:: 4/2025

Queere Menschen weiterhin Gewalt und Diskriminierung ausgesetzt

Zur Lebenssituation von LSBTIQ*-Personen in Baden-Württemberg

Lesbische, schwule, bisexuelle, transsexuelle, transgender, intersexuelle und queere Menschen – kurz LSBTIQ*-Personen (siehe i-Punkt »Erläuterungen«) – in Baden-Württemberg sind weiterhin häufig herausfordernden und diskriminierenden Situationen ausgesetzt. Zu diesem Ergebnis kommt die Onlinebefragung »Bunt & Stark«, die die FaFo im Statistischen Landesamt im Sommer 2023 im Auftrag des Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Integration durchgeführt hat. Untersucht wurden die Themen Gesundheit, Diskriminierung, Gewalt, Bildung und Familie. 45 % der Teilnehmenden wurden in den letzten 12 Monaten aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität diskriminiert. Drei von vier befragten LSBTIQ*-Personen haben in diesem Zeitraum Gewalt gegen sich oder ihre Gleichbehandlung erfahren. Laut den Ergebnissen der Befragung ist Diskriminierung oftmals das Resultat von unzureichend geschultem Personal, Unwissenheit oder Unsicherheit.

Um Vorurteile gegenüber LSBTIQ*-Personen abzubauen, wurde in den Jahren 2013 bis 2015 unter Federführung des Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Integration der landes-weite Aktionsplan »Für Akzeptanz & gleiche Rechte Baden-Württemberg« entwickelt. Der Aktionsplan sensibilisiert die Öffentlichkeit für das Recht auf Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung und wirkt Ausgrenzung und Benachteiligung entgegen. Er entstand in Zusammenarbeit mit allen Ministerien der Landesregierung sowie in einem breit angelegten Beteiligungsprozess, den die FaFo begleitet hat.

Wie im Koalitionsvertrag von 2021 festgeschrieben, erfolgt in dieser Legislaturperiode in Zusammenarbeit mit dem Netzwerk LSBTTIQ Baden-Württemberg und den darin zusammengeschlossenen Gruppen, Vereinen und Initiativen eine Weiterentwicklung des Aktionsplans. Damit soll die geschlechtliche und sexuelle Vielfalt in allen Lebensbereichen gestärkt werden, ob im ländlichen Raum, in Bildung und Wissenschaft, in der Jugendarbeit, im Gesundheits- und Pflegesektor oder in der Arbeitswelt. Um eine empirische Basis für die Weiterentwicklung des Aktionsplans zu schaffen, wurde im Sommer 2023 im Auftrag des Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Integration von der FaFo die Onlinebefragung »Bunt & Stark« durchgeführt (siehe i-Punkt »Methodik der Onlinebefragung«). Insgesamt konnten die Angaben von 2.088 LSBTIQ*-Personen in Baden-Württemberg ausgewertet werden.

Die Onlinebefragung »Bunt & Stark« erhebt keinen Anspruch auf Repräsentativität. Sie kann also keine Aussage über die Gesamtheit der LSBTIQ*-Menschen in Baden-Württemberg treffen. Dennoch können aus der Befragung Erkenntnisse und Perspektiven auf die Lebensrealität von LSBTIQ*-Menschen in Baden-Württemberg gewonnen werden. Dieser Beitrag gibt einen Einblick die Ergebnisse der Onlinebefragung mit Fokus auf die Themenfelder Diskriminierung und Gewalt.1

