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Gesundheitswirtschaft und Wertschöpfungsansatz nach WZ 2008

Teil I

Die Gesundheitswirtschaft bildet den größten deutschen Wirtschaftssektor. Sie wird seit Jahren als boomende Branche mit krisensicheren Arbeitsplätzen wahrgenommen. Die wachsende ökonomische Bedeutung der Gesundheitswirtschaft wird maßgeblich durch den medizinisch-technischen Fortschritt, das gestiegene Gesundheitsbewusstsein der Bürgerinnen und Bürger und die Folgen des demografischen Wandels bestimmt. In der statistischen Gesundheitsberichterstattung werden bislang vorrangig die Kosten und die Finanzierung des Gesundheitswesens beschrieben. Um den Gesundheitsmarkt als integrierten und produktiven Teil der Gesamtwirtschaft statistisch abzubilden, ist es notwendig, zukünftig neben der bisherigen Darstellungsweise auch wertschöpfungs- und arbeitsmarktbezogene Berechnungsmethodiken, insbesondere auf Länderebene, zu etablieren. Grundlage dafür ist eine einheitlich festgelegte Abgrenzung der Gesundheitswirtschaft nach der jeweils gültigen Wirtschaftszweigklassifikation der amtlichen Statistik.1

Gesundheitsökonomische Gesamtrechnungen der Länder

Die Bildung der Arbeitsgruppe »Gesundheitsökonomische Gesamtrechnungen der Länder (AG GGRdL)« durch Beschluss der Leiterinnen und Leiter der statistischen Ämter des Bundes und der Länder im November 2009 erfolgte mit dem Ziel, die Arbeiten auf dem Gebiet der Gesundheitswirtschaft zu koordinieren und zu forcieren. Die konstituierende Sitzung dieser Arbeitsgruppe fand im Januar 2010 in Dresden statt. Der Arbeitsgruppe gehören bisher die Statistischen Ämter der Länder Baden-Württemberg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen und Thüringen sowie das Statistischen Bundesamt an. Unter dem Vorsitz von Sachsen sind folgende Aufgaben und Ziele der Arbeitsgruppe definiert worden:

  • Die Gesundheitsökonomischen Gesamtrechnungen (GGR) sind Rechenwerke, die sich mit ökonomischen Fragestellungen in der Gesundheitswirtschaft beschäftigen. Sie halten Informationen zu Art und Umfang der erbrachten Leistungen sowie zu zukünftigen Entwicklungstendenzen auf dem Gebiet der Gesundheit bereit. Schwerpunkte der Arbeiten der Gesundheitsökonomischen Gesamtrechnungen bilden die Gesundheitsausgaben- (GAR) und die Gesundheitspersonalrechnung (GPR) sowie die Arbeiten zur Quantifizierung der Gesundheitswirtschaft.
  • Um die Komplexität der Gesundheitswirtschaft entsprechend berücksichtigen zu können, werden die Gesundheitsökonomischen Gesamtrechnungen als Satellitensystem zu den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen entwickelt. Perspektivisch wird auch eine Qualitätsverbesserung einzelner Komponenten der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen angestrebt.

Durch diese Vorgehensweise werden vergleichbare, mit anderen amtlichen Gesamtrechenwerken abgestimmte Informationen zur Gesundheitswirtschaft ermöglicht. Dazu zählen beispielsweise die Gesundheitspersonal- und Gesundheitsausgabenrechnung des Bundes sowie die Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen und die Erwerbstätigenrechnung auf Bundes- und Länderebene.

Definition der Gesundheitswirtschaft

Die Definition und die statistische Abbildung der Gesundheitswirtschaft als Querschnittsbereich der Wirtschaft sind noch relativ neu. Dabei werden häufig die Begriffe Gesundheitswirtschaft und Gesundheitsbranche synonym verwendet. Anfang bis Mitte der 1990er-Jahre begannen die ersten Untersuchungen zu diesem Themenfeld.

Gesundheitswirtschaft bildet den Oberbegriff für alle Wirtschaftszweige, die mit Gesundheitsleistungen in Verbindung stehen. Die Abgrenzung der Gesundheitswirtschaft nach der Wirtschaftszweigklassifikation wird von der jeweils gewählten Definition des Gesundheitsbegriffs bestimmt. Da diese Definitionen unterschiedlich weit gefasst sind, ist eine trennscharfe Abgrenzung der Gesundheitswirtschaft schwierig.

