:: 3/2018

Mord in Baden und Württemberg

Weit weniger als ein Promille der Bevölkerung in Baden-Württemberg wurden und werden jemals in der Realität mit einem der verwerflichsten Verbrechen der Menschheit konfrontiert. Dabei kennt jeder diese Straftat aus unzähligen Kriminalfilmen und Nachrichtensendungen. Es handelt sich um Mord, der als besonders schwere Straftat bezeichnet wird und umgangssprachlich zu den Kapitalverbrechen zählt. Die weltweite Mordrate lag 2015 bei 6,2 Morden pro 100 000 Einwohner. In zehn Ländern der Erde wurden 58 % aller Morde weltweit verübt: Brasilien, Indien, Nigeria, Mexiko, Demokratische Republik Kongo, Südafrika, Venezuela, USA, Kolumbien und Pakistan. In Deutschland und somit auch in unserem Bundesland lag die Quote bei 0,8 Morden je 100 000 Einwohner.1 Diese Quote ist ein Indikator dafür, dass die Menschen in Baden-Württemberg sehr sicher leben.

Was ist ein Mord?

Mord zählt in der Umgangssprache wie zum Beispiel schwerer Raub zu den Kapitalverbrechen. Diese Bezeichnung leitet sich vom lateinischen capitalis – deutsch: »das Haupt, den Kopf (caput) betreffend« – ab. Ein Kapitalverbrechen ist also per Wortbedeutung ein Haupt- oder Kopfverbrechen – eben eines, das den Kopf kosten kann und zur Dekapitation (Enthauptung) bzw. Todesstrafe führt. Mord steht allgemein für ein vorsätzliches Tötungsdelikt. Historische und aktuelle Strafrechtssysteme unterscheiden zwischen einer einfachen oder minder qualifizierten vorsätzlichen Tötung und einer besonders verwerflichen Form. Mord ist in Deutschland ein von § 211 des Strafgesetzbuches (StGB) erfasster Tatbestand des materiellen Strafrechts, der mit dem Strafmaß der lebenslangen Freiheitsstrafe bedroht wird. Der Mord an einem Menschen wird durch ein im Vergleich zum Totschlag größeres Unrecht charakterisiert. Dieses größere Unrecht wird nach geltendem Recht durch die Verwirklichung der sogenannten Mordmerkmale angezeigt, wie sie in § 211 im Strafgesetzbuch (StGB) beschrieben werden (siehe i-Punkt »§ 211 Mord«).

