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100 Jahre Einkommensteuer

Eine bewegte Geschichte dargestellt mit der Lohn- und Einkommensteuerstatistik

Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die bis heute bestehende Einkommen- und Körperschaftsteuer mit der Erzbergerschen Finanzreform aus den Jahren 1919/1920 eingeführt. Reichsfinanzminister Matthias Erzberger, ein Zentrumspolitiker aus dem württembergischen Buttenhausen, schuf hiermit in kürzester Zeit eine einheitliche gesetzliche Grundlage für die gesamte Weimarer Republik. Er wollte so die Steuereinnahmen des Reiches stark erhöhen, um die extreme Staatsverschuldung in der Folge des Ersten Weltkrieges zu reduzieren.

Die Grundsystematik der Einkommen- und Körperschaftsteuer ist bis heute bestehen geblieben, auch wenn es in der Zwischenzeit zahlreiche Steuerrechtsänderungen gab. Der vorliegende Beitrag zeichnet die bewegte Geschichte anhand der Lohn- und Einkommensteuerstatistik in Baden-Württemberg nach und setzt sie in den Kontext der wichtigsten wirtschaftlichen, steuerrechtlichen und methodischen Einflüsse (i-Punkt »Hinweise zur Zeitreihe«). Dabei kann der Einfluss einzelner Entwicklungen auf die Ergebnisse nicht immer quantifiziert werden.

Von der Weimarer Republik bis zum Zweiten Weltkrieg (1925 – 1938)

»Die Erzbergersche Finanzreform reagierte auf die extreme Staatsverschuldung in der Folge des Ersten Weltkrieges durch eine generelle, starke Erhöhung der Steuern. Die Höhe der Steuerlast schärfte den Blick für die Notwendigkeit ihrer gerechten Verteilung, zumal sie zu den direkten, durch den Krieg erlittenen Einbußen hinzutrat. Der Grundsatz der Schonung der Schwachen und die Belastung der Starken auch bei der Besteuerung, das Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit war zwar nicht neu, setzte sich aber in dieser Situation endgültig durch.«1

Mit der Erzbergerschen Finanzreform von 1919/1920 wurde die gesetzliche Grundlage für die moderne Einkommensteuer verabschiedet (i-Punkt »Matthias Erzberger und die Steuerreform«). Die Einkommensteuer wurde mit einem stark progressiven Steuertarif ausgestaltet, der Spitzensteuersatz wurde auf 60 % festgelegt – in Preußen beispielsweise lag dieser vor dem Krieg bei gerade einmal 4 %. Zudem schaffte das Gesetz steuerliche Erleichterungen für Familien.

Nach der großen Inflation Anfang der 1920er-Jahre sollte dann mit der Schliebenschen Finanzreform 1925 die wirtschaftliche Lage konsolidiert werden, die gerechte Verteilung der Lasten trat in den Hintergrund.2 Der Spitzensteuersatz wurde auf 40 % gesenkt und eine Abgeltungssteuer auf Kapitalvermögen von 10 % eingeführt.

Für das Veranlagungsjahr 1925 ist die erste Statistik der Einkommensteuerveranlagungen verfügbar, in der die einkommensteuerlichen Einkünfte erfasst wurden. So wurden auf dem heutigen Gebiet Baden-Württembergs3 bei 360 000 Steuerpflichtigen ein Einkommen von insgesamt rund 1 Mrd. Reichsmark (RM) und 104 Mill. RM Einkommensteuer festgesetzt (Tabelle 1).4

In Württemberg (2 872 RM) und Baden (2 901 RM) lag das Einkommen je Steuerpflichtigen deutlich unter dem Durchschnitt des Deutschen Reichs von 3 271 RM. Überdurchschnittlich hohe Einkommen wiesen zu dieser Zeit die Länder Bremen (5 839 RM), Hamburg (5 334 RM), Sachsen (4 182 RM), Lübeck (4 045 RM) und Preußen (3 378 RM) auf.5

Großstadt Stuttgart im Jahr 1925 auf Platz 3 der veranlagten Durchschnittseinkommen

