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Volksabstimmung am 27. November 2011: Mehrheit der Baden-Württemberger lehnt das S 21-Kündigungsgesetz ab

Endgültige Ergebnisse der Volksabstimmung am 27. November 2011

Am 27. November 2011 fand in Baden-Württemberg die Volksabstimmung über die Gesetzesvorlage »Gesetz über die Ausübung von Kündigungsrechten bei den vertraglichen Vereinbarungen für das Bahnprojekt Stuttgart 21 (S 21-Kündigungsgesetz)« statt. Die letzte Volksabstimmung im Land Baden-Württemberg war im Jahr 1971 und liegt somit bereits über 40 Jahre zurück.1 Erstmals überhaupt in der Geschichte des Landes gab es mit der Abstimmung über das S 21-Kündigungsgesetz eine Volksabstimmung über eine Gesetzesvorlage der Landesregierung, die vom Landtag abgelehnt wurde. Der vorliegende Beitrag beleuchtet die endgültigen Ergebnisse der Volksabstimmung 2011 insbesondere hinsichtlich regionaler Besonderheiten und im Hinblick auf die Ergebnisse der Landtagswahl vom 27. März 2011.

S 21-Kündigungsgesetz abgelehnt

Nach den endgültigen Ergebnissen der Volksabstimmung über das S 21-Kündigungsgesetz wurde die Gesetzesvorlage von der Mehrheit der Baden-Württembergerinnen und Baden-Württemberger abgelehnt. Insgesamt 58,9 % der abgegebenen gültigen Stimmen waren Nein-Stimmen. Eine Minderheit von 41,1 % der Abstimmenden mit gültigem Stimmzettel sprach sich mit Ja für die Gesetzesvorlage aus. Damit haben die Gegner des Bahnprojekts Stuttgart 21 weder die Mehrheit der gültigen Stimmen erzielen können, noch wurde das zur Verabschiedung der Gesetzesvorlage in der Landesverfassung vorgesehene Quorum erreicht: Hierzu hätten von den 7 624 302 zur Abstimmung berechtigten Baden-Württembergern mindestens 2 541 434 bzw. ein Drittel aller Stimmberechtigten der Vorlage zustimmen müssen. Bei einer Abstimmungsbeteiligung von 48,3 % (insgesamt 3 682 739 Abstimmende) sprachen sich lediglich 1 507 961 bzw. 19,8 % der Stimmberechtigten für das S 21-Kündigungsgesetz aus. Gegen das S 21-Kündigungsgesetz votierten hingegen 2 160 411 (28,3 %) stimmberechtigte Bürgerinnen und Bürger.

Abstimmungsbeteiligung im Vergleich mit anderen Abstimmungen und Wahlen

Im Vergleich mit anderen Abstimmungen und Parlamentswahlen lässt sich die Abstimmungsbeteiligung bei der Volksabstimmung am 27. November 2011 wie folgt einordnen: Zwar lag die Abstimmungsbeteiligung mit 48,3 % deutlich unter der Wahlbeteiligung der Landtagswahl vom 27. März 2011 (66,3 %). Gemessen an den Gemeinderatswahlen in Baden-Württemberg von 2009 (50,7 %) sowie den 2010 abgehaltenen Volksentscheiden in Hamburg über die Schulreform und in Bayern über den Nichtraucherschutz (39,3 % bzw. 37,7 %) wurde bei der Volksabstimmung über das S 21-Kündigungsgesetz eine durchaus respektable Beteiligungsquote erreicht. Bei der letzten Volksabstimmung in Baden-Württemberg 1971 – damals wurde über die Auflösung des Landtags abgestimmt – lag die Beteiligungsquote sogar nur bei 16,0 %. In der Schweiz, wo jedes Jahr Volksabstimmungen stattfinden, wurde im Durchschnitt der Jahre 1991 bis 2010 lediglich eine Beteiligungsquote von 44,1 % erreicht.

Hohe Abstimmungsbeteiligung in der Region Stuttgart

Die Spannbreite zwischen den Stadt- und Landkreisen mit der höchsten Abstimmungsbeteiligung (67,8 % im Stadtkreis Stuttgart) und der niedrigsten Abstimmungsbeteiligung (33,3 % im Stadtkreis Mannheim) lag bei 34,5 Prozentpunkten. In 13 Stadt- und Landkreisen lag die Beteiligung am Urnengang bei über 50 %. In neun Stadt- und Landkreisen beteiligten sich hingegen weniger als 40 % der Stimmberechtigten an der Volksabstimmung über das S 21-Kündigungsgesetz.

