:: 5/2011

Baden-Württembergs Wirtschaft kommt mit kräftigem Schwung aus der Krise

Die Wirtschaft im Südwesten ist nach dem krisenbedingten Einbruch im Vorjahr wieder auf klarem Wachstumskurs. Mit einer rasanten Zunahme der realen Wirtschaftsleistung erfuhr die baden-württembergische Wirtschaft 2010 einen kräftigen Aufschwung und erzielte ein deutlich höheres Wachstum als Deutschland insgesamt und die anderen Bundesländer. Dank der wirtschaftlichen Erholung fiel die Arbeitsmarktbilanz wieder positiv aus, mit einem deutlichen Beschäftigungszuwachs vor allem bei der Zeitarbeit. Bei der Wirtschaftskraft, dem auf die Einwohnerzahl bezogenen nominalen Bruttoinlandprodukt, übertraf Baden-Württemberg 2010 den Bundesdurchschnitt um rund 10 %. Der Südwesten weist damit die dritthöchste Wirtschaftskraft unter den Flächenländern auf und ist mit insgesamt drei Regierungsbezirken in der Spitzengruppe der wirtschaftsstärksten Regionen der Europäischen Union (EU) gut vertreten.

5,5 % Wirtschaftswachstum im Jahr 2010

Dank eines überaus starken Nachfrageanstiegs bei hiesigen Industriegütern sowie überdurchschnittlichen Zuwächsen im Handel und bei den Unternehmensdienstleistern erfuhr die Südwestwirtschaft 2010 einen kräftigen Aufschwung. Nach den vom Arbeitskreis »Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder« Ende März veröffentlichten vorläufigen regionalen Wirtschaftszahlen erzielte Baden-Württemberg 2010 mit der Zunahme des preisbereinigten Bruttoinlandsprodukts (BIP) um + 5,5 % gegenüber dem Vorjahr ein deutlich höheres Wachstum als Deutschland insgesamt (+ 3,6 %). Sowohl für Baden-Württemberg als auch für Deutschland war dies die höchste jährliche Wachstumsrate seit der deutschen Wiedervereinigung.

In keinem anderen Bundesland ist die Wirtschaft so stark wie im Südwesten gewachsen. Im Länderranking lagen hinter Baden-Württemberg auf dem zweiten bzw. dritten Platz Rheinland-Pfalz und das Saarland mit 4,8 bzw. 4,7 %. Eine überdurchschnittliche Wachstumsrate erreichte auch Bayern mit 3,9 %; Hessen lag mit 3,6 % mit Deutschland gleichauf.

Die hohen Wachstumsraten 2010 und das insgesamt bessere Abschneiden Baden-Württembergs sind dabei zum Teil dem sogenannten »statistischen Basiseffekt« zuzuschreiben. So hatte die hiesige Wirtschaft 2009, bedingt durch die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise, die schwerste Rezession seit Bestehen des Landes zu bewältigen (– 7,1 %). Der rasante Zuwachs der Wirtschaftsleistung 2010 basiert insofern auf einem vergleichweise niedrigen Vorjahreswert. So entspricht trotz des überaus dynamischen Wachstumstempos die 2010 im Südwesten erzielte Wirtschaftsleistung erst wieder in etwa jener von 2006. Das hohe Vorkrisenniveau von 2007 wurde somit noch nicht wieder ganz erreicht.

Nominal, das heißt in jeweiligen Preisen, stieg das Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2010 um 6 % auf knapp 362 Mrd. Euro (siehe i-Punkt). Gemessen an der Wirtschaftsleistung ist der Südweststaat damit nach Nordrhein-Westfalen und Bayern das drittstärkste Bundesland. Zusammen erwirtschafteten diese drei Länder 2010 mehr als die Hälfte (54 %) des gesamtdeutschen Bruttoinlandsprodukts.

Südwestindustrie stärkster Wachstumsmotor der Konjunktur

Der kräftige Aufschwung ist vor allem auf das rasante Wachstumstempo der hiesigen Industrie zurückzuführen. Ihre preisbereinigte Bruttowertschöpfung (BWS) bzw. wirtschaftliche Leistung nahm nach dem drastischen Rückgang in der Krise 2009 (– 22 %) im Jahr 2010 gegenüber dem Vorjahr um 15,2 % zu. Das in Baden-Württemberg mit einem Wertschöpfungsanteil von rund 30 % sehr bedeutsame Verarbeitende Gewerbe – im Bundesländervergleich ist dies mit Abstand die höchste Industriequote (Bundesdurchschnitt: 21 %) – erwies sich damit als der zentrale Wachstumsmotor.