Unsicherheit prägt Umgang mit LSBTIQ*-Menschen

Die Ergebnisse der Befragung zeigen, dass LSBTIQ*-Menschen in den aufgegriffenen Alltagskontexten durchaus positive Erfahrungen machen. Sie berichteten von respektvollen Begegnungen, zum Beispiel in der Gesundheitsversorgung oder Bildungseinrichtungen, teilweise auch im Verwaltungskontext. Sie wurden zu einem hohen Anteil ernstgenommen und wertgeschätzt. Sie stoßen jedoch auch häufig auf Unsicherheiten. So wissen ihre Gegenüber in einigen Situationen nicht, wie sie ihnen begegnen sollen. Ihre LSBTIQ*-Identität wird ignoriert oder nicht mitgedacht – besonders plakativ im Bildungskontext, wo Kinder- und Lehrbücher sowie Lehrpläne selten Identitäten jenseits der Hetero- und Cis-Normativität aufgreifen. Unwissenheit oder ungeschultes Personal erschweren die Kommunikation und den Umgang mit LSBTIQ*-Menschen. Nicht selten finden diese Unsicherheiten daher unbewusst in diskriminierendem Verhalten Ausdruck. Darüber hinaus erfuhr ein großer Anteil der befragten LSBTIQ*-Menschen in Baden-Württemberg Formen der Diskriminierungen, Gewalt und Hass, deren Ausprägungen über Unwissenheit hinausgehen und gezielt gegen LSBTIQ*-Menschen gerichtet werden. Die Befragten berichteten von psychischen Diskriminierungsformen, der Infragestellung ihrer Gleichberechtigung, aber auch von psychischer und physischer Gewalt.

Knapp die Hälfte der Befragten aufgrund LSBTIQ*-Identität diskriminiert

45 % der Befragten (n = 939) gaben an, aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und/oder ihrer geschlechtlichen Identität in den letzten 12 Monaten diskriminiert worden zu sein. Vor allem machten die Befragten diese Erfahrung in der Öffentlichkeit, den sozialen Medien beziehungsweise dem Internet oder im Privatbereich (vgl. Schaubild 1). Betrachtet man, ob diese Formen der Diskriminierung sehr oft oder oft vorkamen, so wurden Diskriminierungen in den sozialen Medien am häufigsten genannt, gefolgt von Diskriminierungen in der Öffentlichkeit.

Die meisten Befragten (60,6 %), die aufgrund ihrer LSBTIQ*-Zugehörigkeit diskriminiert wurden, haben nichts unternommen. Als Grund dafür äußerte mit 67,8 % die überwiegende Mehrheit den Eindruck, dass dies nichts bringe oder sie es zu belastend fänden (50,9 %). Ebenso gaben sie an, nicht gewusst zu haben, was sie tun können (41,3 %) oder Angst vor negativen Folgen zu haben (41,2 %). Diejenigen, die reagierten, gaben mit 37,8 % an, die diskriminierende Person angesprochen zu haben, 17,1 % haben sich über ihre rechtlichen Möglichkeiten informiert und 8,3 % reichten eine offizielle Beschwerde ein.

Gewalt gegen LSBTIQ*-Personen gestiegen

Laut aktuellem Bericht des Bundesinnenministeriums und des Bundeskriminalamts ist die Zahl der Straftaten gegen lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche sowie queere Menschen im Jahr 2023 in Deutschland um etwa 30 % gestiegen (BMI 2024).

Zu einer ähnlichen, subjektiven Einschätzung kommen die Teilnehmenden der Onlinebefragung. Dreiviertel der Befragten gingen davon aus, dass die Gewalt gegen LSBTIQ*-Menschen in den vergangenen 12 Monaten gestiegen ist. Jede fünfte Person darunter ging von einer stark gestiegenen Gewalt aus.

Im Kontrast dazu fühlten sich dreiviertel der Befragten in ihrer Region in den letzten 12 Monaten sicher, darunter 16,7 % sehr sicher und 58,1 % eher sicher. Dieses überwiegende Sicherheitsgefühl bestand über alle sexuellen Orientierungen und geschlechtliche Identitäten hinweg. LSBTIQ*-Menschen, die nach außen hin als LSBTIQ*-zugehörig gelesen werden, gehen signifikant seltener davon aus, dass sie in ihrer Region sicher sind. Ebenso fühlen sich mit einem Anteil von 64,2 % Menschen mit Migrationshintergrund signifikant seltener in ihrer Region sicher als LSBTIQ*Menschen ohne Migrationshintergrund (77 %).