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) definiert die Gesundheitsleistungen als »Aktivitäten oder Güter, die von Einrichtungen oder Individuen durchgeführt oder bereitgestellt werden, und die dabei medizinisches, hilfsmedizinisches oder pflegerisches Wissen oder die dafür erforderlichen Technologien verwenden«. Voraussetzung ist, dass damit eines der folgenden Ziele angestrebt wird:

  • Gesundheit fördern und Krankheit verhindern
  • Krankheiten heilen und vorzeitige Mortalität reduzieren
  • Personen versorgen, die chronische Krankheiten haben und pflegerische Hilfe benötigen
  • Personen versorgen, die gesundheitliche Beeinträchtigungen oder Behinderungen haben und pflegerische Hilfe benötigen
  • Patienten einen würdevollen Tod ermöglichen
  • Öffentlichen Gesundheitsschutz oder öffentliche Gesundheitsprogramme für die Bevölkerung bereitstellen und verwalten
  • Zugang zu Versicherungssystemen (gesetzlich oder privat organisiert) schaffen, welche die Bevölkerung vor den finanziellen Folgen von Krankheit schützen; der Aufbau solcher Systeme, deren Verwaltung und Kontrolle sind Teil der Gesundheitsleistungen.

Nach dieser Definition werden auf gesamtdeutscher Ebene die Gesundheitsausgaben nach Leistungen und Gütern mit dem Ziel der Prävention, Behandlung, Rehabilitation und Pflege sowie Investitionen der Einrichtungen des Gesundheitswesens zusammengefasst.

Im Jahre 2005 wurde in Deutschland im Rahmen der »1. Nationalen Branchenkonferenz Gesundheitswirtschaft« speziell der Begriff »Gesundheitswirtschaft« definiert: »Die Gesundheitswirtschaft umfasst demnach die Erstellung und Vermarktung von Gütern und Dienstleistungen, die der Bewahrung und Wiederherstellung der Gesundheit dienen« (Definition der 1. Nationalen Branchenkonferenz Gesundheitswirtschaft 2005).

Die Weltgesundheitsorganisation hat eine noch weitergehende Definition geprägt. Sie bekräftigte 2006 ihre bereits 1946 beschriebene »Gesundheit« als einen »Zustand völligen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit oder Gebrechen«.

»Diese Definition ist weiterhin angemessen für eine zeitgemäße globale gesundheitspolitische Agenda, die die gleichen Prinzipien erneut bekräftigt, sie aber an die Arbeit für Gesundheit in dem kommenden Jahrzehnt anpasst und dabei Antworten auf neue Fragen, neue Herausforderungen und neue Verantwortlichkeiten gibt«. Dabei ist von zentraler Bedeutung für das »heutige mehrdimensionale Verständnis von Gesundheit die Erkenntnis, dass Gesundheitsprobleme und Gesundheitsmaßnahmen weit über die medizinische Versorgung hinausreichen. Gesellschaftliche, wirtschaftliche, politische und institutionelle Vorkehrungen im weiteren Sinne bestimmen die gesundheitlichen Chancen und Ergebnisse und die Verteilung von Gesundheit – und von Anfälligkeit für Erkrankungen – auf verschiedene Gruppen der Gesellschaft« (Weltgesundheitsorganisation 2006).

Anhand dieser Definitionen wird deutlich, wie weit der Begriff Gesundheitswirtschaft heute gefasst wird. Damit ist das klassische Gesundheitswesen mit den medizinischen und pflegerischen Leistungen, die der Versorgung der Bevölkerung dienen, lediglich als Kernbereich der gesamten Gesundheitswirtschaft zu verstehen (Übersicht 2). Um diesen Schwerpunkt gruppieren sich zahlreiche wirtschaftliche Akteure aus dem Produzierenden Gewerbe, dem Handel sowie aus dem Dienstleistungsbereich, die im engeren bzw. weiteren Sinne mit der Gesundheit verbunden sind. Für das wirtschaftliche Wachstum der Gesundheitswirtschaft sind diese Akteure maßgeblich verantwortlich. Sie erbringen zum einen, entsprechend den Bedürfnissen für medizinische und pflegerische Leistungen, Waren und Dienstleistungen für den ersten Gesundheitsmarkt. Zum anderen entwickelt sich darüber hinaus ein so genannter zweiter Gesundheitsmarkt, der die Bevölkerung – besonders jetzt auch die alternde Bevölkerung – mit Produkten, Hilfeleistungen und Diensten versorgt, die der Gesundheitsvorsorge dienen. In der Regel handelt es sich hier um Dienstleistungen und Produkte, die privat getragen werden.2 Dazu gehören unter anderem der Wellnessbereich, der Gesundheitstourismus sowie Waren und Dienste unter dem Stichwort »gesunde Ernährung«.

