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Der Alterungsprozess der Bevölkerung schwächt sich langfristig ab

Das Statistische Landesamt legt Ergebnisse einer neuen Bevölkerungsvorausberechnung für Baden-Württemberg vor

Eine starke Zuwanderung vor allem aus Südosteuropa und der enorme Zustrom von Schutzsuchenden führten in den Jahren 2015 bis 2017 dazu, dass die Einwohnerzahl Baden-Württembergs stetig angestiegen ist und im September 2017 erstmals seit Bestehen des Landes bei über 11 Millionen (Mill.) lag. Seither hat sich der Bevölkerungszuwachs aber deutlich abgeschwächt. Ursächlich hierfür waren mehrere Entwicklungen im Wanderungsgeschehen: Deutlich weniger Schutzsuchende als in den vorangegangenen Jahren kamen nach Baden-Württemberg, die Zahl der Fortzüge in andere Bundesländer lag durchgängig höher als die der Zugezogenen, und nicht zuletzt haben in der jüngsten Vergangenheit umfangreiche Reisebeschränkungen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie die Wanderungsgewinne mit dem Ausland deutlich verringert.

Mit welcher demografischen Entwicklung ist künftig im Südwesten zu rechnen? Um dies abzuschätzen, wurde eine neue Bevölkerungsvorausberechnung für Baden-Württemberg auf Basis der Einwohnerzahlen zum 31. Dezember 2020 erstellt. Der hierfür gewählte Ansatz sowie ausgewählte Ergebnisse werden in diesem Beitrag vorgestellt. Demnach wird die Einwohnerzahl des Landes aller Voraussicht nach zunächst weiter leicht ansteigen, und der Alterungsprozess der Gesellschaft wird sich auch in den nächsten Jahren fortsetzen. Allerdings dürfte sich die Alterung aufgrund der Altersstruktur der Bevölkerung ab den 2030er-Jahren deutlich abschwächen, und die Einwohnerzahl im Jahr 2060 könnte in etwa auf dem heutigen Niveau liegen.

Für Bevölkerungsvorausberechnungen sind Annahmen zur Geburtenhäufigkeit, zur Lebenserwartung und zum Wanderungsgeschehen zu treffen (vergleiche i-Punkt). Selten waren in den vergangenen Jahrzehnten die Rahmenbedingungen für eine Abschätzung der künftigen Entwicklung dieser Komponenten und damit für Bevölkerungsvorausberechnungen so schwierig wie derzeit. Denn zusätzlich zu der Frage, wie sich die Zuwanderung – abhängig beispielsweise von der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung in wichtigen Herkunftsländern und von der künftigen Attraktivität Baden-Württembergs als Industriestandort – weiter entwickeln wird, ist auch abzuschätzen, ob die immer noch nicht überstandene Pandemie längerfristige Auswirkungen auf die Entwicklung der Lebenserwartung und die Geburtenhäufigkeit haben wird.

Blick zurück: Das Wanderungsgeschehen seit 1990

Besonders große Unsicherheiten bestehen im Hinblick auf die künftige Entwicklung des Migrationsgeschehens, da sich dieses – im Gegensatz zur Geburtenhäufigkeit und zur Lebenserwartung – nicht nur langsam, sondern auch innerhalb weniger Jahre erheblich ändern kann. Schaubild 1 belegt dies für die vergangenen 3 Jahrzehnte: 1990, im Jahr der Wiedervereinigung, erzielte Baden-Württemberg mit rund 182 000 Personen den bisher höchsten Wanderungsgewinn seit Bestehen des Landes. Etwa ein Fünftel dieses positiven Saldos entfiel auf Gewinne gegenüber dem übrigen Bundesgebiet und vor allem gegenüber den neuen Bundesländern, vier Fünftel gegenüber dem Ausland. Innerhalb von lediglich 4 Jahren ging dann der Wanderungssaldo gegenüber dem Ausland auf nur noch ein Fünftel des Jahres 1990 zurück; gegenüber dem übrigen Bundesgebiet wurde er bereits 1993 sogar negativ.