Die Bestrafung

Für einen Mord wurde der Täter über einen sehr langen Zeitraum mit dem Tode bestraft. Dies endete in Deutschland als mit der Einführung des Grundgesetzes 1949 in der damaligen Bundesrepublik Deutschland die Todesstrafe abgeschafft wurde. Schon im 19. Jahrhundert hatte sich – im Geiste der Aufklärung – Widerstand gegen das Töten im Namen des Gesetzes geregt. Zur Verbrechensprävention durch Abschreckung geschah dies im Großherzogtum Baden bis 1856 öffentlich. So arteten Hinrichtungen zu regelrechten Volksfesten aus. Im nordbadischen Walldürn war pünktliches Erscheinen der Schuljugend vor 200 Jahren befohlen, denn die Kinder sollten den Augenblick nicht verpassen, in dem der Gerechtigkeit Genüge getan wurde. Die Hinrichtung eines Familienvaters stand an. Als in Karlsruhe 1829 die Maisch-Brüder wegen Raubmords verurteilt wurden, sah der Großherzog zwar davon ab, zur Abschreckung ihre Köpfe aufpfählen zu lassen. Doch sollte der Anstifter der grausigen Tat zunächst die Hinrichtung des von ihm dominierten Bruders erleiden, ehe der Henker auch ihm den Kopf abschlug. Der Landesherr hatte aber auch die Möglichkeit, zum Tode Verurteilte zu lebenslänglicher Haft zu begnadigen und so wurden bei Weitem nicht alle Mörder hingerichtet. In 70 Fällen ließen die Gerichte zwischen 1815 und 1932 im Großherzogtum Baden keine Gnade walten. So gab es im genannten Zeitraum in Karlsruhe sieben Hinrichtungen, in Bruchsal ebenfalls sieben, in Rastatt zwei und in Offenburg fünf. 2 Nicht alle Mordtaten wurden gleich streng bestraft. So empörten ein Mordfall und später das vergleichsweise geringe Strafmaß für den Täter nicht nur die Bevölkerung in der badischen Hauptstadt, sondern sorgten im ganzen Deutschen Reich für Schlagzeilen. In der Nacht vom 11. auf den 12. Oktober 1896 erstach der in Karlsruhe stationierte Premierleutnant Henning von Brüsewitz in der Gaststätte Tannhäuser in Karlsruhe aus nichtigem Anlass den Arbeiter Theodor Siepmann. Brüsewitz wurde mit etwas mehr als 3 Jahren Gefängnis bestraft. In der Öffentlichkeit und den Medien wurde die Frage nach der Rolle des Militärs als Staat im Staate diskutiert. In zwei Debatten setzte sich auch der Deutsche Reichstag in Berlin mit dem »Fall Brüsewitz« auseinander. Die letzte zivile Hinrichtung in Westdeutschland gab es am 18. Februar 1949 in Tübingen. Am 28. Januar 1948 erschoss Richard Schuh einen Mann, der ihn mit seinem Laster mitgenommen hatte. Schuh wollte die Reifen des Lasters auf dem Schwarzmarkt verkaufen. Der Täter wurde jedoch schnell gefasst und am Landgericht Tübingen zum Tode verurteilt. Der damalige Justizminister von Württemberg-Hohenzollern war Carlo Schmid. Er hatte das Thema Todesstrafe in einer Kabinettssitzung angesprochen, weil im Land fünf Todesurteile zur Vollstreckung anstanden. Im Protokoll der Sitzung wurde hierzu vermerkt: »Er vertritt den Standpunkt, dass man in allen Fällen begnadigen solle. Die Vollstreckung der Todesstrafe sei nicht mehr zeitgemäß und stelle eine Degradierung der menschlichen Gesellschaft dar.« Das Kabinett behandelte das Gnadengesuch des Verurteilten ohne Carlo Schmid, da dieser sich zu diesem Zeitpunkt in Bonn aufhielt und mit an dem neuen Grundgesetz der Bundesrepublik arbeitete. Gebhard Müller, damaliger Regierungschef des Landes Württemberg-Hohenzollern und späterer Präsident des Bundesverfassungsgerichts, war ein grundsätzlich Todesstrafenbefürworter. Er lehnte das Gnadengesuch ab und so wurde Richard Schuh als letzter Mensch in Westdeutschland – 3 Monate vor Gründung der Bundesrepublik Deutschland – hingerichtet. Am 23. Mai 1949 trat das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland in Kraft. In diesem heißt es in Artikel 102: »Die Todesstrafe ist abgeschafft.« In der ehemaligen DDR wurde die Todesstrafe erst am 17. Juli 1987 abgeschafft. Der letzte Hingerichtete hier war der Stasi-Hauptmann Werner Teske. Er wurde am 26. Juni 1981 als Spion in Leipzig durch einen Kopfschuss hingerichtet. Die Todesstrafe wird aber auch heute noch in vielen Ländern der Erde verhängt, so warteten weltweit laut Amnesty International Ende 2015 über 20 000 zum Tod verurteilte Menschen auf ihre Hinrichtung. Die meisten Exekutionen gab es 2012 in folgenden Staaten: Volksrepublik China, Iran, Irak, Saudi-Arabien und USA.

