:: 3/2019

Die Wahlbeteiligung bei Bürgermeisterwahlen in Baden-Württemberg 2010 bis 2017

Teil 2: Fortsetzung der Analyse der Bürgermeisterwahlen in Baden-Württemberg von 2010 bis 2017

Im letzten Statistischen Monatsheft 2/2019 wurde im ersten Beitrag zu den Bürgermeisterwahlen in Baden-Württemberg von 2010 bis 2017 der Schwerpunkt auf die Aspekte Zahl der Bewerbungen bei Bürgermeisterwahlen, das Phänomen der Dauerkandidaten, Amtszeiten der Bürgermeister, Wahlergebnisse der Gewählten, Wahl von Bürgermeisterinnen, Parteibindungen und Abwahlen von Amtsinhabern gelegt.

Der vorliegende Aufsatz befasst sich mit dem Thema Wahlbeteiligung bei Bürgermeisterwahlen im Zeitraum von 2010 bis 2017. Betrachtet wird also wieder eine komplette 8-jährige Amtsperiode. Insgesamt 1 088 Bürgermeisterwahlen haben in diesem Zeitraum stattgefunden (vgl. Tabelle 8, in der die jährliche Zahl der Bürgermeisterwahlen nach Gemeindegrößenklassen darstellt werden).

In Baden-Württemberg werden die Oberbürgermeister in den Städten ab 20 000 Einwohner und die Bürgermeister in den Städten und Gemeinden bis 20 000 Einwohner traditionell direkt von den Bürgern der Gemeinde gewählt. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im Folgenden nur noch die Bezeichnung Bürgermeisterwahlen und bei Funktionsbezeichnungen die männliche Form benutzt; selbstverständlich gelten die jeweiligen Ausführungen auch für weibliche Personen und Bezeichnungen in gleicher Weise.

Allgemeines Beteiligungsniveau bei Bürgermeisterwahlen im Kontext der anderen Wahlarten

Die Wahlbeteiligung bei baden-württembergischen Bürgermeisterwahlen liegt im Durchschnitt der betrachteten Jahre 2010 bis 2017 exakt bei 44,4 %. Dabei reicht die Bandbreite der durchschnittlichen Beteiligungsquoten der Einzeljahre von 39,4 % (2015) bis 48,5 % (2016) (vgl. Tabelle 1). Die höchsten Jahresdurchschnittswerte treten in den Jahren, in denen eine Landtagswahl1 (2016) oder eine Bundestagswahl (2013 und 2017) stattfand und dann einige Bürgermeisterwahlen auf der Grundlage eines entsprechenden örtlichen Gemeinderatsbeschlusses, soweit es die gesetzlichen Fristen der Bestimmung des Wahltags der Bürgermeisterwahlen zuließen, mit diesen Parlamentswahlen gekoppelt wurden (zur Anzahl der Wahlkoppelungen vgl. Tabelle 7). Die wahlbeteiligungssteigernden Effekte der Wahlkoppelungen betragen bei Landtagswahlen zwischen 10 und 20 Prozentpunkte; bei Bundestagswahlen ist die Wahlkoppelungswirkung gemäß der Tatsache, dass hier das Wahlbeteiligungsniveau einige Prozentpunkte höher angesiedelt ist, größer und kann bis zu 30 Prozentpunkte betragen.

Die Beteiligung der Wahlbevölkerung an Wahlen in Deutschland wie in Baden-Württemberg unterscheidet sich zwischen den verschiedenen Wahlarten teilweise auf gravierende Weise. Man kann in diesem Zusammenhang von einer Wahlbeteiligungshierarchie sprechen, bei der die Bundestagswahlen ganz oben rangieren, gefolgt von den Landtagswahlen. Sodann kommen mit deutlichem Abstand die Europawahlen und schließlich die Kommunalwahlen. Bürgermeisterwahlen sind in diesem Kontext ganz unten einzuordnen (vgl. Schaubild 1).

