:: 7/2011

Entwicklung der Arbeitnehmerentgelte in Baden-Württemberg

Informationen über die Entwicklung und Höhe von Löhnen und Gehältern sind angesichts ihrer sozioökonomischen und politischen1 Tragweite von großer Bedeutung und stehen im Fokus des öffentlichen Interesses. Ergebnisse zum regionalen Arbeitnehmerentgelt liefern die Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen der Länder. Damit lassen sich auch Fragestellungen, wie zum Beispiel welche Bundesländer oder speziell Branchen in Baden-Württemberg die höchsten Entgelte aufweisen, beantworten. Als Summe aus den Bruttolöhnen und -gehältern sowie den Sozialbeiträgen der Arbeitgeber stellt das Arbeitnehmerentgelt nicht nur eine Einkommensgröße, sondern auch eine wichtige gesamtwirtschaftliche Kostengröße dar. Sie bildet den Aufwand für den Produktionsfaktor Arbeit – genauer der abhängig Beschäftigten – ab und wird deshalb auch als Indikator für Standortentscheidungen privater Investoren herangezogen.

38 % des Arbeitnehmerentgeltes im Verarbeitenden Gewerbe erwirtschaftet

Das Arbeitnehmerentgelt (siehe i-Punkt) in Baden-Württemberg belief sich im Jahr 2010 auf knapp 187 Mrd. Euro. Davon entfielen 80 Mrd. Euro auf das Produzierende Gewerbe, wovon allein 70 Mrd. Euro und damit 38 % des gesamten Arbeitnehmerentgeltes durch das Verarbeitende Gewerbe erwirtschaftet wurden. Fast ein Viertel des in Baden-Württemberg geleisteten Arbeitnehmerentgeltes waren den öffentlichen und privaten Dienstleistern zuzuschreiben, gefolgt von den beiden Bereichen Handel, Gastgewerbe und Verkehr sowie Finanzierung, Vermietung und Unternehmensdienstleister.

Im Zeitverlauf betrachtet, lässt sich auch für das Arbeitnehmerentgelt ein deutlicher Strukturwandel zugunsten des Dienstleistungssektors feststellen. Während das Produzierende Gewerbe im Jahr 1991 mit 52 % noch den größten Anteil stellte, entfällt der Großteil des Arbeitnehmerentgeltes heute auf den Dienstleistungsbereich. In diesem Sektor nahm das Arbeitnehmerentgelt infolge stetigen Wachstums zwischen 1991 und 2010 nominal deutlich stärker zu als im Produzierenden Gewerbe, für das in einzelnen Jahren des Betrachtungszeitraums auch rückläufige Werte festzustellen sind. Im Wesentlichen ist die vergleichsweise hohe Zunahme der im Dienstleistungssektor erzielten Arbeitnehmerentgelte auf den starken Beschäftigungsaufbau zurückzuführen. Seit 1991 stieg der Anteil der Dienstleistungsbeschäftigten in Baden-Württemberg von knapp 54 % um über 12 Prozentpunkte auf einen Anteil von 66 % im Jahr 2010. In derselben Größenordnung sank der Anteil der Arbeitnehmer im Produzierenden Gewerbe. Neben dem Strukturwandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft sind die stark angestiegenen Beschäftigtenzahlen auch in der zunehmenden Bedeutung von Leiharbeitnehmern sowie in der Ausweitung Teilzeit- und marginaler Beschäftigung (siehe i-Punkt) begründet. Da die Leiharbeitnehmer ihre Arbeitsverträge mit Zeitarbeitsfirmen abschließen, werden sie dem Dienstleistungssektor zugerechnet, obwohl sie häufig in der Industrie arbeiten.

Bezogen auf die Anzahl aller in Baden-Württemberg beschäftigten Arbeitnehmer ergab sich im Jahr 2010 nach einem Anstieg von 2,8 % ein durchschnittliches Pro-Kopf-Arbeitnehmerentgelt von 37 330 Euro. Vor allem in der Südwestindustrie spiegelte sich die konjunkturelle Erholung, nach dem krisenbedingten Einbruch im Jahr 2009, in steigenden Entgelten wider. So lag die Vergütung im Produzierenden Gewerbe annähernd 5 % über dem Vorjahresniveau, was den hohen Zuwächsen im Verarbeitenden Gewerbe (5,7 %) zuzuschreiben ist. Ursache der stark steigenden durchschnittlichen Arbeitnehmereinkommen dürfte vor allem die infolge des Wirtschaftsaufschwungs wieder zunehmende Zahl der geleisteten Arbeitsstunden der Arbeitnehmer sein, die im Jahr 2009 aufgrund der massiven Ausweitung der Kurzarbeit deutlich zurückging und damit auch zu einem rückläufigen Arbeitnehmerentgelt im Verarbeitenden Gewerbe führte. Für die im Dienstleistungssektor beschäftigten Arbeitnehmer sind für das Jahr 2010 mit einem Plus von 1,8 % über dem Vorjahresniveau ebenfalls steigende Entgelte zu verzeichnen.