In Württemberg stach bereits damals der Neckarkreis (3 697 RM Einkommen je Steuerpflichtigem) mit hohem Einkommen hervor. Insbesondere die Großstadt Stuttgart zog den Durchschnitt mit einem Einkommen von 6 156 RM je Steuerpflichtigen stark nach oben. Auch im Vergleich zu den anderen Großstädten des Deutschen Reichs war das nach Bremen6 und Chemnitz der dritthöchste Durchschnittswert. Die Stadt Mannheim folgte mit 6 143 RM gleichauf mit Frankfurt am Main. In Baden war neben dem Landeskommissärbezirk Mannheim auch Karlsruhe industriell geprägt mit entsprechend höheren Durchschnittseinkommen. Konstanz und Freiburg waren dagegen landwirtschaftlich geprägt mit niedrigeren Einkommen.7

Von 1925 bis 1929, war die durchschnittliche Steuerbelastung zwischen 9,6 % und 10,2 % relativ stabil (Schaubild 1). Ebenso schwankten die Zahl der Steuerpflichtigen und das Einkommen, sowie die festgesetzte Einkommensteuer nur leicht (Tabelle 1).

Die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise ab 1932 zeigten sich in der Einkommensteuerstatistik recht deutlich. Die Zahl der Steuerpflichtigen sank um 41 % zwischen 19298 und 1932, die Einkommen fielen um 53 % bzw. die festgesetzte Steuer um 49 %. Dieser Rückgang ist jedoch auch teilweise auf die inzwischen weitgehende Befreiung der land- und forstwirtschaftlichen Einkünfte von der Einkommensteuer zurückzuführen.

Nationalsozialistische Einkommensteuerpolitik

Ab 1933 erholte sich die Wirtschaft und damit einhergehend stieg die Anzahl der erfassten Einkommensteuerpflichtigen, deren Einkommen und die festgesetzte Steuer. Ein Jahr nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler wurde dann im Jahr 1934 mit der Reinhardtschen Steuerreform das bestehende Steuerrecht an die national­sozialistische Ideologie angepasst: Kinderreiche Familien wurden durch höhere Kinderfreibeträge entlastet, gleichzeitig Ledige und kinderlose Ehen sehr viel stärker belastet. Diese Änderungen im Einkommensteuertarif stellten für den Großteil der Bevölkerung eine verdeckte Steuererhöhung dar. Zudem wurde der Zugriff des Fiskus auf die Steuerpflichtigen durch verschiedenste Maßnahmen erhöht. Neben der Veröffentlichung von Listen säumiger Steuerzahler oder dem Anprangern von Steuersündern in der Presse, wurden auch die Steuerfahndung und die Bilanz- und Betriebsprüfungen intensiviert. Ebenso wurden Steuerberatende und die Finanzgerichte stärker kontrolliert, sowie zahlreiche Ausnahmeregelungen abgeschafft.9 Ab dem Veranlagungsjahr 1937 konnten jüdische Eltern zudem keine Steuerermäßigungen für ihre Kinder erhalten und Sonderausgaben und außergewöhnliche Belastungen nicht mehr geltend machen.10

Ab 1934 wurden auch Einkünfte aus nicht­selbstständiger Arbeit unter 8 000 RM in die Einkommensteuerveranlagung miteinbezogen, wenn weitere Einkunftsarten beim Steuerpflichtigen vorlagen. Diese methodische Änderung führte zu einer Erhöhung der erfassten Einkommen, was den Anstieg zwischen 1933 und 1934 teilweise erklärt (Tabelle 1).

