:: 2/2012

Die Pendlermobilität steigt überall in Baden-Württemberg

Die Mobilität der Berufspendler in Baden-Württemberg ist zwischen 2005 und 2009 weiter gestiegen. Gleichzeitig wächst die Bevölkerung in den großen Städten überdurchschnittlich, während die Zahl der Arbeitsplätze in den Umlandgemeinden die größeren Wachstumsraten zeigt. Diese neuen Trends in der Entwicklung der Siedlungsstruktur mögen einen Einfluss auf Richtung und Struktur der Berufspendlerströme haben. Entsprechende räumliche Unterschiede im Anstieg der Pendlermobilität sind jedoch nicht feststellbar.

Mehr Pendlermobilität …

Die Mobilität der Erwerbstätigen in Baden-Württemberg ist nach den Ergebnissen der Berufspendlerrechnung zwischen 2005 und 2009 weiter gestiegen. Zwei Indikatoren deuten darauf hin: Zum einen sank der Anteil der Erwerbstätigen, die in ihrer Wohngemeinde arbeiten von 44,8 auf 43,5 %. Zum anderen stieg die durchschnittliche Pendelentfernung der Erwerbstätigen von 10,3 auf 10,9 Kilometer Luftlinie. Dies mag auf den ersten Blick als vernachlässigbare Größenordnung erscheinen. In Anbetracht des für raumstrukturelle Veränderungen kurzen Beobachtungszeitraums von 4 Jahren und der Tatsache, dass diese Indikatoren sich seit Jahrzehnten stetig in die gleiche Richtung entwickeln1, ist dieser Mobilitätsanstieg dennoch eine nähere Betrachtung wert.

… trotz neuer Trends in der Siedlungsstruktur

Die Jahrzehnte andauernde Suburbanisierung in Baden-Württemberg schwächt sich seit der Jahrtausendwende ab. Dieser Trend der Stadt-Umland-Wanderung der Bevölkerung und der Verlagerung von Arbeitsplätzen aus den Städten in das Umland wurde in der Vergangenheit häufig für die Zunahme des Berufspendleraufkommens verantwortlich gemacht. Mittlerweile werden teilweise sogar Tendenzen der Reurbanisierung der Bevölkerung beobachtet. 2 Im Beobachtungszeitraum 2005 bis 2009 haben sich die räumlichen Verteilungsunterschiede der Wohnsitze der Erwerbstätigen und der traditionell stärker regional konzentrierten Arbeitsplätze ganz leicht in Richtung einer Angleichung der Verteilungen entwickelt. Der sogenannte strukturbedingte Mindestanteil der Pendler3, das ist der Anteil der Erwerbstätigen in Baden-Württemberg, der aufgrund dieser Verteilungsunterschiede zur Arbeit in eine andere Gemeinde auspendeln müsste, sank zwischen 2005 und 2009 minimal von 18,6 auf 18,5 %.

Vor diesem Hintergrund wird im Folgenden anhand einer Gemeindetypisierung nach Arbeitsmarktzentralität (siehe i-Punkt) untersucht, ob die Veränderung der Pendlermobilität entsprechend den neuen siedlungsstrukturellen Trends im Land regionale Unterschiede zeigt.

Bevölkerungszuwachs in den Großstädten

In Baden-Württemberg insgesamt wuchs die Bevölkerung zwischen 2005 und 2009 mit + 0,1 % kaum noch. Die Kernstädte wiesen allerdings mit durchschnittlich +1,6 % noch ein etwas deutlicheres Einwohnerplus auf. Dies war darauf zurückzuführen, dass wesentlich mehr Personen dorthin zuzogen als fortzogen. In den übrigen Arbeitsmarktzentren und in den Umlandgemeinden sank die Einwohnerzahl um durchschnittlich 0,2 bzw. 0,3 %. Im Unterschied zu den Umlandgemeinden verzeichneten die Ober- und Mittelzentren im Durchschnitt jedoch leichte Wanderungsgewinne.