Wie bereits im Vorfeld der Abstimmung erwartet worden war, lag die Abstimmungsbeteiligung in der Region Stuttgart spürbar über dem Landesdurchschnitt von 48,3 %. So wurde – wie bereits erwähnt – die landesweit höchste Beteiligungsquote im Stadtkreis Stuttgart (67,8 %) gemessen. Auch in den weiteren Stimmkreisen der Region Stuttgart war die Abstimmungsbeteiligung mit 62,3 % (Landkreis Esslingen), 60,6 % (Landkreis Ludwigsburg), 60,3 % (Landkreis Rems-Murr-Kreis), 58,9 % (Landkreis Böblingen) sowie 53,7 % (Landkreis Göppingen) überdurchschnittlich hoch. Neben den Stimmkreisen der Region Stuttgart waren auch der Landkreis Tübingen (58,7 %) sowie der Alb-Donau-Kreis (55,1 %) unter den zehn Stadt- und Landkreisen mit der höchsten Abstimmungsbeteiligung zu finden. Insgesamt lagen neun der zehn Stadt- und Landkreise mit der höchsten Abstimmungsbeteiligung im württembergischen Landesteil. Im badischen Landesteil machten lediglich in den Landkreisen Calw (52,6 %) und Enzkreis (50,7 %) überdurchschnittlich viele Bürgerinnen und Bürger von ihrem Abstimmungsrecht Gebrauch. Mit zunehmender räumlicher Distanz zu Stuttgart war also das Interesse an der Volksabstimmung sichtbar rückläufig.

Stellt man nun die zehn Stadt- und Landkreise mit der höchsten und der niedrigsten Abstimmungsbeteiligung bei der Volksabstimmung den zehn Stadt- und Landkreisen mit der höchsten und niedrigsten Wahlbeteiligung bei der Landtagswahl 2011 gegenüber, dann zeigt sich, dass die Kreise der Region Stuttgart auch bei der Landtagswahl 2011 zu den Stadt- und Landkreisen mit der höchsten Wahlbeteiligung gehörten. Entsprechend fanden sich am unteren Ende des Rankings auch bei der Landtagswahl 2011 vorwiegend badische Stadt- und Landkreise. Das heißt, im Ranking der Abstimmungsbeteiligung der Volksabstimmung 2011 spiegelt sich nicht nur die mehr oder weniger große räumliche Distanz zu Stuttgart wider, sondern es zeigen sich auch längerfristige Strukturen: Die Region Stuttgart gehört traditionell zu den Kreisen mit hoher Wahlbeteiligung, während im badischen Landesteil bei allen Wahlen eher niedrige Beteiligungsquoten beobachtet werden.

Regionale Verteilung der Zustimmung und der Ablehnung

In sieben der insgesamt 44 Stimmkreise2 Baden-Württembergs fand das S 21-Kündigungsgesetz mit einer Mehrheit an Ja-Stimmen an den gültigen Stimmen Zustimmung. Zu den Hochburgen der Stuttgart 21-Gegner – also den zehn Stimmkreisen mit dem höchsten Anteil abgegebener Ja-Stimmen an den gültigen Stimmen – zählten unter anderem der Stadtkreis Freiburg im Breisgau (66,5 %), wo die Zustimmungsquote ihren landesweit höchsten Wert erreichte, gefolgt von den Stadtkreisen Heidelberg (58,0 %) und Mannheim (57,2 %) sowie dem Landkreis Emmendingen (54,9 %). Ingesamt betrug der Ja-Stimmenanteil in den Hochburgen der Zustimmung zum S 21-Kündigungsgesetz 53,0 %. Unter den zehn Stadt- und Landkreisen mit dem höchsten Ja-Stimmenanteil an den gültigen Stimmen waren neun im badischen und nur einer im württembergischen Landesteil zu finden.

Die Gegenüberstellung der zehn Stadt- und Landkreise mit den höchsten Anteilen an Ja-Stimmen bei der Volksabstimmung 2011 mit den zehn Stadt- und Landkreisen, in denen die GRÜNEN bei der Landtagswahl 2011 am besten abgeschnitten haben, zeigt, dass es sich bei ersteren überwiegend um die GRÜNEN-Hochburgen der Landtagswahl handelt. Den GRÜNEN ist es offensichtlich gelungen, ihre Stammwähler in ihren Hochburgen von ihrer Haltung zum Projekt Stuttgart 21 zu überzeugen.

Die Befürworter von Stuttgart 21, die ihre Zustimmung zum Bahnprojekt bei der Volksabstimmung mit einem Nein zum S 21-Kündigungsgesetz zum Ausdruck bringen konnten, waren in insgesamt 37 der 44 Stadt- und Landkreise in der Mehrheit. Dabei fiel der Anteil der Nein-Stimmen an den gültigen Stimmen in den Landkreisen Alb-Donau-Kreis (77,0 %) und Biberach (75,5 %) sowie im Stadtkreis Ulm (69,6 %) am höchsten aus.

Die Gegenüberstellung der zehn Stadt- und Landkreise mit den höchsten Anteilen an Nein-Stimmen bei der Volksabstimmung 2011 mit den zehn Stadt- und Landkreisen, in denen die CDU bei der Landtagswahl 2011 am besten abgeschnitten hat, zeigt, dass es sich bei den Kreisen, in denen die Gesetzesvorlage am stärksten abgelehnt wurde, überwiegend um die Hochburgen der CDU bei der Landtagswahl 2011 handelt. Ebenso wie die GRÜNEN hat auch die CDU erfolgreich ihre Anhänger in ihren Hochburgen mobilisiert.