Im Jahr 1938 hatte die Anzahl der Steuerpflichtigen in Baden-Württemberg mit rund 274 000 wieder in etwa das Niveau von 1929 erreicht. Ein Grund hierfür war die Tatsache, dass die Freigrenze für land- und forstwirtschaftliche Einkünfte bereits 1936 halbiert worden war und damit bei vielen Steuerpflichtigen wieder Steuer festgesetzt wurde. Dagegen lagen Einkommen und festgesetzte Steuer 1938 weit über dem Niveau der 1920er-Jahre (nominal). Die festgesetzte Steuer war als Folge höherer Einkommen im Vergleich zu 1929 um das 2,5-fache gestiegen und die Durchschnittsbelastung des Einkommens lag mit 16,5 % deutlich über den 10,2 % im Jahr 1929. Dies ist darauf zurückzuführen, dass ab Mitte der 1930er-Jahre hohe Einkommen besonders stark gestiegen sind und damit durch den progressiven Steuertarif auch die Durchschnittsbelastung.11

Vom Wirtschaftswunder zu den Ölkrisen (1950 – 1980)

Nach dem Zweiten Weltkrieg wollten die vier Besatzungsmächte die Besatzungskosten und Reparationen mit Steuern finanzieren. So wurden mit den »Februargesetzen« 1946 eine Reihe von steuerlichen Vergünstigungen beseitigt und gleichzeitig die Steuersätze stark angehoben. Bei der Einkommensteuer stiegen sie durchschnittlich um etwa ein Drittel, sodass der Spitzensteuersatz 95 % erreichte. In den darauffolgenden Jahren ließen die Alliierten die Steuersätze nur leicht sinken, die konfiskatorisch hohen Steuersätze wurden jedoch durch Vergünstigungen bei der Ermittlung der Steuerschuld unterlaufen (»kalte« Steuerreform). Erst ab 1953 wurden die Steuersätze schrittweise gesenkt, im Rahmen der »Politik der geschlossenen Hand«, die den wirtschaftlichen Wiederaufbau bei ausgeglichenem Haushalt zum Ziel hatte.12 Ebenso wie die Dezentralisierung der Finanzverwaltung von der Reichs- auf die Länderebene wurde die Einkommensteuerstatistik nun in den Statistischen Landesämtern aufbereitet und für die Bundesebene zusammengeführt.

Schaubild 2 zeigt die Anzahl der veranlagten Lohn- und Einkommensteuerpflichtigen von 1950 bis 1980 in Baden-Württemberg, die sich in diesem Zeitraum mehr als vervierfachte und zwar von 0,4 Mill. auf 1,8 Mill. Steuerpflichtige. Hier sind auch die Lohnsteuerfälle aus der Lohnsteuerstatistik zum Vergleich eingefügt. Sie bilden alle Lohnsteuerpflichtigen im Individualnachweis ab, das heißt zusammenveranlagte Ehegatten, die beide Bruttolohn erzielten, werden separat gezählt. Auf die genauere Darstellung dieser Lohnsteuerfälle wird jedoch in diesem Beitrag aus Platzgründen verzichtet. Der Gesamtbetrag der Einkünfte der veranlagten Lohn- und Einkommensteuerpflichtigen stieg im selben Zeitraum nominal um gut das 34-fache und die festgesetzte Steuer um das rund 40-fache (Tabelle 2).

Steigende Einkünfte und Einkommensteuer

Hierfür war zum einen die besonders gute wirtschaftliche Entwicklung in der Zeit des Wirtschaftswunders verantwortlich: Die Anzahl der veranlagten Einkommensteuerpflichtigen stieg innerhalb von 20 Jahren (von 1950 bis 1971) um das 2,5-fache, der Gesamtbetrag der Einkünfte jedoch um das 13-fache und die festgesetzte Steuer um das knapp 15-fache. Mit den steigenden Einkünften der Steuerpflichtigen stieg die festgesetzte Einkommensteuer überproportional, da die Steuerpflichtigen im Einkommensteuertarif in stärker besteuerte Progressions­zonen aufstiegen (Tabelle 2).

Aus dieser Situation heraus wurde die öffentliche Debatte um Steuerbelastung, insbesondere unter dem Schlagwort »Kalte Progression« geführt. In Reaktion darauf gab es daher in dieser Zeit regelmäßige Gesetzesänderungen: Der Tarif der Einkommensteuer wurde 1953 um 15 vH13 gesenkt und damit die Durchschnittssteuerbelastung, gemessen am Gesamtbetrag der Einkünfte, auf 18,1 % im Jahr 1954. Im Jahr 1961 lag sie jedoch mit 20,9 % wieder deutlich über dem Anfangswert von 1950. Weitere Gesetzesänderungen, insbesondere zur Senkung des Einkommensteuertarifs erfolgten wieder 1958, 1964 und 1975 (Schaubild 3).