Um die Jahrtausendwende konnte der Südwesten aufgrund einer erneut hohen Zuwanderung vor allem aus den neuen Bundesländern1 vorübergehend wieder höhere Wanderungsgewinne erzielen. In den Jahren 2008 und 2009 lag dann aber der Wanderungssaldo nur noch jeweils bei knapp 4 000 Personen2, um dann in den Folgejahren erneut und zwar bis 2015 vor allem gegenüber Staaten der Europäischen Union3 und aufgrund der Flüchtlingskrise stetig anzusteigen. Danach sanken die Wanderungsgewinne erneut deutlich ab; sie waren im Jahr 2020 – vor allem coronabedingt – so niedrig wie seit 2009 nicht mehr. Einem nur noch moderaten Wanderungsgewinn mit dem Ausland von knapp 28 000 Personen stand dabei ein vergleichsweise deutlicher Wanderungsverlust von gut 14 000 Personen mit dem übrigen Bundesgebiet gegenüber.

Einwohnerzahl im Südwesten könnte noch bis 2041 moderat ansteigen

Vor diesem Hintergrund eines im Zeitablauf stark schwankenden Migrationsgeschehens wurden drei Vorausberechnungsvarianten erstellt, die sich ausschließlich hinsichtlich der getroffenen Wanderungsannahmen unterscheiden. Nach der sogenannten Hauptvariante, die künftig eine höhere Zuwanderung als in den letzten Jahren unterstellt (i-Punkt), könnte die Einwohnerzahl des Landes noch bis zum Jahr 2041 um etwas mehr als 100 000 auf dann 11,21 Mill. ansteigen (Schaubild 2).4 Anschließend ist mit einem moderaten Bevölkerungsrückgang zu rechnen, weil sich das bestehende Geburtendefizit (weniger Geburten als Sterbefälle) aufgrund der Altersstruktur der Bevölkerung stetig vergrößern wird. Dieses Defizit kann aller Voraussicht nach nicht mehr durch die Zuwanderung ausgeglichen werden. Dennoch könnte die Einwohnerzahl im Südwesten auch im Jahr 2060 – dem Zieljahr dieser Vorausberechnung – ziemlich genau dem Niveau am Jahresende 2020, der Basis dieser Vorausberechnung, entsprechen (Tabelle).

Nach der Unteren Variante, die von deutlich geringeren Wanderungsgewinnen ausgeht (i-Punkt), würde der Bevölkerungsrückgang bereits im Jahr 2023 einsetzen. Im Jahr 2060 könnte die Einwohnerzahl um rund 470 000 Personen unter dem Niveau des Basisjahres 2020 liegen. Dagegen würde die Einwohnerzahl nach der Oberen Variante noch bis zum Zieljahr 2060 ansteigen. Baden-Württemberg hätte dann im Jahr 2060 etwa 11,58 Mill. Einwohnerinnen und Einwohner und damit immerhin gut 470 000 mehr als Ende 2020 (Tabelle).

Zahl der Älteren nimmt nach 2030 nur noch moderat zu

Mindestens ebenso bedeutsam wie die Ent­wicklung der Bevölkerungszahl insgesamt sind die Veränderungen in der Altersgliederung der Bevölkerung. Denn die Besetzungsstärken der einzelnen Altersjahrgänge wirken sich auf nahezu alle Gesellschaftsbereiche aus, sei es im Kinderbetreuungs- und im Bildungsbereich, sei es für den Arbeitsmarkt oder für die Rentenversicherungssysteme.

In demografischer Hinsicht gab es im Jahr 2000 in Baden-Württemberg eine Zäsur: Erstmals lebten seit Bestehen des Landes etwas mehr 60-Jährige und Ältere als unter 20-Jährige im Südwesten (22,5 % gegenüber 22,2 % der Gesamtbevölkerung). Heute zählen in Baden-Württemberg nur noch 19 % zu den Jüngeren, aber bereits 27 % zu den Älteren (Schaubild 3). Und dieser zahlenmäßige Unterschied zwischen Jung und Alt wird aus heutiger Sicht zunächst noch größer werden. Zwar wird sich der Anteil der unter 20-Jährigen an der Gesamtbevölkerung zum Jahr 2060 nicht mehr verringern.5 Allerdings dürfte sich der Bevölkerungsanteil der 60-Jährigen und Älteren bereits bis zum Jahr 2030 nochmals deutlich erhöhen, weil in den nächsten Jahren die geburtenstarken Jahrgänge, die sogenannten »Babyboomer«, verstärkt in diese Altersgruppe aufrücken. Danach wird der Anteil der Älteren allerdings nur noch geringfügig ansteigen.

