:: 7/2012

Freiheit – Ungleichheit – Brüderlichkeit? Teil II

Zur Struktur und Verteilung der Einkommen in Baden-Württemberg

Der erste Teil dieses Beitrags, der im Statistischen Monatsheft 6/2012 (S. 3–10) erschienen ist, beschäftigte sich mit der seit Mitte der 1980er-Jahre zunehmenden Ungleichheit der Einkommen im OECD-Raum. Dabei zeigte sich, dass die Einkommensdisparitäten in Deutschland überdurchschnittlich zugenommen haben, sich Deutschland im OECD-Vergleich von einer relativ gleichen in eine nur noch durchschnittlich gleiche Gesellschaft entwickelte.

In Fortsetzung der Betrachtung wird nun die Einkommenszusammensetzung und -verteilung sowie deren Entwicklung für Baden-Württemberg und seine Teilräume untersucht. Dabei zeigt sich, dass sich die Ungleichheit in Baden-Württemberg ähnlich entwickelt und im Vergleich zu Deutschland etwas niedriger ist, wenn man die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe als Berechnungsgrundlage verwendet. Es wird aber auch deutlich, dass das Ausmaß der gemessenen Ungleichheit wesentlich von der verwendeten Datenquelle abhängt. Die Auswertung der Lohn- und Einkommensteuerstatistik gibt die Einkommenssituation der wenigen sehr einkommensstarken Steuerpflichtigen exakter wieder und zeigt, dass Spitzeneinkünfte deutlich bedeutsamer sind, als es Stichprobenuntersuchungen nahelegen. Belegt wird auch, dass sich Spitzeneinkommen zu wesentlichen Teilen aus Einkünften aus Gewerbebetrieb ergeben und diese regional sehr ungleich verteilt sind.

Einkommensdisparitäten in Deutschland und Baden-Württemberg

Die Einkommensungleichheit in Deutschland wurde im vorangegangenen Teil der Untersuchung unter anderem auf der Basis der Einkommens- und Verbrauchstichprobe (EVS) dargestellt. Mit dieser Datenbasis sind auch Auswertungen für Baden-Württemberg möglich. Analog zum Bundesergebnis zeigt sich in Baden-Württemberg eine Zunahme des Gini-Koeffizienten von 2003 auf 2008. Die Ungleichheit der Haushaltsbruttoeinkommen war 2008 in Baden-Württemberg etwas geringer als im Bundesgebiet (0,35 statt 0,37).1 Dies kommt vor allem durch deutlich weniger Haushalte mit niedrigen Einkommen zustande. Haushalte mit hohen Einkommen sind in Baden-Württemberg hingegen deutlich häufiger (Schaubild 1).2

Sehr hohe Einkünfte werden in der EVS gar nicht erfasst und sind in anderen Stichproben systematisch unterrepräsentiert. Daher und um regionalisierte Auswertungen realisieren zu können, werden für die weitere Analyse Baden-Württembergs die Ergebnisse der Lohn- und Einkommensteuerstatistik genutzt. Zu den Unterschieden bzw. Vor- und Nachteilen beider Datenquellen (siehe i-Punkt).

Die Lohn- und Einkommensteuerstatistik als Grundlage für Einkommensanalysen

Die Lohn- und Einkommensteuerstatistik (LESt-Statistik) ist ein komplexes Datenwerk zu allen Lohn- bzw. Einkommensteuerpflichtigen im Land. Ihre steuerpflichtigen Einkünfte und steuerrelevanten Ausgaben sind darin differenziert enthalten. Zum besseren Verständnis ist ein vereinfachtes Schema der Einkommensteuerberechnung mit Auszügen der Landesdaten von 2007 im linken Bereich der Tabelle 1 dargestellt.

