 281 000, was einer Quote von 6,3 % entsprach.

Die zweite Hälfte der 90er-Jahre bis zur »Dotcom-Blase«

Die Wirtschaftskrise von 1993 wurde bereits im Folgejahr überwunden: 1994 betrug das preisbereinigte Wirtschaftswachstum in Baden-Württemberg 2,1 %, in Gesamtdeutschland 2,7 %. Die Zeit zwischen 1996 und 2001 war eine Phase stetigen Wachstums, das in Baden-Württemberg in jedem dieser Jahre höher ausfiel als im Bund. Wie schon in der Zeit des Aufschwungs in den 80er-Jahren konnte dies die Probleme auf dem Arbeitsmarkt weder im Bund noch im Land beheben. Die Zunahme der Arbeitslosigkeit setzte sich trotz der leicht über dem Trend liegenden Wachstumsraten fort und erreichte mit 382 000 Arbeitslosen 1997 einen vorläufigen Höhepunkt. Die seinerzeitige Arbeitslosenquote von 8,7 % markierte den bislang höchsten im Land registrierten Wert. Im Bund lag die Arbeitslosenquote bei 12,7 %, was ebenfalls einen Höchststand darstellt.

Nachdem Anfang der 90er-Jahre während der wirtschaftlichen Hochphase die Zahl der Erwerbstätigen geradezu auf 5,16 Mill. hochgeschnellt war, setzte anschließend parallel mit dem Anstieg der Arbeitslosigkeit eine kurze Periode des Arbeitsplatzabbaus in der Wirtschaft des Landes ein. Erst Mitte der 90er-Jahre begann wieder eine Phase expandierender Beschäftigung. Die schwache Entwicklung vor allem bis Mitte der 90er-Jahre war ausschließlich einem fortgesetzten Rückgang im Produzierenden Gewerbe – forciert wiederum in den Krisenjahren – geschuldet. Durch eine weitere Zunahme der Arbeitsplätze im Dienstleistungsbereich konnte diese Entwicklung annähernd kompensiert werden.

Das Wirtschaftswachstum der zweiten Hälfte der 90er-Jahre in Baden-Württemberg wurde in erster Linie von der guten Weltkonjunktur getragen. Die jährliche Zuwachsrate der Exporte kletterte in Baden-Württemberg bis zum Jahr 2000 auf einen seit Jahren nicht mehr registrierten Spitzenwert von real fast 16 % (Deutschland: rund 14 %). Dadurch konnte der seit den 50er-Jahren zu beobachtende negative Trend der Export-Wachstumsraten unterbrochen werden, sodass sich vorübergehend ein positiver Trend einstellte. Für diese Entwicklung dürfte zum einen die Vollendung des europäischen Binnenmarktes, zum anderen auch der gestiegene Güterbedarf in den Reformstaaten des früheren Ostblocks und in den aufstrebenden Ländern Asiens wie China und Indien gewesen sein. Extrem hoch waren in der zweiten Hälfte der 90er-Jahre zum Teil die Wachstumsraten der baden-württembergischen Warenexporte in die USA. Noch in keiner so kurzen Zeitspanne zuvor stieg die Exportquote Baden-Württembergs um rund 10 Prozentpunkte an, sodass sie im Jahr 2000 einen Wert von 34 % erreichte (1994: 24 %). Deutlich dahinter zurück blieb die bundesdurchschnittliche Quote von knapp 29 %.

Insbesondere in den USA sah man sich einer Phase vergleichsweise starken Wirtschaftswachstums und Beschäftigungsaufbaus gegenüber. Dass dies bei moderaten Inflationsraten vonstatten ging, wurde mit dem ebenfalls zu verzeichnenden Anstieg der Arbeitsproduktivität in Verbindung gebracht, der wiederum auf den breiten Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologie zurückgeführt wurde16. Die großen Hoffnungen auf eine neue Ära dauerhaft hoher Wachstumsraten bei moderaten Inflationsraten – das gesamtwirtschaftlich vermeintlich Neue an der »New Economy« – erwiesen sich als zu euphorisch und mündeten im Platzen der sogenannten »Dotcom-Blase« auf den Aktienmärkten im Jahr 2000. Die daraus resultierenden Vermögensverluste im In- und Ausland bewirkten in Baden-Württemberg den Beginn eines wirtschaftlichen Abschwungs, der im Jahr 2002 mit einem realen Rückgang der Wirtschaftsleistung um 1,3 % seinen Tiefpunkt im Land erreicht hatte. Deutschland insgesamt war weniger betroffen: Hier stagnierte die Wirtschaftsleistung in den Jahren 2002 und 2003 nahezu. Von einer wirtschaftlichen Erholung konnte in Baden-Württemberg bis 2005 nur begrenzt die Rede sein. Erst 2006 übertraf das Wirtschaftswachstum das ohnehin schon niedrige und rückläufige Trendwachstum wieder.

