Die multiplen Folgen von Altersarmut und wie man ihnen begegnen kann
Altersarmut ist ein wichtiges gesellschaftliches Thema. Nähere deskriptive Angaben zu Altersarmut in Baden-Württemberg wurden schon im ersten Artikel zu diesem Thema berichtet (vgl. Velimsky und Faden-Kuhne 2024). Dieser Beitrag befasst sich nun mit den multiplen Auswirkungen von Armut im Alter. Denn Altersarmut bedeutet nicht nur monetäre Einschränkungen, sondern betrifft unterschiedliche Lebensbereiche.
Empirische Analysen mit dem Deutschen Alterssurvey (DEAS) zeigen: Altersarmut geht einher mit einem geringeren Selbstwertgefühl, einer geringeren Lebenszufriedenheit, einer schlechteren Bewertung der eigenen Wohnsituation und weniger sozialen Kontakten. Betroffene haben zudem seltener Zugang zum Internet, eine höhere Wahrscheinlichkeit Opfer von Altersdiskriminierung zu werden, leiden häufiger unter Depressionen und fühlen sich eher einsam und sozial exkludiert, wobei ein Internetzugang und das Wissen um soziale Dienstleistungen am Wohnort das Gefühl sozialer Exklusion Älterer verringern kann. Das bietet Anknüpfungspunkte für die Verbesserung der Teilhabe und Lebensqualität Betroffener. Es scheint nicht nur wichtig, seniorenspezifische Angebote zu schaffen, sondern auch bestehende Angebote gerade für Betroffene noch sichtbarer zu machen.
Aufgrund demografischer Veränderungen wird in den nächsten Jahrzehnten der Anteil Älterer an der Gesamtbevölkerung Baden-Württembergs steigen. Gleichzeitig ist durch den Zuwachs prekärer Beschäftigungsverhältnisse in den vergangenen Jahrzehnten und vor allem die Verbreitung des Niedriglohnbereichs in Deutschland für künftige Rentnerkohorten mit einem Anstieg von Altersarmut zu rechnen, wenn keine entsprechenden Gegenmaßnahmen getroffen werden (vgl. Anacker 2020). Im Jahr 2021 lag die Armutsgefährdung Älterer in Baden-Württemberg mit 19,1 % knapp 2 Prozentpunkte über dem Wert für die Gesamtbevölkerung (vgl. Velimsky und Faden-Kuhne 2024a).1
Armut und somit auch Altersarmut ist ein mehrdimensionales Konzept, welches aus den Wechselwirkungen verschiedener Faktoren und Lebensumständen resultiert und dessen Auswirkungen über eine Knappheit finanzieller Ressourcen hinausgehen. Altersarmut beschreibt somit eine gesamte Lebenslage2, die auch die gesellschaftliche Teilhabe eines Individuums einschließt.
In diesem Beitrag, der Teil der modularen Armutsberichterstattung des Landes ist, werden die multiplen Auswirkungen von Altersarmut auf unterschiedliche Lebensbereiche wie zum Beispiel das Wohnumfeld, die Gesundheit oder das soziale Umfeld näher betrachtet. Anschließend wird anhand von Praxisbeispielen aus Baden-Württemberg skizziert, wie einzelnen Dimensionen von Altersarmut begegnet werden kann.
Altersarmut als Lebenslage/Unterschiedliche Dimensionen von Altersarmut
Um die multiplen Folgen von Armut im Alter zu ermitteln, wurde im Rahmen eines (Online-)Fachgesprächs zum Thema »Teilhabe und Lebensqualität von armutsbetroffenen älteren Menschen« mit verschiedenen Stakeholdern in Baden-Württemberg über die unterschiedlichen Aspekte von Altersarmut diskutiert. Dabei floss auch die Betroffenenperspektive ein. Die diskutierten Dimensionen sind in Übersicht 1 dargestellt. Hierbei wurden auch aktuelle Befunde aus der Forschung berücksichtigt.