Zur Quantifizierung der Gesundheitswirtschaft umfasst die bestehende Gesundheitsberichterstattung des Bundes drei Rechensysteme, die Gesundheitsausgabenrechnung (GAR), die Krankheitskostenrechnung (KKR) und die Gesundheitspersonalrechnung (GPR). Diesen Rechenwerken des Statistischen Bundesamtes liegt eine, abgesehen von geringfügigen Abweichungen, deckungsgleiche nationale Klassifikation der Gliederung der Einrichtungen des Gesundheitswesens zugrunde. Diese nationale Klassifikation ist mit der Klassifikation der Einrichtungen ICHA-HP (International Classification of Health Accounts – Health Provider) der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) harmonisiert. Zudem besteht hier ein Anknüpfungspunkt zur Klassifikation der Wirtschaftszweige. Die Gliederung nach Ausgabenträgern ist grundsätzlich mit der Klassifikation der Finanzierer ICHA-HF (International Classification of Health Accounts – Health Financing) der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) kompatibel. Der Gliederung der Berufe des Gesundheitswesens liegt ebenso eine entsprechende Klassifikation des Statistischen Bundesamtes zugrunde. Diese nationale Klassifikation ist weitgehend mit der ISCO-88 Klassifikation (International Standard Classification of Occupations) der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) harmonisiert.

In der Gesundheitspersonalrechnung werden die Beschäftigten im Gesundheits- und Sozialbereich erfasst, die primär mit der Sicherung, der Vorbeugung oder der Wiederherstellung von Gesundheit befasst sind, unabhängig davon, welchen Beruf sie ausüben. Unberücksichtigt bleiben somit jene Beschäftigten, die die Gesundheit im weiteren Sinne fördern. Dies sind zum Beispiel Beschäftigte in Altenwohnheimen, wo die Bewältigung oder Linderung von Gesundheitsproblemen nicht vorrangiges Ziel der Beschäftigung ist. Unter Beschäftigten werden Beschäftigungsfälle verstanden, d. h. Personen mit mehreren Arbeitsverhältnissen in verschiedenen Einrichtungen werden mehrfach gezählt. Zu den Beschäftigten zählen Selbstständige, mithelfende Familienangehörige, Beamte, Angestellte, Arbeiter, Auszubildende, Zivildienstleistende sowie Praktikanten. Nicht zu den Beschäftigten im Gesundheitswesen gezählt werden ehrenamtlich Tätige sowie Beschäftigte, die als Beauftragte aus anderen Wirtschaftsbereichen (z. B. Reinigungskräfte) in der Gesundheitswirtschaft arbeiten.

Obwohl die Gesundheitsausgabenrechnung funktional abgegrenzt wird und die Gesundheitspersonalrechnung die Abgrenzung in erster Linie über die Einrichtungen trifft, können beiden Rechensystemen einzelne Wirtschaftszweige (WZ) zugeordnet werden. Diese sind mit Ausnahme der Vorleistungsindustrien und dem Großhandel bis auf einige Abweichungen identisch. So ist z. B. der »Betrieb von Taxis und Mietwagen mit Fahrer« (WZ 60.22.0 der WZ 2003) für die Gesundheitsausgabenrechnung relevant, da Taxifahrten unter gewissen Umständen von den Krankenkassen erstattet werden. In dieser WZ-Unterklasse gibt es hingegen keinen für die Gesundheitspersonalrechnung relevanten Gesundheitsberuf. Des Weiteren gibt es in beiden Rechensystemen noch die »Sonstigen Wirtschaftszweige«, die als Sammelposition dienen und zu denen es keine explizit zuordenbaren Informationen gibt. Von den Kassen finanzierte Präventionsmaßnahmen am Arbeitsplatz können in einer Vielzahl von Wirtschaftszweigen erbracht werden. Sie rechnen zu den Gesundheitsausgaben. Ein ähnliches Problem tritt bei der Zuordnung von Betriebsärzten in der Gesundheitspersonalrechnung auf.

Ferner existiert auf gesamtdeutscher Ebene seit kurzem ein so genanntes Gesundheitssatellitenkonto, dessen Erarbeitung im Rahmen eines Forschungsprojektes durch ein Konsortium verschiedener Wissenschaftler im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie erfolgte. Das Satellitenkonto baut auf der bestehenden Gesundheitsausgabenrechnung des Statistischen Bundesamtes auf und ermöglicht zugleich, die Wertschöpfung der verschiedenen Bereiche der Gesundheitswirtschaft differenziert darzustellen. Die breite Abgrenzung der Gesundheitswirtschaft erfolgt hier nach einem Stufenmodell, wobei sowohl Finanzierungsaspekte als auch die Güterseite betrachtet werden.