Mehr Arbeitsplätze vor allem in den Umlandgemeinden

Die Zahl der in Baden-Württemberg lebenden Erwerbstätigen4 hat sich zwischen 2005 und 2009 mit einem Plus von 3,2 % stärker erhöht als die Einwohnerzahl. Das Schaubild verdeutlicht, dass die Entwicklung in den Zentralitätstypen unterschiedlich verlief. In den Kernstädten Baden-Württembergs nahm die Zahl der dort lebenden Erwerbstätigen mit durchschnittlich + 4 % analog zur Bevölkerungsentwicklung am stärksten zu. Die Zahl der Arbeitsplätze, gemessen als »Erwerbstätige am Arbeitsort«, zeigte dort mit 3,1 % dagegen eine niedrigere Zuwachsrate. Auch in den sonstigen Arbeitsmarktzentren lag die durchschnittliche Zuwachsrate der Erwerbstätigen über derjenigen der Arbeitsplätze. Der Unterschied war aber weniger ausgeprägt. Am stärksten nahm die Zahl der Arbeitsplätze mit + 4,4 % im Gemeindetyp Umlandgemeinden zu. Im Unterschied zu den Arbeitsmarktzentren lag der prozentuale Zuwachs der in den Umlandgemeinden wohnenden Erwerbstätigen unter der Zuwachsrate der Arbeitsplätze.

Die Durchschnittsbetrachtung für die drei Zentralitätstypen deutet demnach darauf hin, dass im Beobachtungszeitraum zwar in allen Zentralitätstypen die Beschäftigung gewachsen ist, die Suburbanisierung der Arbeitsplätze sich aber fortgesetzt hat und im Unterschied zur Bevölkerungsentwicklung keine Tendenzen der Reurbanisierung erkennbar sind.5

Mehr Pendler und …

Die absolute Zahl der Erwerbstätigen mit Arbeitsstätte in ihrer Wohngemeinde stieg zwischen 2005 und 2009 nur im Zentralitätstyp Kernstädte. Der Anstieg war allerdings deutlich schwächer als der Anstieg der Erwerbstätigen am Wohnort und auch schwächer als die Arbeitsplatzentwicklung. In den sonstigen Arbeitsmarktzentren und den Umlandgemeinden gab es 2009 im Durchschnitt etwas weniger Erwerbstätige, die in ihrer Wohngemeinde arbeiten als 2005. Entsprechend stark stiegen in allen Zentralitätstypen die Pendlerzahlen. Der starke Auspendleranstieg aus Kernstädten erklärt sich dabei zum einen aus der Reurbanisierung der Bevölkerung bzw. der Erwerbstätigen am Wohnort bei gleichzeitig fortgesetzter Suburbanisierung der Arbeitsplätze. Zum anderen erklärt sich der Anstieg aus einem Basiseffekt, denn die Zahl der Auspendler aus Kernstädten war 2005 verhältnismäßig niedrig.

Die starken Zunahmen der Auspendler aus Kernstädten und der Einpendler aus Umlandgemeinden bis 2009 deuten in Richtung einer Angleichung von Arbeitsmarktzentren und Umland. Die Tabelle zeigt aber, dass die deutlichen Unterschiede zwischen den Zentralitätstypen weiter bestehen bleiben. Nach wie vor bieten die Kernstädte und die sonstigen Arbeitsmarktzentren je Einwohner deutlich mehr Arbeitsplätze als die Umlandgemeinden, weisen die höchsten Anteile von Erwerbstätigen auf, die am Wohnort arbeiten, und haben entsprechend niedrige Auspendlerquoten.

… längere Arbeitswege in allen Zentralitätstypen

Gleichzeitig zeigt sich im Vergleich der Jahre 2005 und 2009 für alle Zentralitätstypen, dass Arbeitsplätze immer häufiger durch Einpendler besetzt werden und Erwerbstätige seltener am Wohnort arbeiten. Die durchschnittliche Luftlinienentfernung zwischen Wohn- und Arbeitsort steigt für Erwerbstätige in allen Zentralitätsstufen deutlich. Die Tabelle zeigt, dass in den Kernstädten der Rückgang des Anteils der Erwerbstätigen mit Arbeitsplätzen in der Wohngemeinde etwas geringer ausfällt als in den Umlandgemeinden. Dagegen steigt für die Erwerbstätigen in Kernstädten die geschätzte Länge der Arbeitswege stärker als für Erwerbstätige, die in Umlandgemeinden leben.

