Methodische Erläuterungen zum Innovationsindex 2024 für die Kreise und Regionen in Baden‑Württemberg
Der wirtschaftliche Erfolg einer Volkswirtschaft wird auch zukünftig von innovativen Produkten und Innovationen im Dienstleistungssektor abhängen. Aus diesem Grund benötigen Unternehmen für die Auswahl geeigneter Forschungs- und Entwicklungsstandorte, ebenso wie die Politik zur Gestaltung günstiger Rahmenbedingungen, fundierte Kenntnisse über die Innovationsfähigkeit des Landes, seiner Regionen und Kreise. Um das Innovationspotenzial verschiedener Wirtschafträume vergleichen zu können, wurde deshalb vom Statistischen Landesamt Baden-Württemberg ein Innovationsindex entwickelt. Im Innovationsindex für die Kreise und Regionen in Baden-Württemberg1 werden mehrere Innovationsindikatoren in einer Kennzahl gebündelt. Der Index wird für die 44 Stadt- und Landkreise sowie 12 Regionen in Baden-Württemberg im 2-jährigen Turnus berechnet.
1. Innovationsindikatoren
In die Berechnung des Innovationsindex für die Länder und Regionen der Europäischen Union fließen folgende Indikatoren ein:
Innovationsindikatoren für die Stadt- und Landkreise Baden-Württembergs*) |
||||||
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Indikator/Berichtsjahr1) |
Berechnungsjahr |
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2014 |
2016 |
2018 |
2020 |
2022 |
2024 |
|
FuE-Ausgaben insgesamt2) / nominales Bruttoinlandsprodukt, Berechnungsstand August 2023 |
2011 |
2013 |
2015 |
2017 |
2019 |
2021 |
FuE-Personal insgesamt (in VZÄ)3) / Erwerbstätige insgesamt (in VZÄ), Berechnungsstand August 2022 |
2011 |
2013 |
2015 |
2017 |
2019 |
2021 |
Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in industriellen Hochtechnologiebranchen4) / Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte insgesamt |
2013 |
2015 |
2017 |
2019 |
2021 |
2023 |
Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in wissensintensiven Dienstleistungsbranchen4) / Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte insgesamt |
2013 |
2015 |
2017 |
2019 |
2021 |
2023 |
Existenzgründungen in Hochtechnologiebranchen5) / Einwohner von 21 bis unter 60 Jahre 1) |
2013 |
2015 |
2017 |
2019 |
2021 |
2023 |
Veröffentlichte Patentanmeldungen aus der Wirtschaft und Wissenschaft6) / Einwohner von 21 bis unter 65 Jahre1) |
2011 |
2013 |
2015 |
2017 |
2019 |
2021 |
*) In die Berechnung gehen die Daten der 44 Stadt- und Landkreise Baden-Württembergs ein. 1) Zufallsbedingte Schwankungen werden geglättet. 2) Forschungs- und Entwicklungsausgaben des Wirtschafts-, Staats- und Hochschulsektors. FuE: Forschung und Entwicklung. 3) Forschungs- und Entwicklungspersonal des Wirtschafts-, Staats- und Hochschulsektors. VZÄ: Vollzeitäquivalente. 4) Eurostat-Klassifikation, NACE Rev. 2: 3-Steller-Ebene. 5) Betriebsgründungen von Hauptniederlassungen in Hochtechnologiebranchen. Eurostat-Klassifikation, NACE Rev. 2: 2-Steller-Ebene. 6) Patentanmeldungen beim Deutschen Patent- und Markenamt und beim Europäischen Patentamt nach Erfinderwohnsitz. Auswertung der Daten durch PATON Landespatentzentrum Thüringen. Datenquellen: Stifterverband Wissenschaftsstatistik, Statistisches Bundesamt, Bundesagentur für Arbeit, Deutsches Patent- und Markenamt, PATON Landespatentzentrum Thüringen, Arbeitskreis "Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder", Arbeitskreis "Erwerbstätigenrechnung des Bundes und der Länder", eigene Berechnungen. © Statistisches Landesamt Baden-Württemberg, 2024 |
2. Berechnung des Innovationsindex
Um die Information dieser Indikatoren in einer Kennzahl verdichten zu können, müssen diese auf ein einheitliches Messniveau gebracht, d.h. standardisiert werden. Hierzu wird das bei zusammengesetzten Indikatoren allgemein übliche Minimum-Maximum-Verfahren angewendet.