Die Gemeinderatswahlen in Baden-Württemberg hatten zuletzt 2014 eine Beteiligungsquote von 49,1 % (mit sinkender Tendenz in den letzten 2 Dekaden); Europawahlen erzielten 2014 und 2009 ein prozentuales Beteiligungsinteresse in Baden-Württemberg von 52 %. Der Unterschied in der Wahlbeteiligung der Europa- und der Gemeinderatswahlen, die traditionell am gleichen Tag stattfinden, resultiert im Übrigen aus der sehr niedrigen Beteiligungsbereitschaft der bei Kommunalwahlen (gleiches gilt für Bürgermeisterwahlen) von Amts wegen, also automatisch, in die Wählerverzeichnisse eingetragenen Unionsbürger2; eine, wenn auch untergeordnete Rolle, spielt zudem die etwas unterdurchschnittliche Wahlbeteiligung der bei kommunalen Wahlen wahlberechtigten 16- bis unter 18-Jährigen (seit 2013). Landtagswahlen haben in Baden-Württemberg ein Beteiligungsniveau von etwa 63 %, Bundestagswahlen von 77 %.

Wenn Bürgermeisterwahlen es aktuell also gerade einmal auf eine durchschnittliche Wahlbeteiligung von rund 44 % bringen und damit das Schlusslicht in der Wahlbeteiligungshierarchie bilden, kann, wenn schon über die Hintergründe nur spekuliert werden kann, zumindest eines festgestellt werden: Personenwahlen können offenkundig nicht dieselbe Mobilisierungswirkung in der Wahlbevölkerung entfalten wie Parteienwahlen. Unterschiede in der Kampagnenfähigkeit von Einzelpersonen als Bewerber gegenüber Parteien mit ihren eingespielten Apparaten und mitunter größeren finanziellen Werbemöglichkeiten können dabei ebenso eine Rolle spielen wie das Thema Medienpräsenz, das bei einem ausschließlich lokalen Wahlereignis naturgemäß nicht mit überregionalen Wahlereignissen, bei denen zudem die Medien Rundfunk und Fernsehen eine große Rolle in der Berichterstattung spielen, vergleichbar ist. An der herausgehobenen Stellung des Bürgermeisters in der baden-württembergischen Gemeindeordnung kann es jedenfalls kaum liegen.

Die Wahlbeteiligung bei Bürgermeisterwahlen in der längerfristigen Perspektive

Die jährlichen Durchschnittswerte der Wahlbeteiligung bei Bürgermeisterwahlen der Jahre 2010 bis 2017 variieren nur wenige Prozentpunkte um den errechneten Durchschnittswert von 44,4 %. Eine Veränderungstendenz lässt sich innerhalb des Beobachtungszeitraums (2010 bis 2017) nicht diagnostizieren.

Im längerfristigen Vergleich ist allerdings der Trend einer rückläufigen Wahlbeteiligung nicht zu übersehen. So ist den Städtetagserhebungen von Brugger3 in der Städtegruppe A (Stadtkreise) ein Rückgang der Wahlbeteiligung in den Erhebungszeiträumen 1987/1995, 1999/2007 und 2008/2016 von 52,9 über 45,1 auf 37,8 % zu entnehmen; in der vorliegenden Erhebung erreicht die Gemeindegrößenklasse von 100 000 bis unter 500 000 Einwohnern von 2010 bis 2017 gerade noch eine durchschnittliche Beteiligungsquote von 36,1 %. In der Städtegruppe B des Städtetags (überwiegend Städte > 20 000 Einwohner) ging die Beteiligung im Zeitraum 1987 bis 2016 von 51,7 auf 42,1 % zurück. Zum Vergleich die Durchschnittswerte für den hier erhobenen Zeitraum 2010 bis 2017: In der Größenklasse 20 000 bis unter 50 000 Einwohner wurden 39,2 % und in der nächsthöheren Klasse bis 100 000 Einwohner 36,7 % gemessen – also auch diesbezüglich zeigt sich eine eindeutige Tendenz nach unten.

In der Städtegruppe C (10 000 bis 20 000 Einwohner) sind die Beteiligungsanteile in der Städtetagsumfrage von 1987 bis 2016 von 58,9 auf 51,1 % gesunken, gegenüber einer in dieser Untersuchung ermittelten Quote von 46,1 % für die Jahre 2010 bis 2017 in der Gemeindegrößenklasse 10 000 bis unter 20 000 Einwohner.