Neben der guten wirtschaftlichen Entwicklung, gab es noch wichtige steuerrechtliche Gründe, die dazu führten, dass immer mehr Lohnsteuerpflichtige zur Einkommensteuer veranlagt wurden und damit auch die erfassten Steuerpflichtigen in der Statistik der veranlagten Einkommensteuer stiegen: So wuchsen viele Lohnsteuerpflichtige über die seit der Nachkriegszeit konstante Veranlagungsgrenze von 24 000 Deutsche Mark (DM) (Alleinstehende) hinaus oder erzielten vermehrt Einkünfte aus Kapitalvermögen und Vermietung und Verpachtung. Ebenso wurden die Sondervergünstigungen für Eigenheim bzw. Eigentumswohnung (§ 7 b EStG), die zu einer Veranlagung führten, verstärkt in Anspruch genommen.14

Ein Blick in die Lohnsteuerstatistik, die sowohl Angaben aus den Lohnsteuerkarten als auch Veranlagungen von Lohnsteuerpflichtigen erfasst, zeigt, dass die positiven wirtschaftlichen Entwicklungen auch den Lohnsteuerpflichtigen zugutekamen: Hier stieg die Anzahl der Lohnsteuerpflichtigen um das 2,8-fache, deren Bruttolöhne um das gut 12-fache und die insgesamt abgeführte Lohnsteuer um das 32-fache zwischen 1950 und 1971.15

Die Ölkrise 1973 und die Einkommensteuerreform 1975

Die Auswirkungen der Ölkrise 1973 sind in der Einkommensteuerstatistik 1974 nicht klar zu erkennen – die Steuerpflichtigen, deren Einkünfte und die festgesetzte Steuer stiegen 1974 weiterhin im Vergleich zu 1971. Die steigende Anzahl ist darauf zurückzuführen, dass der Anstieg der Arbeitslosigkeit in Baden-Württemberg16 in dieser Zeit nur widergespiegelt wird, wenn ein Steuerpflichtiger in allen Monaten des Jahres keine Einkünfte erzielte und zudem keinen Ehegatten hatte, welcher weiterhin Einkünfte erzielte (bei Zusammenveranlagung). Zudem wurden die Veranlagungsgrenzen für zusammenveranlagte Arbeitnehmer ab 1974 verdoppelt und gleichzeitig wurden im Jahr 1974 die Tariflöhne und -gehälter erheblich gesteigert, sodass die einzelnen Auswirkungen nicht identifiziert werden können.17

Mit dem Inkrafttreten der Einkommensteuerreform 1975 wurden zudem zahlreiche Änderungen vorgenommen, die die Statistik stark beeinflussten. So wurde nicht nur der Einkommensteuertarif erneut nach oben verschoben, sondern auch der Sonderausgabenabzug neu geregelt und der Familienlastenausgleich geändert. Ein allgemeines Kindergeld wurde eingeführt, welches den Eltern vom ersten Kind an und unabhängig von der Höhe des Einkommens zusteht. Neben den umfassenden Steuerrechtsänderungen trug auch die bessere Zusammenführungsmöglichkeit von doppelverdienenden Arbeitnehmer-Ehegatten dazu bei, dass die Ergebnisse von 1977 nicht direkt mit den Vorjahren vergleichbar sind.18

Durchschnittliche Steuerbelastung gestiegen

Schaubild 3 stellt die durchschnittliche Belastung des Gesamtbetrags der Einkünfte mit festgesetzter Einkommensteuer dar. Es zeigt sich hier, dass die durchschnittliche Steuerbelastung in den Jahren 1961 bis 1980 mit über 20 % teilweise deutlich höher lag als in den 1950er-Jahren. Trotz der oben beschriebenen mehrfachen Senkung des Einkommensteuertarifs sowie erhöhten Freibeträgen und Pauschalen wurde das Einkommen der Steuerpflichtigen immer stärker belastet, da eine breite Masse von Steuerpflichtigen mit steigenden Einkommen in höhere Progressionszonen gelangten. Ausnahme war hier nur das Jahr 1968, das noch den Einfluss der ersten Nachkriegsrezession von 1966/1967 widerspiegelt.