Zunächst wird jede Indikatorreihe i (1 bis 6) standardisiert. Dem höchsten Indikatorreihenwert max xij (j = 1 bis n, n = Anzahl der Daten je Indikatorreihe) wird der Wert 100 und dem kleinsten Indikatorreihenwert min xij der Wert 0 zugewiesen. Die Einzelindikatorwerte xij werden gemäß der Formel (xij − min xij) ∕ (max xij − min xij) × 100 umgerechnet.
Vom Einzelindikatorwert wird der niedrigste Wert der Reihe abgezogen, durch die Spannweite der Reihe geteilt und dieser Quotient mit 100 multipliziert. Durch diese Standardisierung wird für jede Indikatorreihe ein identischer Wertebereich geschaffen. Die Daten der Indikatorreihen liegen nun einheitlich zwischen 0 und 100. Diese standardisierten Einzelindikatoren gehen dann mit gleichem Gewicht in den Innovationsindex ein.
Die vorliegende Zeitreihe wurde über eine Rückrechnung realisiert. Die Innovationsindizes der Jahre 2014, 2016, 2018, 2022 und 2024 wurden hierzu neu berechnet. Die Standardisierung der Innovationsindikatoren dieser Jahre erfolgte auf Basis der Minimum-Maximum-Festlegung der aktuellen Indikatorreihen 2024, damit wird der intertemporale Vergleich der Werte möglich.2 Die Zeitreihe zeigt die relative Entwicklung der Innovationsfähigkeit der Kreise, und zwar im Vergleich zu den in die Berechnung einbezogenen Wirtschaftsräumen des Landes auf.
Ausgangspunkt zur Bestimmung der Innovationsdynamik ist die Hypothese, dass die Innovationsfähigkeit einem linearen Zeittrend folgt. Ob eine lineare Trendschätzung eine angemessene Modellierung ist, kann nicht abschließend beurteilt werden, denkbar wäre auch ein anderer Verlauf. Da die Anzahl der Beobachtungen gering ist, kann das lineare Modell als zulässige Vereinfachung angesehen werden. Die OLS-Schätzung (Ordinary Least Squares, Kleinste-Quadrate-Schätzung) des linearen Modells ist an bestimmte Bedingungen geknüpft, die sich vor allem auf die Eigenschaften der Störgrößen beziehen. Das Vorliegen dieser Bedingungen soll ebenfalls angenommen werden, auch im Hinblick auf die geringe Anzahl der zur Verfügung stehenden Daten. Die Bewertung der Innovationsdynamik erfolgte über die Steigung der Regressionsgeraden. Ist diese größer 0,25 Indexpunkte pro Jahr (kleiner minus 0,25)3 wird davon ausgegangen, dass ein positiver (negativer) Trend bezüglich der Innovationsfähigkeit vorliegt, das heißt, die Entwicklung der Innovationsfähigkeit war im betrachteten Wirtschaftsraum von der Tendenz her in den letzten Jahren aufwärts gerichtet (abwärts gerichtet)4. Liegt die Steigung der Trendgeraden im Bereich von ± 0,25 Indexpunkten, so kann für den Wirtschaftsraum keine Aussage bezüglich der Veränderung der Innovationsfähigkeit getroffen werden, beziehungsweise diese war im betrachteten Zeitraum vergleichsweise konstant.
3. Regionale Vergleichbarkeit
Ein Vergleich der Indexwerte auf Landesebene mit den Werten auf EU-Ebene ist nicht möglich. Der Innovationsindex wird für diese beiden unterschiedlichen Wirtschaftsräume separat berechnet. Für die Berechnung werden ähnliche Innovationsindikatoren eingesetzt; die gleichen Innovationsindikatoren liegen nicht vor.
4. Hochtechnologie und wissensintensive Dienstleistungsbranchen
Die statistische Abgrenzung der Hochtechnologie- und der wissensintensiven Dienstleistungsbranchen im Innovationsindex folgt der Klassifikation von Eurostat, dem Statistischen Amt der Europäischen Union.
