:: 5/2011

Zur Entwicklung der Eheschließungen in Baden-Württemberg

»Heiraten wird zum Auslaufmodell« oder »Heiraten ist out« – solche oder ähnliche Schlagzeilen beherrschen zunehmend die Diskussion, wenn es um das Heiratsverhalten geht. Tatsächlich wird in Baden-Württemberg immer später und immer seltener geheiratet; dennoch ist die Ehe weiterhin die häufigste Familienform.

Im folgenden Beitrag werden die aktuellen Trends bei den Eheschließungen aufgezeigt. Insbesondere soll den Gründen für die gesunkene Heiratsneigung nachgegangen werden, aber auch den Fragen, wie sich das Heiratsverhalten in den einzelnen Altersgruppen entwickelt hat, ob Eheschließungen zwischen Deutschen und Ausländern heute häufiger als früher sind, und weshalb der Monat Dezember für eine Hochzeit in den letzten Jahren zunehmend attraktiv geworden ist.

Die Eheschließungszahlen in Baden-Württemberg wiesen in den letzten Jahrzehnten erhebliche Schwankungen auf. 1962 erreichte die Zahl der Heiraten mit knapp 73 000 ihren höchsten Stand seit Bestehen des Landes. In den Folgejahren sank ihre Zahl auf den bisher niedrigsten Wert im Jahr 1978 (47 000), um danach bis 1990 wieder deutlich auf gut 61 000 anzusteigen. Derzeit scheinen sich die Eheschließungszahlen nach einer erneuten Abnahme auf einem relativ niedrigen Niveau von rund 48 000 zu stabilisieren. Mittel- und langfristig ist allerdings – demografisch bedingt – mit einem Rückgang zu rechnen, weil um das Jahr 2020 schwächer besetzte Jahrgänge in das heiratsintensive Alter aufrücken werden.

Geheiratet wird später – wenn überhaupt

Aus der Entwicklung der Eheschließungszahlen lassen sich nur sehr bedingt Rückschlüsse auf das Heiratsverhalten ziehen. Denn diese sind nicht nur von der eigentlichen »Heiratsneigung« abhängig, sondern auch von der Entwicklung der Erwachsenenzahl und deren altersstruktureller Zusammensetzung. Das heißt, der Rückgang der Heiratszahlen könnte im Extremfall ausschließlich auf eine Abnahme der Personenzahl im heiratsfähigen Alter zurückzuführen sein.

Um diesen Einfluss der Bevölkerungszahl und -struktur zu eliminieren, werden Heiratshäufigkeiten in den einzelnen Altersgruppen durch den Bezug auf jeweils 1 000 Nichtverheiratete des entsprechenden Alters berechnet (siehe i-Punkt). Ein Vergleich der Ergebnisse für 1970, 1990 und 2009 zeigt dann für das Erstheiratsverhalten insbesondere, dass die Heiratshäufigkeit in den letzten Jahrzehnten bei den Frauen bis zu einem Alter von etwa 32 Jahren und bei den bis zu 35-jährigen Männern enorm zurückgegangen ist. Aber auch bei den Älteren wird die Heiratsneigung früherer Jahre nur knapp erreicht. Dies deutet darauf hin, dass ein Nachholen von vorher aufgeschobenen Eheschließungen in späteren Altersphasen bei Ledigen nicht stattfindet;1 derzeit die Frauen im Alter bis etwa 33 Jahre eine höhere Heiratshäufigkeit aufweisen als gleichaltrige Männer. In den älteren Altersgruppen ist dagegen die Heiratsbereitschaft der Männer etwas größer. Noch 1970 war es so, dass die Heiratsneigung der Frauen nur bis zum Alter von 27 Jahren höher als die der Männer lag.

Insgesamt haben diese Verhaltensänderungen dazu geführt, dass das durchschnittliche Heiratsalter deutlich angestiegen ist. So heirateten 1970 ledige Männer im Durchschnitt mit 26 Jahren, 2009 dagegen erst mit 32,8 Jahren. Bei den ledigen Frauen ist das durchschnittliche Heiratsalter seit 1970 ebenfalls um knapp 7 Jahre angestiegen und zwar von 23,4 Jahren auf zuletzt 30 Jahre.