Steuerreformen und Wirtschaftskrisen (1983 – 2014)

Nach Überwindung der Ölkrisen in den 1970er-Jahren, folgten in den 1980er-Jahren wachstumsstarke Jahre. Seit 1983 werden die nichtveranlagten Lohnsteuerpflichtigen und veranlagte Lohn- und Einkommensteuerpflichtige in der Lohn- und Einkommensteuerstatistik zusammengefasst. Dadurch stieg die Anzahl der erfassten Steuerpflichtigen um 1,7 Mill. auf 3,5 Mill. Lohn- und Einkommensteuerpflichtige, also auf fast das Doppelte. Der durchschnittliche Bruttolohn der hinzugekommenen Lohnsteuerpflichtigen lag deutlich unter dem der veranlagten Lohn- und Einkommensteuerpflichtigen und senkte damit den durchschnittlichen Gesamtbetrag der Einkünfte im Vergleich zu 1980, ebenso die durchschnittliche Steuerbelastung.19 Durch diese methodische Änderung lag die durchschnittliche Steuerbelastung ab 1983 zwischen 17 % und 20 % (Schaubild 4) und damit deutlich unter den Werten der 1970er-Jahre.

Neben der Änderung der Statistik beeinflusste auch das dreistufige Steuersenkungsgesetz aus den Jahren 1986/1988/1990 die Ergebnisse der Statistik. Mit diesem Gesetz wurde unter anderem der Grund- und Kinderfreibetrag angehoben und die Tarifprogression zunächst 1986 und 1988 abgesenkt. Insbesondere die vorübergehende Abschaffung des sogenannten »Mittelstandsbauchs« durch die Einführung einer linearen Progression im Jahr 1990 und die Senkung des Eingangssteuersatzes von 22 % auf 19 % bzw. des Spitzensteuersatzes von 56 % auf 53 % senkten die durchschnittliche Steuerbelastung von 19,7 % auf 18,5 % im Jahr 1992 – trotz des um durchschnittlich 7 % gestiegenen Gesamtbetrags der Einkünfte im selben Zeitraum.20

Die 1993 gipfelnde Krise des Europäischen Währungssystems (EWS-Krise) traf die baden-württembergische, stark exportorientierte Wirtschaft mit voller Kraft und war die schwerste Rezession seit Bestehen des Landes21 – die Zahl der Lohn- und Einkommensteuerpflichti­gen (– 5,6 %), der Gesamtbetrag der Einkünfte (– 1,4 %) und die festgesetzte Steuer (– 6 %) sanken 1995 im Vergleich zu 1992. Im Veranlagungsjahr 1998 spiegelte sich in der Statistik jedoch die Überwindung der Krise und steigendes Wirtschaftswachstum wider (Tabelle 2), ebenso wie die Änderungen im Jahressteuergesetz, indem die Orientierung des Grundfreibetrags am sozialhilferechtlichen Existenzminimum umgesetzt und der linear-progressive Steuertarif nach 6 Jahren wieder abgeschafft wurde.22 In der Folge war die Durchschnittssteuerbelastung mit 20 % die höchste der betrachteten 30 Jahre.

Durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 wurde dann wieder der Grundfreibetrag angehoben, sowie der Eingangs- und der Höchststeuersatz abgesenkt, was sich in der Statistik ab 2001 wiederum in sinkender Durchschnittssteuerbelastung ausdrückt.

