:: 7/2018

Europa und der Südwesten vor 100 Jahren: Württemberg und Baden verlieren anteilig mehr Soldaten als Preußen

»Der Krieg hat in den regelmäßigen Lauf der natürlichen Bevölkerungsbewegung eine große Störung gebracht … Der Verlust, den die deutsche Bevölkerung durch den Geburtenausfall während des Krieges erlitten hat, ist auf etwa 3,3 Millionen Seelen zu schätzen …« Dieser Auszug aus dem Sonderband zur Bevölkerungsentwicklung im Ersten Weltkrieg, herausgegeben vom Statistischen Reichsamt, zeigt detailliert die Folgen des Weltkrieges für das Deutsche Reich in Bezug auf »Eheschließungen, Geburten und Sterbefälle«. Zugleich sind dort die rund 2 Mill. gestorbenen Soldaten für die »Länder und Landesteile« des Deutschen Reiches ausgewertet. Die Bevölkerungsentwicklung gehört bis heute zu den grundlegenden Kennzahlen einer Stadt, einer Region oder eines Staates. Daher sind diese Angaben dem Sonderheft »Europa und der Südwesten vor 100 Jahren« vorangestellt.

Eine weitere grundlegende Quelle zu allen Bereichen eines Staates sind die Statistischen Jahrbücher, die im Deutschen Reich vom Statistischen Reichsamt seit 1871 herausgegeben wurden und bis heute vom Statistischen Bundesamt fortgeführt werden. 1925 wurde dort erstmals eine Tabelle über die »Menschenverluste der Heere im Weltkriege 1914 bis 1918« veröffentlicht.

7 Jahre nach Ende des Weltkrieges wurden die Angaben noch immer als »Vorläufige Zahlen« bezeichnet. Viele Felder in der Tabelle wurden ausgepunktet. Dies bedeutet bis heute in der amtlichen Statistik, dass der »Zahlenwert unbekannt oder geheim zu halten« ist. Die Gründe, warum die Tabelle damals nicht aufgefüllt werden konnte, waren sehr unterschiedlich: So ist Österreich-Ungarn nach 1918 zerfallen, das Osmanische Reich hat einen Großteil seines Gebietes verloren, in Russland gab es eine Revolution und einen langen Bürgerkrieg. In diesen Staaten ist die Verwaltung zusammengebrochen oder hat nur noch in Teilen funktioniert. So konnten in diesen Staaten amtliche Statistiken nicht aufbereitet werden.

Die Angaben in der Tabelle für das Deutsche Reich mit rund 2 Mill. toten Soldaten haben bis heute Bestand, in den Anmerkungen der Tabelle auf Seite 5 wird diese Zahl erläutert. So haben die Statistiker Mitte der 1920er-Jahre geschätzt, dass die Mehrzahl der seit Jahren immer noch vermissten rund »170 000 Heeresangehörigen« tot sind. Aufgenommen wurden zudem die mehr als 55 000 Soldaten, die in der Kriegsgefangenschaft gestorben sind. Die »ehemals verfeindeten Staaten« haben diese Zahl an das Deutsche Reich übermittelt. Direkt unter der der Tabelle sind die »farbigen Soldaten« angegeben, die für das Deutsche Kaiserreich in den »… Kolonialkämpfen gefallen sind.« Dies waren rund 14 000 Afrikaner. Die Zahl der Offiziere, Unteroffiziere, Mannschaften und Beamten, die in den Kämpfen gefallen sind, betrug 1170. Auch die Zahl der für England und Frankreich gestorbenen Soldaten sind, wie in der Tabelle angegeben, nach heutigem (Forschungs-) Stand in etwa gleich.

Die Grafik nimmt die Darstellung der Tabelle auf und zeigt die Zahl der gestorbenen Soldaten ergänzt durch die Angaben der Internationalen Enzyklopädie des Ersten Weltkrieges (encyclopedia.1914-1918.net). Diese Quelle ist eine von vielen anderen zu den Kriegsverlusten im Ersten Weltkrieg. Ausführlich werden hier die Angaben erläutert und auch auf die unterschiedlichen Verfahren zur Ermittlung von Todesfällen in den verschiedenen Ländern hingewiesen. Aus diesem Grund gibt es zu den im Weltkrieg gestorbenen Soldaten bis heute keine genauen Zahlen. In der Grafik sind die Verbündeten des Deutschen Reiches (»Mittelmächte«) sowie die wichtigsten Kriegsgegner mit der Anzahl ihrer gestorbenen Soldaten dargestellt. Nach dem Deutschen Reich hatte Russland mit rund 1,8 Mill. die höchste Zahl an gestorbenen Soldaten.

Die mit rund 350 Seiten umfangreiche Auswertung im Band 276 der Statistik des Deutschen Reiches zur »Bewegung der Bevölkerung in den Jahren 1914 bis 1919« wurde schon 1922 veröffentlicht. Hier werden amtliche Zahlen vorgestellt zu den Ländern und Landesteilen des Deutschen Reiches nach dem letzten Wohnsitz der Soldaten. Um die Zahl der gestorbenen Soldaten je 1000 Einwohner ermitteln zu können, wurde die mittlere Bevölkerungszahl aus den Volkszählungen im Deutschen Reich von 1910 und 1919 den »gestorbenen Militärpersonen« gegenübergestellt.

Die Auswertung zeigt: Während im Durchschnitt des Deutschen Reiches die Zahl der gestorbenen Soldaten je 1000 Einwohner bei 26,3 lag, hatte Hamburg mit 32,9 anteilig die höchsten Verluste zu verzeichnen. Dann folgen die Länder Bremen und Lippe. Württemberg (29,4), das preußische Hohenzollern (28,5) und Baden (28,1) liegen deutlich über dem Durchschnitt des Reiches. Preußen ist mit seinen Landesteilen und als Summe aufgenommen. Die Zahl der gestorbenen Militärpersonen je 1000 Einwohner liegt in Preußen insgesamt mit 26 sogar unter dem Durchschnitt des Deutschen Reiches.