Ursache für den Anstieg des Erstheiratsalters ist unter anderem, dass sich die Ausbildungszeiten und das Alter bis zur beruflichen Etablierung erhöht haben. Hinzu kommt, dass Paare zunehmend vor der Eheschließung längere Zeit unverheiratet zusammenleben und dass diese oftmals erst nach der Geburt eines Kindes heiraten.2 Noch stärker ist das durchschnittliche Heiratsalter der Geschiedenen seit 1970 angestiegen, nämlich um jeweils 9 Jahre auf zuletzt 47,4 Jahre bei den Männern und 43,6 Jahre bei den Frauen.

Altersunterschied der Ehepartner bei der Heirat hat sich kaum geändert

Noch 1970 konzentrierten sich die Eheschließungen auf Alterskombinationen, bei denen die Männer bei der Heirat 21 bis 23 Jahre und die Frauen sogar erst 18 bis 21 Jahre alt waren. Heute heiraten in Baden-Württemberg am häufigsten 27 bis 30-jährige Männer und Frauen, die zwischen 26 und 29 Jahre alt sind.

Allerdings ist die Verteilung der Alterskombinationen im Vergleich zu früheren Jahren gleichmäßiger geworden – einfach deshalb, weil häufig auch in einem höheren Alter geheiratet wird. Während es 1970 immerhin 22 Alterskombinationen bei den Hochzeitspaaren gab, deren Anteil an allen Eheschließungen jeweils mindestens 1 % betrug, waren es 1990 noch 16 Alterskombinationen, 2009 aber keine einzige.

Dass die Verteilung der Alterskombinationen gleichmäßiger geworden ist, sagt noch nichts darüber aus, ob der durchschnittliche Altersunterschied der Ehepartner in den letzten Jahrzehnten größer oder kleiner geworden ist. Tatsächlich ist es so, dass sich dieser Unterschied zwischen 1970 und 1990 nicht verändert hat. Der durchschnittliche Altersunterschied der Ehepartner betrug jeweils 4,2 Jahre. Seit 1990 hat sich dieser Unterschied geringfügig auf 4,5 Jahre erhöht.3

Wenn auch bei den meisten Hochzeiten der Altersunterschied zwischen den Brautpaaren nur wenige Jahre beträgt, so gab und gibt es doch Vermählungen, bei denen das Paar praktisch unterschiedlichen Generationen angehört. Immerhin 124 Männer hatten 2009 eine mindestens 25 Jahre jüngere Frau geheiratet; dagegen war nur bei 7 Hochzeiten die Braut mindestens ein Vierteljahrhundert älter als der Bräutigam.

Immer weniger heiraten als Ledige

Die meisten Männer und Frauen, die sich das »Ja-Wort« geben, gehen auch heute noch als Ledige zum Standesamt. 2009 waren dies gut 77 % der Frauen und knapp 77 % der Männer. Allerdings haben sich diese Anteile deutlich verringert. 1970 waren noch 89 % der Frauen vor der Heirat ledig, bei den Männern waren es immerhin 87 %.

Im Gegenzug hat sich der Anteil der Geschiedenen, die 2009 wieder geheiratet haben, gegenüber 1970 auf etwa 22 % mehr als verdoppelt. Dagegen spielen die Wiederverheiratungen Verwitweter zahlenmäßig nur eine geringe Rolle (1 %). Allerdings ist auffällig, dass die Bereitschaft, nach dem Tod des Ehepartners erneut zu heiraten, bei den Männern fast sieben Mal so stark ausgeprägt ist wie bei den Frauen.4

Ehen zwischen Deutschen und Ausländern werden häufiger

Bei 81 % der 2009 geschlossenen Eheschließungen hatten sowohl die Frau als auch der Mann die deutsche Staatsangehörigkeit. Noch 1970 besaßen bei nahezu 9 von 10 Ehen beide Partner die deutscher Nationalität. Spiegelbildlich ist in den letzten Jahrzehnten der Anteil gemischtnationaler Ehen angestiegen – von lediglich gut 7 % im Jahr 1970 auf zuletzt immerhin 15,4 %. Während bis zu Beginn der 90er-Jahre die Fälle in der Mehrzahl waren, in denen die Braut Deutsche und der Bräutigam Ausländer war, sind heute Heiraten von deutschen Männern und ausländischen Frauen unter den binationalen Eheschließungen in der Überzahl.