Der starke Anstieg der Steuerpflichtigen in den Jahren 2001 und 2004 ist durch die Einführung der elektronischen Lohnsteuerbescheinigung im Jahr 2004 zu erklären – durch diese technische Neuerung erhöhte sich die Anzahl der in der Statistik erfassten Steuerpflichtigen von 2001 auf 2004 um rund 820 000. Durch die elektronische Erfassung konnten auch bisher zusammengeführte nichtveranlagte Ehegatten, die beide Bruttolohn erzielten, nicht mehr zusammengeführt werden. Damit stieg die abgebildete Anzahl der Steuerpflichtigen um 21 %, der Gesamtbetrag der Einkünfte dagegen nur um 10 %. Dadurch sank auch die durchschnittliche Steuerbelastung weiter (Schaubild 4). Die höhere Erfassung der Statistik schränkt damit die Vergleichbarkeit der Ergebnisse vor und nach 2004 ein.23 Möglicherweise ist diese methodische Änderung ein Grund dafür, dass die Auswirkungen des Platzens der Dotcom-Blase 2001 in der Statistik nicht festgestellt werden können. Ebenso nahm die Zahl der Arbeitslosen mit rund 73 000 weniger stark zu als in den 1970er-Jahren. In den Jahren 2007 und 2008 kam es zu einem Plus in der Erwerbstätigkeit, was sich auch in der Lohn- und Einkommensteuerstatistik widerspiegelt.24 Zudem wurde der »Reichensteuersatz« von 45 % ab einem zu versteuernden Einkommen von 250 000 Euro eingeführt, was die festgesetzte Steuer und durchschnittliche Steuer beeinflusst haben dürfte.

Kurzarbeitergeld und Konjunkturpaket II nach der Finanzkrise 2007

Die Auswirkungen der Finanzkrise 2007 schlugen in Baden-Württemberg ab Ende 2008 durch: Die Kurzarbeit wurde ausgeweitet um zu verhindern, dass der Produktionseinbruch während der Krise stärker auf den Arbeitsmarkt übergriff.25 Die Rezessionsjahre 2008/2009 wurden in der Statistik nicht abgebildet, im Jahr 2010 wies die Statistik dann 21 000 Steuerpflichtige mehr als 2007 aus. Der Gesamtbetrag der Einkünfte stieg ebenfalls nur leicht, während die festgesetzte Steuer sank (absolut und relativ zum Gesamtbetrag der Einkünfte). Dass die Zahl der erfassten Steuerpflichtigen nicht sank, lag sicherlich auch an der Ausweitung der Kurzarbeit. Dadurch behielten viele Beschäftigte ihre Arbeitsstelle und erzielten weiterhin steuerpflichtige Einkünfte, wenn auch aufgestockt mit Lohnersatzleistungen. Im Jahr 2010 lag die Anzahl der Kurzarbeiter mit konjunkturellem Kurzarbeitergeld in Baden-Württemberg noch bei rund 181 000 für den Monat Januar 2010.26 Wie bereits oben erwähnt, reflektiert die Statistik auch dann steigende Arbeitslosigkeit nicht, wenn in mindestens einem Monat steuerpflichtige Einkünfte erzielt wurden bzw. einer von zwei zusammen veranlagten Ehegatten weiterhin Einkünfte erzielte.

Dass die festgesetzte Steuer sank, dürfte neben den oben beschriebenen gesunkenen steuerpflichtigen Einkünften auch auf das »Konjunkturpaket II« zurückzuführen sein, das im Jahr 2009 durch Anpassungen im Einkommensteuertarif zu moderaten Entlastungen führte.27 Im selben Jahr wurde durch das Bürgerentlastungsgesetz die Kranken- und Pflegevollversicherung vollständig abzugsfähig – die geltend gemachten Sonderausgaben stiegen dadurch in Baden-Württemberg von 16,8 Mrd. (2007) auf 23,2 Mrd. im Jahr 2010. Ein Resultat dieser Entwicklungen ist sicherlich auch die über den Betrachtungszeitraum niedrigste Durchschnittssteuerbelastung von 17 % (Schaubild 4).

Zudem ergaben sich auch bei weiteren Einkunftsarten rechtliche Änderungen, die die Zusammensetzung in der Statistik merklich beeinflussten: Im Zuge der Unternehmenssteuerreform 2008 wurde die Abgeltungssteuer eingeführt – die veranlagten positiven Einkünfte aus Kapitalvermögen sanken von 4,8 Mrd. Euro 2007 auf 1,6 Mrd. Euro 2010. Dagegen stiegen die positiven sonstigen Einkünfte von 5,8 Mrd. Euro auf 6,8 Mrd. Euro – dies dürfte großteilig darauf zurückzuführen sein, dass im Jahr 2005 der Übergang zur nachgelagerten Besteuerung von Renten beschlossen wurde und der steuerpflichtige und damit statistisch erfasste Anteil der Renten seither steigt.