Danach umfasst der Hochtechnologiesektor folgende Wirtschaftszweige:5
- Herstellung von chemischen Erzeugnissen (20)
- Herstellung von pharmazeutischen Erzeugnissen (21)
- Herstellung von Datenverarbeitungsgeräten, elektronischen und optischen Erzeugnissen (26)
- Herstellung von elektrischen Ausrüstungen (27)
- Maschinenbau (28)
- Herstellung von Kraftwagen und Kraftwagenteilen (29)
- Sonstiger Fahrzeugbau (30)
- Herstellung, Verleih und Vertrieb von Filmen und Fernsehprogrammen; Kinos; Tonstudios und Verlegen von Musik (59)
- Rundfunkveranstalter (60)
- Telekommunikation (61)
- Erbringung von Dienstleistungen der Informationstechnologie (62)
- Informationsdienstleistungen (63)
- Forschung und Entwicklung (72)
Auf 2-Steller-Ebene zählen zu den industriellen Hochtechnologiebranchen bzw. FuE-intensiven Industriezweigen die Wirtschaftszweige 20, 21 und 26 bis 30. Auf 3-Steller-Ebene zählen hierzu: 20, 21, 254 (Herstellung von Waffen und Munition), 26 bis 29, 30 ohne 301 (Schiff- und Bootsbau) und 325 (Herstellung von med. und zahnmed. Apparaten und Materialien).
Als wissensintensiv gelten Wirtschaftszweige des Dienstleistungssektors, in denen der Anteil der Hochschulabsolventen, der Beschäftigten mit natur- und ingenieurwissenschaftlicher Ausbildung und/oder der Beschäftigten mit Forschungs-, Entwicklungs- und Konstruktionstätigkeiten überdurchschnittlich hoch ist.
Zu den wissensintensiven Dienstleistungsbranchen werden folgende Wirtschaftszweige gezählt:6
- Schifffahrt (50)
- Luftfahrt (51)
- Verlagswesen (58)
- Herstellung, Verleih und Vertrieb von Filmen und Fernsehprogrammen; Kinos; Tonstudios und Verlegen von Musik (59)
- Rundfunkveranstalter (60)
- Telekommunikation (61)
- Erbringung von Dienstleistungen der Informationstechnologie (62)
- Informationsdienstleistungen (63)
- Erbringung von Finanzdienstleistungen (64)
- Versicherungen, Rückversicherungen und Pensionskassen (ohne Sozialversicherung), (65)
- Mit Finanz- und Versicherungsdienstleistungen verbundene Tätigkeiten (66)
- Rechts- und Steuerberatung, Wirtschaftsprüfung (69)
- Verwaltung und Führung von Unternehmen und Betrieben; Unternehmensberatung (70)
- Architektur- und Ingenieurbüros; technische, physikalische und chemische Untersuchung (71)
- Forschung und Entwicklung (72)
- Werbung und Marktforschung (73)
- Sonstige freiberufliche, wissenschaftliche und technische Tätigkeiten (74)
- Veterinärwesen (75)
- Vermittlung und Überlassung von Arbeitskräften (78)
- Wach- und Sicherheitsdienste sowie Detekteien (80)
- Öffentliche Verwaltung, Verteidigung und Sozialversicherung (84)
- Erziehung und Unterricht (85)
- Gesundheitswesen (86)
- Heime (ohne Erholungs- und Ferienheime), (87)
- Sozialwesen (ohne Heime), (88)
- Kreative, künstlerische und unterhaltende Tätigkeiten (90)
- Bibliotheken, Archive, Museen, botanische und zoologische Gärten (91)
- Spiel-, Wett- und Lotteriewesen (92)
- Erbringung von Dienstleistungen des Sports, der Unterhaltung und der Erholung (93)
5. Index und Ranking– kritisch betrachtet
Die Verdichtung von Informationen zu einer Kennzahl ist praktisch und hilfreich, da sie den Vergleich von Regionen und Kreisen erleichtert. Dabei gehen jedoch zwangsläufig auch Informationen verloren. Die angewandte Methode zur Verdichtung dieser Daten und im Besonderen die Anzahl, Auswahl und die Gewichtung der eingesetzten Indikatoren hat einen erheblichen Einfluss auf das Ergebnis. Bei deren Auswahl stehen die Validität und Reliabilität im Vordergrund, jedoch gibt es derzeit keine zuverlässige Methode, welche die Bedeutung der einzelnen Indikatoren für die Innovationsfähigkeit einer Region zuverlässig empirisch bestimmen kann.
