:: 3/2007

Modellrechnung zur künftigen Nachfrage nach Ausbildungsplätzen

Der Lehrstellenmarkt befand sich in den letzten Jahren in einer angespannten Lage. Viele Ausbildungsplatzbewerber – besonders Hauptschulabsolventen – mussten zunächst den Weg über eine berufsvorbereitende Maßnahme wählen. Um in dieser Situation den Jugendlichen bessere Perspektiven zu eröffnen, schlossen Vertreter von Wirtschaft und Regierung im Juni 2004 den »Nationalen Pakt für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs« mit einer Laufzeit von 3 Jahren ab. Gegen Ende der Laufzeit dieses Paktes geht nun diese Modellrechnung in drei Szenarien der Frage nach, wie viele Schulabsolventen in den kommenden Jahren einen Ausbildungsplatz nachfragen könnten.

Zunächst dürfte die Nachfrage noch weiter ansteigen, bevor mittelfristig die demografische Entwicklung zu einer Entspannung auf dem Lehrstellenmarkt führen kann. Der Abiturientenjahrgang 2012 dürfte aber noch einmal zu einem verschärften Wettbewerb um Ausbildungsplätze führen, wenn möglicherweise zusätzlich 15 000 bis 16 000 Abiturienten in die duale Berufsausbildung drängen.

2005: 73 000 Ausbildungsverträge abgeschlossen – Bedarf gedeckt?

Das duale System der Ausbildung in gesetzlich anerkannten Ausbildungsberufen ist nach wie vor der zentrale Bereich der Berufsausbildung in Deutschland. Im Jahr 2005 wurden in Baden-Württemberg 73 076 neue Ausbildungsverträge abgeschlossen, knapp 500 weniger als im Jahr davor. Die Berufsbildungsstatistik gibt allerdings keine Auskunft darüber, ob damit der Bedarf an Ausbildungsplätzen aus Sicht der Bewerber gedeckt war.

Neben dem dualen System steht den Ausbildungswilligen auch die Möglichkeit einer rein schulischen Berufsausbildung offen. Fast 31 000 Jugendliche schlugen im Jahr 2005 diesen Weg ein. Nach den Ergebnissen der Schulstatistik hatten gut drei Viertel von ihnen als schulische Qualifikation einen mittleren Bildungsabschluss, fast ein Sechstel die Fachhochschul- oder Hochschulreife. Die Zahl von knapp 17 000 Schülerinnen und Schülern im Berufsvorbereitungsjahr und in vergleichbaren Bildungsgängen zeigt aber, dass diese Jugendlichen keinen Ausbildungsplatz finden konnten.

Daneben liefert auch die Statistik der Bundesagentur für Arbeit Hinweise auf die Versorgung mit Ausbildungsplätzen1. Bei den Arbeitsagenturen in Baden-Württemberg waren im September 2005 gut 3 300 noch nicht vermittelte Bewerber gemeldet, denen 2 100 unbesetzte Ausbildungsplätze gegenüberstanden. Zu den »vermittelten« Bewerbern zählen hier allerdings auch solche, die lediglich an einer berufsvorbereitenden Maßnahme oder einer Einstiegsqualifikation teilnehmen. Zusammen mit den neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen ergeben diese Zahlen eine Angebots-Nachfrage-Relation von 98,4 %. Dies bedeutet, dass auf 1 000 Ausbildungsplatzsuchende in Baden-Württemberg 984 Ausbildungsplätze kamen.

Im Vergleich zum gesamten Bundesgebiet lag Baden-Württemberg über dem Durchschnitt: Der Wert für Deutschland betrug 95,2 %. Die ungünstigste Relation wies die Arbeitsagentur Wiesbaden mit 80,4 % auf. Mit 108,0 % markierte die Arbeitsagentur Ansbach das andere Ende der Skala. Auch in Baden-Württemberg gab es regionale Unterschiede. Dabei lag die Arbeitsagentur Balingen, die die Landkreise Sigmaringen und Zollernalbkreis umfasst, mit einem Wert von 93,7 % als einzige unter dem Bundesdurchschnitt. Immerhin 6 Arbeitsagenturen gehörten zu den bundesweit 28, die ein Verhältnis von 100,0 % oder darüber verbuchen konnten.

Zunächst höhere Nachfrage zu erwarten, …

Bereits in früheren Jahren hat das Statistische Landesamt versucht, auf Basis einer Vorausrechnung der Schulabgängerzahlen den künftigen Bedarf an Ausbildungsplätzen zu schätzen2. Aufbauend auf die im letzten Jahr veröffentlichte Absolventenvorausrechnung3 wird nun wieder eine Modellrechnung zum Ausbildungsplatzbedarf vorgelegt. Es wurden drei Szenarien entwickelt: »Status quo«, »Durchschnitt 2001 bis 2005« und »Vollversorgung« (vgl. i-Punkt).

Die Tabelle zeigt die Ergebnisse der Modellrechnungen. Entsprechend den gewählten Annahmen liefert Szenario 1 »Status quo« die niedrigsten Werte und Szenario 3 »Vollversorgung« die höchsten. Für das vergangene Jahr 2006 ergaben sich je nach Szenario zwischen 75 100 und 82 200 neu abgeschlossene Ausbildungsverträge. Damit wären zur Erhaltung des Status quo an Übergängen von der Schule in die Berufsausbildung 2 000 zusätzliche Ausbildungsverhältnisse erforderlich. Für eine »Vollversorgung« der Schulabgänger mit und ohne Hauptschulabschluss hätten sogar gut 9 000 Verträge mehr als im Jahr 2005 abgeschlossen werden müssen. Dabei bezieht sich die »Vollversorgung« nur auf die Schulabgänger des Jahres 2006. Darüber hinaus gibt es aber noch eine beträchtliche Zahl an »Altbewerbern«, die bereits früher die Schule verlassen, aber bislang noch keinen Ausbildungsplatz gefunden haben. Diese Altbewerber bleiben im Rahmen dieser Modellrechnung außer Betracht. Erste Ergebnisse für das Ausbildungsjahr 2006 aus dem Bereich Industrie und Handel sowie aus dem Bereich des Handwerks lassen darauf schließen, dass der Status quo in etwa gehalten werden konnte.