Auch Klein (2014, S. 152, 153) stellt einen Rückgang der Wahlbeteiligung bei den Bürgermeisterwahlen im Land fest. Danach lag in den Jahren der 1990er-Dekade das Beteiligungsniveau bei 54 bis 58 %, in den letzten Jahren des vergangenen Jahrzehnts (bis 2009) sank das Beteiligungslevel auf etwa 48 bis 50 %. Dieser Trend sinkender Wahlbeteiligungsquoten bei Bürgermeisterwahlen hat sich ganz offensichtlich gemäß der vorliegenden Studie im aktuellen Jahrzehnt fortgesetzt. Die Wahlbeteiligung bei Bürgermeisterwahlen im Land hat sich auf einem nochmals abgesenkten Beteiligungsniveau von rund 44 % eingependelt.

Wahlbeteiligung nach der Gemeindegröße

Ein besonderes Kennzeichen baden-württembergischer Bürgermeisterwahlen ist die große Bandbreite der Wahlbeteiligung je nach Größe der Gemeinde (vgl. Tabelle 1 und Schaubild 2). Während die durchschnittliche Wahlbeteiligung in Gemeinden oberhalb von 5 000 Einwohner (= 47 % aller Bürgermeisterwahlen 2010 bis 2017) unter der 50 %-Schwelle liegt, zeigen vor allem die Wahlberechtigten in kleineren Gemeinden mit weniger als 2 000 Einwohner (durchschnittliche Wahlbeteiligung: 63,0 %), aber auch jene in Gemeinden der Größenklasse 2 000 bis unter 5 000 Einwohner (durchschnittliche Wahlbeteiligung: 55,1 %) ein deutlich höheres Beteiligungsinteresse an Bürgermeisterwahlen. Die niedrigsten Beteiligungsquoten werden in Städten mit 50 000 bis unter 100 000 Einwohnern (durchschnittliche Wahlbeteiligung: 36,7 %) und in Großstädten von 100 000 bis unter 500 000 Einwohnern (durchschnittliche Wahlbeteiligung: 36,1 %) gemessen.

Die Tendenz sinkender Wahlbeteiligungswerte mit steigender Gemeindegröße ist auch bei Gemeinderatswahlen in Baden-Württemberg in markanter Weise anzutreffen. Vergleicht man diese mit den Bürgermeisterwahlbeteiligungsquoten nach Gemeindegrößenklassen, wird deutlich, dass sich die Wahlbeteiligungsschere zwischen diesen beiden Wahlarten mit steigender Gemeindegröße zunehmend öffnet. In Kleinstgemeinden mit bis zu 2 000 Einwohnern liegt die Wahlbeteiligung bei Bürgermeisterwahlen sogar noch etwas höher als bei Gemeinderatswahlen, bei Gemeinden von 2 000 bis unter 5 000 Einwohnern nur geringfügig tiefer, um dann ab 5 000 und noch mehr Einwohnern immer deutlicher hinter die Wahlbeteiligung bei Gemeinderatswahlen zurückzufallen (vgl. Schaubild 3).

Nicht in das Schema sinkender Beteiligungsquoten mit steigender Einwohnerzahl passt die Landeshauptstadt Stuttgart in der Größenklasse 500 000 und mehr Einwohner mit einer deutlich über dem Beteiligungsniveau der drei nächstniedrigeren Größenklassen liegenden Wahlbeteiligung.

Exkurs: Die Wahlbeteiligung bei der Oberbürgermeisterwahl 2012 in Stuttgart

Die Wahlbeteiligung der letzten Stuttgarter Oberbürgermeisterwahl, 46,7 % im ersten Durchgang am 7. Oktober 2012 und 47,2 % im zweiten Durchgang (Neuwahl) am 21. Oktober 2012, repräsentiert den Spitzenwert einer Wahlbeteiligung bei einer Oberbürgermeisterwahl in einer der acht baden-württembergischen Großstädte (100 000 Einwohner und mehr) in diesem Jahrzehnt. Nur Freiburg (2010: 45,2 %), Ulm 2015 (42,5 %) und Karlsruhe (2012: 42,2 %) hatten zuletzt Beteiligungsquoten in annähernd dieser Höhe. In zwei anderen Großstädten des Landes, Heidelberg (2014: 21,8 %) oder Reutlingen (2011: 23,8 %), beteiligten sich kaum mehr als 20 % der Wahlbevölkerung an der Wahl des Stadtoberhaupts. In Mannheim (2015) lag die Wahlbeteiligung im ersten Wahlgang bei 30,7 %, bei der Neuwahl sank die Beteiligung auf 27,8 %.

