:: 4/2010

Arbeitsmarktbilanz 2009: negativ und doch positiv

Der Arbeitsmarkt in Baden-Württemberg geriet im Jahr 2009 immer mehr in den Sog der weltweiten Wirtschaftskrise. Die Zahl der Erwerbstätigen ging um fast 29 000 zurück und es wurden 339 Mill. Stunden weniger gearbeitet. So negativ wie diese Bilanz auf den ersten Blick erscheinen mag ist sie jedoch nicht. Angesichts eines noch nie in dieser Stärke gemessenen Rückgangs der realen Wirtschaftsleistung von 7,4 % stand der baden-württembergische Arbeitsmarkt im vergangenen Jahr auch im positiven Licht der Beschäftigungssicherung. Die Arbeitgeber setzten alles daran, ihr Personal so lange wie möglich zu halten und Auftragslücken mittels eines Abbaus von Arbeitszeitguthaben und der Anmeldung von Kurzarbeit zu überbrücken.

29 000 Erwerbstätige und 339 Mill. Arbeitsstunden weniger

Die Arbeitsmarktbilanz für das Jahr 2009 fällt erstmals seit 6 Jahren wieder negativ aus. Vorläufigen Berechnungen des Arbeitskreises »Erwerbstätigenrechnung des Bundes und der Länder« zufolge sank die Zahl der Erwerbstätigen in Baden-Württemberg jahresdurchschnittlich um fast 29 000 bzw. 0,5 % auf 5,57 Mill. In dieser Arbeitsmarktbilanz spiegeln sich erste Auswirkungen der schweren weltweiten Wirtschaftskrise wider. Der Stellenabbau im Jahr 2009 traf in erster Linie die sozialversicherungspflichtig beschäftigten Arbeitnehmer, die mit einem Anteil von rund 70 % mit Abstand größte Gruppe der Erwerbstätigen. Im Jahr 2009 waren nach vorläufigen Angaben der Bundesagentur für Arbeit durchschnittlich 3,87 Mill. Personen in Baden-Württemberg sozialversicherungspflichtig beschäftigt, rund 34 000 weniger als im Vorjahr.

In weitaus stärkerem Maß als die Zahl der erwerbstätigen Personen ist im vergangenen Jahr die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden zurückgegangen. Nach Auswertung erster vorläufiger Arbeitsvolumen-Berechnungen arbeiteten im Jahr 2009 die 5,57 Mill. Erwerbstätigen insgesamt 7,6 Mrd. Stunden, rund 339 Mill. Stunden bzw. 4,3 % weniger als ein Jahr zuvor. Damit erreichte die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden ihren niedrigsten Wert seit dem Jahr 1999. Die durchschnittliche Pro-Kopf-Arbeitszeit, also die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden je Erwerbstätigen, hat sich im Jahr 2009 im Südwesten um 3,8 % auf 1 366 verringert.

Kurzarbeit sichert Arbeitsplätze

Gemessen am Rückgang der geleisteten Arbeitsstunden um 4,3 % ist die Zahl der Erwerbstätigen im Jahr 2009 um 0,5 % und damit lediglich ein Achtel so stark zurückgegangen. Dies zeigt, dass die Arbeitgeber im Land im vergangenen Jahr nur im äußersten Notfall ihr Personal entlassen und Auftragseinbußen in erster Linie durch den Abbau von Guthaben auf Arbeitszeitkonten und die Anmeldung von Kurzarbeit aufgefangen haben.

Ohne die starke Inanspruchnahme der Kurzarbeit wären die Auswirkungen der Wirtschaftskrise auf den baden-württembergischen Arbeitsmarkt weitaus gravierender ausgefallen. Nach vorläufigen Angaben der Bundesagentur für Arbeit waren in Baden-Württemberg im Jahr 2009 durchschnittlich rund 9 300 Betriebe und über 232 000 Beschäftigte aus konjunkturellen Gründen von Kurzarbeit betroffen, das sind 8 600 Betriebe und 225 000 Beschäftigte mehr als 2008. Gemessen an der Schwere der aktuellen Wirtschaftskrise präsentierte sich der Arbeitsmarkt daher noch sehr robust.