Der Höhepunkt des Ausbildungsplatzbedarfs wird voraussichtlich im laufenden Jahr 2007 erreicht. Die Modellrechnung führt zu Ergebnissen von 75 600 Ausbildungsverträgen in Szenario 1 bis zu 82 800 Verträgen in Szenario 3. Danach ist – mit Ausnahme des Spezialfalls 2012 – mit durchgehend sinkenden Zahlen zu rechnen.

… aber mittelfristig deutliche Rückgänge

Im weiteren Verlauf der Modellrechnung führt dies früher oder später zu Resultaten, die unter dem Niveau von 2005 liegen. Für das »Status-quo-Szenario 1« ist dies bereits im Jahr 2010 der Fall. Im Jahr 2020 läge die Zahl der Ausbildungsverträge mit 60 500 sogar um rund 12 600 niedriger als 2005. Dies entspräche einem Rückgang um 17 %. Beim »Durchschnitts-Szenario 2« würde im Jahr 2011 die Zahl der Ausbildungsverträge aus dem Jahr 2005 unterschritten.

Das »Vollversorgungs-Szenario 3« führt deutlich später zu einem Unterschreiten des Niveaus von 2005: Erst im Jahr 2016 fällt dort die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge mit 73 000 knapp unter den Wert von 2005. Doch auch in diesem Szenario ergibt sich bis 2020 ein deutlicher Rückgang auf nur noch 65 500 Neuabschlüsse, gut 10 % weniger als 2005.

In den nächsten Jahren dürfte nach den Ergebnissen dieser Modellrechnung die Anspannung auf dem Lehrstellenmarkt also eher noch zunehmen, wenn die wirtschaftliche Entwicklung nicht für zusätzliche Ausbildungsplatzkapazitäten sorgt. Mittelfristig ist aber aus demografischen Gründen mit einer spürbaren Entspannung zu rechnen. In längerfristiger Betrachtung ist allerdings zu bedenken, dass es auch einmal schwierig werden könnte, qualifizierten Nachwuchs für altersbedingt ausscheidende Fachkräfte zu finden.

2012: Zusätzliche Nachfrage durch zwei Abiturientenjahrgänge

Für das Jahr 2012 ist neben der »üblichen« Nachfrage nach Ausbildungsplätzen noch die Wirkung des »doppelten« Abiturientenjahrgangs 2012 zu berücksichtigen. Um dessen Auswirkungen auf die Nachfrage nach Ausbildungsplätzen abzuschätzen, wird zusätzlich zu den drei Grund-Szenarien jeweils noch eine »Variante B« für das Jahr 2012 berechnet. Dafür wird im ersten Schritt die Zahl der Erstsemester im Studienjahr 2005 mit in Baden-Württemberg erworbener Hochschulzugangsberechtigung ermittelt: Diese betrug 40 017. Unter der Annahme, dass diese Zahl der heutigen Studienplatzkapazität entspricht, werden dazu die 16 000 Studienplätze addiert, die gemäß den Planungen des Wissenschaftsministeriums bis 2012 in Baden-Württemberg neu geschaffen werden sollen4. Dies soll der Studienplatzkapazität 2012 entsprechen – ohne Berücksichtigung der Möglichkeit für hiesige Absolventen in anderen Bundesländern einen Studienplatz zu finden und ohne Berücksichtigung der Möglichkeit, dass auch auswärtige Schulabsolventen diese zusätzlichen Studienplätze in Anspruch nehmen können. Dabei wird vereinfachend angenommen, dass der Übertritt von Abiturienten in das duale System ohne Zeitverzögerung im Jahr 2012 erfolgen würde.

Über die Ergebnisse der Basis-Variante hinaus führt dies zu einer Nachfrage bei der »Status-quo-Variante« und der »Vollversorgungs-Variante« von weiteren 9 800 Ausbildungsplätzen. Da in den Szenarien 1 und 3 dieselben Ansätze für die Übergänge von Abiturienten in die duale Berufsausbildung zugrunde gelegt wurden, unterscheiden sich die Ergebnisse der Berechnung von »Variante B« in diesen beiden Fällen nicht. Die niedrigere Übergangsquote für Schulabsolventen mit Hochschulzugangsberechtigung in Szenario 2 führt zu einer größeren »Versorgungslücke« für Abiturienten im Jahr 2012: In diesem Fall würden über 12 000 zusätzliche Ausbildungsplätze benötigt.

Gemessen an einer rein demografisch bedingten Entwicklung der Ausbildungsplatznachfrage ergeben sich in den Szenarien 1 und 3 jeweils um ein Jahr vorgezogene Nachfragen. Im Abiturientenjahrgang 2012 sind das voraussichtlich 15 000 Ausbildungsplätze. Bei Szenario 2 ist mit etwas über 16 000 zusätzlichen Ausbildungsplatznachfragern zu rechnen. In den Jahren ab 2012 ist also vorübergehend ein verstärkter Verdrängungswettbewerb auf dem Lehrstellenmarkt mit negativen Auswirkungen für Jugendliche mit Realschul- und Hauptschulabschluss zu erwarten. Möglicherweise werden diese dann in größerem Umfang vollzeitschulische Angebote in Anspruch nehmen wollen oder müssen.