Ein allgemein sehr hoch entwickeltes Wahl- und letztlich auch Politikinteresse der Stuttgarter Wahlberechtigten ist bei allen Wahlen auch im Bundesvergleich immer wieder festzustellen und hervorzuheben. Zusätzliche Erklärungsansätze für die besonders hohe Wahlbeteiligung bei Oberbürgermeisterwahlen in Stuttgart stellen, im Lichte der bisherigen Erkenntnisse, die Umstände dar, dass zum einen 2012 der Amtsinhaber nicht mehr antrat und zum anderen das Bewerberfeld mit 14 Kandidaten beim ersten Wahlgang und neun verbliebenen Kandidaten bei der Neuwahl ungewöhnlich groß und breit gefächert war; andernorts in baden-württembergischen Großstädten sind zwischen zwei und fünf Oberbürgermeisterbewerber üblich.

Eine interessante Fragestellung ist auch, ob sich die Wähler einer Oberbürgermeisterwahl von den Wählern einer Bundestagswahl, der Wahl mit der mit Abstand höchsten Wahlbeteiligung, in alters- und geschlechtsspezifischer Hinsicht unterscheiden. An der Stuttgarter Oberbürgermeisterwahl beteiligten sich 47 von 100 Wahlberechtigte, an der letzten Bundestagswahl am 26. September 2017 80 von 100 Wahlberechtigte.

Während bei Bundestagswahlen gewöhnlich die Männer wahleifriger sind (2017 Abstand zu Frauen: + 0,7 Prozentpunkte), waren bei der Oberbürgermeisterwahl an den Wahlurnen die Frauen in der Mehrzahl (Abstand zu Männern: + 3,0 Prozentpunkte); bei der Neuwahl verringerte sich der Frauenvorsprung (im zweiten Wahlgang kandidierten unter anderem Bettina Wilhelm und Hannes Rockenbauch nicht mehr) auf 0,9 Prozentpunkte.

Analysiert man das Wählerverhalten nach dem Alter, wird schnell sichtbar (vgl. Schaubild 4), dass jüngere Wahlberechtigte eher bei Oberbürgermeisterwahlen »schwänzen« als ältere Wahlberechtigte. Das drückt sich zugespitzt in einem Durchschnittsalter der Wähler bei der Bundestagswahl 2017 von 50,0 Jahren und bei der Oberbürgermeisterwahl von 52,8 Jahren beziehungsweise bei der Neuwahl von 53,3 Jahren aus.

Insbesondere junge Frauen bis 25 Jahre fanden sich seltener bei der Oberbürgermeisterwahl an den Urnen ein als gleichaltrige Männer; in allen anderen Altersklassen waren indessen die Frauen wahlaktiver als ihre Geschlechtsgenossen.

Nicht zuletzt in wahlgeografischer Hinsicht offenbaren sich gravierende Verhaltensunterschiede bei beiden Wahlarten. Unterteilt man die 350 allgemeinen Wahlbezirke und ihre jeweilige Wahlbeteiligung der Stärke nach in vier Viertel, ergibt sich im höchsten (1.) Quartil der Oberbürgermeisterwahl eine Wahlbeteiligung von 63 %, bei der Bundestagswahl von 88 %. Im niedrigsten (4.) Quartil liegt die Wahlbeteiligung bei der Bundestagswahl bei 70 %, bei der Oberbürgermeisterwahl gerade einmal bei 33 %. Die Disparitäten zwischen den Wahlbezirken mit dem höchsten und denen mit dem niedrigsten Beteiligungsinteresse sind bei Oberbürgermeisterwahlen also doppelt so stark ausgeprägt.

Wahlbeteiligung nach Regierungsbezirken

Nach Regierungsbezirken differenziert werden die höchsten Beteiligungswerte bei Bürgermeisterwahlen in der südlichen Landeshälfte, und zwar in den Regierungsbezirken Freiburg (48,3 %) und Tübingen (46,1 %), erzielt. Die Durchschnittswahlbeteiligung der Regierungsbezirke Karlsruhe (42,8 %) und Stuttgart (42,5 %) liegt in den Jahren 2010 bis 2017 knapp unter dem Landesmittelwert (Tabelle 2).