Für die 5,3 Mill. unbeschränkt Steuerpflichtigen in Baden-Württemberg lag im Jahr 20073 der Gesamtbetrag der Einkünfte bei 181,8 Mrd. Euro. Dieser Betrag setzt sich aus den positiven und negativen Einkünften aller Einkunftsarten abzüglich Entlastungsbeträgen und Freibeträgen für Land- und Forstwirte zusammen. Daraus wird durch Abzug unterschiedlicher Freibeträge und Ausgabenposten das zu versteuernde Einkommen (zvE) errechnet, das sich auf insgesamt 159,1 Mrd. Euro beläuft.4 Auf Basis des zvE wurden knapp 32,9 Mrd. Euro Einkommensteuer festgesetzt. Das entspricht einem Durchschnittssteuersatz von 20,7 % bezogen auf das zvE. Je Steuerpflichtigem belief sich das monatliche Durchschnittseinkommen vor Steuer auf 2 522 Euro und nach Abzug der Lohn- und Einkommensteuer auf 2 000 Euro.

Bei 1,3 Mill. Steuerpflichtigen wird das Einkommen von zwei Einkommensbeziehern gemeinsam erwirtschaftet (gemeinsame Veranlagung) und ist somit eher als Haushaltseinkommen und nicht als individuelles Einkommen interpretierbar. Allerdings werden auch in vielen Haushalten die Steuerpflichtigen getrennt veranlagt (siehe i-Punkt). Für eine Annäherung an das Haushaltseinkommen müssten hier die Einkünfte von zwei Steuerpflichtigen addiert werden. Dies ist jedoch aufgrund der Datenlage nicht möglich.

Einkommen werden von der LESt-Statistik nicht vollständig erfasst

Im ersten Teil des Aufsatzes wurde aufgezeigt, dass Transferzahlungen bei geringen Einkommen einen erheblichen Teil der Einnahmen ausmachen. In Deutschland beläuft sich dieser Anteil auf rund die Hälfte der Einnahmen bei den 25 % der Haushalte mit den niedrigsten Einnahmen. Dieser Teil der Einnahmen ist in den Daten der LESt-Statistik nicht enthalten. Vor allem die Einnahmesituation der Geringverdiener wird dadurch viel zu niedrig dargestellt. Auch Rentner erscheinen in der LESt-Statistik häufig in den niedrigen Einkünfteklassen, da von steuerpflichtigen Rentnern nur rund ein Viertel der Einnahmen aus der gesetzlichen Rente erfasst werden.5 In Tabelle 1 sind im rechten Bereich die Ergebnisse der EVS 2008 dargestellt. Nach Ergebnissen der EVS beliefen sich die Bruttoeinnahmen 2008 insgesamt auf 251 Mrd. Euro6, und damit deutlich über den Einkünften der LESt-Statistik. Welche Einkommensarten in der LESt nicht vollständig erfasst sind, lässt sich näherungsweise aus dem Vergleich der beiden Spalten mit den Durchschnittswerten ablesen. Die EVS weist vor allem bei Einnahmen aus Vermögen und bei öffentlichen und privaten Transfers sehr viel höhere Werte aus.

Wie deutlich sich die Einkommen aus EVS-Stichprobe und der Vollerhebung der LESt-Statistik auch in der Verteilung unterscheiden, zeigt Schaubild 2. Aus der EVS sind die Haushaltsbruttoeinkommen dargestellt, aus der LESt-Statistik hingegen der Gesamtbetrag der Einkünfte der Lohn- und Einkommensteuerpflichtigen.

Zieht man in Betracht, dass die Zahl der Steuerpflichtigen höher ist als die Zahl der Haushalte und dass nur die steuerpflichtigen Einnahmen berücksichtigt werden – also nur ein Teil der Renten, ein kleiner Teil der privaten und keine staatlichen Transferzahlungen (zum Beispiel Kindergeld, Arbeitslosengeld I und II) und Kapitaleinkünfte nur sofern sie den Sparerfreibetrag überschreiten – so ist es nicht verwunderlich, dass sich die Einkommenssituation der Geringverdiener nach LESt 2007 deutlich schlechter darstellt als nach EVS 2008. Dies ist daran zu erkennen, dass die Lorenzkurve der LESt im unteren Bereich sehr viel flacher verläuft. Die Verzerrung, die es bei der EVS im oberen Einkommensbereich gibt, wird auch deutlich. Sie ist daran ablesbar, dass die LESt-Kurve bei den letzten beiden Größenklassen sehr viel steiler verläuft. Daraus ergibt sich auch eine insgesamt deutlich höhere Ungleichheit. Errechnet man auf Basis der Größenklassen des Gesamtbetrags der Einkünfte der LESt 2007 den Gini-Koeffizienten, so liegt er mit 0,51 deutlich über dem Gini-Koeffizienten, wie er für die Bruttoeinnahmen der Haushalte aus der EVS ermittelt wurde (Gini = 0,35).7

