:: 12/2008

Komponenten der Wirtschaftsentwicklung in den Regionen Baden-Württembergs und die Bedeutung der Wissenswirtschaft

Die Wirtschaftsleistung Baden-Württembergs, gemessen als Bruttowertschöpfung, lässt sich aus dem Blickwinkel verschiedener regionaler und sektoraler Teilaggregate betrachten. Regional kommen alle Gebiete infrage, die sich aus den Stadt- und Landkreisen als kleinste Einheit bilden lassen. Sektoral steht als tiefste Untergliederung auf der Rechenebene die Bruttowertschöpfung von 57 Wirtschaftszweigen zur Verfügung. Diese zweidimensionale Gliederung eröffnet die Möglichkeit, die regionale Wirtschaftsleistung in trendgestützte, standortbedingte und strukturelle Wachstumsbeiträge zu differenzieren (Shift-Share-Analyse), was in einem früheren Beitrag für die Stadt- und Landkreise des Landes bereits vorgenommen wurde.1

Der vorliegende Beitrag greift die Grundidee dieses Ansatzes auf, indem er zum einen die Entwicklung der preisbereinigten Wirtschaftsleistung der 12 Regionen Baden-Württembergs hinsichtlich der genannten Wachstumsbeiträge analysiert. Zum anderen wird versucht, die strukturellen Wachstumsbeiträge der Regionen bezüglich der regionalen Bedeutung der Wissenswirtschaft zu quantifizieren. Dabei geht die folgende Untersuchung methodisch über die herkömmliche Shift-Share-Analyse hinaus, indem alternativ ein entsprechendes ökonometrisches Modell geschätzt wird. Die Ergebnisse zeigen, dass die (betragsmäßig) starken Standorteffekte mit Vorsicht zu interpretieren sind.

FuE-intensive Industrien besonders wachstumsstark

Wirtschaftliches Wachstum kann heute in erster Linie durch Bildung erreicht werden, die letztlich in produktiv einsetzbares Wissen (und Können) mündet. Dies scheint inzwischen in der öffentlichen Diskussion allgemeiner Konsens zu sein. Um zu verstehen, welche Rolle der Wissenswirtschaft im Wachstumsprozess zukommt, ist eine Abgrenzung entlang der Wirtschaftszweigsystematik der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen nötig. Unter dem Begriff »Wissenswirtschaft« werden hier FuE-intensive Industrie- sowie wissensintensive Dienstleistungsbranchen verstanden.2 Auf Grundlage dieser Differenzierung fallen zu-nächst die deutlich unterschiedlichen Entwicklungslinien auf (vgl. Schaubild 1): Während die FuE-intensiven Industriebranchen zwischen 1996 bis 2006 ihre Bruttowertschöpfung preisbereinigt um 55 % (bzw. pro Jahr um 4,5 %) steigern konnten, stagnierten die nicht wissensintensiven Industriebranchen3 mit einem Wachstum über den Gesamtzeitraum von weniger als 4 % (bzw. pro Jahr um knapp 0,4 %) nahezu.

Was die Dienstleistungsbranchen angeht, besteht hinsichtlich der Wachstumsdynamik kaum ein Unterschied zwischen wissensintensiven und nicht wissensintensiven Branchen: Mit einer Steigerung der realen Wirtschaftsleistung um 17 % (um 1,6 % pro Jahr) bleiben beide Wirtschaftszweige hinter dem gesamtwirtschaftlichen Wert von 21 % (knapp 2 % pro Jahr) zurück. Angesichts der Wachstumsdynamik und des Wertschöpfungsanteils der FuE-intensiven Industrien von immerhin 22 % im Jahr 2006 im Land, können diese Branchen mit gutem Grund als Wachstumsmotor der heimischen Wirtschaft bezeichnet werden.4

Regionales Wachstum: Trend, Struktur- und Standorteffekte als Triebfedern?