Ursache dieses scheinbaren Widerspruchs ist möglicherweise, dass Pendler aus Umlandgemeinden häufiger auf kurzen Pendelwegen zu Arbeitsplätzen in anderen Umlandgemeinden, auf so genannten tangentialen Pendelverbindungen6, unterwegs sind. Insgesamt sind die Unterschiede in den Veränderungsraten jedoch eher klein und sollten nicht überinterpretiert werden.

Wenige Gemeinden mit sinkender Pendlermobilität …

Die Untersuchung nach Gemeindetypen ist eine Durchschnittsbetrachtung, die Unterschiede innerhalb eines Typs zugunsten des besseren Überblicks unterdrückt. Tatsächlich weisen die 104 sonstigen Arbeitsmarktzentren bzw. die 989 Umlandgemeinden jeweils eine große Bandbreite bezüglich der Entwicklung der Erwerbstätigen und Pendlerzahlen auf. Der Rückgang des Anteils der Erwerbstätigen mit Arbeitsstätte in der Wohngemeinde und der Anstieg der durchschnittlichen Pendelentfernung der Erwerbstätigen am Wohnort – als Indikatoren einer gestiegenen Pendlermobilität – werden daher im folgenden zusätzlich für die einzelnen Gemeinden der Zentralitätstypen überprüft.

Für die neun Großstädte im Land, die zusammen den Zentralitätstyp »Kernstädte« bilden, trifft dies uneingeschränkt zu. Die Veränderung beider Indikatoren deutet jeweils auf einen Anstieg der Mobilität der dort ansässigen Erwerbstätigen hin. Für 101 der 104 sonstigen Arbeitsmarktzentren gilt dies ebenfalls uneingeschränkt. In drei Arbeitsmarktzentren7 ging die mittlere Pendelentfernung der Erwerbstätigen um bis zu 3,3 % zurück.

… sind vor allem unter den Umlandgemeinden zu finden

Von den Umlandgemeinden wurden die 402 Gemeinden mit mindestens 5 000 Einwohnern einer Einzelprüfung unterzogen. In kleineren Gemeinden könnten Einzelereignisse, die hier nicht im Zentrum des Interesses stehen, die Veränderungsraten zu sehr beeinflussen. Die Übersicht stellt die Entwicklung der Mobilität in den größeren Umlandgemeinden dar. In 328 von 402 Gemeinden deutet die Veränderung beider Indikatoren zwischen 2005 und 2009 auf einen Anstieg der Mobilität der dort ansässigen Erwerbstätigen. In 63 Fällen weist jeweils nur ein Indikator in Richtung Zunahme der Mobilität. So stieg in 57 Gemeinden zwar der Anteil der Erwerbstätigen mit Arbeitsstätte in der Wohngemeinde, gleichzeitig erhöhte sich aber auch die durchschnittliche Pendelentfernung der Erwerbstätigen am Wohnort. Die Zunahme der durchschnittlichen Pendelentfernung der Auspendler wog hier stärker als die Tatsache, dass mehr Erwerbstätige in ihrer Wohngemeinde arbeiten. Daneben stieg in sechs weiteren Umlandgemeinden der Anteil der Auspendler, während für die Erwerbstätigen insgesamt die durchschnittliche Entfernung zwischen Wohn- und Arbeitsort sank.

Kleinräumige Verlagerungen der Mobilität

Nur in elf der 402 Umlandgemeinden deuten beide Indikatoren auf eine geringere Mobilität der dort ansässigen Erwerbstätigen. Die Abnahmen der mittleren Pendelentfernungen bleiben allerdings unter 3 %. Typisch für diese Gemeinden wie auch für diejenigen, bei denen nur die Veränderungsrate eines Indikators gegen den Trend weist, ist eine deutlich über dem Mittel des Gemeindetyps liegende Zuwachsrate der Arbeitsplätze, verbunden mit der überproportionalen Steigerung der Einpendlerzahlen und häufig auch mit einer deutlichen Vergrößerung des Einzugsgebietes, bzw. der Pendelentfernung der Einpendler. Der Rückgang der Mobilität der Erwerbstätigen am Wohnort wird in diesen Fällen mit einer größeren Mobilität der Einpendler aus anderen Gemeinden erkauft.