Die dargestellten Lebensbereiche werden im Folgenden hinsichtlich des erwarteten Zusammenhangs mit Altersarmut vorgestellt. Zudem werden einige Wechselwirkungen zwischen den Lebensbereichen skizziert. Anschließend wird der Einfluss von Altersarmut auf die einzelnen Lebensbereiche empirisch getestet. Datengrundlage ist die Erhebung des DEAS von 2020/21.3
Im Alter arm zu sein bedeutet allgemein, Einschränkungen in sozialer und gesellschaftlicher Teilhabe zu erleben. Das kann in sozialer Exklusion münden, aber auch zum Verlust von Selbstbestimmung (Autonomie) führen. Dieser Verlust ist im Alter besonders gravierend, da Ältere kaum noch Möglichkeiten haben, dem entgegenzuwirken. Somit ist nicht überraschend, dass Altersarmut häufig mit einer geringeren allgemeinen Lebenszufriedenheit einhergeht.
Altersarmut kann auch gesundheitliche Folgen haben. Das betrifft einerseits die physische Verfasstheit. Forschung zeigt, dass eine schwierige finanzielle Lage im Alter auch zu einer schlechteren subjektiven Bewertung der eigenen Gesundheit führen kann (siehe Franzese 2020). Dabei kann sich die Gesundheit durch einen ungesunden Lebenswandel (zum Beispiel Ernährung) oder ein ungesundes Wohnumfeld verschlechtern. Forschungsergebnisse zeigen ein häufigeres Auftreten von Herzerkrankungen im Alter, bedingt durch finanzielle Probleme im Lebenslauf (siehe Deindl 2015), ebenso wie ein höheres Mortalitätsrisiko bei von Altersarmut Betroffenen (siehe Szanton et al. 2008). Für Deutschland konnte zudem ein Zusammenhang zwischen finanziellen Schwierigkeiten und körperlichen Einschränkungen in Bezug auf Aktivitäten des täglichen Lebens im Alter (zum Beispiel Mobilität) festgestellt werden (siehe Franzese 2020).
Neben physischen Beeinträchtigungen kann Altersarmut auch Auswirkungen auf die mentale Gesundheit Betroffener haben und psychische Erkrankungen verursachen oder verstärken. So gilt Armut als eine der Hauptursachen für Depression im Alter (siehe Franzese 2020; Kim et al. 2016), wobei physische Erkrankungen die mentale Gesundheit zusätzlich belasten (vgl. Rohde et al. 2016). Neben dem verstärkten Auftreten gesundheitlicher Beschwerden erschwert Altersarmut einen adäquaten Umgang mit physischen und psychischen Erkrankungen, da viele Medikamente und Behandlungen (zum Beispiel Zahnersatz oder Zusatzmaterial für Hörgeräte) für Betroffene kaum bezahlbar sind, gerade wenn diese nicht von der gesetzlichen Krankenkasse gedeckt sind. Das kann in Extremfällen zu Folgeerkrankungen führen. So berichtet ein Betroffener von Backenzähnen, die seit 10 Jahren gebrochen sind und eigentlich Implantate erfordern. Die Kosten dafür werden von der Krankenkasse jedoch nicht übernommen. Er selbst kann sich diese Eingriffe aber – auf Kosten seiner Gesundheit – nicht leisten.4
Laut Anacker (2020) sind besonders ältere Menschen mit Behinderung überproportional von Armut betroffen, da sie aufgrund von Benachteiligungen bei sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungen während des Erwerbslebens im Alter geringere Ansprüche an die gesetzliche Rentenversicherung und zudem höhere Ausgaben in Bezug auf Gesundheit und Wohnen haben.