Liegt der Schlüssel zu hohen Wachstumsraten für die Regionen des Landes also vornehmlich in einem hohen Wertschöpfungsanteil FuE-intensiver Industriebranchen? Zu berücksichtigen ist, dass hinter diesem Begriff heterogene Wirtschaftszweige und letzten Endes auch einzelne Betriebe stehen, die sich regional beispielsweise in ihrem Grad an Forschungsintensität sehr unterscheiden können. Aus diesem Grund liegt die Vermutung nahe, dass die Branchenstruktur wahrscheinlich eine wichtige Komponente zur Erklärung regionaler Wirtschaftsleistung ist, jedoch auch noch andere Faktoren wirksam werden. Um diesen »anderen Faktoren« auf die Spur zu kommen, bedient sich die Regionalökonomie eines als Shift-Share-Analyse bezeichneten Instruments (vgl. i-Punkt). Dieser Ansatz greift die Überlegung auf, dass Betriebe, die der gleichen Branche zuzuordnen sind, unterschiedliche Beiträge zur regionalen Wirtschaftsentwicklung leisten. Welche Gründe hier auch immer im Einzelnen zu nennen sind, die Shift-Share-Analyse bezeichnet diese pauschal als standortbedingt. Als dritte Triebfeder für regionales Wirtschaftswachstum schließlich identifiziert der Ansatz die allgemeine Wirtschaftsentwicklung.

Das mittels Shift-Share-Analyse differenzierte regionale Wirtschaftswachstum ergibt sich somit als Summe von trendmäßigem, strukturellem und standortbedingtem Wachstumsbeitrag, wobei die beiden Letztgenannten als regionale Abweichungen von der landesdurchschnittlichen Entwicklung zu verstehen sind. Daraus folgt, dass die Summe der gewichteten strukturellen Wachstumsbeiträge ebenso null ergibt wie die der standortbedingten Wachstumsbeiträge.

Die Kritik an diesem Ansatz knüpft vor allem daran an, dass es sich bei der skizzierten Vorgehensweise in ihrer ursprünglichen Form methodisch eher um eine Beschreibung als eine Erklärung eines Sachverhalts (hier: des regionalen Wirtschaftswachstums) handelt. Aus diesem Grund wird im Folgenden auf eine ökonometrische Variante der traditionellen, deskriptiven Shift-Share-Analyse zurückgegriffen.5 Vorteil einer solchen alternativen (empirischen) Schätzung ist, Aussagen darüber zu treffen, inwiefern es sich bei den errechneten Struktur-, Standort- und Trendkoeffizienten um signifikante Werte handelt, ob die Werte also mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit von null verschieden sind. Durch die Art und Weise der Schätzung ist sichergestellt, dass die Summe der Standorteffekte und die Summe der Struktureffekte jeweils für Baden-Württemberg insgesamt wieder null ergibt (und die Grundidee der Shift-Share-Analyse damit erhalten bleibt). Zusätzlich wird, wie bei jeder Schätzung, der durch das Modell nicht erklärbare Rest ausgewiesen.6 Die Ergebnisse finden sich in der Tabelle und visualisiert in Schaubild 2.

Günstiger Struktureffekt kein Garant für überdurchschnittliches Wirtschaftswachstum

Schaubild 2 zeigt zunächst, dass das Land Baden-Württemberg bezüglich des Wirtschaftswachstums seiner Regionen – abgesehen von der Region Heilbronn-Franken – ein »Süd-Nord-Gefälle« aufweist. Die dargestellten regionalen Wachstumsbeiträge ergeben in ihrer Summe den als Punkt dargestellten Wert für das regionale preisbereinigte Wachstum der Bruttowertschöpfung (BWS) abzüglich des Trendwachstums, also der Wachstumsrate der preisbereinigten BWS des Landes. Die Variablen, die die Wachstumsbeiträge der Wirtschaftsbereiche quantifizieren, weisen mit Ausnahme der Variable »Land- und Forstwirtschaft, Fischerei« einen hochsignifikanten Einfluss7 auf – allerdings nur bei den FuE-intensiven Industrien mit einem positiven Vorzeichen. Der entsprechende Koeffizient besagt, dass eine fiktive Region, in der ausschließlich FuE-intensive Industrien angesiedelt wären, unter sonst gleichen Umständen ein Wirtschaftwachstum erzielt hätte, das das allgemeine Trendwachstum um gut 30 Prozentpunkte übertroffen hätte. Dies ist ein weiteres Argument für den Erhalt der zuletzt wieder verstärkt in den Mittelpunkt gerückten »industriellen Basis« im Land.