Inwieweit dieses geografische Muster nicht durch den Sachverhalt überlagert wird, dass ein signifikanter Zusammenhang zwischen der Wahlbeteiligung und der Gemeindegröße bei Bürgermeisterwahlen vorliegt, ist die folgende Frage. Denn: In den beiden südlichen Regierungsbezirken existieren deutlich mehr Kleingemeinden. So fanden in den Regierungsbezirken Tübingen und Freiburg 2010 bis 2017 61 beziehungsweise 62 % der Bürgermeisterwahlen in Gemeinden der Größenklasse bis 5 000 Einwohner statt, in den Regierungsbezirken Karlsruhe und Stuttgart machte der Anteil der Bürgermeisterwahlen in Kleingemeinden nur 30 beziehungsweise 45 % aus.

Die Merkmale Regierungsbezirk und Gemeindegrößenklasse rechnerisch miteinander verknüpft ergibt für den Regierungsbezirk Freiburg eine leicht überdurchschnittliche Wahlbeteiligung unabhängig von der betrachteten Gemeindegrößenklasse; ebenso kristallisiert sich ein solcher Effekt für den zweiten überwiegend badisch geprägten, verstädterten Regierungsbezirk Karlsruhe heraus. Demgegenüber fällt die Wahlbeteiligung in den überwiegend württembergisch(-hohenzollerisch) geprägten Regierungsbezirken Stuttgart und Tübingen in den verschiedenen Gemeindegrößenklassen hinter die Werte der badischen Gemeinden zurück. Alles in allem liegen die landmannschaftlichen Beteiligungsunterschiede freilich innerhalb einer moderaten Marge von 1 bis 3 Prozentpunkten über oder unter dem Durchschnitt. Bemerkenswert ist die Beobachtung aber in jedem Fall, da klassischerweise bei Parlaments- und bei Gemeinderatswahlen die Wahlbeteiligung in den württembergisch(-hohenzollerisch) geprägten Landesteilen höher ist als in ihren badischen Pendants.

Wahlbeteiligung bei Wahlen mit und ohne Amtsinhaber

Ein wesentlicher Einfluss auf die Höhe der Wahlbeteiligung hat naturgemäß die Konkurrenzsituation und die Frage, wie spannend die Ausgangslage einer Bürgermeisterwahl ist. Wie viele Bewerber, mehr noch, wie viele aussichtsreiche Bewerber treten an? Ist der Wahlausgang offen, weil der Amtsinhaber nicht mehr antritt? Ist der wiederkandidierende Bürgermeister konkurrenzlos oder nicht?

Wenngleich diesen Fragestellungen überwiegend empirisch nicht nachgegangen werden kann, kann aufgrund der vorliegenden Datenlage aber festgehalten werden, dass Bürgermeisterwahlen, bei denen die »Karten neu gemischt werden«, weil der noch amtierende Bürgermeister nicht mehr zur Wahl steht, ein signifikant höheres Wählerinteresse auszulösen vermögen. Dann nämlich beteiligen sich im Schnitt (2010 bis 2017) 52,0 % der Wahlberechtigten an der Wahl, während bei der anderen Fallkonstellation die durchschnittliche Wahlbeteiligung 12 Prozentpunkte niedriger ausfällt (vgl. Tabelle 3).

Wahlbeteiligung nach der Bewerberzahl

In die gleiche Richtung wie bei Wahlen mit und ohne Amtsinhaber weist die Differenzierung der Wahlbeteiligung nach der Zahl der Bewerber bei Bürgermeisterwahlen (vgl. Tabelle 4 und Schaubild 5). Bei einer Wahl ohne personelle Alternative im Bewerberfeld (nur ein Kandidat), immerhin fast ein Drittel (31 %) aller Wahlen im Zeitraum 2010 bis 2017, beträgt die Wahlbeteiligung 35,3 %. Bei Bürgermeisterwahlen mit zwei Bewerbern ist der zweite Bewerber offenkundig eher ein chancenloser Bewerber (etwa von der »Nein!-Idee«-Partei) mit einer begrenzten Mobilisierungswirkung, die Wahlbeteiligung liegt mit durchschnittlich 41,4 % nämlich kaum höher als bei Ein-Kandidaten-Wahlen.