Produzierendes Gewerbe: Sektor mit den höchsten Löhnen

In Baden-Württemberg wurden die höchsten Arbeitnehmereinkommen im Jahr 2010 im Produzierenden Gewerbe gezahlt. Mit 48 300 Euro lag das durchschnittliche Pro-Kopf-Entgelt in diesem Sektor um 29 % oder 11 000 Euro über dem Durchschnitt aller Wirtschaftsbereiche. Mit Abstand die höchsten Arbeitnehmerentgelte erhielten die beschäftigten Arbeitnehmer im Bereich Energie- und Wasserversorgung mit einem durchschnittlichen Lohn- und Gehaltsniveau von weit über 60 000 Euro.2 In diesem Wirtschaftsabschnitt waren in den letzten Jahren stets weniger als 1 % aller Arbeitnehmer in Baden-Württemberg beschäftigt. Im Verarbeitenden Gewerbe, dem – bezogen auf die Beschäftigtenzahl – bedeutsamsten Wirtschaftsbereich, wurde ein durchschnittliches Pro-Kopf-Arbeitnehmerentgelt von 50 400 Euro erzielt.

Deutlich geringer als in der Industrie fällt das durchschnittliche Arbeitnehmereinkommen in den meisten Dienstleistungsbereichen aus. Dort belief es sich im Jahr 2010 auf rund 66 % des Lohnniveaus der Arbeitnehmer im Produzierenden Gewerbe. Diese Lohndiskrepanz ist zum Teil darauf zurückzuführen, dass die im Produzierenden Gewerbe beschäftigten Arbeitnehmer durchschnittlich mehr Arbeitsstunden im Jahr leisten, unter anderem bedingt durch den merklich geringeren Anteil marginal und Teilzeitbeschäftigter.

Generell werden Niveau und Entwicklung der in einer Region gezahlten Arbeitnehmerentgelte von unterschiedlichen Faktoren beeinflusst. Hierzu zählen maßgeblich die Wirtschaftsstruktur sowie die Art der Beschäftigungsverhältnisse, das heißt der Anteil marginal, voll- und teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer, und die Qualifikation der Arbeitnehmer.

Bedeutsame Einkommensunterschiede innerhalb des Dienstleistungssektors

Zwischen den einzelnen Dienstleistungsbereichen sind beträchtliche Einkommensdifferenzen zu beobachten. Neben dem Kredit- und Versicherungsgewerbe, das mit dem Verarbeitenden Gewerbe vergleichbare Pro-Kopf-Entgelte aufwies, erzielten im Jahr 2010 innerhalb des Dienstleistungssektors nur die Bereiche öffentliche Verwaltung, Verteidigung, Sozialversicherung sowie Erziehung und Unterricht ein überdurchschnittliches Lohnniveau. Die niedrigsten Arbeitnehmereinkommen mit weniger als 15 000 Euro erlangten die Bereiche Private Haushalte mit Hauspersonal und Gastgewerbe. Beide Wirtschaftsabschnitte sind durch einen außerordentlich hohen Anteil an Personen, die ausschließlich Minijobs mit einer monatlichen Verdienstgrenze bis 400 Euro ausüben, gekennzeichnet.3 Auch das Gesundheits-, Veterinär- und Sozialwesen wies mit weniger als 30 000 Euro vergleichsweise geringe Durchschnittslöhne auf. In diesem Dienstleistungsbereich spielt die Teilzeitbeschäftigung eine bedeutsame Rolle.