Für die Regionen Baden-Württembergs müssen die einzelnen Wirtschaftstrukturkoeffizienten aus der Tabelle mit den Anteilen der Wirtschaftsbereiche an der regionalen Wirtschaftsleistung gewichtet aggregiert werden, um den (Gesamt-) Struktureffekt zu erhalten. Dieser findet sich als dunkelblauer Balken in Schaubild 2 wieder. Ein klarer Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und den regional wirksamen Struktureffekten lässt sich hieraus bemerkenswerterweise nicht erkennen. So leistet der Struktureffekt in den beiden wachstumsstärksten Regionen Baden-Württembergs, der Region Donau-Iller und der Region Bodensee-Oberschwaben, nur einen vergleichsweise geringen Wachstumsbeitrag. Die dritt- bzw. viertplatzierten Regionen, Schwarzwald-Baar-Heuberg bzw. Heilbronn-Franken, erzielten im Beobachtungszeitraum Wachstumsraten, die sich nur geringfügig unterscheiden.

Deutliche Unterschiede bestehen aber in den Wachstumsbeiträgen der einzelnen Komponenten: Während die Region Schwarzwald-Baar-Heuberg nicht zuletzt wegen des großen Anteils landesweit wachstumsstarker Branchen ihr überdurchschnittliches Ergebnis erzielte, liegt die Region Heilbronn-Franken trotz ungünstigerer Wirtschaftsstruktur fast gleichauf. Für die Regionen Hochrhein-Bodensee und Südlicher Oberrhein hätte die Wirtschaftsstruktur ebenfalls nur ein unterdurchschnittliches Wachstum erwarten lassen. Stattdessen liegen die Wachstumsraten beider Regionen über dem Landesmittel. Dagegen konnte der große strukturelle Wachstumsbeitrag der Region Stuttgart – in keiner Region des Landes ist der Struktureffekt größer – nicht verhindern, dass das Wachstum dieser Region zwischen 1996 und 2006 unter dem Durchschnittswachstum des Landes lag.

Standorteffekt als Maßstab für Standortgüte?

Die Beispiele der wachstumsstärksten Regionen und der Region Stuttgart illustrieren den Erklärungsgehalt dieser Analyse recht anschaulich: Wären die in der Region Stuttgart vertretenen Wirtschaftszweige ebenso gewachsen wie im Landesdurchschnitt, wäre zu erwarten gewesen, dass das Wirtschaftswachstum allein strukturell bedingt um 2,4 Prozentpunkte über dem Landesmittel gelegen hätte. Tatsächlich lag der Wert um 1,2 Prozentpunkte unter diesem Referenzwert. Der Grund ist, dass die Wirtschaftszweige in der Region Stuttgart systematisch, das heißt unabhängig von der Wirtschaftsstruktur, ein um 3,7 Prozentpunkte niedrigeres Wachstum aufweisen als im Landesdurchschnitt. Im Gegensatz zu den Standorteffekten der übrigen Regionen erweist sich dieser Wert als hoch signifikant. Der unerklärte Rest ist hier zudem sehr gering.