Abgrenzung der Gesundheitswirtschaft gemäß Wirtschaftszweigklassifikation

Die Gesundheitswirtschaft ist aus statistischer Sicht ein Querschnittsbereich. Dem entgegen ist die Wirtschaftszweigklassifikation der amtlichen Statistik tätigkeitsbezogen gegliedert. Es wird nicht unterschieden, für wen die einzelnen Güter und Dienstleistungen bestimmt sind. Innerhalb der Klassifikation der Wirtschaftszweige gibt es somit keinen Bereich, der alle Güter und Dienstleistungen der Gesundheitswirtschaft erfasst.

Die Gesundheitswirtschaft setzt sich somit aus verschiedenen Unterklassen (WZ-5-Steller) oder Teilbereichen der einzelnen Klassifikationen zusammen, wobei Änderungen der Klassifikation der Wirtschaftszweige stets eine Überprüfung der konkreten Abgrenzung der Gesundheitswirtschaft erfordern.

Das Gesundheitswesen bildet den Kernbereich der Gesundheitswirtschaft. Dazu gehören die stationäre und die ambulante Gesundheitsversorgung, d.h. Krankenhäuser, Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen, Pflegeeinrichtungen, aber auch alle niedergelassenen Ärzte und Zahnärzte. Um diesen Kern gruppieren sich zahlreiche wirtschaftliche Akteure aus dem Produzierenden Gewerbe, dem Handel sowie aus dem Dienstleistungsbereich, die im engeren bzw. weiteren Sinne mit dem Thema »Gesundheit« verbunden sind. Der »gesundheitsbezogene Handel« umfasst beispielsweise den Groß- und Einzelhandel mit pharmazeutischen, medizinischen und orthopädischen Erzeugnissen sowie alle Apotheken. Aus dem Produzierenden Gewerbe werden die pharmazeutische Industrie, die Medizintechnik und die Bio- und Gentechnik, aber auch das Gesundheitshandwerk hinzugerechnet. Weitere Einrichtungen der Gesundheitswirtschaft sind die gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen (einschließlich der Pflegeversicherungen), Teile der Renten- und der Unfallversicherung, die gesamte öffentliche Verwaltung auf dem Gebiet des Gesundheitswesens sowie Private Organisationen ohne Erwerbszweck des Gesundheitswesens und die medizinische Forschung und Entwicklung.

Je nach zugrunde gelegter Definition der Gesundheitswirtschaft können noch weitere Bereiche mit gesundheitlichen Bezügen, wie z. B. die Freizeit- und Tourismusbranche, Teile der Ernährungsindustrie oder der Wellnessbereich zur Gesundheitswirtschaft hinzugezählt werden.

Es ist zu berücksichtigen, dass in bestimmten Wirtschaftszweigen nur wenige der dort produzierten Güter und Dienstleistungen gesundheitsrelevant sind. Auch wird bei statistischen Erhebungen grundsätzlich nicht zwischen gesundheitsrelevanten und nicht gesundheitsrelevanten Produkten bzw. Produktionsanteilen unterschieden. Insgesamt werden Leistungen für die Gesundheitswirtschaft von Wirtschaftseinheiten mit sehr unterschiedlichem wirtschaftlichen Schwerpunkt erbracht. Als Beispiele seien hier das Baugewerbe und der Großhandel genannt, die für den Bau und die Erhaltung der Kranken- und Pflegeeinrichtungen sowie für deren Versorgung mit Nahrungsmitteln stehen. Zudem profitiert die medizinische Produktforschung häufig von Innovationen aus vollkommen anderen wirtschaftlichen Bereichen, die so statistisch nicht erfasst werden können. Hier wird die Schwierigkeit der wirtschaftszweigsystematischen Abgrenzung der Gesundheitswirtschaft deutlich.

Abgrenzung der Gesundheitswirtschaft nach der WZ 2003

Eine Abbildung der Gesundheitswirtschaft auf Bundesebene wurde im Rahmen einer Dissertation an der Technischen Universität Darmstadt (Ostwald) in Anlehnung an das Zwiebelmodell des Instituts für Arbeit und Technik in Gelsenkirchen (IAT) erstellt. Diese Abgrenzung orientiert sich an der Definition der OECD, beinhaltet zusätzlich allerdings noch typische Vorleistungsindustrien. Die Abgrenzung bezieht sich auf die Klassifikation der Wirtschaftszweige, Ausgabe 2003 (WZ 2003). Sie ist jedoch mit derjenigen der Gesundheitspersonalrechnung des Bundes nicht deckungsgleich. So wird in der Einteilung nach Ostwald besonders der Pflegebegriff weiter gefasst als in der Gesundheitspersonalrechnung des Bundes, indem insbesondere Dienstleistungen in Altenheimen und Altenwohnheimen zur Gesundheitswirtschaft hinzugerechnet werden.3