Produzierendes Gewerbe: größter absoluter Zuwachs seit 1991

Branchenspezifische Unterschiede zeigen sich auch im langfristigen Vergleich. Im Einzelnen betrachtet stiegen die durchschnittlichen Arbeitnehmereinkommen im Produzierenden Gewerbe zwischen den Jahren 1991 und 2010 nominal um über 17 000 Euro und lagen damit deutlich über dem gesamtwirtschaftlichen Plus von 10 000 Euro. Die Zuwächse des Arbeitnehmerentgeltes im Dienstleistungssektor blieben hingegen mit 7 600 Euro je Arbeitnehmer hinter der Entwicklung der gesamten Südwestwirtschaft zurück. Nur die beiden Dienstleistungsbereiche Kredit- und Versicherungsgewerbe sowie öffentliche Verwaltung, Verteidigung, Sozialversicherung, die auch 2010 ein überdurchschnittliches Gehaltsniveau aufwiesen, erreichten mit dem Produzierenden Gewerbe annähernd vergleichbare absolute Zuwächse. Bei den prozentualen Veränderungen lagen diese Wirtschaftsbereiche ebenfalls deutlich über der Entwicklung der Gesamtwirtschaft. Indessen sind für die im Gastgewerbe beschäftigten Arbeitnehmer durchschnittlich sogar Lohneinbußen zu verzeichnen, was auf den im Zeitverlauf starken Anstieg der Arbeitnehmerzahlen, vermutlich primär durch die Ausweitung marginaler Beschäftigung, zurückzuführen sein dürfte.

Als Ursache für den vergleichsweise sehr hohen Zuwachs der durchschnittlichen Arbeitnehmereinkommen im Produzierenden Gewerbe sowie in den Dienstleistungsbereichen Kredit- und Versicherungsgewerbe und öffentliche Verwaltung, Verteidigung, Sozialversicherung ist vor allem der seit 1991 zu beobachtende Stellenabbau zu sehen. Insbesondere die Industrie erlebte in diesem Zeitraum infolge von Rationalisierungsmaßnahmen eine massive Reduzierung von Arbeitsplätzen. Auf der anderen Seite führte der Strukturwandel zugunsten höherwertiger Tätigkeiten tendenziell auch zu einem Anstieg der Arbeitnehmerentgelte. Neu geschaffen wurden Stellen hingegen bevorzugt in Branchen, deren Zuwächse zwischen 1991 und 2010 unterhalb des gesamtwirtschaftlichen Durchschnitts lagen, wie zum Beispiel die Wirtschaftsbereiche Gastgewerbe, Erziehung und Unterricht oder Gesundheits-, Veterinär- und Sozialwesen. Der Grund für diesen Beschäftigungsaufbau dürfte vorwiegend in der im Zeitverlauf zunehmenden Bedeutung von Teilzeit- und marginaler Beschäftigung liegen.

Baden-Württemberg im Bundesländervergleich: Spitzenstellung und Mittelfeld – je nachdem…

Im bundesweiten Vergleich erzielte Baden-Württemberg im Jahr 2010 nach Hamburg und Hessen die höchsten Pro-Kopf-Arbeitnehmereinkommen. In der Hansestadt belief sich das durchschnittliche Arbeitnehmerentgelt auf 40 800 Euro je Arbeitnehmer und lag damit deutlich über dem Bundesdurchschnitt von 34 900 Euro. Auf Platz zwei und drei folgten Hessen und Baden-Württemberg mit 38 900 bzw. 37 300 Euro. Ursächlich für die Spitzenstellung Baden-Württembergs ist seine industrielle Ausrichtung. Rund 33 % aller Arbeitnehmer im Südwesten waren 2010 in der Industrie tätig – so viele wie in keinem anderen Bundesland.

Auch das durchschnittliche Lohnniveau der Südwestindustrie nahm im Bundesländerranking mit Platz drei einen Spitzenplatz ein. Insbesondere Hamburg wies aufgrund der Konzentration zentraler Unternehmensfunktionen höhere Arbeitnehmerentgelte je Arbeitnehmer auf. Anders sieht es hingegen im Dienstleistungssektor aus. Hier lagen die Arbeitnehmereinkommen nur minimal über dem bundesdeutschen Durchschnitt, was Baden-Württemberg mit Rang sieben nur einen Platz im Mittelfeld einbrachte. In Hamburg und Hessen erzielten die im Dienstleistungssektor beschäftigten Arbeitnehmer durchschnittlich die höchsten Arbeitnehmerentgelte. In diesen Ländern sind die höher entlohnten Dienstleistungsbereiche stärker vertreten als hierzulande.

1 So werden beispielsweise die in den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen ermittelten Bruttolöhne und -gehälter (getrennt nach West- und Ostdeutschland) für die jährliche Rentenanpassung verwendet.

2 Im vorliegenden Beitrag basieren die Angaben für die Abschnitte der WZ 2003 am aktuellen Rand zum Teil auf eigenen Berechnungen.

3 Vgl. Beschäftigtenstatistik der Bundesagentur für Arbeit.