Unter den bedeutenden Industriebranchen konnten insbesondere die Metallerzeugung und -bearbeitung, die Herstellung von Kraftwagen und Kraftwagenteilen, die Rundfunk- und Nachrichtentechnik, die Herstellung von elektrischen Ausrüstungen, die Medizin-, Mess-, Steuer- und Regelungstechnik und Optik und die Herstellung von Metallerzeugnissen die stärksten Wachstumsimpulse verzeichnen. Ebenfalls hohe Wachstumsraten ergaben sich in der Herstellung von Büromaschinen, DV-Geräten und Einrichtungen sowie im Maschinenbau. Dagegen fiel die Zunahme bei der Herstellung von chemischen Erzeugnissen vergleichsweise moderat aus.

Im Sog der dynamischen Entwicklung der heimischen Industrie waren auch die eher binnenwirtschaftlich orientierten Bereiche Verkehr und Nachrichtenübermittlung (+ 5,0 %) sowie der Handel (+ 4,2 %) und die anteilsstarken Unternehmensdienstleistungen (+ 2,5 %) mit überdurchschnittlichen Steigerungsraten maßgeblich am sehr beachtlichen Wirtschaftswachstum 2010 beteiligt.

Arbeitsmarktbilanz 2010 positiv

Dank der kräftigen konjunkturellen Erholung der baden-württembergischen Wirtschaft fiel die Arbeitsmarktbilanz bereits ein Jahr nach der schweren Wirtschaftskrise wieder positiv aus. 2010 waren in Baden-Württemberg durchschnittlich 5,59 Mill. Personen erwerbstätig, rund 23 600 oder 0,4 % mehr als ein Jahr zuvor.1 Der letzte Beschäftigungshöchststand von gut 5,6 Mill. Erwerbstätigen im Jahr 2008 wurde allerdings noch nicht wieder erreicht. Stellenzuwächse gab es vor allem im Dienstleistungsbereich. Mit einem Plus von fast 41 000 Arbeitsplätzen (+ 1 %) stieg hier die Zahl der Erwerbstätigen auf rund 3,74 Mill. Personen, das sind gut zwei Drittel aller Erwerbstätigen im Land. Ausschlaggebend hierfür war vor allem der deutliche Beschäftigungszuwachs bei Zeitarbeitsfirmen. Diese sind wirtschaftsfachlich zwar den Dienstleistern zuzurechnen, vermitteln die bei ihnen angestellten Leiharbeitnehmer jedoch häufig in die Industrie, wo sie in der Beschäftigtenstatistik nicht geführt werden. Im Produzierenden Gewerbe hat sich dagegen der Stellenabbau fortgesetzt. Nach einem Rückgang um fast 17 000 Beschäftigten (– 1 %) arbeiteten dort 2010 insgesamt rund 1,76 Mill. Erwerbstätige. Vor allem im Verarbeitenden Gewerbe ging die Zahl der Erwerbstätigen trotz des kräftigen Anstiegs der Wirtschaftsleistung im vergangenen Jahr um fast 23 000 weiter stark zurück. Demgegenüber gab es im Baugewerbe wieder ein Plus von fast 5 000 Arbeitsplätzen (+ 1,7 %).

Nachdem die Wirtschaft auf die Krise 2009 weniger mit Freisetzungen von Personal, sondern häufig mit Kurzarbeit oder auch Abbau von Arbeitszeitkonten reagiert hat, wurde mit dem Aufschwung zunächst das vorhandene Personal wieder voll ausgelastet und erst danach zusätzliche Stellen geschaffen. Deutlich wird dies an der erheblich stärkeren Zunahme der geleisteten Arbeitsstunden um + 2,8 % im Vergleich zum Erwerbstätigenzuwachs um + 0,4 % in 2010. Insgesamt wurden rund 212 Mill. Stunden mehr geleistet als ein Jahr zuvor. Mit einem Plus von fast 92 Mill. geleisteten Arbeitsstunden im Verarbeitenden Gewerbe gingen annähernd 43 % des höheren Arbeitseinsatzes im Jahr 2010 allein auf das Konto der Industrie, obgleich hier der Stellenabbau weiter anhielt.