Bei deutsch-ausländischen Eheschließungen waren 2009 solche zwischen deutschen Frauen und türkischen Männern (696) sowie zwischen deutschen Frauen und italienischen Männern (545) am häufigsten. Relativ häufig waren auch Eheschließungen zwischen türkischen Frauen und deutschen Männern (361) sowie zwischen polnischen Frauen und deutschen Männern (338). Dagegen haben Deutsche in Baden-Württemberg verhältnismäßig selten einen Partner aus den Nachbarstaaten Schweiz und Frankreich geheiratet: Deutsche Frauen schlossen im Jahr 2009 mit 111 Franzosen bzw. mit 79 Schweizern den Bund für das Leben, während deutsche Männer 109 Mal eine Französin und 68 Mal eine Schweizerin zur Lebenspartnerin wählten.

Lediglich bei gut 3 % der Eheschließungen waren beide Partner Ausländer5, wobei Hochzeiten von Italienerinnen und Italienern (310) am häufigsten stattfanden, gefolgt von Eheschließungen zwischen türkischen Staatsangehörigen (285).

Heiraten im Sommer, aber auch im Dezember ist »in«

Der beliebteste Hochzeitsmonat war im Jahr 2009 der September mit knapp 6 200 Eheschließungen – sicherlich auch aufgrund des 9. September 2009 als begehrtem Hochzeitstag.6 Knapp dahinter folgen Juli, Mai und August. Aber auch der Dezember ist in den letzten Jahren für Hochzeitspaare deutlich attraktiver geworden. Noch bis Anfang der 90er-Jahre lag die Zahl der Hochzeiten im letzten Monat eines Jahres unter dem Durchschnitt der 12 Kalendermonate eines Jahres. In den Jahren 2003, 2005, 2006 und 2008 wurden dagegen im Dezember bereits die zweitmeisten Ehen geschlossen. Im Jahr 2004 war der Dezember sogar der Monat mit den meisten Hochzeiten. Für diesen Trend dürften nicht zuletzt steuerliche Gründe eine Rolle spielen.7

Wird Heiraten zum Auslaufmodell?

In Baden-Württemberg wird immer später geheiratet – und immer seltener. Zwar entspricht die aktuelle Heiratsneigung der über 32-jährigen Frauen und der über 35-jährigen Männer – wie Schaubild 2 zu entnehmen ist – in etwa derjenigen vergangener Jahrzehnte. Bei den Jüngeren ist sie allerdings erheblich abgesunken und somit insgesamt deutlich niedriger als noch in früheren Jahren.

Zu ähnlichen Ergebnissen gelangt man, wenn nicht die Heiratshäufigkeit für unterschiedliche Berichtsjahre, sondern für verschiedene Geburtsjahrgänge verglichen wird. Schaubild 6 zeigt die zusammengefassten Heiratsziffern für Ledige der Geburtsjahrgänge 1935, 1950, 1970 und 1980, soweit diese bis zum Jahr 2009 zu beobachten waren (siehe i-Punkt):

Demnach verläuft die Heiratshäufigkeit der jüngeren Geburtsjahrgänge (1970 und 1980) zu Beginn deutlich flacher als bei den beiden älteren Jahrgängen (1935 und 1950). In den höheren Altersgruppen verringert sich zwar der Unterschied. Dennoch zeichnet sich ab, dass die Heiratshäufigkeit von einem zum nächsten Geburtsjahrgang geringer geworden ist.

Bis zum Alter von 29 Jahren, für das auch für den Geburtsjahrgang 1980 Ergebnisse verfügbar sind, ist der Anteil der Frauen, die geheiratet haben, gegenüber dem Jahrgang 1935 auf weniger als die Hälfte zurückgegangen, bei den Männern sogar auf weniger als ein Drittel.8 Allerdings ist zu berücksichtigen, dass sich das durchschnittliche Heiratsalter in den letzten Jahrzehnten stetig erhöht hat, so dass die Betrachtung nur der jüngeren Altersgruppen den Rückgang der Heiratshäufigkeit überschätzen dürfte.