Frühe innere Sicherheit

Um die innere Sicherheit, also den Schutz der Gesellschaft und des Staates vor Kriminalität, zu gewährleisten, wurden im Deutschen Kaiserreich im Jahre 1878 die Reichsjustizgesetze verabschiedet. Den Polizeien der Bundesstaaten – so auch im Königreich Württemberg und im Großherzogtum Baden – wurden reichsweit durch § 163 der Strafprozessordnung die Aufgabe erteilt, strafbare Handlungen zu untersuchen. Dabei stellten sie Ermittlungen an und trafen, um die Verdunkelung der Sache zu verhindern, Anordnungen, die keinen Aufschub duldeten. Des Weiteren bestellte das Gerichtsverfassungsgesetz unter anderem bestimmte Dienstränge der Polizei zu Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft. In dieser Eigenschaft konnte die Polizei in Eilfällen sonst dem Richter oder dem Staatsanwalt vorbehaltene Maßnahmen treffen. Im Königreich Württemberg nahmen diese Aufgaben die örtliche Polizei und die Landespolizei wahr. Die Landespolizei wurde 1807 gegründet und trug ab 1823 den Namen Landjägerkorps. Sie hatte die Aufgabe, die Staats- und Gemeindebehörden in ihrer Tätigkeit zur Erhaltung der Sicherheit und bei der Verfolgung von strafbaren Handlungen zu unterstützen. Das Landjägerkorps war militärisch organisiert. Leiter war der Korpskommandant, der den Bezirkskommandanten in den vier Kreisen vorstand. Es umfasste 1823 bereits 441 Mann, die auf die Oberämter verteilt und in jedem Oberamt von einem Stationskommandanten befehligt wurden. Diese hohen Sicherheitsvorkehrungen führten dazu, dass im Königreich Württemberg im Zeitraum zwischen 1892 und 1911 durchschnittlich 15,7 Mörder und Totschläger pro Jahr verurteilt wurden.

Im Großherzogtum Baden wurden im Zeitraum 1903 bis 1912 im Durchschnitt 9,6 Personen wegen Mord oder Totschlag verurteilt. Eine Differenzierung zwischen den beiden Delikten wurde in den Landesstatistiken Württembergs und Badens nicht vorgenommen. Diese niedrigen Fallzahlen waren wohl einer der Gründe dafür, dass in späteren Jahrzehnten oftmals von der »guten alten Zeit« gesprochen wurde, denn die Menschen fühlten sich trotz der gesellschaftlichen und sozialen Missstände in den Bundesstaaten des Deutschen Kaiserreiches relativ sicher.

Hohe innere Sicherheit trotz spektakulärer Morde

Die Zahl der Morde in der Bundesrepublik Deutschland ist laut Polizeilicher Kriminalstatistik in der aktuellen Zeit zurückgegangen. Waren es im Jahr 1994 noch 1 146 Fälle so verringerte sich die Zahl bis 2004 auf 792 Fälle. 2014 wurden bundesweit noch 664 Fälle registriert. Auch die Zahl der wegen Mord und Totschlag (§§ 211 – 213) Verurteilten ist zurückgegangen von 697 Fälle 2007 auf 535 Fälle 2014. Im Jahr 2015 wurden laut Kriminalstatistik insgesamt 2 457 Menschen Opfer von versuchtem oder vollendetem Mord und Totschlag. Für das Jahr 2016 verzeichnete die Polizeiliche Kriminalstatistik in Baden-Württemberg 34 Mordfälle. In den Jahren 2012 bis 2015 lag die Anzahl der Mordfälle in Baden-Württemberg zwischen 38 und 28 registrierten Fällen. Die festgestellte Schwankungsbreite kann laut Analyse der Kriminalisten auf die in dem Deliktbereich geringen Fallzahlen zurückgeführt werden und ist bei einem Langzeitvergleich nicht überraschend.