Der deutlich höhere Gini-Koeffizient nach Daten der LESt-Statistik erklärt sich demnach aus drei Quellen:

  • teilweise getrennte Veranlagung bei Doppelverdienerhaushalten,
  • Nichtberücksichtigung einzelner Einkommensbestandteile im unteren Bereich (insbesondere Rentenanteile und staatliche Transferzahlungen),
  • Nichterfassung von Haushaltsnettoeinkommen über 18 000 Euro monatlich bei der EVS gegenüber der vollständigen Erfassung hoher Einkommen in der LESt-Statistik.8

Durch die Vollerhebung aller Steuerpflichtigen liegen die Vorteile der LESt-Statistik in der sehr viel präziseren Ausweisung sehr hoher Einkommen und in der Möglichkeit einer kleinräumigen Auswertung. Der Schwerpunkt der Analysen in diesem Teil des Aufsatzes richtet sich darum genau auf diese beiden Themenfelder.

Aus welchen Quellen speisen sich die Einkünfte

Die LESt unterscheidet sieben Einkunftsarten: Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb, selbstständige Arbeit, nichtselbstständige Arbeit9, Kapitalvermögen, Vermietung und Verpachtung und sonstige Einkünfte (zum Beispiel steuerpflichtiger Teil der Renten, empfangene Unterhaltsleistungen, Entschädigungen und ähnliches).

Die Einkünfte aus unselbstständiger Arbeit sind die weitaus bedeutsamste Art. Sie machen über 75 % der Summe der positiven Einkünfte aus. Über 10 % der Einkünfte stammen aus Gewerbebetrieb, weitere 5 % aus selbstständiger Arbeit. Die restlichen knapp 10 % verteilen sich auf Einkünfte aus selbstständiger Arbeit, sonstige Einkünfte, Einkünfte aus Kapitalvermögen, aus Vermietung und Verpachtung und aus Land- und Forstwirtschaft. Letztere sind mit weniger als 1 % nur noch von geringer Bedeutung (Tabelle 1).

Häufig tragen Einkünfte unterschiedlicher Art zum Gesamtbetrag der Einkünfte (GdE) der Steuerpflichtigen bei. Die geringste Bedeutung haben solche Konstellationen in der Größenklasse bis unter 10 000 Euro. Hier überwiegen Steuerpflichtige mit nur einer Einkunftsart. Bereits ab Einkünften von 10 000 Euro treten mehrere Einkunftsarten häufiger gemeinsam auf. Ab 125 000 Euro sind es im Durchschnitt mehr als zwei erklärte Einkunftsarten, bei Einkünften über 1 Mill. Euro tragen im Durchschnitt sogar 3,5 unterschiedliche Einkunftsarten zum Einkommen bei.

Einkünfte aus unselbstständiger Arbeit dominieren bei Einkünften unter 125 000 Euro …

Die Bedeutung der Einkunftsarten ist stark von der Höhe des Gesamtbetrags der Einkünfte abhängig. Bis zu Einkünften von unter 125 000 Euro jährlich machen die Einkünfte aus unselbstständiger Arbeit 74 bis 89 % der Einnahmen aus. Erst bei Einkünften ab 125 000 Euro sind sie für weniger als die Hälfte der Einnahmen verantwortlich. Zwischen 125 000 und unter 1 Mill. Euro stellen sie mit 49 % noch die bedeutendste Einkunftsart. Bei Einkünften ab 1 Mill. Euro tragen sie nur noch 12 % zu den positiven Einkünften bei (Schaubild 3).

Bei den Einkünften zwischen 10 000 und 25 000 Euro fällt der verhältnismäßig hohe Anteil der sonstigen Einkünfte auf. Dabei dürfte es sich im wesentlichen um Steuerpflichtige mit Rentenbezug handeln, die real über deutlich höhere Einkünfte verfügen (siehe auch Fußnote 6).