Eine überdurchschnittliche Wahlbeteiligung wird erst bei Wahlen mit mindestens drei Bewerbern erzielt. Mit steigender Kandidatenzahl verbessert sich die Wahlbeteiligung weiter, bis zu Wahlen mit sechs Kandidaten; dann wird mit 57 % der höchste Punkt der Wahlbeteiligungskurve erreicht. Bei Wahlen mit sieben, acht und mehr Bewerbern fällt die Kurve wieder etwas ab, bewegt sich aber immer noch deutlich über dem Gesamtdurchschnitt.

Wahlbeteiligung nach der Amtszeit

Der stark wahlbeteiligungsstimulierende Effekt bei Wahlen, bei denen der Amtsinhaber nicht mehr zur Wahl antritt oder abgewählt wird, zeigt sich korrespondierend auch bei jenen Bürgermeisterwahlen, bei denen der Bürgermeister neu in das Amt gewählt wird. Dann gehen mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten (51,8 %) zu den Wahlurnen.

Bei der ersten Wiederwahl des Bürgermeisters vor Beginn seiner zweiten Amtszeit lässt der Wahleifer in den Wahlgemeinden stark nach und reduziert sich um rund 14 Prozentpunkte (durchschnittlich 37,7 %). Bei Wahlen, bei denen sich der Amtsinhaber für die dritte, vierte oder fünfte (in Einzelfällen auch für die sechste) Amtszeit bewirbt, pendelt sich die Beteiligungsquote schließlich auf einem etwas höheren Level von 41 bis 43 % ein (Tabelle 5).

Wahlbeteiligung bei Bürgermeisterwahlen mit einer Neuwahl

Eine spannende Ausgangslage liegt im Regelfall bei einer Bürgermeisterwahl dann vor, wenn ein zweiter Wahlgang notwendig geworden ist, da im ersten Wahlgang kein Bewerber die absolute Mehrheit der gültigen Stimmen auf sich vereinen konnte. Neuwahlen fanden in der Betrachtungsperiode 2010 bis 2017 in 123 Städten und Gemeinden statt, was einem Anteil von 11,3 % an allen Bürgermeisterwahlen (1 088) entspricht.

Aus solchen Neuwahlereignissen resultiert im Mittel eine Wahlbeteiligung von 48,9 %, mithin rund 4 Prozentpunkte mehr als generell bei Bürgermeisterwahlen in der Zeitspanne von 2010 bis 2017.

Tatsächlich ist der Unterschied aber viel größer und bewegt sich in einer Größenordnung von 9 bis 14 Prozentpunkten, wenn man bei der Berechnung die Oberbürgermeisterwahlen in großen Städten mit ihrer relativ niedrigen Wahlbeteiligung herausrechnet. Der Unterschiedsbetrag 2012 steigert sich ohne Berücksichtigung der Stuttgarter und der Konstanzer Oberbürgermeisterwahl beim ersten Wahlgang von 2 auf 13 Prozentpunkte (Bürgermeisterwahl: 59,8 %; Neuwahl: 58,1 %). Für 2015 liegt ein ähnlicher Effekt durch die Mannheimer Oberbürgermeisterwahl mit einer niedrigen Wahlbeteiligung aber einem großen »Wahlberechtigtengewicht« vor; ohne Mannheim würde der Unterschiedsbetrag 14 Prozentpunkte bei der Bürgermeisterwahl (50,7 %), bei der Neuwahl sogar 18 Prozentpunkte (53,9 %) ausmachen.

Bei der Neuwahl kommt es dann häufig zu einem leichten Demobilisierungsvorgang in Folge des Rückgangs der Bewerberzahlen: Bei zwei Drittel der Neuwahlen (65,0 %) sinkt die Wahlbeteiligung gegenüber dem ersten Wahlgang. Der Unterschied in der Wahlbeteiligung bei beiden Wahlgängen beläuft sich freilich nur auf durchschnittlich 0,9 Prozentpunkte (vgl. Tabelle 6).