Der seit 2010 kontinuierlich starke Anstieg der Steuerpflichtigen, Einkünfte und festgesetzten Steuer stellt den Aufschwung des letzten Jahrzehnts dar. Mit 18 % durchschnittlicher Einkommensteuerbelastung des Gesamtbetrags der Einkünfte in den Jahren 2013 und 2014 scheint sich zudem ein einkommensteuerliches Belastungsniveau unter dem der 1980er-Jahre etabliert zu haben.

Ausblick

Die Ergebnisse der Lohn- und Einkommensteuerstatistik über die letzten 100 Jahre verschmelzen die Effekte von wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen mit den Steuerrechtsänderungen der jeweiligen Zeit. Auch wenn die Daten über diesen langen Zeitraum nicht vollständig vergleichbar sind, bieten sie vielfältige Analysemöglichkeiten, die im jeweiligen historischen Kontext zu interpretieren sind.

Insgesamt bleibt die durchschnittliche Einkommensteuerbelastung insbesondere seit den 2000er-Jahren erstaunlich konstant. Allerdings reflektiert sie auch nur die Entwicklung über die Gesamtheit der Steuerpflichtigen. Da die Verteilung der Einkünfte sich in dem unteren und mittleren Bereich konzentriert und im Bereich der hohen Einkünfte immer geringere Fallzahlen mit sehr hohen Ausreißern aufweist (linksschiefe Verteilung), sind Durchschnittswerte immer mit Vorsicht zu genießen. Über diesen Beitrag hinaus wäre es daher interessant, auch die Einkommensverteilung bzw. die Änderungen in der Belastung einzelner Einkommensschichten über die Zeit zu analysieren. Auch die Rolle der sieben Einkunftsarten hat sich stark gewandelt und wurde immer wieder gesetzlich beeinflusst (Freibeträge für Land- und Forstwirte, Sparerfreibeträge etc.).

1 Wildberger, Jan: Der soziale Gedanke in der Erzbergerschen Finanzreform. Frankfurt a. M. 2000, S. 24.

2 Wildberger, Jan: Der soziale Gedanke in der Erzbergerschen Finanzreform. Frankfurt a. M. 2000, S. 222.

3 Hierfür wurden die Ergebnisse für die Länder Württemberg, Baden und die Preußische Provinz Hohenzollern addiert und zur besseren Lesbarkeit als Baden-Württemberg bezeichnet.

4 Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit unterlagen dem Lohnsteuerabzug, nur Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit über 8 000 RM wurden veranlagt und in der Statis­tik erfasst (Quelle: Statistisches Reichsamt: Einkommen- und Körperschaftsteuerveranlagung für 1925, in: Statistik des Deutschen Reichs Band 348. Berlin, 1929, S. 8/9.).

5 Statistisches Reichsamt: Einkommen- und Körperschaftsteuerveranlagung für 1925, in: Statistik des Deutschen Reichs Band 348. Berlin, S. 18.

6 Neben der Stadt Bremen bestand das Land Bremen aus drei weiteren Verwaltungsbezirken, unter anderem der Stadt Bremerhaven.

7 Statistisches Reichsamt (1929) (Hrsg.): Einkommen- und Körperschaftsteuerveranlagung für 1925, in: Statistik des Deutschen Reichs Band 348. Berlin 1929, S. 58 ff und S. 89.

8 1928 wurden nur noch Steuerbefreite in der Statistik erfasst, sodass als Vergleichsjahr zu 1932 das Jahr 1929 besser geeignet ist.

9 Banken, Ralf: Hitlers Steuerstaat. Die Steuerpolitik im Dritten Reich. Berlin 2018, S. 279 ff und 314 ff.

10 Ullmann, Hans-Peter: Der deutsche Steuerstaat – Geschichte der öffentlichen Finanzen vom 18. Jahrhundert bis heute. München 2005, S.161.