Arbeitsproduktivität deutlich im Plus – Starker Produktivitätszuwachs in der Industrie

Dies spiegelt sich wider in der Entwicklung der Arbeitsproduktivitäten, dem Verhältnis der preisbereinigten wirtschaftlichen Leistung (Bruttoinlandsprodukt, Bruttowertschöpfung) zum Arbeitseinsatz. Bezogen auf die Zahl der Erwerbstätigen erhöhte sich die gesamtwirtschaftliche Arbeitsproduktivität in der Südwestwirtschaft 2010 um + 5,1 % gegenüber dem Vorjahr, während das Plus der Stundenproduktivität mit + 2,6 % deutlich moderater ausfiel. Wegen der kräftigeren Zunahme des Arbeitsvolumens stieg die Wirtschaftsleistung je geleisteter Arbeitsstunde nicht so stark wie in Relation zur Erwerbstätigenzahl. Im Verarbeitenden Gewerbe fiel aufgrund der hier sogar gegensätzlichen Entwicklung von Bruttowertschöpfung (+ 15,2 %) und Beschäftigung (– 1,6 %,) der Zuwachs der Pro-Kopf-Produktivität im Jahr 2010 mit + 17 % besonders hoch aus. Bezogen auf die Zahl der Arbeitsstunden betrug der Produktivitätsanstieg knapp 10 %.

In jeweiligen Preisen bewertet, belief sich das je Erwerbstätigen erwirtschaftete BIP in Baden-Württemberg im vergangenen Jahr im Durchschnitt auf knapp 64 670 Euro (Deutschland: 61 725 Euro), das waren rund 3 420 Euro mehr als im Jahr 2009 (Deutschland: plus 2 200 Euro). Differenziert nach Wirtschaftsbereichen lag die auf die Zahl der Erwerbstätigen bezogene Wirtschaftsleistung, die durchschnittliche Bruttowertschöpfung, im Verarbeitenden Gewerbe mit gut 65 640 Euro je Erwerbstätigen mehr als eineinhalb mal so hoch wie im Bereich Handel, Gastgewerbe und Verkehr mit knapp 40 170 Euro. Bezogen auf die insgesamt geleisteten Arbeitsstunden, ergab sich für Baden-Württemberg eine Wirtschaftsleistung in jeweiligen Preisen von durchschnittlich 41,45 Euro (Deutschland: 43,51 Euro). Im Verarbeitenden Gewerbe wurden knapp 47,30 Euro je Erwerbstätigenstunde erzielt gegenüber lediglich rund 28,90 Euro im Bereich Handel, Gastgewerbe und Verkehr.

Baden-Württemberg mit dritthöchster Wirtschaftskraft unter den Flächenländern

Insgesamt fünf der sechzehn Bundesländer erzielten 2010 eine zum Teil deutlich höhere Wirtschaftskraft als der Durchschnitt Deutschlands. In Baden-Württemberg übertraf das nominale BIP je Einwohner mit gut 33 650 Euro den Bundesdurchschnitt um 10 % oder 3 085 Euro. Der Südweststaat weist damit die dritthöchste Wirtschaftskraft unter den Flächenländern auf. Bayern lag 2010 mit fast 35 340 Euro pro Kopf rund 4 770 Euro (16 %) und Hessen mit 37 100 Euro pro Kopf um 6 535 Euro (21 %) noch deutlicher über dem Bundeswert.

Der Bezug des regionalen BIP auf die jeweilige Bevölkerungszahl der Region dient im nationalen und internationalen Vergleich üblicherweise zur Messung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit von Ländern oder Regionen. Es ermöglicht so einen Vergleich des Standes der wirtschaftlichen Entwicklung bzw. der Wirtschaftskraft verschieden großer Volkswirtschaften.

Zwischen den Bundesländern ist ein ausgeprägtes Regionalgefälle der Wirtschaftskraft zu beobachten. So bewegte sich im Jahr 2010 das BIP pro Kopf in jeweiligen Preisen im Vergleich zum gesamtdeutschen Durchschnitt (30 566 Euro) in einer Spanne von 71 % in Mecklenburg-Vorpommern bis 162 % in Hamburg. Das mit Abstand höchste Bruttoinlandsprodukt je Einwohner wiesen damit die Stadtstaaten Hamburg und Bremen auf, was aber auch auf deren hohen Einpendlerüberhang zurückzuführen ist. Bremen belegte Platz zwei mit gut 42 045 Euro pro Kopf, rund 11 480 Euro (38 %) über dem deutschen Durchschnitt. An der Spitze lag Hamburg als die Dienstleistungsmetropole Norddeutschlands. Hier wurde 2010 ein BIP von fast 49 640 Euro je Einwohner erwirtschaftet, immerhin gut 19 070 Euro mehr als im Bundesdurchschnitt.