Über die Hälfte der Befragten hat selbst Gewalt erlebt

Die Teilnehmenden wurden gefragt, ob sie selbst in den vorausgehenden 12 Monaten Formen der psychischen oder physischen Gewalt erlebt haben. Insgesamt berichteten 54,6 % der Befragten (n = 1.139) mindestens eine gewalttätige Reaktion auf ihre LSBTIQ*-Identität erlebt zu haben. Am häufigsten vertreten waren psychische Gewaltformen (vgl. Schaubild 2). Vor allem das Belächelt- oder Ausgelacht-Werden (45,1 %) oder Beleidigt- oder Beschimpft-Werden (35,8 %). Außerdem war mit 20,7 % jede fünfte Person in den vergangenen 12 Monaten von sexuellen Belästigungen betroffen. Bedrohungen wurden am vierthäufigsten berichtet und betrafen knapp 15 % der Befragten. Sexuelle Angriffe kamen bei 12,5 % der Befragten vor. Gewalttaten und Delikte wie körperliche Angriffe (6,7 %), Anspucken (5,6 %), Beschädigung von Eigentum (4,7 %), Diebstahl (2,4 %) und Vergewaltigungen (2,2 %) wurden ebenfalls angegeben, wenn auch seltener.

Der Einfluss des Gelesen Werdens wird in Schaubild 2 deutlich. LSBTIQ*-Menschen, die angeben, man sehe ihnen ihre Identität an, werden signifikant häufiger Opfer der unterschiedlichen Gewaltformen als diejenigen, die angeben, ihre LSBTIQ*-Identität sei für andere nicht sichtbar.

Die erfahrene Gewalt fand primär in der Öffentlichkeit statt. 741 Befragte nannten öffentliche Orte, 582 konkret öffentliche Verkehrsmittel. Doch auch online wurden 383 Befragte Opfer von psychischer Gewalt. 337 Personen gaben die Familie als Ort der Gewalterfahrung an, was wiederum unterstreicht, dass der private Bereich bzw. die eigene Familie nicht automatisch die Rückzugsorte für LSBTIQ*-Menschen sind, die sie eigentlich sein sollten.

LSBTIQ*-Menschen passen mitunter ihr Verhalten nach außen an, um Gewalt oder Belästigungen zu vermeiden. In den vergangenen 12 Monaten taten dies 90,1 % (von n = 1.955). Konkret haben in den vergangenen 12 Monaten über die Hälfte der Befragten bestimmte Orte nachts nicht alleine aufgesucht, sind Umwege gegangen und haben es vermieden, Symbole und Zeichen der LSBTIQ*-Community zu tragen, obwohl sie dies gerne getan hätten. Über ein Drittel der Befragten haben zudem Verhaltensweisen vermieden oder ihre Körpersprache kontrolliert, um keine Abwertung oder Gewalt zu provozieren, trugen aus demselben Grund andere Kleidung, als sie wollten und vermieden es, sich als Paar erkennen zu geben.

Weiterentwicklung des Aktionsplans im Gange

Die Ergebnisse der Onlinebefragung »Bunt & Stark« machen deutlich, dass Respekt, Toleranz und Akzeptanz gegenüber LSBTIQ*-Menschen nach wie vor keine Selbstverständlichkeiten sind.

Mit einer durch die FaFo durchgeführten Beteiligungsveranstaltung am 20. September 2024 wurde der Prozess zur Weiterentwicklung des Aktionsplans unter Einbindung aller Zielgruppen fortgesetzt. In enger Zusammenarbeit mit der Community, den Vereinen und Verbänden, der Politik und der Verwaltung wurde in acht Workshops an konkreten Zielen und Maßnahmen gearbeitet, um die geschlechtliche und sexuelle Vielfalt in allen Lebensbereichen – wie Kultur, Bildung, Wissenschaft, Freizeit, Jugendarbeit, Gesundheitswesen und Arbeitswelt – weiter zu verankern.

Die Ergebnisse der Online-Befragung und der Beteiligungsveranstaltung zeigen, wie wichtig es ist, weiterhin für das Recht auf Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung zu sensibilisieren und Ausgrenzung und Benachteiligung entgegenzuwirken.

1 Der vollständige Bericht ist verfügbar unter https://www.statistik-bw.de/FaFo/Publikationen/LSBTIQ_Onlinebefragung.pdf (Abruf: 16.01.2024).