Stellenabbau im Verarbeitenden Gewerbe so stark wie seit 1994 nicht mehr

Die weltweite Wirtschaftskrise hat insbesondere die hierzulande stark vertretene exportorientierte Industrie getroffen. In der Industrie, wo fast 1,8 Mill. Menschen im Land tätig sind, wurden mehr als 47 000 Stellen abgebaut (– 2,6 %), so viele wie seit dem Jahr 2003 nicht mehr. Der Stellenabbau betraf mit einem Verlust von über 46 000 Arbeitsplätzen dabei fast ausschließlich das stark exportorientierte Verarbeitende Gewerbe (– 3,1 %). Dort war der Personalabbau im Jahr 2009 sogar so stark wie seit dem Jahr 1994 nicht mehr. Die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden ging im Verarbeitenden Gewerbe um 238 Mill. oder 11,1 % auf 1,9 Mrd. zurück, sodass im Jahr 2009 alleine 70 % des geringeren Arbeitseinsatzes auf das Konto der Industrie ging.

Die Dienstleistungsbranchen im Land haben auch im Jahr 2009 ihren Personalbestand erhöht, allerdings mit deutlich gedrosseltem Tempo. Die Zahl der Arbeitsplätze im Dienstleistungssektor stieg per saldo nach einem Plus von 60 000 im Jahr 2008 aktuell noch um rund 18 000 auf nunmehr fast 3,7 Mill. und konnte den Abbau an Industriearbeitsplätzen lediglich zu gut einem Drittel ausgleichen. Es waren in erster Linie die öffentlichen und privaten Dienstleister, allen voran das Gesundheitswesen, die den Stellenzuwachs im Dienstleistungssektor getragen haben. Der Bereich Banken, Versicherungen und Unternehmensdienstleistungen baute dagegen über 19 000 Arbeitsplätze ab (– 2,1 %). Insbesondere die Anbieter unternehmensnaher Dienstleistungen, zu denen beispielsweise Zeitarbeitsfirmen, aber auch Wirtschafts-, Steuer- und Rechtsberater, die Werbebranche, Ingenieur- und Architekturbüros gehören, gerieten mit der Industrie in den Sog der Wirtschaftskrise. Besonders stark traf die Wirtschaftskrise die Gruppe der Leiharbeitnehmer, die wegen ihrer Arbeitsverträge wirtschaftsfachlich zwar dem Dienstleistungsbereich zugeordnet, jedoch häufig in der Industrie tätig sind. 2009 waren durchschnittlich noch 56 000 Personen in der Zeitarbeitsbranche beschäftigt, fast 26 000 weniger als im Vorjahr (– 31 %).

Südwesten bundesweit am stärksten von Wirtschaftskrise betroffen

Im bundesweiten Vergleich schnitt Baden-Württemberg im Jahr 2009 wegen seiner stark exportorientierten Industrie schlechter ab als die meisten anderen Bundesländer. Lediglich in Thüringen (– 1,2 %), Sachsen und im Saarland (jeweils – 0,8 %) war der prozentuale Abbau an Arbeitsplätzen stärker als hierzulande (– 0,5 %). Bundesweit ging die Zahl der Erwerbstätigen 2009 um 14 000 oder 0,03 % auf 40,3 Mill. zurück, wobei es in 7 Bundesländern noch einen Zuwachs an Erwerbstätigen gab, allen voran in Berlin (+ 1,7 %) und Hamburg (+1,0 %).

Die starke Inanspruchnahme der Kurzarbeit hat maßgeblich dazu beigetragen, dass die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden in keinem anderen Bundesland so stark zurückgegangen ist wie im Südwesten. Bundesweit sank die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden um 2,8 % auf 56 Mrd. Insbesondere in Baden-Württemberg wurde die Möglichkeit der Kurzarbeit zur Überbrückung der Auftragsschwäche genutzt. Von den durchschnittlich fast 1,1 Mill. Arbeitnehmern, die nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit im Jahr 2009 bundesweit aus konjunkturellen Gründen von Kurzarbeit betroffen waren, entfielen alleine 232 000 auf Baden-Württemberg. Dies entspricht einem Kurzarbeiteranteil von 21 %, der spürbar höher liegt als der Anteil der Erwerbstätigen von knapp 14 %. Auch in anderen Bundesländern, in denen im Jahr 2009 die Kurzarbeit eine vergleichsweise große Rolle spielte, ist die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden gegenüber dem Vorjahr überdurchschnittlich stark zurückgegangen.