Zögerlicher Start ins neue Jahrtausend

Nach der Jahrtausendwende hat sich das Exportwachstum bis 2002 deutlich abgeschwächt. Die baden-württembergischen Exporte in die USA waren sogar von 2001 bis 2003 rückläufig, wogegen in die Länder der heutigen Europäischen Union weiterhin Zuwächse zu verzeichnen waren. Allmählich nahm der Exportmotor Fahrt auf, und im Jahr 2006 ergab sich mit real rund 13 % insgesamt wieder ein 2-stelliges Exportwachstum – dies sowohl in die USA als auch in die Länder der heutigen Europäischen Union. Mittlerweile erhöhte sich die Exportquote Baden-Württembergs auf fast 42 %, die von Deutschland auf rund 39 %. Zur Erinnerung: 1950 betrug die baden-württembergische Quote nur rund 7 % (Bund: 12 %). Dieser über die Jahrzehnte hinweg enorme Anstieg der Exportquote macht deutlich, dass im voranschreitenden Prozess der Globalisierung die Erfolge Baden-Württembergs auf den Weltmärkten eine wesentliche Voraussetzung für den erreichten materiellen Wohlstand im Lande waren. Allerdings ist durch die hohe Exportabhängigkeit der Industrie die Anfälligkeit der Südwestwirtschaft gegenüber konjunkturellen Schwankungen der Weltwirtschaft in besonderer Weise gestiegen.

In den beiden Rezessionsjahren 2002 und 2003 lag die Zunahme der Arbeitslosenzahl mit insgesamt knapp 73 000 zwar unter den absoluten Anstiegen der jeweiligen Wirtschaftsabschwünge seit den 70er-Jahren, die Sockelarbeitslosigkeit blieb allerdings auf einem hohen Niveau. Erschwerend kam hinzu, dass die nur geringen Wachstumsraten der Wirtschaftsleistung bis zur Mitte der Dekade nicht ausreichten, die Erwerbslosigkeit abzubauen. Im Gegenteil: 2005 wurde als Folge der schwachen Konjunkturentwicklung mit über 385 000 Personen ein neuer Rekord bei den (absoluten) Arbeitslosenzahlen erreicht. Gleichzeitig sank die Erwerbstätigkeit leicht, um dann ab 2004 wieder stetig zu steigen. Die größten Sprünge bei der Erwerbstätigkeit in diesen Aufschwungjahren gab es 2007 und 2008 mit einem Plus von zusammen rund 178 000 Personen, sodass im zurückliegenden Jahr mit durchschnittlich 5,61 Mill. Erwerbstätigen in Baden-Württemberg ein neuer Höchststand erreicht wurde. Hierdurch kam es zu einem spürbaren Absinken der Arbeitslosenzahlen. Im Jahresdurchschnitt 2008 waren nur noch rund 229 000 Personen ohne Arbeit. Die Arbeitslosenquote konnte somit erstmals in einer Erholungsphase nach überstandener Krise in den Zyklen der Nachkriegszeit unter die Quote der vorherigen konjunkturellen Hochphase gedrückt werden.

In der Bilanz aller seitherigen Wirtschaftskrisen hat Baden-Württemberg als Land mit dem bundesweit höchsten Industrieanteil bei gleichzeitig hoher Exportintensität vor allem in den Krisenjahren hohe Beschäftigungsverluste im Produzierenden Gewerbe zu verkraften, während parallel der Dienstleistungssektor nur geringe Einbußen oder sogar Zuwächse in den Krisenjahren verbuchte. Die Beschäftigungsverluste im Produzierenden Gewerbe dürften somit maßgeblich zum Anstieg der Sockelarbeitslosigkeit in den letzten Jahrzehnten beigetragen haben. Einer gestiegenen Sockelarbeitslosigkeit in den letzten Jahrzehnten steht allerdings auch eine erhebliche Ausweitung der Erwerbstätigkeit der Gesamtwirtschaft gegenüber. Angesichts einer zwischen 1950 und 2008 um 4,3 Mill. erheblich gestiegenen Einwohnerzahl in Baden-Württemberg und einer über die Jahrzehnte recht stabilen und seit Mitte der 90er-Jahre wieder ansteigenden Erwerbstätigenquote17 bewies der Arbeitsmarkt im Land somit insgesamt eine beachtliche Aufnahmekapazität. Ob das Muster einer kompensatorischen Funktion des Dienstleistungssektors auch in der derzeitigen Wirtschafts- und Finanzkrise Gültigkeit hat, ist zu bezweifeln. Schließlich haben auch viele Dienstleistungsunternehmen unter den Folgen der Finanzkrise erheblich zu leiden.