Die Wirtschaftsbereiche Gesundheitswesen (WZ 85.1) und Sozialwesen (WZ 85.3) bilden sowohl nach Ostwald als auch in der Gesundheitspersonalrechnung des Bundes den Kern der Gesundheitswirtschaft. Einzelne Abweichungen ergeben sich lediglich im Sozialwesen. Die gewählte Abgrenzung der Gesundheitspersonalrechnung legt den Pflegebegriff sehr eng aus. »Altenwohnheime« (WZ 85.31.3), »Altenheime« (WZ 85.31.4) und »Wohnheime für Behinderte« (WZ 85.31.8) werden nicht mit einbezogen.

Aus dem WZ-Abschnitt G »Handel, Instandhaltung und Reparatur von Kraftfahrzeugen und Gebrauchsgütern« werden Teile der WZ-Abteilungen 51 »Handelsvermittlung und Großhandel« sowie 52 »Einzelhandel; Reparatur von Gebrauchsgütern« der Gesundheitswirtschaft zugeordnet. In der Gesundheitspersonalrechnung des Bundes werden hier außerdem sehr geringe Anteile des Einzelhandels mit Drogerieartikeln hinzugeschätzt.

Aus dem Verarbeitenden Gewerbe (WZ-Abschnitt D) sind die für die Gesundheitswirtschaft relevanten Bereiche Teile der WZ-Abteilungen 24 »Herstellung von chemischen Erzeugnissen«, 33 »Medizin, Mess- Steuer- und Regelungstechnik, Optik, Herstellung von Uhren« und 35 »Sonstiger Fahrzeugbau«. Auch hier unterscheiden sich die Branchenabgrenzungen geringfügig. In der Abgrenzung der Gesundheitspersonalrechnung werden aus der Abteilung 24 lediglich die Bereiche »Herstellung von pharmazeutischen Erzeugnissen« (WZ 24.4) mit den Klassen »Herstellung von pharmazeutischen Grundstoffen« (WZ 24.41.0) und »Herstellung von pharmazeutischen Spezialitäten und sonstigen pharmazeutischen Erzeugnissen« (WZ 24.42.0) einbezogen. Dagegen enthält das Schichtenmodell nach Ostwald auch noch die »Herstellung von chemischen Grundstoffen« (WZ 24.1). Ferner wird in der Gesundheitspersonalrechnung die »Herstellung von Behindertenfahrzeugen« (WZ 35.43.0) nicht mit eingerechnet.

Unter der Rubrik »Weitere Einrichtungen« sind die gesundheitsrelevanten Unterklassen aus den WZ-Abteilungen »Versicherungsgewerbe« (WZ 66), »Forschung und Entwicklung« (WZ 73), »Öffentliche Verwaltung, Verteidigung, Sozialversicherung« (WZ 75) und »Interessenvertretungen, kirchliche und sonstige Vereinigungen« (WZ 91) subsumiert. Abweichungen entstehen durch die unterschiedliche Behandlung der Wirtschaftsunterklasse »Öffentliche Verwaltung auf dem Gebiet Sozialwesen« (WZ 75.12.3).

Mit der rechtsverbindlichen Einführung der Klassifikation der Wirtschaftszweige, Ausgabe 2008 (WZ 2008) musste die angeführte Abgrenzung der Gesundheitswirtschaft nach der WZ 2003 umgestellt werden.

Abgrenzung der Gesundheitswirtschaft nach WZ 2008

Als eine Vorarbeit für die Abgrenzung der Gesundheitswirtschaft nach der Wirtschaftszweigklassifikation, Ausgabe 2008 (WZ 2008), wurde von Information und Technik Nordrhein-Westfalen, gemeinsam mit dem Institut für Arbeit und Technik in Gelsenkirchen (IAT) und dem Statistischen Landesamt Hessen, anhand der neuen Wirtschaftszweigklassifikation eine Liste aller gesundheitsrelevanten Wirtschaftszweige erstellt, unabhängig davon, ob eine statistische Erfassung dieser Daten möglich ist oder nicht. Dabei wurde für jeden WZ-5-Steller der WZ 2008 geprüft, ob gesundheitsrelevante Waren oder Dienstleistungen in diesem Wirtschaftszweig erstellt werden. Mit Hilfe des qualitativen Umsteigeschlüssels von der WZ 2003 auf die WZ 2008, des Güterverzeichnisses für Produktionsstatistiken, des Warenverzeichnisses der Außenhandelsstatistik des Statistischen Bundesamtes und der Erfahrungen aus Studien und Untersuchungen wurde eine Branchenliste zusammengestellt.