Altersarmut wirkt sich auch auf die Quantität und die Wahrnehmung sozialer Beziehungen aus. Soziale Isolation und Einsamkeit bei Älteren sind in diesem Zusammenhang wichtige Themen.5 Einsamkeit beschreibt die Diskrepanz zwischen den gewünschten und den tatsächlich vorhandenen sozialen Beziehungen und ist dabei eine subjektive Bewertung und Erfahrung der eigenen sozialen Interaktionen (vgl. Cacioppo et al. 2015). Einsamkeit stellt sich ein, wenn ein Individuum soziale Interaktionen qualitativ als unbefriedigend wahrnimmt und/oder quantitativ einen Mangel an zwischenmenschlichen Beziehungen erlebt (vgl. Sipowicz et al. 2021). Demgegenüber bezeichnet soziale Isolation die objektive physische Trennung von Anderen, also das Fehlen sozialer Interaktionen. Menschen mit wenigen sozialen Kontakten erleben soziale Isolation, fühlen sich aber nicht zwingend einsam und umgekehrt. Es besteht aber ein Zusammenhang zwischen beiden Konstrukten, sowohl hinsichtlich Quantität als auch Qualität sozialer Interaktionen (vgl. Luhmann et al. 2023). Einsamkeitsgefühle und soziale Isolation treten im Alter verstärkt auf. Der Auszug der Kinder aus dem Elternhaus, der Verlust der Lebenspartnerin oder des Lebenspartners, Sterbefälle im Freundeskreis und der Verlust von Prestige können Trauer und ein »existenzielles Vakuum« verursachen. Altersarmut verstärkt diese Effekte (siehe Cohen-Mansfield et al. 2016; Luhmann und Hawkley 2016; Luhmann et al. 2023). Weitere Ursachen sind physische und psychische Erkrankungen (vgl. Cohen-Mansfield et al. 2016). Erste Befunde aus Baden-Württemberg zeigen, dass sich armutsgefährdete Menschen häufiger einsam und sozial isoliert fühlen im Vergleich zu nicht armutsgefährdeten Menschen (vgl. Velimsky 2024).
Wie beschrieben geht Altersarmut häufig mit einem geringer werdenden sozialen Status einher. Neben den damit verbundenen finanziellen Einschränkungen hat dieser Verlust auch immaterielle Auswirkungen (vgl. Anacker 2020). So erfahren von Altersarmut Betroffene in der Gesellschaft eine geringere Wertschätzung, was auch häufigere Erlebnisse von Altersdiskriminierung miteinschließt. Letztere verstärken Einsamkeitsgefühle, verringern die Lebenszufriedenheit und können negative Auswirkungen auf die Gesundheit haben (vgl. Waldegrave et al. 2021). Bei vielen Betroffenen stellt sich so das Gefühl ein, keinen Wert mehr für die Gesellschaft zu haben (vgl. Anacker 2020), was Verzweiflung und Resignation hervorrufen kann. Depressionen und Angstzustände sind mögliche Folgen (vgl. Ridley et al 2020), ebenso wie ein höheres Suizidrisiko (vgl. Anacker 2020).
Eine weitere wichtige Dimension von Altersarmut ist die Wohnung und das Wohnumfeld. Wohnungen sind Rückzugs-, Schutz- und Gestaltungsräume (vgl. Spellerberg und Giehl 2018). Der Zugang zu Wohnraum hängt jedoch von den finanziellen Möglichkeiten eines Individuums/Haushalts ab. Für das Leben im Alter ist die Wohnqualität sehr wichtig, zum Beispiel ob man barrierefrei oder behindertengerecht wohnen kann. Hinzu kommen Kosten für Hilfeleistungen im Haushalt oder bei der Pflege, die helfen, möglichst lange am Wohnort bleiben zu können, aber finanzielle Ressourcen erfordern. Der Verbleib am Wohnort ist gerade für Ältere eine große Stütze. Denn mit zunehmendem Alter entwickeln Menschen eine stärkere Ortsverbundenheit. Diese hilft sich gegenüber Veränderungen im Leben, wie zunehmenden körperlichen Gebrechen, geringerer Wertschätzung und dem Verlust von Freunden und Verwandten zu schützen und ein Gefühl der Kontinuität aufrechtzuerhalten (vgl. Belanche et al., 2021; Velimsky et al. 2023). In diesem Zusammenhang kommt der unmittelbaren Wohnumgebung eine wichtige Rolle zu. Das beinhaltet den Zugang (zum Beispiel die Distanz) zu Infrastruktur wie Transport, Lebensmittelläden oder Banken. Dazu zählt aber auch der Zugang zu Angeboten sozialer Dienstleistungen wie Beratungsstellen, gesundheitlicher Versorgung oder Möglichkeiten sozialer und kultureller Teilhabe (Treffpunkte, kulturelle Einrichtungen).6 Auch Sicherheitsaspekte und das nachbarschaftliche Umfeld spielen eine Rolle. Ältere, die in einer Wohnumgebung mit guter Infrastruktur und Zugang zu Dienstleistungen leben, haben im Vergleich zu denjenigen, auf die das nicht zutrifft, eine bessere physische und psychische Gesundheit und eine höhere Lebenszufriedenheit (vgl. Stoeckel und Litwin 2015).