Schlussfolgerung für die aktuelle Wirtschaftskrise

Es ist abzusehen, dass die baden-württembergische Wirtschaft 2009 die schwerste Wirtschaftskrise seit Bestehen des Landes durchmacht. In den ersten beiden Quartalen des Jahres ging die Wirtschaftsleistung in Baden-Württemberg um etwa 10 bzw. 11 % gegenüber dem Vorjahreszeitraum zurück. Nach jetzigem Kenntnisstand dürfte die Wirtschaftsleistung im Südwesten damit stärker schrumpfen als in Gesamtdeutschland. Wie noch bei keiner Rezession zuvor sind die Warenexporte Baden-Württembergs im 1. Halbjahr 2009 gegenüber dem Vorjahreszeitraum um rund ein Viertel eingebrochen.

Der tiefe Einschnitt bei der wirtschaftlichen Entwicklung und das beachtliche Tempo der konjunkturellen Talfahrt, die sich besonders in einer stark zurückgefahrenen Industrieproduktion niederschlagen, deuten auf einen im Vergleich zu vergangenen Rezessionen rasanteren und schnelleren Verlust an Arbeitsplätzen in der aktuellen Wirtschaftskrise hin. So gingen in den 9 Monaten nach dem Beschäftigungshöhepunkt (im September 2008) – also in der Anfangsphase des Personalabbaus – mit Einsetzen der konjunkturellen Abwärtsentwicklung mit rund 54 000 Beschäftigten im Verarbeitenden Gewerbe bereits fast doppelt so viele Arbeitsplätze verloren wie in der Wirtschaftskrise 2002. Dies korrespondiert mit der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung in der baden-württembergischen Gesamtwirtschaft, die in den 8 Monaten nach dem Beschäftigungshoch im Herbst vergangenen Jahres mit einem Minus von rund 89 000 deutlich stärker abnahm als im Vergleichszeitraum in der letzten Rezession. Gleichzeitig fiel die sonst einsetzende Frühjahrsbelebung auf dem Arbeitsmarkt im März dieses Jahres aus. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass eine noch größere Belastung für den Arbeitsmarkt durch die hohe Ausweitung der Kurzarbeit verhindert wurde. Trotzdem stieg die Arbeitslosigkeit im Land dramatisch. Im 2. Quartal 2009 erhöhte sich die Anzahl der Arbeitslosen gegenüber dem Vorjahresquartal um knapp 28 %, während dieser Wert im Bund lediglich bei 6 % lag.

Wenngleich das Ausmaß der aktuellen Krise ohne Beispiel ist, sind es die Ursachen nicht unbedingt. Die Kombination aus negativer realer BIP-Veränderungsrate und sinkender Inflationsrate weist die aktuelle, durch die Verwerfungen an den Finanzmärkten ausgelöste Wirtschaftskrise als vornehmlich nachfrageseitige Störung aus. Der Umstand, dass Baden-Württemberg stärker als der Bund betroffen ist, fügt sich in den historischen Rahmen: Die gesamtwirtschaftlichen Eckdaten legen nahe, dass die Ölkrisen der 70er- und 80er-Jahre zunächst die Kostensituation der Unternehmen belasteten, und zwar unabhängig davon, ob diese eher export- oder binnenorientiert waren. Insofern ist es erklärlich, dass die Krisen von 1982 und (mit Einschränkungen) 1974/75 Baden-Württemberg und Gesamtdeutschland in annähernd gleichem Maß betrafen. Kennzeichen der Wirtschaftskrisen von 1993, von 2002/03 und der aktuellen Krise ist, dass es sich um außenwirtschaftlich induzierte Nachfragestörungen handelt, die die Exportwirtschaft und damit die Wirtschaft Baden-Württembergs überdurchschnittlich treffen. Insofern ist die aktuelle Lage von den Ursachen her eher mit 1993 und 2002/03 vergleichbar als mit den Krisen der 70er- und frühen 80er-Jahre. Entsprechend ist die Hoffnung begründet, dass die aktuell beschlossenen und bereits angelaufenen massiven Ausgabenprogramme der Industrieländer zielgerichteter wirken als die, die anlässlich der Ölkrisen aufgelegt wurden. Hinzu kommt, dass die Geldpolitik – anders als in der Phase zwischen 1979 und 1982 sowie zwischen 1988 und 1992 – keine gegenläufigen, sondern unterstützende Maßnahmen ergreift, sowohl in den USA die Federal Reserve, als auch in Europa die EZB.