Insgesamt wurden 133 WZ-5-Steller identifiziert, von denen 27 Positionen der Gesundheitswirtschaft vollständig zuzuordnen sind. Die nachfolgend aufgeführten Bereiche bilden nach Umsatz und Beschäftigung den Hauptanteil aller gesundheitsrelevanten Wirtschaftszweige,

  • im Dienstleistungsbereich fast der ganze WZ-Abschnitt Q »Gesundheits- und Sozialwesen«, ohne »Tagesbetreuung von Kindern« (WZ 88.91.0) sowie Teile der Positionen »Sonstiges Sozialwesen a.n.g.« (WZ 88.99.0) und »Altenheime; Alten- und Behindertenwohnheime« (WZ 87.30.0),
  • die pharmazeutische Industrie (WZ 21.10.0 und WZ 21.20.0),
  • die »Herstellung von medizinischen und zahnmedizinischen Apparaten und Materialien« (WZ 32.50) sowie
  • der Groß- und Einzelhandel mit pharmazeutischen, medizinischen und orthopädischen Produkten (WZ 46.46, WZ 47.73.0 und WZ 47.74.0).

Für 106 Unterklassen (WZ-5-Steller), die nicht vollständig der Gesundheitswirtschaft zugeordnet werden können, müssen die gesundheitsrelevanten Anteile des jeweiligen Wirtschaftszweiges ermittelt werden. Im Produzierenden Gewerbe sind es 32, im Handel 18 und im Dienstleistungssektor 56 Wirtschaftszweige. Dabei muss für jeden einzelnen Bereich geprüft werden, inwieweit Informationen aus amtlichen Erhebungen oder externen Quellen zur Verfügung stehen.

Die Grundlage für die Abgrenzung der Gesundheitswirtschaft nach WZ 2008 im engeren Sinne bildeten die folgenden sechs Kriterien:4

  1. Anlehnung an die bereits vorhandenen Abgrenzungen nach der WZ 2003
    • Orientierung an der Definition der OECD
    • Einbeziehung der gesundheitstypischen Vorleistungsindustrien
  2. Systematische Anbindung an die Gesundheitspersonal- und Gesundheitsausgabenrechnung des Bundes
  3. Die Verfügbarkeit von statistischen Informationen sollte weitgehend gewährleistet sein.
  4. Der Schätzaufwand für den gesundheitsrelevanten Teil innerhalb eines Wirtschaftszweiges muss vertretbar sein. Zusatzerhebungen sind z. B. nicht möglich, um gesundheitsrelevante Wirtschaftsbereiche innerhalb eines Wirtschaftszweiges herauszuarbeiten.
  5. Bei den Vorleistungs- und Zulieferindustrien sowie bei den anderen Wirtschaftszweigen werden die WZ 5-Steller gewählt, die einen direkten Gesundheitsbezug erkennen lassen.5
  6. Die Reparaturen von Gesundheitsprodukten sind aus Einheitlichkeitsgründen auch nicht mit aufgenommen, da es keinen eigenen Wirtschaftszweig für diese Reparaturen gibt.6

Die auf diese Art und Weise erhaltene erste praktikable Abgrenzung gesundheitsrelevanter Wirtschaftszweige nach WZ 2008 wird nachfolgend in ihrer Gesamtheit mit »Gesundheitssektor« bezeichnet, um die Unterscheidung zur vorstehend genannten umfassenden Abgrenzung der Gesundheitswirtschaft zu gewährleisten.

Insgesamt wurden 36 Unterklassen (WZ-5-Steller) dem Gesundheitssektor zugewiesen. Davon entfallen 23 WZ-5-Steller auf den Dienstleistungsbereich (ohne Handel), sechs auf den Handel und sieben auf das Produzierende Gewerbe, konkret auf das Verarbeitende Gewerbe. Im Dienstleistungsbereich sind 15 Unterklassen vollständig dem Gesundheitssektor zuzuweisen, wobei allein 14 Unterklassen dem WZ-Abschnitt Q »Gesundheits- und Sozialwesen« angehören. In den beiden anderen Bereichen sind jeweils sechs Wirtschaftszweige zu 100 Prozent dem Gesundheitssektor zuzurechnen. Neun Branchen können nicht vollständig dem Gesundheitssektor zugeordnet werden. Für diese Unterklassen muss geprüft werden, inwieweit Informationen aus anderen Erhebungen oder Brancheninformationen aus externen Quellen vorliegen, um geeignete Schätzungen vornehmen zu können. Innerhalb des Verarbeitenden Gewerbes werden die »Herstellung von Behindertenfahrzeuge« nicht gesondert ausgewiesen. Sie müssen aus der WZ 30.92.0 (Herstellung von Fahrrädern sowie von Behindertenfahrzeugen) »herausgeschätzt« werden. Während im Handel alle gesundheitsrelevanten WZ-Positionen eindeutig sind, müssen im Dienstleistungsbereich aus acht Wirtschaftszweigen die entsprechenden gesundheitsrelevanten Dienstleistungen herausgerechnet werden. Hierbei sind grundsätzlich drei Aspekte zu unterscheiden:

  • Die wirtschaftliche Tätigkeit ist nicht grundsätzlich gesundheitsrelevant, sondern betrifft nur bestimmte Bevölkerungsgruppen. Hierzu zählt der WZ 49.32.0 »Betrieb von Taxis«, da Kranken- und Behindertenfahrten der Gesundheitsbranche zuzurechnen sind.
  • Die Dienstleistung ist gesundheitsrelevant, wird aber mit anderen wirtschaftlichen Tätigkeiten zusammengefasst. Dazu zählen die Wirtschaftszweige 72.11.0 »Forschung und Entwicklung im Bereich Biotechnologie«, WZ 72.19.0 »Sonstige Forschung und Entwicklung im Bereich Natur-, Ingenieur-, Agrarwissenschaften und Medizin«, WZ 84.12.0 »Öffentliche Verwaltung auf den Gebieten Gesundheitswesen, Bildung, Kultur und Sozialwesen«, WZ 84.30.0 »Sozialversicherung« und WZ 85.42.4 »Berufsakademien, Fachakademien, Schulen des Gesundheitswesens«.
  • Ferner gibt es eine Mischung von a) und b). Dies trifft für den WZ 87.30.0 »Altenheime; Alten- und Behindertenwohnheime« zu.

Aufgrund der starken Veränderungen zwischen den beiden Wirtschaftszweigklassifikationen (WZ 2003 und WZ 2008) sind spürbare Auswirkungen auf die Abgrenzung der Gesundheitswirtschaft bzw. konkret des Gesundheitssektors festzustellen.

Die bisher separaten Unterklassen WZ 85.31.8. »Wohnheime für Behinderte«, WZ 85.31.4 »Altenheime« und WZ 85.31.3 »Altenwohnheime« werden in der WZ 2008 unter »Altenheime, Alten- und Behindertenwohnheime« (WZ 87.30.0) ausgewiesen. Die »Organisationen des Gesundheitswesens« werden in der Unterklasse »Interessenvertretung und Vereinigungen a.n.g.« (WZ 94.99.9) eingegliedert. Die neue Unterklasse WZ 32.50.1 »Herstellung von medizintechnischen Apparaten und Materialien a.n.g.« enthält eine Vielzahl von Produkten aus Unterklassen der Abteilungen 17 bis 33 der WZ 2003, die vorher nicht separat medizinisch ausgewiesen waren oder umklassifiziert wurden. Die »Herstellung von Behindertenfahrzeugen« (WZ 35.43.0) wird dagegen nicht mehr als separate Unterklasse ausgewiesen, sondern in der WZ 2008 unter WZ 30.92.0 »Herstellung von Fahrrädern sowie von Behindertenfahrzeugen« subsumiert. Die in der WZ 2008 neue Unterklasse »Sozialversicherung« (WZ 84.30.0) umfasst neben bisher einzeln ausgewiesenen WZ-5-Stellern der »Gesetzlichen sowie knappschaftlichen Renten- und Krankenversicherung« (WZ 75.30.1, WZ 75.30.2, WZ 75.30.5 bzw. WZ 75.30.6) und der »Gesetzlichen Unfallversicherung« (WZ 75.30.7) auch die »Arbeitsförderung« (WZ 75.30.8) sowie die »Altershilfe für Landwirte« (WZ 75.30.3) und die »Zusatzversorgung für Angehörige des Öffentlichen Dienstes« (WZ 75.30.4).

Auch hier wird eine geeignete Schätzung vorgenommen werden müssen, um die gesundheitswirtschaftlich relevanten Bereiche quantifizieren zu können.

Die in der WZ 2003 noch separat ausgewiesene »Öffentliche Verwaltung auf dem Gebiet des Gesundheitswesens« (WZ 75.12.4) wird jetzt ebenfalls in einer Unterklasse mit öffentlichen Verwaltungen anderer Bereiche zusammengefasst (WZ 84.12.0 »Öffentliche Verwaltung auf den Gebieten Gesundheitswesen, Bildung, Kultur und Sozialwesen«). Der bisherige Unterabschnitt »Forschung und Entwicklung im Bereich Medizin« (WZ 73.10.4) wird in der WZ 2008 aufgeschlüsselt in »Forschung und Entwicklung im Bereich Biotechnologie« (WZ 72.11.0) und »Sonstige Forschung und Entwicklung im Bereich Natur-, Ingenieur-, Agrarwissenschaften und Medizin« (WZ 72.19.0).