In den obersten beiden Einkommensgrößenklassen gewinnen Einkünfte aus Gewerbebetrieb und Selbstständigkeit an Bedeutung. Der größte Anteil der letztgenannten Einkunftsart findet sich bei den Steuerpflichtigen mit einem Gesamtbetrag der Einkünfte zwischen 125 000 und unter 1 Mill. Euro (20 %).

… Einkünfte über 1 Mill. Euro großteils aus Gewerbebetrieb

Spitzeneinkünfte ab 1 Mill. Euro werden dagegen zu über 70 % aus Gewerbebetrieben erzielt.10 Teilweise werfen Gewerbebetriebe demnach Gewinne ab, die zu sehr hohen Einkünften bei Ihren Besitzern führen.11 Die durchschnittlichen positiven Einkünfte aus Gewerbebetrieb der rund 2 330 Einkommensmillionäre mit Gewerbeeinnahmen belaufen sich auf 2,6 Mill. Euro.12

Einkünfte aus Kapitalvermögen wirken dagegen verhältnismäßig unbedeutend. Sie erreichen selbst in den beiden höchsten Größenklassen nur einen Anteil von 5 bzw. 9 % an den Einkünften insgesamt. Je Steuerpflichtigem mit Kapitaleinkünften in der höchsten Einkünfteklasse bedeutet das aber immerhin Einkünfte von durchschnittlich 289 000 Euro im Jahr. Bei Einkünften zwischen 125 000 und 1 Mill. sind es lediglich knapp 20 000 Euro.

Die Entwicklung der Ungleichheit nach Lohn- und Einkommensteuerstatistik

Auch auf Basis der LESt-Statistik ist nur ein relativ kurzer Zeitvergleich möglich, da erstmals 2004 – im Zuge der Einführung elektronischer Meldeverfahren – alle Bruttolöhne durch die Arbeitgeber gemeldet wurden.13 Damit die Ergebnisse von 2004 und 2007 vergleichbar sind, wurden für beide Steuerjahre die gleichen sechs Einkommensgrößenklassen gebildet.

Der Anteil der Geringverdiener mit einem GdE von 1 bis unter 10 000 Euro14 ist zwischen 2004 und 2007 von 23,3 auf 27 % gestiegen, ohne dass diese einen nennenswert größeren Teil an den Gesamteinkünften erzielten (knapp 3 %). Dieser Zuwachs ist zum einen der Veränderung der Rentenbesteuerung und zum anderen den zunehmenden Anteilen an Niedriglöhnen und Teilzeitjobs geschuldet.

Die meisten Steuerpflichtigen hatten einen Gesamtbetrag der Einkünfte in der Größenklasse 25 000 bis unter 50 000 Euro (34,2 % in 2004 bzw. 30,5 % im Jahr 2007) und erlangten 35,3 bzw. 31,5 % der Einkünfte. Der größte Teil der Einkünfte floss hingegen den 17,9 bzw. 17,5 % der Steuerpflichtigen der Größenklasse 50 000 bis unter 125 000 zu und zwar 2004 mit 36,2 % und 2007 mit rund 35,8 % (Tabelle 2).

In den mittleren Größenklassen sind die Anteile der Steuerpflichtigen und der Einnahmen tendenziell rückläufig. Bei den beiden höchsten Größenklassen (von 125 000 bis unter 1 Mill. Euro bzw. 1 Mill. Euro und mehr) sind von 2004 auf 2007 hingegen deutliche Zunahmen bei den Einkünfteanteilen zu verzeichnen – von 13,9 % im Jahr 2004 auf 18,4 % in 2007. Auch der Anteil der Steuerpflichtigen, die in diese beiden Größenklassen fallen, hat von 1,8 auf 2,2 % zugelegt. Die Unterschiede bei den höchsten Einkommensklassen lassen sich im Gegensatz zu den niedrigen Einkommensklassen nicht methodisch bzw. aus Änderungen des Steuerrechts erklären. Es spiegeln sich hier tatsächlich Verschiebungen in der Einkommensverteilung zugunsten der Spitzenverdiener wider.15 Dieser Effekt wurde in den Analysen auf Stichprobenbasis ebenfalls nachgewiesen,16 wenn auch – wie erwartet – in seiner Höhe etwas unterschätzt.