11 Statistisches Reichsamt (1941) (Hrsg.): Die Einkommen- und Körperschaftsteuerveranlagungen für 1937 und 1938, in: Statistik des Deutschen Reichs, Band 580. Berlin 1941, S. 13.

12 Ullmann, Hans-Peter: Der deutsche Steuerstaat – Geschichte der öffentlichen Finanzen vom 18. Jahrhundert bis heute. München 2005, S. 180 ff.

13 Taras, Richard: Hauptergebnisse der Statistiken der veranlagten Einkommen- und Körperschaftsteuer 1954 sowie der Lohnsteuerstatistik 1955, in: Statistische Monatshefte Baden-Württemberg 04/1958, S. 126 ff.

14 Unter anderem Taras, Richard: Hauptergebnisse der Statistiken der veranlagten Einkommen- und Körperschaftsteuer 1954 sowie der Lohnsteuerstatistik 1955, in: Statistische Monatshefte Baden-Württemberg 04/1958, S. 124. Ebenso Statisches Bundesamt, Fachserie Finanzen und Steuern, Reihe 6: Einkommen und Vermögenssteuern, I. Einkommen und Körperschaftsteuer 1961, S. 12 ff und 1965, S. 1 ff.

15 Baumann, Rolf: Zur Entwicklung der Löhne und Gehälter und ihrer Belastung durch Steuern und Sozialabgaben 1950 bis 1976, in: Baden-Württemberg in Wort und Zahl 10/1977, S. 309 ff.

16 Fischer, Berthold/Vullhorst, Udo/Werner, Joachim: »Wirtschaftskrisen und Konjunkturzyklen in Baden-Württemberg seit 1950«, in: »Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 9/2009«, S. 4 ff.

17 Rosinus, Wolfgang: Einkünfte und Besteuerung der Lohn- und Einkommensteuerpflichtigen 1977, in: Wirtschaft und Statistik. Ausgabe 12/1981, S. 844 ff.

18 Rosinus, Wolfgang: Einkünfte und Besteuerung der Lohn- und Einkommensteuerpflichtigen 1977, in: Wirtschaft und Statistik. Ausgabe 12/1981, S. 844 ff.

19 Rosinus, Wolfgang: Einkünfte und Besteuerung der Lohn- und Einkommensteuerpflichtigen 1983, Wirtschaft und Statistik 12/1987, S. 937.

20 Bronnenmayer, Klaus: Erste Ergebnisse der Lohn- und Einkommensteuerstatistik 1992, Baden-Württemberg in Wort und Zahl 2/1997.

21 Fischer, Berthold/Vullhorst, Udo/Werner, Joachim: »Wirtschaftskrisen und Konjunkturzyklen in Baden-Württemberg seit 1950«, in: »Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 9/2009«, S. 8.

22 Bach, Stefan: 100 Jahre deutsches Steuersystem: Revolution und Evolution, in: DIW Discussion Paper 1767, 2018, S. 17.

23 Loidl-Stuppi, Jutta: »Wie sieht das Durchschnittseinkommen in Baden-Württemberg aus?«, in: »Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 7/2009«, S. 40 ff.

24 Fischer, Berthold/Vullhorst, Udo/Werner, Joachim: »Wirtschaftskrisen und Konjunkturzyklen in Baden-Württemberg seit 1950«, in: »Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 9/2009«, S. 10.

25 Knödler, Reinhard: »Die »große Rezession«: Fand sie bei uns nicht statt?«, in: »Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 7/2013«, S. 27.

26 Jahresdurchschnitt für Baden-Württemberg 2010, Statistik der Bundesagentur für Arbeit, Datenstand: August 2017.

27 Der Eingangssteuersatz wurde von 15 % auf 14 % gesenkt, die Tarifeckwerte verschoben, der Grundfreibetrag erhöht, was bundesweit 2009 und 2010 zu Mindereinnahmen von insgesamt 5,9 Mrd. Euro führte, vgl. Bundesministerium der Finanzen »Übersicht über die Steuerrechtsänderungen seit 1964«.