Insgesamt lag der Anteil der Nein-Stimmen in den Hochburgen der S 21-Befürworter – also den zehn Stimmkreisen mit dem höchsten Anteil abgegebener Nein-Stimmen an den gültigen Stimmen – bei 69,8 %. Die Abstimmungsbeteiligung erreichte, im Vergleich zu den Hochburgen der Zustimmung (41,7 %), in den Hochburgen der Ablehnung des Kündigungsgesetzes mit 49,7 % eine Quote über dem Landesdurchschnitt (48,3 %). Daraus kann gefolgert werden, dass es den Gegnern des Kündigungsgesetzes besser gelungen ist, ihre Anhängerschaft zu mobilisieren. Neun der zehn Stadt- und Landkreise mit dem höchsten Nein-Stimmenanteil lagen im württembergischen, nur einer im badischen Teil des Landes. In der räumlichen Verteilung der Zustimmung und Ablehnung zur Gesetzesvorlage sind deutliche Unterschiede zwischen dem badischen und dem württembergischen Landesteil erkennbar.

Je größer die Gemeinde, desto häufiger wurde mit »Ja« gestimmt

Die Betrachtung der Ergebnisse der Volksabstimmung vom 27. November 2011 nach Gemeindegrößenklassen zeigt, dass mit zunehmender Größe der Gemeinden die Zustimmung zum S 21-Kündigungsgesetz anstieg. Während sich in den kleineren Gemeinden mit unter 10 000 Einwohnern eine deutliche Mehrheit gegen die Gesetzesvorlage aussprach (63,5 % Nein-Stimmen an den gültigen Stimmen), wurde in den Gemeinden mit 10 000 bis unter 50 000 Einwohnern (59,5 %) sowie mit 50 000 bis unter 100 000 Einwohnern (55,1 %) schon eine etwas kleinere Mehrheit gegen das Ausstiegsgesetz registriert. In den Großstädten des Landes mit 100 000 und mehr Einwohnern sprach sich beinahe die Hälfte der Bürgerinnen und Bürger für das Kündigungsgesetz aus (49,7 % Ja-Stimmen). Auch in der Betrachtung nach Gemeindegrößenklassen treten indirekt die Präferenzen für die CDU und die GRÜNEN zutage: Die GRÜNEN hatten bei allen zurückliegenden Wahlen den stärksten Rückhalt in den Großstädten des Landes, während die CDU vor allem in kleineren Gemeinden ihre besten Ergebnisse erzielt. Bei der Abstimmungsbeteiligung zeigten sich keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich der Gemeindegrößen.

Ergebnisse in den Gemeinden ab 30 000 Einwohnern

In den größeren Gemeinden ab 30 000 Einwohnern wurde das S 21-Kündigungsgesetz überwiegend abgelehnt: In 43 der insgesamt 56 Städte mit 30 000 und mehr Einwohnern entfiel die Mehrheit der abgegebenen Stimmen auf Nein. Mit Abstand am höchsten fiel die Ablehnung in Ulm (69,6 %) aus. Die Städte Schwäbisch-Gmünd (67,7 %), Biberach an der Riß (67,3 %), Albstadt (66,9 %) und Sindelfingen (66,5 %) komplettierten die ersten fünf Plätze unter den zehn Gemeinden mit 30 000 und mehr Einwohnern mit dem höchsten Nein-Stimmenanteil. Auch in der von dem Bahnprojekt Stuttgart 21 besonders berührten Landeshauptstadt Stuttgart wurde das S 21-Kündigungsgesetz von 52,9 % der Abstimmenden abgelehnt. Den größten Zuspruch erhielt das S 21-Kündigungsgesetz dagegen von den Bürgerinnen und Bürgern aus den Universitätsstädten Freiburg im Breisgau, Heidelberg und Tübingen: Mit Ja-Stimmenanteilen von 66,5 %, 58,0 % bzw. 57,7 % war die Zustimmung zur Gesetzesvorlage nirgendwo im Land höher als hier.

Die höchste Abstimmungsbeteiligung unter den Gemeinden mit über 30 000 Einwohnern wurde mit 67,9 % in Leinfelden-Echterdingen gemessen. In keiner anderen Stadt gingen prozentual betrachtet mehr Stimmberechtigte zu den Urnen. Auch in Stuttgart (67,8 %) und Ostfildern (66,4 %) lag die Beteiligungsquote an der ersten Volksabstimmung seit 1971 weit über dem Landesdurchschnitt (48,3 %). Am niedrigsten fiel die Abstimmungsbeteiligung dagegen in Rastatt aus, wo lediglich 28,8 % der Stimmberechtigten von ihrem Abstimmungsrecht Gebrauch machten. Ebenso fanden sich Lahr/Schwarzwald (30,3 %) und Weil am Rhein (31,6 %) am unteren Ende der Rangliste.

Umfassende Informationen zu den endgültigen Ergebnissen der Volksabstimmung über das S 21-Kündigungsgesetz für das Land, die Stadt- und Landkreise sowie alle Gemeinden erhalten Sie im Internetangebot des Statistischen Landesamtes Baden-Württemberg in Form von Tabellen, Grafiken und Karten.