Das BIP-Pro-Kopf ist nicht nur Grundlage für Standortbestimmungen. So richtet sich beispielsweise auch im Rahmen der europäischen Regionalpolitik die Vergabe von Fördermitteln der EU-Strukturfonds für Regionen mit Entwicklungsrückstand nach der Höhe des auf die Zahl der jeweiligen Einwohner bezogenen regionalen Bruttoinlandsprodukts. Für die aktuelle Förderperiode 2007 – 2013 wurde dafür zum Beispiel EU-weit ein Budget von über 250 Mrd. Euro (von insgesamt knapp 350 Mrd. Euro an Fördermitteln) für das Ziel »Konvergenz« bereitgestellt, mit dem die wirtschaftliche Beschleunigung der am wenigsten entwickelten europäischen Regionen angestrebt wird. Es bezieht sich dabei auf die Regionen, deren BIP pro Einwohner unterhalb von 75 % des europäischen Durchschnitts liegen. Für Deutschland wurden für 2007 – 2013 Strukturfördermittel in Höhe von insgesamt 26,4 Mrd. Euro bereitgestellt. Im Rahmen des Ziels »Konvergenz«, worauf gut 16 Mrd. Euro entfielen, erhielten die Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sowie die NUTS 2-Region Lüneburg Mittel aus dieser Gemeinschaftsunterstützung. Berechnungsgrundlage waren dabei die vom Arbeitskreis VGR der Länder erstellten regionalen BIP-Daten der Berichtsjahre 2000 bis 2002.

Regierungsbezirke Stuttgart, Karlsruhe und Tübingen zählen zu den wirtschaftsstärksten Regionen Europas

Nach den vom Statistischen Amt der Europäischen Union (Eurostat) aktuell veröffentlichten regionalen BIP-Daten 2008 für die insgesamt 271 so genannten NUTS 2-Regionen der 27 EU-Mitgliedstaaten – in Baden-Württemberg sind dies die vier Regierungsbezirke – reichte die Spannweite des BIP je Einwohner von gut einem Viertel des Durchschnittswertes der EU27 (25 100 KKS2 – Kaufkraftstandard) in der bulgarischen Region Severozapaden bis zu 343 % in der britischen Hauptstadtregion Inner London mit 85 800 KKS.

Der Südwesten ist in der Spitzengruppe der wirtschaftsstärksten Regionen der Europäischen Union (EU) gut vertreten. Mit Stuttgart, Karlsruhe und Tübingen zählen insgesamt drei Regierungsbezirke im Land zu den Regionen Europas mit der höchsten Wirtschaftskraft. Hierzu rechnet Eurostat jene Regionen, deren Bruttoinlandsprodukt je Einwohner kaufkraftbereinigt den EU-Durchschnitt um mindestens 25 % überschreitet. Von den insgesamt 40 Regionen, in denen das kaufkraftbereinigte BIP je Einwohner 2008 die 125 Prozentgrenze überschritt, lagen zehn in Deutschland. Davon belegten unter den 15 bestplazierten EU-Regionen Hamburg mit 47 100 KKS je Einwohner Rang 5 vor Prag (43 200 KKS) und der französischen Hauptstadtregion Île-de-France (42 000 KKS). Der Regierungsbezirk Oberbayern (40 500 KKS) mit der bayerischen Landeshauptstadt München und Bremen (39 500 KKS) lagen auf den Plätzen elf und zwölf. Nach Darmstadt mit 39 100 KKS pro Kopf auf Platz 15 folgen die baden-württembergischen Regierungsbezirke Stuttgart auf Rang 22 mit rund 34 700 KKS sowie Karlsruhe auf Rang 35 mit 32 700 KKS. Ebenfalls noch in der Gruppe der EU-Regionen mit dem höchsten BIP je Einwohner lag 2008 der Regierungsbezirk Tübingen auf Platz 39 mit 31 400 KKS.

1 Quelle: Arbeitskreis »Erwerbstätigenrechnung des Bundes und der Länder«.

2 Der KKS ist eine Kunstwährung, die die Unterschiede zwischen den nationalen Preisniveaus berücksichtigt. Dabei wird das jeweils in nationalen Währungen berechnete BIP mittels entsprechender Kaufkraftparitäten in KKS umgerechnet und ermöglicht so aussagekräftigere Vergleiche der regionalen Wirtschaftskraft.