Wahlbeteiligung bei der Koppelung mit Parlamentswahlen

Gerne machen die Gemeinden von der Möglichkeit der Bündelung der Wahltermine Gebrauch, um die »Belastung« der Bürger und der ehrenamtlichen Wahlhelfer zu verringern und um vor allem monetäre Synergieeffekte zu erzielen, sofern der Termin einer Parlamentswahl sich mit den Fristerfordernissen der Bürgermeisterwahl in Einklang bringen lässt. Ein vorheriger Zustimmungsbeschluss des Gemeinderats ist aber in jedem Fall hierfür Voraussetzung. So fanden im 8-jährigen Betrachtungszeitraum zwischen neun und 20 Bürgermeisterwahlen an Wahltagen einer Parlamentswahl statt (vgl. Tabelle 7). Die Koppelung einer Bürgermeisterwahl mit dem ohnehin schon verbundenen Wahltag der Europa- und der Kommunalwahlen wird hingegen vermieden.4

Der wahlbeteilungssteigernde Effekt für die Bürgermeisterwahlen, verursacht durch das generell höhere Beteiligungsniveau bei Parlamentswahlen, beträgt bei Landtagswahlen rund 16 Prozentpunkte, bei Bundestagswahlen mit einem insgesamt um ca. 8 Prozentpunkte höheren Beteiligungsniveau5 rund 20 Prozentpunkte. Diese Wirkung zeigt sich vor allem bei Wahlen mit einer weniger spannenden Ausgangskonstellation; das ist in der Regel der Fall, wenn der Amtsinhaber sich wieder zur Wahl stellt. Dann sind etwa 23 bis 24 Prozentpunkte höhere Beteiligungswerte möglich, während der Schub durch die Parlamentswahl bei Bürgermeisterwahlen, bei denen der Amtsinhaber nicht mehr antritt, zwischen 7 (Landtagswahl 2016) und 14 Prozentpunkten (Bundestagswahl 2017) merklich geringer ausfällt. Die Durchschnittswahlbeteiligung der Bürgermeisterwahlen des Jahres 2017 wurde beispielsweise durch diesen Wahlkoppelungseffekt um 2,5 bis 3,0 Prozentpunkte angehoben.

Zusammenfassung

Im Durchschnitt der Jahre 2010 bis 2017 betrug die Wahlbeteiligung bei Bürgermeisterwahlen im Land 44,4 %. Der längerfristige Vergleich mit den Ergebnissen früherer Studien, die sich auf die vorangegangenen Dekaden beziehen, zeigt eindeutig einen Abnahmetrend des Beteiligungsinteresses bei Bürgermeisterwahlen im Land auf. Gleichwohl ist in der Betrachtungsspanne 2010 bis 2017 keine weitere Abnahmetendenz zu erkennen, das Beteiligungslevel hat sich bei rund 44 % aktuell stabilisiert. Die relativ hohen Jahresdurchschnittswerte für 2016 und 2017 (48,5 und 47,5 %) stellen keine Trendwende dar, sondern gehen auf Koppelungseffekte durch die Zusammenlegung der Wahltage verschiedener Bürgermeisterwahlen mit dem Tag der Landtagswahl 2016 und dem Tag der Bundestagswahl 2017 zurück; derselbe Effekt ist für 2013 nachweisbar, als ebenfalls die Bundestagswahl mit insgesamt neun Bürgermeisterwahlen gekoppelt war.

Die Höhe der Wahlbeteiligung unterliegt beträchtlichen Schwankungen, je nachdem, wo und unter welchen Rahmenbedingungen eine Bürgermeisterwahl stattfindet. Die Wahlbeteiligung sinkt grundsätzlich mit steigender Gemeindegrößenklasse. Die Bandbreite bewegt sich zwischen 63,0 % in Gemeinden unter 2 000 Einwohner und 36,1 % in Städten von 100 000 bis 500 000 Einwohnern. Während in Gemeinden bis 5 000 Einwohner mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten bei Bürgermeisterwahlen mobilisiert werden können, sind es in den Gemeinden bis 20 000 Einwohner mehr oder weniger knapp die Hälfte und in den Städten ab 20 000 Einwohner nicht wesentlich mehr als ein Drittel der Wahlberechtigten.