Überdurchschnittliche Zunahme der Zahl hochbetagter Menschen

Für sozial- und speziell altenpolitische Planungen ist es von besonderer Bedeutung, dass künftig die Zahl älterer und vor allem hoch betagter Menschen weiter zunehmen wird. Immer mehr Frauen und Männer erreichen ein hohes Alter. Waren 1952, dem Gründungsjahr des Südweststaats, lediglich rund 18 000 Einwohnerinnen und Einwohner 85 Jahre alt oder älter, sind es derzeit über 320 000 (Schaubild 4). In den kommenden 4 Jahrzehnten wird deren Zahl weiter ansteigen und sich allein in den 2040er-Jahren – wenn ein Großteil der »Babyboomer« in dieser Altersgruppe »hineingewachsen« sein wird – um rund 40 % vergrößern. Damit könnte sich ihre Zahl bis zum Jahr 2050 im Vergleich zu heute nochmals verdoppeln. Es gäbe dann etwas mehr als 640 000 Hochbetagte in Baden-Württemberg. Da es sich hierbei um eine Bevölkerungsgruppe mit einem hohen Pflegerisiko handelt, dürfte künftig auch die Zahl der Pflegebedürftigen erheblich ansteigen.

Rentenversicherungssysteme stehen vor großen Herausforderungen

Die steigende Zahl älterer Menschen im Südwesten wird nicht zuletzt für die Rentenversicherungssysteme weitere Herausforderungen mit sich bringen. Denn der Zahl potenzieller Rentenempfänger/-innen steht längerfristig eine abnehmende Bevölkerungszahl im erwerbsfähigen Alter gegenüber. Bereits bis zum Jahr 2035 könnte die Zahl der Frauen und Männer im Alter von 20 bis unter 65 Jahren, die vereinfacht der Bevölkerung im Erwerbsalter zugerechnet wird, um annähernd 600 000 sinken (Schaubild 5).

Derzeit kommen 34 Personen im Alter von 65 und mehr Jahren auf 100 Personen im Alter von 20 bis unter 65 Jahren. Noch 1990 gab es lediglich 22 Ältere je 100 Personen im erwerbsfähigen Alter. Bereits bis zum Jahr 2030, wenn die geburtenstarken Jahrgänge der frühen 1960er-Jahre (»Babyboomer«) überwiegend aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sein werden, könnte dieser sogenannte Altenquotient sogar auf 43 ansteigen (Schaubild 6).

Diese Berechnungen zeigen, welche großen Herausforderungen auf die Rentenversicherung aufgrund der demografischen Entwicklung zukommen werden. Allerdings ist bei einer Bewertung dieser Entwicklung zu bedenken, dass die tatsächlichen, ökonomischen Belastungen der erwerbstätigen Bevölkerung aller Voraussicht nach abgemildert werden dürften. Zum einen ist zu erwarten, dass vor allem die Zahl älterer Menschen, die erwerbstätig sein wird, aller Voraussicht nach weiter ansteigen wird.6 Zum anderen dürfte sich die Erwerbsbeteiligung der Frauen auch künftig nochmals erhöhen.

Durchschnittsalter der Bevölkerung steigt weiter moderat an

Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, dass künftig immer mehr ältere Menschen im Land leben werden. Und diese Entwicklung ist bereits heute »vorprogrammiert«, weil die geburtenstarken Jahrgänge aus den 1960er-Jahren insbesondere in diesem Jahrzehnt in die Altersphase der 60-Jährigen und Älteren »hineinwachsen« werden; dadurch wird sich auch das Durchschnittsalter der Bevölkerung weiter erhöhen.