Der hier vorgestellte Innovationindex bewertet die Innovationsfähigkeit in den Kreisen und deren Entwicklung. In die Analyse fließen alle Kreise in Baden-Württemberg unabhängig von ihrem wirtschaftlichen Schwerpunkt ein. Kreise, die weniger innovationsorientiert sind und deren Wettbewerbsfähigkeit mehr auf anderen Faktoren beruhen, belegen damit im Ranking zwangsläufig einen eher hinteren Rangplatz. Bei der Bewertung ist auch zu berücksichtigen, dass hier relativ kleine regionale Einheiten betrachtet werden. Innnovationsaktivitäten sind jedoch nicht lokal begrenzt, sie wirken über Kreisgrenzen hinweg, auch in Nachbarkreise und in das ganze Land. Durch diese Spillover-Effekte profitieren auch die weniger innovativen Kreise von Aktivitäten in anderen Kreisen. Eine Erfassung und Bewertung dieser Effekte ist bei der Berechnung des Index jedoch nicht möglich.
In die Berechnung des Innovationsindex fließen mehrere Einzelindikatoren ein, die eine vergleichende Bewertung der Innovationsfähigkeit von Regionen ermöglichen. Die Anzahl, Auswahl und die Gewichtung der eingesetzten Indikatoren hat einen erheblichen Einfluss auf das Ergebnis. Bei deren Auswahl stehen die Validität und Reliabilität dieser Indikatoren im Vordergrund. Als innovationsrelevante Indikatoren wurden in die Berechnung des Innovationsindex 2022 die Ausgaben für Forschung und Entwicklung (FuE), das FuE-Personal, die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in industriellen Hochtechnologiebranchen, die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in wissensintensiven Dienstleistungsbranchen, die Existenzgründungen in Hochtechnologiebranchen und die Anzahl der Patentanmeldungen aus Wirtschaft und Wissenschaft einbezogen. Um die interregionale Vergleichbarkeit zu gewährleisten, werden diese Indikatoren beispielsweise auf die Wirtschaftsleistung, auf die Erwerbstätigen oder die Einwohner der jeweiligen Regionen bezogen. Wie lässt sich die das Innovationpotenzial über diese Indikatoren messen? Die naheliegende Idee ist, dass Regionen mit starker Innovationsfähigkeit auch einen hohe Wert bei den zuvor aufgeführten Indikatoren aufweisen. Dennoch wird jeder dieser Indikatoren nur in einem Teilaspekt durch die Innovationsfähigkeit bestimmt. Der klassischer Input-Faktor im Innovationsprozess, der FuE-Aufwand, muss jedoch nicht zwangsläufig zu erfolgreichen Innovationen führen. Misst der klassischer Output-Faktor Patentanmeldungen den Innovationserfolg? Eine hohe Anzahl an Patentanmeldungen muss nicht zwangsläufig mit einer hohen Qualität einhergehen. Inwieweit das Patent überhaupt für einen wirtschaftlichen Erfolg genutzt wird, ist ebenfalls zunächst unklar. Auch der Indikator Existenzgründungen ist ein klassischer Output-Faktor im Innovationsprozess. Beeinflusst wird die Variable jedoch auch durch die Konjunktur, durch veränderte rechtliche Rahmenbedingungen oder durch andere Einflüsse, die sich der Kategorisierung entziehen.
1. ↑ Der Innovationsindex wird außerdem für die Länder und Regionen der Europäischen Union berechnet.
2. ↑ Die ermittelten Werte des Index sind damit nicht mit Berechnungen aus früheren Jahren vergleichbar.
3. ↑ D.h. 0,5 Indexpunkte im 2-iährigen Berechnungszeitraum.
4. ↑ Die Berechnung des Durchschnittswachstums reagiert sensibel auf die Wahl des Basisjahrs und wird daher nicht herangezogen.
5. ↑ Nummer der Amtlichen Klassifikation der Wirtschaftszweige (WZ) - Ausgabe 2008 - in Klammern.
6. ↑ Nummer der WZ in Klammern.