Im Ergebnis führen die oben beschriebenen Trends, nämlich

  • die Zunahme der Anteile der Geringverdiener, ohne dass deren Anteile am GdE spürbar stiegen sowie
  • die Zunahme der Spitzenverdiener mit gleichzeitiger starker Zunahme der von ihnen erwirtschafteten Einkommensanteile

zu einer Zunahme der Ungleichheit. Das zeigt sich in der Erhöhung des Gini-Koeffizienten in nur 3 Jahren von 0,46 auf 0,51.17

Reduzierung der Ungleichheit durch die Einkommensbesteuerung

Spannend ist nun, die ungleichheitsreduzierende Wirkung der Lohn- und Einkommensbesteuerung zu betrachten. Insgesamt beträgt die Summe der Lohn- und Einkommensteuer knapp 33 Mrd. Euro. Sie führt jedoch nur zu einer geringfügigen Abnahme der Ungleichheit (Schaubild 4).18

Der Gini-Koeffizient der Einkommen nach Besteuerung durch Lohn- und Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag ist 2007 lediglich um 0,04 niedriger (0,47 statt 0,51). Es gibt also einen leicht ausgleichenden Effekt der Steuer, der aus einer Zunahme der durchschnittlichen Steuerbelastung in Bezug auf den GdE herrührt. Mit Einnahmen unter 10 000 Euro werden die Steuerpflichtigen mit durchschnittlich 1,1 % belastet. Die Steuerbelastung des GdE steigt bis zur Einkommensgrößenklasse 125 000 bis unter 1 Mill. Euro auf 30,5 % an. Die Spitzeneinkommen über 1 Mill. Euro werden mit 33,6 % nur geringfügig mehr belastet. Zwischen 2004 und 2007 ist die relative Steuerbelastung insgesamt gesunken, am deutlichsten jedoch bei den Spitzenverdienern (Tabelle 2).

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass zunehmende Einkommensdisparitäten auch in Baden-Württemberg auf Basis der Lohn- und Einkommensteuerstatiken von 2004 und 2007 nachweisbar sind. Insbesondere Spitzeneinkünfte haben in ganz erheblichem Ausmaß zugelegt. Die Zahl der Steuerpflichtigen mit Einnahmen zwischen 125 000 und 1 Mill. Euro hat um fast 40 % auf 113 400 zugenommen, die der Einkommensmillionäre um 78 % auf fast 2 800. Die Einnahmen in diesen Größenklassen haben sich sogar mehr als verdoppelt. Insgesamt sind die Zahl der Steuerpflichtigen nur um 17 % und die erklärten Einkünfte nur um 29 % gewachsen. Die Besteuerung führt – trotz Progression – nur in sehr geringem Umfang zu abnehmender Ungleichheit.

Die Einkommensverteilung in den Stadt- und Landkreisen

Betrachten wir nun die regionale Verteilung des Gesamtbetrags der Einkünfte (GdE) in Baden-Württemberg auf Kreisebene. In Schaubild 5 sind in den Flächen der Gesamtbetrag der Einkünfte je Einwohner 2007 und in den Säulendiagrammen die Einkünfte nach Größenklassen für die beiden Erhebungsjahre 2004 (blaue Säulen) und 2007 (orange Säulen) dargestellt. Berechnet wurde der Betrag der Einkünfte nach Größenklassen ebenfalls bezogen auf die Zahl der Einwohner des Kreises. So geben die Säulen – beim Vergleich innerhalb eines Diagramms – über die Verteilung der Einkünfte auf die Größenklassen innerhalb des Kreises Auskunft. Der Vergleich der Säulen zwischen den Kreisen informiert hingegen über die regionale Verteilung der Einkünfte. Es bedarf einer genaueren Betrachtung der Karte, um die Besonderheiten der regionalen Einkommensverteilung herauszuarbeiten.