Immer wichtiger wird neben den genannten Aspekten zudem das Thema Digitalisierung im Alter. Das beinhaltet die Informationsbeschaffung und Unterhaltung sowie die Nutzung digitaler Angebote, die das alltägliche Leben erleichtern (Onlinefunktion, zum Beispiel bei Banken oder Gesundheitsüberwachung). Die Nutzung sozialer Medien und der damit verbundene Kontakt mit Freunden und Familie kann überdies Isolation entgegenwirken und das Einsamkeitsrisiko verringern (vgl. Hajek and König 2021). Ergebnissen des DEAS zufolge hatten 79 % aller über 64-Jährigen im Jahr 2021 Zugang zum Internet, wobei der Anteil bei von Altersarmut Betroffenen mit 66 % geringer war.
Um die vorgestellten Zusammenhänge empirisch zu überprüfen wurden eigene Berechnungen durchgeführt. Aufgrund der geringen Fallzahlen wurden diese für die Bundesebene durchgeführt. Die Ergebnisse dieser Analysen zu den Auswirkungen von Altersarmut auf die vorgestellten Dimensionen sind in Übersicht 2 dargestellt.
Die Analysen beruhen auf multivariaten Regressionen (linear und logistisch). Der Vorteil dieses Vorgehens besteht darin, dass die jeweiligen Zusammenhänge unter Kontrolle anderer relevanter Merkmale getestet werden können. Jedem Pfeil in Übersicht 2 liegt solch ein multivariates Regressionsmodell zugrunde.7 Altersarmut8 wird hier durch Einkommensarmut im Alter operationalisiert. In allen Modellen wurde auf folgende Effekte kontrolliert: Alter, Geschlecht, Migrationsstatus, Vermögen, Familienstand, Wohnregion und Bildung. Wegen der geringen Fallzahlen für Baden-Württemberg werden alle Analysen für die Bundesebene durchgeführt, unter Kontrolle möglicher Baden-Württemberg-Effekte. In Übersicht 2 ist für einen besseren Überblick nur die Richtung der Haupteffekte dargestellt. Diese sind statistisch signifikant, wenn nicht anders angegeben.
Die Ergebnisse zeigen: Altersarmut geht mit einem geringeren Selbstwertgefühl, einer geringeren Lebenszufriedenheit, einer schlechteren Bewertung der eigenen Wohnsituation und weniger sozialen Kontakten einher. Zudem sinkt die Wahrscheinlichkeit eines Internetzugangs bei von Altersarmut Betroffenen, wogegen die Wahrscheinlichkeit Opfer von Altersdiskriminierung zu werden steigt. Menschen, die von Altersarmut betroffen sind, kennen auch weniger Angebote in Bezug auf altersbezogene Dienstleistungen am jeweiligen Wohnort (Stadt/Landkreis)9, obwohl sie im Besonderen auf solche Angebote angewiesen sind. Ferner haben von Altersarmut Betroffene auch eher Depressionen und fühlen sich eher einsam.