Damit haben die Regionen im Südwesten Deutschlands, Württemberg, Hohenzollern und Baden anteilig mehr Soldaten im Weltkrieg verloren als Preußen. Bayern hat mit 24,8 nach Westpreußen und gleichauf mit Hessen den niedrigsten Anteil an »gestorbenen Militärpersonen« je 1000 Einwohner im Deutschen Reich.

Für alle Länder und Landesteile im Deutschen Reich, die keine Gebietsverluste hatten, sind die Angaben jedoch von hoher Aussagekraft. Das zeigen die »Mitteilungen des Württembergischen Statistischen Landesamtes« vom April 1919. Hier ist die Zahl der im Krieg gestorbenen Soldaten aus Württemberg mit 70 180 angegeben, in der Tabelle auf Seite 9 mit 72 916. Der Grund für diese höhere Zahl ist, dass es im Lauf der Jahre kontinuierlich sogenannte »Nachmeldungen« von Todesfällen gegeben hat. So starben noch Jahre nach Kriegsende Soldaten nicht nur in der Kriegsgefangenschaft, sondern auch aufgrund ihrer schweren Verletzungen etwa in Lazaretten. Oder es wurden auf den Schlachtfeldern vermisste Soldaten gefunden und konnten identifiziert werden. Dies ist bis heute der Fall.

Der Tod kam für die meisten Soldaten im Ersten Weltkrieg früh: Allein für das Deutsche Reich sind knapp 160 000 Soldaten im Alter von 20 bis 21 Jahren gefallen. Fast gleichauf folgt die Altersgruppe der 21- bis 22-Jährigen an zweiter Stelle.

Trotz der schwierigen wirtschaftlichen Lage mit der Rationierung von Lebensmitteln, dem Mangel an Rohstoffen und den Spendenaufrufen (»Sammelt deshalb alles«, »Eine Sünde am Vaterland«, zeigt die Tabelle aus dem Statistischen Jahrbuch für das Deutsche Reich weitere wichtige Informationen für einen Staat, der Krieg führt: Danach standen im März 1918, gut 9 Monate vor Ende des Krieges, im Deutschen Reich insgesamt rund 770 000 ausgebildete Wehrpflichtige zur Verfügung. Diese waren noch nicht eingezogen worden. Unter den 770 000 waren 32 000 Wehrpflichtige aus Württemberg im März 1918 als »kriegsverwendungsfähig« klassifiziert.

Die Tabelle »Anteile der Ledigen und der Verheirateten unter dem im Weltkriege gestorbenen Militärpersonen« zeigt ausführlich eine Auswertung nach Ländern und Landesteilen im Deutschen Reich. Gleichzeitig erläutert der Text auf der gleichen Seite die Tabelle ausführlich. Hier werden die Länder Bayern, Württemberg und Hohenzollern beispielhaft genannt, da sie sich durch »… späte Heiraten …« auszeichneten und dementsprechend geringe Anteile von Verheirateten unter den Soldaten hatten. Hohenzollern und Württemberg hatten mit 20 und 23 verheirateten Soldaten von 100 Gestorbenen die niedrigsten Anteile im Deutschen Reich. Im Staat Sachsen dagegen wurde besonders früh geheiratet. Dementsprechend befanden sich unter 100 »gestorbenen Militärpersonen« 39 Soldaten, die verheiratet waren.

Eine langfristige Folge des Krieges zeigt die Tabelle »E. Kriegsbeschädigtenfürsorge« aus dem Statistischen Jahrbuch des Deutschen Reiches von 1926. Nach »der Erhebung vom 5. Oktober 1924« gab es im Deutschen Reich folgende Personen, die einen Anspruch auf Rente hatten.

  • 720 908 kriegsbeschädigte Soldaten
  • 364 950 kriegshinterbliebene Witwen
  • 1 027 972 kriegshinterbliebene Kinder

In Württemberg hatten 11 504 Witwen und 37 658 Waisen als Kriegshinterbliebene einen Rentenanspruch, in Baden und Hohenzollern waren es 11785 Witwen und 38 042 Waisen. In Sachsen waren 39 000 Witwen und über 86 000 Waisen staatlich als Kriegshinterbliebene anerkannt. Auch wenn berücksichtigt wird, dass aus Sachsen mit 119 099 Soldaten absolut deutlich mehr als aus Württemberg gestorben sind, ist die Anzahl der rentenbezugsberechtigen Witwen und Waisen in Sachsen überproportional hoch.

Die im Vorspann angegebene »große Störung« der natürlichen Bevölkerungsbewegung haben die Statistiker in den »Mitteilungen« auch für Württemberg dargestellt: Danach lag die Zahl der Geburten ab 1916 um fast die Hälfte niedriger als im Zeitraum 1911 bis 1914.

Die Tabelle aus dem Statistischen Jahrbuch zeigt die Zahl der Einwohner des Deutschen Reiches nach den Ergebnissen der Volkszählung von 1910 und 1919. Das ist ein Vergleich über 10 Jahre, kein langer Zeitraum in der Bevölkerungsstatistik. Danach betrug die Zahl der Menschen 1910 in Württemberg 2,44 Mill., nach der Volkszählung von 1919 betrug sie 2,52 Mill. Das sind rund 80 000 mehr. In Baden lag die Zahl 1910 bei 2,14 Mill., 1919 bei 2,21 Mill. Das sind rund 70 000 Menschen mehr.