Die Tabellen zur Abgrenzung der Gesundheitswirtschaft nach WZ 2003 und zur Abrenzung des Gesundheitssektors nach WZ 2008 können unter www.statistik-bw.de/Veroeffentl/Monatshefte/PDF/Beitrag11_05_08_Tabellenanhang.pdf abgerufen werden.

Teil II des Beitrags wird im Statistischen Monatsheft Baden-Württemberg 6/2011 veröffentlicht.

Die Erstveröffentlichung dieses Aufsatzes erfolgte im Internet und kann unter www.ggrdl.de/GGR/Frie_Muno_Speich.pdf abgerufen werden.

1 Die derzeit aktuelle Klassifikation der Wirtschaftszweige; Ausgabe 2008 (WZ 2008) [2] fußt auf der statistischen Systematik der Wirtschaftszweige in der Europäischen Gemeinschaft (NACE Rev. 2), deren Anwendung rechtsverbindlich mit der Verordnung (EG) Nr. 1893/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 vorgeschrieben ist. Diese Systematik basiert ihrerseits auf der internationalen Systematik der Wirtschaftszweige (ISIC Rev. 4) der Vereinten Nationen.

2 Der Begriff »Zweiter Gesundheitsmarkt« bezieht sich auf die Bereitstellung von Dienstleistungen und Gütern der Gesundheitswirtschaft, wird jedoch nicht einheitlich abgegrenzt. Eine Abgrenzung ist denkbar über die Finanzierung, die Art der erbrachten Güter und Dienstleistungen oder über die Klassifikation der Wirtschaftszweige, denen die wirtschaftlichen Akteure, die diese Güter bzw. Dienstleistungen bereitstellen, zugeordnet werden. Die Arbeitsgruppe »Gesundheitsökonomische Gesamtrechnungen der Länder« wird sich dieses Themas im Detail noch annehmen.

3 Bei einem Vergleich mit der Gesundheitspersonalrechnung ist methodisch zu berücksichtigen, dass aufgrund von Zuordnungs- und Abgrenzungsschwierigkeiten die Berechnung der Zahl der Beschäftigten im Gesundheitswesen weder über die Wirtschaftszweigsystematik noch über die Gliederung der Berufe des Gesundheitswesens erfolgt, sondern über die Abgrenzung und Definition der Einrichtungen geschieht. Die Gliederung der Einrichtungen des Gesundheitswesens erfolgt entsprechend der Systematik der Gesundheitsausgaben- und Krankheitskostenrechnung. Daher können bei der Übertragung von Einrichtungen auf Wirtschaftszweige kleinere systematische Unschärfen auftreten. Dies ist bei der Interpretation zu berücksichtigen. Dabei ist der Arbeitsgruppe »Gesundheitsökonomische Gesamtrechnungen der Länder« bewusst, dass es immer wieder Argumente für oder gegen eine gewählte Abgrenzung geben kann.

4 Die Arbeitsgruppe »Gesundheitsökonomische Gesamtrechnungen der Länder« ist sich bewusst, dass es immer wieder Argumente für oder gegen eine gewählte Abgrenzung geben kann.

5 Damit fallen beispielsweise die Grundstoffchemie (WZ Gruppe 21.1) und das Baugewerbe (WZ Abschnitt F) heraus. Die Produktion von Krankentransportern, die unter der Rubrik »Herstellung von Personenkraftwagen und Personenkraftwagenmotoren« (WZ 29.11.0) fallen, werden auch nicht erfasst, da sie nicht separat ausgewiesen sind.

6 Der Schätzaufwand aus den Sammelpositionen der WZ 33.13.0 »Reparatur von elektronischen und optischen Geräten (einschließlich Bestrahlungs- und Elektrotherapiegeräte sowie elektromedizinischer Geräte)« und WZ 33.17.0 »Reparatur und Instandhaltung von Fahrzeugen a.n.g. (einschließlich Behindertenfahrzeuge)« steht in keinem Verhältnis zu dem Mehrgewinn an Informationen. Außerdem gibt es keine eigene Position für Reparaturen von medizinischen und zahnmedizinischen Apparaten aus der WZ 32.50.1. Des Weiteren werden die Reparaturen häufig über die Gewährleistungen der Hersteller abgedeckt.