In kleinen Gemeinden, in denen man den Bürgermeister im Regelfall noch persönlich kennt, erwächst wohl eine stärkere Verpflichtung zur Wahlteilnahme als in größeren Gemeinden und Städten. Mit steigender Größe verringert sich die Wahrscheinlichkeit einer persönlichen Bindung an den Amtsinhaber, gut vorstellbar, dass sich dies auch auf die Wahrnehmung der Wichtigkeit der Bürgermeisterwahl auswirkt.

Die Wahlbeteiligung fällt in einer Größenordnung von 12 Prozentpunkte höher aus, wenn der Amtsinhaber nicht mehr antritt. Ein enger Zusammenhang ist auch zwischen der Wahlbeteiligungshöhe und der Bewerberzahl nachweisbar. Erreichen Bürgermeisterwahlen bei nur einem Bewerber (dann in der Regel der Amtsinhaber) eine Beteiligungshöhe von nur 35,3 %, steigert sich diese kontinuierlich bis zu einer Anzahl von sechs Bewerbern im Bewerberfeld auf 57,3 %, um dann bei noch größeren Bewerberzahlen wieder etwas abzuflachen.

Erwartungsgemäß sind die Wahlbeteiligungswerte der Bürgermeisterwahlen, bei denen der Amtsinhaber das erste Mal kandidiert mit 51,8 % überdurchschnittlich. Kandidiert der Amtsinhaber zu seiner zweiten Amtszeit, dann sinkt die Wahlbeteiligung deutlich ab auf durchschnittlich 37,7 %. Erst bei den Wahlen zu weiteren Amtszeiten des Bürgermeisters scheint die Spannungskurve wieder anzusteigen. Die Beteiligungsquoten bewegen sich nun zwischen 41 und 43 %.

Ließen sich schon bei der Frage, ob die gewählten Bürgermeister einer Partei/Wählervereinigung angehören oder nicht, tradierte typische badische und württembergische Traditionen bis in die heutige Zeit nachweisen (vgl. Teil 1 in Statistisches Monatsheft 2/2019), ist auch bei der Wahlbeteiligung ein, wenn auch moderates Baden/Württemberg-Gefälle vorhanden. Im badischen Landesteil werden Bürgermeisterwahlen etwas stärker frequentiert als im württembergischen Teil.

1 Bei der Landtagswahl 2011 war der Effekt geringer ausgefallen, da die Wahlbeteiligung (66,3 %; 2016: 70,4 %) und der Anteil gekoppelter Wahlen niedriger waren (vgl. Tabelle 7).

2 In Stuttgart beispielsweise betrug die Wahlbeteiligung der Unionsbürger bei der Oberbürgermeisterwahl 2012 12,6 %.

3 Die Umfrageergebnisse der zweiten Befragung (Erhebungszeitraum 1999 – 2007) wurden im Monatsheft Nr. 5/2008 »Statistik und Informationsmanagement« veröffentlicht (vgl. Literaturverzeichnis). Die Ergebnisse der letzten Wahlumfrage zu den Parlaments- und Kommunalwahlen 2008 bis 2016 wurden nur im Mitgliederkreis des Städtetags Baden-Württemberg verbreitet. Die Teilnahme an den Umfragen war den Städten freigestellt. Die Beteiligung lag bei etwa zwei Drittel. Nachfolgend sind die errechneten Wahlbeteiligungsquoten bei Bürgermeisterwahlen in Baden-Württemberg nach Städtegruppen gemäß der drei Städtetagserhebungen dargestellt (siehe nebenstehende Tabelle).

4 Am 25. Mai 2014 wurde nur eine Bürgermeisterwahl mit der Europa- und den Kommunalwahlen in Baden-Württemberg gekoppelt.

5 Wahlbeteiligung bei der Landtagswahl 2016 in Baden-Württemberg: 70,4 %, bei der Bundestagswahl 2017: 78,3 %.

Die Erstveröffentlichung dieses Beitrags erfolgte in: Statistik und Informationsmanagement, Monatsheft 12/2018, Statistisches Amt der Stadt Stuttgart.

Teil 1 des Beitrags ist im Statistischen Monatsheft 2/2019 erschienen.

Wir danken Herrn Thomas Schwarz für die freundliche Genehmigung zum Nachdruck in redaktionell leicht modifizierter Form.