Zwischen Altersarmut und physischer Gesundheit besteht, wenn man die Daten des DEAS betrachtet, kein direkter Zusammenhang, dafür wirkt sich größeres Vermögen positiv auf physische Gesundheit im Alter aus (vgl. Faden-Kuhne et al. 2024a). Indirekte Effekte von Einkommensarmut zum Beispiel über psychische Erkrankungen, einem ungesunden Lebenswandel oder einer ungesünderen Wohnumgebung sind denkbar.
Weitere Analysen10 zeigen weiterhin, dass Altersarmut auch das Gefühl sozialer Exklusion verstärkt.11 Ähnliche Auswirkungen haben physische Erkrankungen, Depression und Einsamkeit. Demgegenüber kann der Zugang zum Internet dem Gefühl von Exklusion im Alter entgegenwirken. Ebenso sinkt das Exklusionsgefühl, je mehr Angebote sozialer Dienstleistungen am Wohnort bekannt sind (vgl. Faden-Kuhne et al. 2024a). Eine vertiefendende Analyse ergab zudem: Angebote an seniorenspezifischen sozialen Dienstleistungen zu kennen, verringert das Exklusionsgefühl bei Armutsbetroffenen stärker im Vergleich zu Älteren ohne Notlage. Das bedeutet, gerade bei Betroffenen verringert das Wissen um angebotene soziale Dienstleistungen im Umfeld und womöglich auch deren Nutzung das Exklusionsgefühl (vgl. Faden-Kuhne et al. 2024a).
Der Befund, dass generell der Internetzugang und das Wissen um soziale Dienstleistungen am Wohnort das Gefühl sozialer Exklusion Älterer verringern können, bieten Anknüpfungspunkte, um ihre Teilhabe und Lebensqualität verbessern zu können. Für ältere Menschen, die von Armut betroffen sind, bietet dabei vor allem das Wissen um soziale Dienstleistungen am Wohnort ein Verbesserungspotenzial. Es scheint daher nicht nur wichtig, seniorenspezifische Angebote zu schaffen, sondern auch bestehende Angebote gerade für Betroffene noch sichtbarer zu machen. Wie das gelingen kann, wird im Folgenden skizziert.
Praxisbeispiele: Konzepte und Erfahrungen
Wie den Folgen von Altersarmut, vor allem hinsichtlich sozialer Exklusion begegnet werden kann, wird anhand von Praxisbeispielen aus Baden-Württemberg skizziert. Diese geben Einblicke, wie und mit welchen Angeboten eine armutspräventive Infrastruktur im Quartier geschaffen und Zugang zu sozialer und digitaler Teilhabe ermöglicht werden kann.
Stadtteiltreff OASE: Treff, Beratung und ehrenamtliche Beschäftigung
Der Stadtteiltreff OASE ist eine Begegnungsplattform für alle Bürgerinnen und Bürger des Stuttgarter Stadtteils Rot und den angrenzenden Stadtteilen in Trägerschaft der Evangelischen Gesellschaft Stuttgart e.V.12 Dabei ist sie ein niedrigschwelliger Anlaufpunkt für diejenigen, die von Armut, Benachteiligung, Krankheit, Isolation und Ausgrenzung betroffen sind. Viele Besucherinnen und Besucher beziehen soziale Transferleistungen oder leben von geringem Einkommen, welches das Grundsicherungsniveau kaum übersteigt. Etwa die Hälfte der Gäste sind Seniorinnen und Senioren.
Die Unterbringung im Bürgerhaus ist dabei besonders, da so armutsbetroffene Menschen und nicht armutsbetroffene Menschen aufeinandertreffen. Ein zentrales Angebot ist der preisgünstige Mittagstisch, der täglich angeboten wird. Die Speisen werden von Ehrenamtlichen – viele sind langzeiterwerbslos – frisch zubereitet. Am Nachmittag können die Gäste die Cafeteria besuchen, PC und Internet nutzen oder Tageszeitung lesen. Es gibt eine Tischtennisgruppe und regelmäßig stattfindende Näh-, und Spielenachmittage, sowie Kooperationen mit Foodsharing-Initiativen. Darüber hinaus finden regelmäßige Freizeit- und Kulturveranstaltungen (zum Beispiel ein Filmfest der Generationen) sowie gemeinsame Ausflüge (zum Beispiel ins Kino, in Museen oder zum Fernsehturm) statt.