Alles in allem zeigt sich, dass das Heiraten an Attraktivität verloren und andere Formen des Zusammenlebens an Bedeutung gewonnen haben. Als ursächlich für diesen Trend wird unter anderem die gestiegene Bildungs- und Erwerbsbeteiligung der Frauen angesehen, die deren Unabhängigkeit erhöht hat.9

Ganz entscheidend für die gesunkene Heiratsneigung ist aber auch der Bedeutungsrückgang sozialer Normierungen und Kontrollen des Familienlebens. Die früher enge Verknüpfung von Ehe, Familie, Elternschaft und Sexualität hat sich im Zuge dieser Entwicklung teilweise aufgelöst. Wurde noch in den 60er-Jahren zum Beispiel das unverheiratete Zusammenwohnen erheblich diskriminiert, ist dies heute Normalität und ganz überwiegend frei von sozialen Bewertungen.10 Schließlich wurde mit der Gleichstellung ehelicher und nichtehelicher Kinder auch die Elternschaft außerhalb der Ehe erleichtert.11

Werden nun diese gesellschaftlichen Veränderungen dazu führen, dass die Bedeutung der Ehe in Zukunft noch weiter abnehmen wird? In der Familiensoziologie wird dieses Thema kontrovers diskutiert. Während einerseits die These vom (weiteren) Zerfall von Ehe und Familie vertreten wird, wird andererseits die Auffassung geäußert, dass Ehe und Familie »nur« einen Bedeutungswandel und nicht einen Bedeutungsverlust erfahren.12

Alles in allem legen aber die für Baden-Württemberg verfügbaren Verlaufsdaten die Vermutung nahe, dass die Bereitschaft zu einer Heirat weiter zurückgehen wird. Dennoch wird die Ehe auch in den nächsten Jahrzehnten die (mit Abstand) häufigste Form des Zusammenlebens bleiben.

1 Vgl. auch Cornelius, Ivar: Zur aktuellen Entwicklung des Heiratsverhaltens, in: Baden-Württemberg in Wort und Zahl, Heft 7/1995, S. 296.

2 Vgl. Peuckert, Rüdiger: Familien im sozialen Wandel, 7. Auflage, 2008, S. 36.

3 Ermittelt wurden diese Ergebnisse, indem die Zahl der Ehepartner einer bestimmten Alterskombination mit dem jeweiligen Altersunterschied (in Jahren) multipliziert wurde, anschließend alle Einzelwerte aufaddiert und durch die Zahl der Eheschließungen dividiert wurden.

4 Vergleich der Eheschließungen Verwitweter nach Geschlecht, bezogen auf die jeweilige Zahl der Verwitweten.

5 Zu beachten ist allerdings, dass Eheschließungen von Personen mit Wohnsitz in Baden-Württemberg, die im Ausland stattgefunden haben, nicht berücksichtigt sind.

6 Das Heiraten an einem »Schnapszahl-Tag« hat auch in den Jahren 2005 bis 2008 dazu geführt, dass im jeweiligen Monat am häufigsten geheiratet wurde. Dagegen hatten diese besonderen Tage in den Jahren 2002 bis 2004 geringere Auswirkungen. 2004 wohl deshalb, weil der 4. April 2004 ein Sonntag war und deshalb an diesem Tag vermutlich nicht bei allen Standesämtern Trauungen möglich waren.

7 So können Ehepaare bei einer Zusammenveranlagung von den Steuervorteilen des Ehegattensplittings für das gesamte Jahr profitieren, unabhängig davon, in welchem Monat die Eheschließung stattgefunden hat.

8 Exakte Angaben zum Anteil derjenigen, die geheiratet haben bzw. ledig bleiben, ist anhand dieser zusammengefassten Heiratsziffern nicht möglich; hierzu wäre die Erstellung sehr aufwändiger Heiratstafeln erforderlich; vgl. hierzu auch i-Punkt.

9 Vgl. Peuckert, Rüdiger: Familien im sozialen Wandel, 7. Auflage, 2008, S. 45.

10 Vgl. Schneider, Norbert F.: Grundlagen der sozialwissenschaftlichen Familienforschung – Einführende Betrachtungen, in: Schneider, Norbert F.: Lehrbuch Moderne Familiensoziologie, Theorien, Methoden, empirische Befunde, 2008, S. 15 ff.

11 Vgl. Peuckert, Rüdiger: Familien im sozialen Wandel, 7. Auflage, 2008, S. 45 ff.

12 Vgl. hierzu ausführlicher Peuckert, Rüdiger: Familien im sozialen Wandel, 7. Auflage, 2008, S. 341 ff.