Bereits seit Gründung des Landes Baden-Württemberg im Jahr 1952 bis zum Jahr 2020 ist das Durchschnittsalter der Bevölkerung in Baden-Württemberg um annähernd 9 Jahre gestiegen – von knapp 35 Jahre auf annähernd 44 Jahre. Und dieser Alterungsprozess wird sich – allerdings abgeschwächt – auch in Zukunft fortsetzen. Bis zum Jahr 2050 ist bei der Hauptvariante mit einem weiteren Anstieg des Durchschnittsalters um über 2 Jahre auf dann etwas mehr als 46 Jahre zu rechnen; danach wird sich diese Kenngröße aber nicht mehr weiter erhöhen. Bei der Unteren Variante, bei der geringere Wanderungsgewinne unterstellt wurden, wird die Alterung etwas stärker, bei der Oberen Variante etwas schwächer ausfallen (Tabelle).

Fazit: Möglichkeiten und Grenzen von Vorausberechnungen

Bei der Bewertung der vorgestellten Ergebnisse ist zu bedenken, dass sicherlich niemand eine verlässliche Prognose abgeben kann, wie viele Menschen im kommenden Jahr, geschweige denn im Jahr 2060 in Baden-Württemberg wirklich leben werden. Allerdings können Aussagen darüber getroffen werden, wie sich die Bevölkerung unter der Zugrundelegung bestimmter Annahmen zur künftigen Geburtenrate, zur Lebenserwartung und zum Wanderungsgeschehen entwickeln wird. Entsprechende Vorausberechnungen werden seitens des Statistischen Landesamtes Baden-Württembergs bereits seit Ende der 1960er-Jahre in der Form von »Wenn-Dann«-Aussagen durchgeführt. Wenn also die getroffenen Annahmen so eintreffen werden, dann wird die demografische Entwicklung so verlaufen, wie sie in der Bevölkerungsvorausberechnung dargestellt ist.

Bevölkerungsvorausberechnungen bedürfen der laufenden Anpassung und Aktualisierung. Dies gilt vor allem dann, wenn die Trends der die Bevölkerungsentwicklung bestimmenden Faktoren von starken Unsicherheiten geprägt sind. Für die momentane Situation trifft dies zweifelsohne deshalb besonders zu, weil nur schwerlich absehbar ist, wie sich zum einen das Wanderungsgeschehen nicht zuletzt in Abhängigkeit von der künftigen EU-Flüchtlingspolitik entwickeln wird; zum anderen ist noch nicht abzusehen, ob Corona längerfristige Auswirkungen auf die Lebenserwartung der Bevölkerung haben wird.

Alles in allem gilt, dass Bevölkerungsvorausberechnungen – insbesondere was die Entwicklung der Einwohnerzahlen betrifft – nicht als »Vorhersagen« missverstanden werden dürfen. Sie stellen aber (zumindest) eine wichtige Orientierungshilfe dar. Vorausberechnungen haben nämlich dann ihre Aufgabe erfüllt, wenn sie die Basis für Analysen und Planungen der Entscheidungsträger beisteuern, mögliche (Fehl-)Entwicklungen aufzeigen und so die Unsicherheit über die Zukunft verringern helfen. Lösungen können von Ihnen dagegen nicht erwartet werden.

1 Brachat-Schwarz, Werner: »Wanderungen von Ost nach West – und wieder zurück?«, in: »Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 9/2015«, S. 3 ff.

2 Die Ergebnisse für diese beiden Jahre sowie auch für 2010 und 2011 sind allerdings nur eingeschränkt aussagekräftig, da diese zahlreiche Melderegisterbereinigungen enthalten, die infolge der Einführung der persönlichen Steueridentifikationsnummer durchgeführt wurden.

3 Brachat-Schwarz, Werner: »Baden-Württembergs Wanderungsverflechtung mit der Europäischen Union«, in: »Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 3/2016«, S. 9 ff.

4 Die Autoren danken Herrn Ingolf Girrbach, der die umfangreichen Berechnungen mit dem Prognosemodell SIKURS durchgeführt hat.

5 Sofern nichts anderes angegeben wird, beziehen sich die folgenden Angaben auf die Ergebnisse der Hauptvariante.

6 Immer mehr Menschen erreichen bei guter Gesundheit ein hohes Alter und sind nicht nur deshalb, weil das Renteneintrittsalter in Deutschland schrittweise auf 67 Jahre erhöht wird, »aus freien Stücken« bereit, länger am Erwerbsleben teilzunehmen. Allerdings könnte die Erwerbsbeteiligung älterer Personen auch deshalb weiter ansteigen, weil wegen einer zu geringen Rente hinzuverdient werden muss.