Gerade der Mittagstisch ist eine Art »Türöffner« für Menschen, um sich zu treffen und zu verweilen. In dieser ungezwungenen und offenen Atmosphäre nehmen die Besuchenden dann gerne das vielfältige Beratungsangebot an, um Sorgen zu besprechen, mit denen sie häufig keine Beratungsstelle aufsuchen würden. Das Spektrum an Beratung reicht von lebenspraktischer Alltagsberatung, Haus- und Krankenhausbesuchen, Unterstützung bei Spendenanträgen, Hilfestellungen bei existenzsichernden Fragen bis hin zu qualifizierten Vermittlungen an und Begleitung zu spezifischen Fachdiensten, mit denen die OASE eine enge Kooperation pflegt (zum Beispiel Suchtberatung, Erziehungs- oder Wohnungslosenhilfe, Bürgerservice Leben im Alter). Einer dieser Kooperationspartner ist die Zentrale Schuldnerberatung Stuttgart (ZSB)13, die einmal in der Woche vor Ort Beratung anbietet. Diese können Besuchende ohne Termin oder Angabe von Namen in Anspruch nehmen und sich bei finanziellen Problemen beraten lassen. Ziel ist es, präventiv zu wirken und so Notlagen zu vermeiden, etwa durch eine Budgetberatung oder eine Beratung zu Finanzierungsangeboten. Bei extremen Notlagen werden die Betroffenen in die Insolvenzberatung weitergeleitet und dabei begleitet.
»Leider wird der Spielraum für Hilfe bei finanziellen Fragen immer geringer. Viele Besucherinnen und Besucher haben das Angebot möglicher Hilfeleistungen bereits voll ausgeschöpft und ihre alltäglichen Ausgaben schon auf ein Minimum reduziert. Ursachen sind unter anderem die hohe Inflation sowie steigende Energiepreise, die auch beim neuen Bürgergeld bisher zu wenig berücksichtigt wurden, zumal hilfreiche Neuerungen entweder noch nicht implementiert oder wie beim Wohngeld aktuell noch mit langen Bearbeitungszeiten verbunden sind. Es wird immer schwieriger den Betroffenen zu helfen.« (Herr Kramer, Schuldnerberatung).
Wichtig für die Beratung ist zudem die Netzwerkarbeit im Stadtteil mit anderen Kooperationspartnerinnen und Kooperationspartnern. Betroffene kommen so auch in Begleitung solcher Organisationen zur Beratung oder werden durch diese vermittelt.14
Digitale Angebote im Alter: Die PC- und Internet-Teams im Kreis Böblingen
Digitalisierung im Alter: Die Pandemie hat die Potenziale in der Anwendung digitaler Kommunikations- und Informationstechnologien aufgezeigt, insbesondere für ältere Menschen. Videotelefonate mit Familie und Freunden, Einkaufsbestellungen im Internet, Besuche von virtuellen Vorträgen oder Konzerten, Online-Banking, Online-Behördengänge, Videosprechstunden mit Ärzten, ein S-Bahn-Ticket kaufen und vieles mehr. Gerade in den Bereichen Gesundheit, Mobilität oder Wohnen stehen immer mehr »digitale Helfer« zur Verfügung, die den Alltag erleichtern und so dazu beitragen, länger im gewohnten Umfeld leben zu können. Obgleich die Potenziale digitaler Kommunikation unbestreitbar sind, kann die zunehmende Digitalisierung auch zur Exklusion von älteren Menschen führen. Laut Angaben des Landesseniorenrates Baden-Württemberg sind viele ältere Menschen weiterhin »Offlinerinnen und Offliner« und würden dadurch von einigen Möglichkeiten des gesellschaftlichen Lebens ausgeschlossen bzw. der Zugang sei ohne Nutzung der digitalen Wege für sie erschwert. Besonders ältere Menschen mit Armutserfahrung seien davon betroffen, da sie häufig kein Smartphone zur Verfügung hätten. Aus diesem Grund ist es für die Sicherstellung der Teilhabemöglichkeiten aller Seniorinnen und Senioren wichtig, insbesondere für Beratung und Antragstellung von staatlichen Leistungen weiterhin auch Offline-Strukturen bereit zu halten.