Pro-Kopf-Arbeitszeit mit 1 366 Stunden im Südwesten vergleichsweise gering

Im vergangenen Jahr arbeitete ein Erwerbstätiger in Baden-Württemberg durchschnittlich 1 366 Stunden, 54 Stunden weniger als 2008. Im Verarbeitenden Gewerbe ging die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden je Erwerbstätigen sogar um 117 auf 1 302 zurück (– 8 %). Das Niveau der durchschnittlich geleisteten Arbeitszeit je Erwerbstätigen fällt in den Bundesländern recht unterschiedlich aus und reichte im vergangenen Jahr von 1 451 Stunden in Brandenburg bis 1 359 Stunden in Bremen. Baden-Württemberg hatte bundesweit die fünftniedrigste Pro-Kopf-Arbeitszeit. Die Unterschiede haben jedoch nichts mit dem unterschiedlichen Fleiß der Beschäftigten in den Bundesländern, sondern mit einer Vielzahl ganz anderer Faktoren zu tun. In erster Linie ist die Branchenstruktur in den Ländern hierfür ausschlaggebend, die wiederum mit unterschiedlichen tariflichen Arbeitszeitregelungen sowie der unterschiedlichen Bedeutung der Mini- und Teilzeitjobs sowie im Jahr 2009 sehr eng mit dem Umfang der konjunkturell bedingten Kurzarbeit verbunden ist. Tendenziell ist die Pro-Kopf-Arbeitszeit umso höher, je mehr Personen Vollzeit arbeiten oder umgekehrt je geringer insbesondere die Bedeutung der marginalen Beschäftigung und der Kurzarbeit, aber auch der Teilzeitbeschäftigung ist.

In Baden-Württemberg führte der Stellenabbau im vergangenen Jahr nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit zu einem jahresdurchschnittlichen Zuwachs der Arbeitslosenzahl um fast 56 000 auf 285 000. Die Arbeitslosenquote betrug 5,1 %. Trotz der gestiegenen Arbeitslosigkeit blieb Baden-Württemberg nach Bayern (4,8 %) das Bundesland mit der niedrigsten Arbeitslosenquote. Bundesweit betrug die Arbeitslosenquote 8,2 %.

Weitere Informationen zum Thema Arbeitsmarkt enthält die Internet-Veröffentlichung »Arbeitsmarkt in Baden-Württemberg – Indikatoren zur Konjunktur und Struktur«, die vierteljährlich aktualisiert wird. In kompakten Kurzanalysen sowie anschaulichen Abbildungen und Tabellen sind wichtige Arbeitsmarktindikatoren für Baden-Württemberg, seine Regionen und alle Stadt- und Landkreise dargestellt.

1 Zu den Erwerbstätigen, die in Baden-Württemberg ihren Arbeitsplatz haben, zählen neben den sozialversicherungspflichtig beschäftigten Arbeitnehmern auch Selbstständige (einschließlich mithelfende Familienangehörige), Beamte und ausschließlich marginal Beschäftigte wie Personen mit Minijobs oder Zusatzjobs (sogenannte Ein-Euro-Jobs).

2 Das Arbeitsvolumen umfasst die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden aller Erwerbstätigen, die als Arbeitnehmer (Arbeiter, Angestellte, Beamte, Richter, marginal Beschäftigte, Soldaten) oder als Selbstständige bzw. als mithelfende Familienangehörige eine auf wirtschaftlichen Erwerb gerichtete Tätigkeit ausüben. Hierzu zählen auch die geleisteten Arbeitsstunden von Personen mit mehreren gleichzeitigen Beschäftigungsverhältnissen. Bezahlte, aber nicht geleistete Arbeitsstunden wie Jahresurlaub, Erziehungsurlaub, Feiertage, Kurzarbeit oder krankheitsbedingte Abwesenheit zählen nicht zum Arbeitsvolumen.