Ein weiteres Argument dafür, warum die gegenwärtigen fiskal- und geldpolitischen Impulse auf fruchtbaren Boden fallen dürften ist, dass nach der Jahrtausendwende wesentliche strukturelle Reformen auf dem Arbeitsmarkt in Angriff genommen wurden. Seitdem schien sich hier eine Trendwende abzuzeichnen: So stieg die Arbeitslosigkeit im Zuge der 2002er-Krise zwar erwartungsgemäß an; die anschließende konjunkturelle Erholung ließ aber die Arbeitslosenquoten der Jahre 2007 und 2008 auf bzw. unter den Wert von 2001 sinken – möglicherweise ein Zeichen dafür, dass die »Hartz-Reformen« am Arbeitsmarkt dazu beigetragen haben, die Strukturen am Arbeitsmarkt aufzulockern. Ob diese Trendwende auf dem Arbeitsmarkt nach dem zu erwartenden starken Anstieg der Arbeitslosigkeit infolge der derzeitigen Konjunktur- und Finanzkrise Bestand haben wird, ist indessen fraglich.

1 Vgl. Buchheim, Christoph: Die Errichtung der Bank deutscher Länder und die Währungsreform in Westdeutschland, in: Deutsche Bundesbank (Hg.); Fünfzig Jahre Deutsche Mark. Notenbank und Währung in Deutschland seit 1948, München 1998, S. 91–138, hier: S. 92 ff.

2 Giersch, Herbert u.a.: The Fading Miracle. Four Decades of Market Economy in Germany, Cambridge 1992, S. 36 ff.

3 Holtfrerich, Carl-Ludwig: Geldpolitik bei festen Wechselkursen (1948–1970), in: Deutsche Bundesbank (Hg.) 1998, S. 347–438, hier: S. 373. Holtfrerich referiert hier auch die wissenschaftliche Diskussion.

4 Aus datenbedingten und konzeptionellen Gründen ist die Exportquote Baden-Württembergs mit der des Bundes nur eingeschränkt vergleichbar.

5 Arbeitslose in Prozent der abhängigen zivilen Erwerbspersonen.

6 Die Arbeitslosen- bzw. Erwerbstätigenzahlen für die 50er- und 60er-Jahre basieren auf den Ergebnissen der Bundesagentur für Arbeit bzw. der Volkszählung und des Mikrozensus Erwerbstätige in Baden-Württemberg seit 1950 nach Stellung im Beruf.

7 Kitterer, Wolfgang: Öffentliche Finanzen und Notenbank, in: Deutsche Bundesbank (Hg.) 1998, S. 199–256, hier: S. 216–218.

8 Dass die Fiskalpolitik nicht nur auf Konjunkturstabilisierung beschränkt sein solle, sondern zusätzlich auch sozialpolitische und Umverteilungsziele verfolgen solle, war in allen Volksparteien Konsens. Vgl. Kitterer 1998, S. 219 f.

9 Ab 1970 wurden die Erwerbstätigenzahlen der Erwerbstätigenrechnung des Arbeitskreises »Erwerbstätigenrechnung des Bundes und der Länder« zugrunde gelegt.

10 Baltensperger, Ernst: Geldpolitik bei wachsender Integration (1979–1996), in: Deutsche Bundesbank (Hg.) 1998, S. 475–559, hier: S 477 ff.

11 Vgl. Franz, Wolfgang: Will the (German) NAIRU Please Stand Up?, in: German Economic Review 6(2) [2005], S. 131–153.

12 Giersch prägte hierfür den eingängigen Begriff der »Eurosklerose«. Vgl. Giersch, Herbert: Eurosclerosis, Kieler Diskussionsbeiträge 112/1985.

13 Vgl. die Denkschrift des damaligen liberalen Wirtschaftsministers Graf Lambsdorffs vom 9. September 1982.

14 Protokoll der 121. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 13. Oktober 1982.

15 Gros, Daniel/Thygesen, Niels: European Mone-tary Integration, 2. Aufl., Harlow 1998, S. 93 ff.

16 Bosworth, Barry P./Triplett, Jack E.: What’s New About the New Economy? IT, Economic Growth and Productivity, in: Brookings Economic Papers, 2000.

17 Die Erwerbstätigenquote bezeichnet den Anteil der Erwerbstätigen im Alter von 15 bis unter 65 Jahren an der Bevölkerung im gleichen Alter.