So hilft der Kreisseniorenrat Böblingen e. V. der älteren Generation bei der Nutzung von Internet, Smartphone und anderen digitalen Angeboten zu unterstützen. Das bedeutet, Älteren verschiedene Technologien zu zeigen, sie mit der Anwendung im Alltag vertraut zu machen und bei Problemen in der Praxis zu helfen. Im Rahmen der 2021 gestarteten Initiative »Nie zu alt für ein Smartphone« können Ältere ein Smartphone für 3 Monate leihen und werden in dieser Zeit von einer Patin oder einem Paten betreut. Das Angebot richtet sich primär an Menschen, die bisher keinen Zugang zu einem Smartphone hatten, beispielsweise weil sie es sich nicht zugetraut haben. Die Teilnehmenden sind meist zwischen 70 und 85 Jahre, einige auch über 90 Jahre alt. Teilnehmende tragen nur die Kosten für die Registrierung der SIM-Karte. Nach den 3 Monaten kann das Gerät zum Selbstkostenpreis (ca. 100 Euro) erworben werden, was die meisten auch wahrnehmen. Eine Mehrheit nimmt am Angebot teil, um Messengerdienste nutzen zu können. Die Möglichkeit so mit Familie und Freunden Kontakt haben und Bilder teilen zu können, ist eine wichtige soziale Komponente. Darüber hinaus lernen Teilnehmende unter anderem auch wie man ein Adressbuch einrichtet, eine Tank-App benutzt oder mit einer App umgeht, die Blumen erkennt.
Neben der genannten Initiative betreuen die Teams von Ehrenamtlichen auch »Internetcafés« und PC-Treffs und geben den Besucherinnen und Besucher dort Hilfestellung.15 Neben dem Thema PC und Smartphone informieren die Ehrenamtlichen auch zu Fragen rund um die »digitale Welt«. Dazu zählen Hilfsmittel, die Ältere zu Hause dabei unterstützen, weiterhin allein zu leben. Eine Vielzahl an Geräten kann dabei zum Einsatz kommen, zum Beispiel Geräte zur medizinischen Überwachung (Blutdruck, Gewicht, Medikamenteneinnahme), Kameras gekoppelt mit einem Türöffner, Sensoren die feststellen, ob die Person morgens schon auf ist oder überprüfen, ob die Herdplatte noch an ist, oder Staubsaugroboter, die bei der Reinigung der Wohnung unterstützen.
Insgesamt bestätigen die Analysen: Armut im Alter bedeutet nicht nur finanzielle Einschränkungen, vielmehr erstrecken sich die Auswirkungen einer solch prekären Lage auf unterschiedliche Lebensbereiche. Einige Anknüpfungspunkte, wie den Folgen von Altersarmut begegnet werden kann, wurden hier genannt. Weitere Ideen hierzu und konkrete Handlungsempfehlungen finden sich im ersten Bericht zur Gesellschaftlichen Teilhabe in Baden-Württemberg (siehe Faden-Kuhne et al. 2024a). Durch den Anstieg Älterer an der Gesamtbevölkerung und durch Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt ist für künftige Rentnerkohorten mit einem Anstieg von Altersarmut zu rechnen, wenn keine entsprechenden Gegenmaßnahmen getroffen werden (vgl. Velimsky und Faden-Kuhne 2024).