Trotz dieser geringen Fallzahlen kam es in der Geschichte des Landes Baden-Württemberg immer wieder zu sehr spektakulären Mordfällen. Vor 50 Jahren erschütterte ein spektakulärer Kriminalfall die baden-württembergische Landeshauptstadt Stuttgart. Erstmals überhaupt sah sich die Polizei in Deutschland mit einer Kindesentführung konfrontiert und musste Jagd auf den Erpresser machen. Am 15. April 1958 hatte der Gärtner Emil Tillmann den 7-jährigen Joachim Goehner aus Stuttgart-Degerloch auf einem Fahrrad entführt und anschließend in einem nahegelegenen Waldstück umgebracht. Von den Eltern des Jungen verlangte er brieflich und telefonisch ein Lösegeld von 15 000 Mark. Die Eltern informierten die Polizei zunächst über das Verschwinden des Kindes, später auch über die Erpressung. Erste Suchmeldungen folgten und die Fahndung nach dem Erpresser wurde unter strenger Geheimhaltung aufgenommen. Eine Woche nach dem Verschwinden des Jungen wurde dessen Leiche in einem Waldstück bei Degerloch gefunden. Nun setzte eine fieberhafte Fahndung nach dem Mörder ein, in die nicht zuletzt auf Druck der örtlichen Presse erstmals auch in großem Stile die Bevölkerung einbezogen wurde. Anfang Mai wurden von der Stuttgarter Staatsanwaltschaft über den Rundfunk Fahndungsaufrufe mit einer Tonbandaufzeichnung eines Telefonats des Erpressers ausgestrahlt. Nach der Ausstrahlung des Fahndungsaufrufs erkannten mehrere Personen die Stimme des Täters. Am 6. Mai wurde Emil Tillmann festgenommen; nach mehrtägigen Verhören, die auf Tillmanns Wunsch mit dem Tonband aufgezeichnet wurden, legte dieser schließlich am 12. Mai ein Geständnis ab. Wenige Tage später beging er in seiner Zelle Selbstmord.

Ein anderer Mordfall verängstigte 1987 die Karlsruher Bevölkerung. Die 25-jährige Eisverkäuferin Antonella B. war am 21. Juni 1987 auf ihrem Fahrrad unterwegs, als sie angehalten und ins Dickicht des wenig frequentierten Waldstücks gezogen wurde. Spaziergänger hatten ihre Leiche einen Tag später im Wald gefunden – völlig bekleidet und mit einem Strick um den Hals. Die Obduktion ergab, dass die 25-Jährige sexuell missbraucht wurde, bevor der Täter sie erdrosselte. Der als »Hardtwald-Mord« bekanntgewordene Fall erregte großes Aufsehen. Eine 20-köpfige Mordkommission konnte die Tat nicht aufklären, obwohl mehrere Zeugen einen jungen Mann beobachtet hatten. Fast 30 Jahre nach dem ungesühnten Mord stellte sich ein 48 Jahre alter Mann Ende Februar 2017 in Basel der Polizei, weil er mit der Schuld nicht mehr leben und sein Gewissen erleichtern wollte. Wie sich dann herausstellte, wanderte der Mann nur Tage nach der Tat von Karlsruhe in die Schweiz aus, wo er seither völlig unauffällig lebte. Sein Geld verdiente er dort als Gelegenheitsarbeiter. Nach seinem Geständnis vor der Baseler Polizei wurde er nach Deutschland ausgeliefert und sitzt seit März 2017 in Untersuchungshaft.

Dieser Fall ist eine Ausnahme, wie die Polizeilichen Kriminalstatistiken des Bundeskriminalamts zeigen. Die Aufklärungsquote bei Tötungsdelikten ist seit Jahren sehr hoch. 2015 klärten die Kriminalisten bundesweit 615 versuchte und vollendete Morde bei 649 neuen Fällen. Das ist eine Aufklärungsquote von 94,8 %. In Baden-Württemberg erzielten die Beamten laut Landeskriminalamt sogar eine Quote von 95,6 %. Einer der Gründe für die hohe Quote sei, dass die meisten Tötungsdelikte Beziehungstaten seien, so der Sprecher des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg, Horst Haug. Die verurteilten Täter entgingen im Regelfall ihrer Strafe nicht, so waren 330 wegen Mordes verurteilte Personen 2017 in Haftanstalten oder in Sicherheitsverwahrung untergebrachtg 4).

1 Vergleiche: »In diesen zehn Ländern passieren 58 Prozent aller Morde weltweit« in stern vom 26.01.2016 https://www.stern.de/panorama/weltgeschehen/morde--statistik-zeigt---das-sind-die-laender-mit-der-hoechsten-mordrate-weltweit-6667402.html (Abruf: 06.04.2018)

2 Vergleiche: Annette Borchardt-Wenzel: Hinrichtungen in Baden: Als noch »Armsünderblut« floss … in Badische Neue Nachrichten vom 14.01.2018.