Die für die übrigen Regionen errechneten Standorteffekte liefern betragsmäßig fast durchweg höhere Wachstumsbeiträge als die Strukturfaktoren, wie aus Schaubild 2 ersichtlich wird. Dennoch ist bezüglich einer vorschnellen Gleichsetzung von Standorteffekt und Standortgüte Vorsicht angezeigt, wie die in der Tabelle angegebenen p-Werte signalisieren und wie am Beispiel der Region Ostwürttemberg zu erkennen ist: Der Standorteffekt ist betragsmäßig klein, aber positiv. Allerdings ist die Streuung um diesen Wert (und damit der Standardfehler) relativ groß. Beides zusammen führt im konkreten Fall dazu, dass die Irrtumswahrscheinlichkeit8 bei 98 % liegt, wenn die Hypothese »Standorteffekt in der Region Ostwürttemberg beträgt null« abgelehnt wird. Für die Entscheidung, welche Irrtumswahrscheinlichkeit akzeptabel ist, existieren keine objektiven Kriterien. Üblicherweise wird in der statistischen Praxis ein Signifikanzniveau von bis zu 10 % verwendet. Für den Standorteffekt der Region Stuttgart dürfte wohl ein Konsens zu erzielen sein, die Nullhypothese abzulehnen und von einem negativen Standorteffekt auszugehen; für die Region Ostwürttemberg spricht der hohe p-Wert dafür, die Nullhypothese beizubehalten.

In vielen Regionen Baden-Württembergs ist der Befund weniger eindeutig – so zum Beispiel für den hohen Standorteffekt der wachstumsstärksten Region Donau-Iller, aber auch für den stark negativen Standorteffekt des Schlusslichts, der Region Mittlerer Oberrhein. Die bis auf die genannte Ausnahme relativ geringe Signifikanz der regionalen Standorteffekte deutet darauf hin, dass sich aus dem rechnerischen Vergleich der regionalen Branchenwachstumsraten in der Regel kaum belastbare Hinweise auf die Standortqualität einer Region ergeben, da die Streuung der regionalen Wachstumsraten um die geschätzten Werte zu groß ist. Insbesondere für wachstumsschwache Regionen liegt in der Erkenntnis auch ein gewisser Trost: Die oft geringe statistische Signifikanz des Standorteffekts könnte auf eine politische »Gestaltbarkeit« regionaler Wirtschaftsentwicklung verweisen. Ein Grund für die große Streuung ist unter anderem, dass regionales Wirtschaftswachstum in nicht geringem Ausmaß auch von einzelnen, hinsichtlich ihrer Wirtschaftskraft mitunter dominierenden Betrieben getragen werden kann, die sich einer konjunkturellen Sonderentwicklung gegenübersehen.

1 Vgl. Vullhorst, Udo: »Regionale Wirtschaftsleistung in Baden-Württemberg«, in: »Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 7/2008«.

2 Für die wirtschaftssystematische Abgrenzung der Wissenswirtschaft vgl. zum Beispiel Fischer, Berthold: »Unternehmensgewinne und Arbeitnehmerentgelte«, in: »Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 8/2007«.

3 Das Baugewerbe wurde den nicht FuE-intensiven Industriebranchen zugeschlagen; der Bereich Land-, Forstwirtschaft und Fischerei wird im Folgenden gesondert betrachtet.

4 Auf die nicht FuE-intensiven Industrien entfiel 2006 ein entsprechender Wertschöpfungsanteil von 17 %, die wissensintensiven Dienstleistungsbranchen kamen auf 33 % und die nicht wissensintensiven Dienstleistungsbranchen erwirtschafteten 27 %.

5 Vgl.: Patterson, Murray G. (1991): A Note on the Formulation of a Full-Analogue Regression Model of the Shift-Share Method, in: Journal of Regional Science, Vol. 31 (2), 211–216.

6 Der Erklärungsgehalt des Modells ist recht hoch: Das Bestimmtheitsmaß von R2 = 0,87 besagt, dass der Anteil der durch das Modell erklärten Variabiltität bei 87 % liegt.

7 Die Hypothese, dass die Strukturvariablen keinen Einfluss auf das regionale Wirtschaftswachstum haben, kann also mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 5 % oder weniger zurückgewiesen werden.

8 Vgl. Fußnote 7.