Die Region Stuttgart ist besonders einkommensstark

Die einkommensstärksten Kreise – zu erkennen am dunkelsten Grünton der Flächeneinfärbung – finden sich in der Region Stuttgart außer dem Landkreis Göppingen, der schon zu den einkommensschwächeren Kreisen im östlichen Landesteil gehört. Auch der Enzkreis und die beiden Stadtkreise Heilbronn und Baden-Baden sind besonders einkommensstark. Bei den einkommensstarken Kreisen fällt auf, dass dies durch ganz unterschiedliche Verteilung der Einkünfte auf die Größenklassen zustande kommen kann.

In den beiden Stadtkreisen Heilbronn und Baden-Baden sind es die Spitzeneinkommen, die zu den hohen Durchschnittswerten führen. Von 2004 bis 2007 sind die Einkünfte der Einkommensmillionäre dort richtiggehend explodiert. Zwar waren sie auch schon 2004 überdurchschnittlich, 2007 jedoch machen sie in Baden-Baden den drittgrößten und in Heilbronn sogar den größten Anteil der Einkünfte im Vergleich der Größenklassen aus. Einkommensmillionäre erwirtschafteten dort über 30 % der Einkünfte (Landesschnitt: 4,6 %). In Baden-Baden sind ebenfalls die Einkommensmillionäre für die hohen Einkünfte je Einwohner verantwortlich. Allerdings sind dort auch die Einkommen von 125 000 bis unter 1 Mill. Euro überdurchschnittlich stark ausgeprägt.

Auch in der regionalen Betrachtung sind vor allem Einkünfte aus Gewerbebetrieb für sehr hohe Gesamteinkünfte verantwortlich. Während im Landesdurchschnitt Einkünfte aus unselbstständiger Arbeit 78 % des GdE ausmachen, sind es in der Stadt Heilbronn nur 56 %. Die Gewerbeeinkünfte sind dort entsprechend bedeutsamer.

Die untersten beiden Größenklassen sind, wie bereits beschrieben, nicht so aussagekräftig, da dort nur Teile der Einnahmen der Haushalte erfasst sind. Die beiden mittleren Säulen zeigen, dass in fast allen Stadt- und Landkreisen der größte Teil der Einkünfte von Steuerpflichtigen mit Einkünften von 25 000 bis unter 50 000 Euro sowie von 50 000 bis unter 125 000 Euro erwirtschaftet wird.19 Vor allem in der Region Stuttgart ist die Säule der Größenklasse 50 000 bis unter 125 000 Euro deutlich höher als die der Größenklasse darunter. Der insgesamt hohe GdE wird dort stark durch überdurchschnittlich viele Steuerpflichtige mit einem GdE über 50 000 Euro getragen. Dies dürfte ein Hinweis auf überdurchschnittlich viele gut bezahlte Arbeitsplätze sein.

Der ländliche Raum ist einkommensschwächer

Am niedrigsten sind die Einkünfte ganz im Norden des Landes (Landkreise Neckar-Odenwald-Kreis, Main-Tauber-Kreis, Schwäbisch-Hall), im Landkreis Heidenheim, im Stadtkreis Pforzheim, im Landkreis Sigmaringen sowie in fünf Kreisen entlang des Rheins (Konstanz, Waldshut, Freiburg im Breisgau, Emmendingen und Ortenau). In diesen Kreisen sowie in den Landkreisen Biberach und Ravensburg fällt auf, dass mehr Einnahmen zwischen 25 000 und unter 50 000 Euro erwirtschaftet werden als in der Größenklasse 50 000 bis unter 125 000 Euro und Einkünfte ab 125 000 Euro nur einen sehr geringen Teil ausmachen.

Einige Landkreise sind in sich sehr heterogen, Gemeinden mit geringer und hoher Einkommensungleichheit liegen zum Teil in direkter Nachbarschaft. Dies lässt sich am besten anhand des Gini-Koeffizienten auf Basis des GdE darstellen (Schaubild 6).

In den ländlichen Gebieten ist der Gini-Koeffizient in den meisten Gemeinden unterdurchschnittlich, das heißt die Einkünfte sind dort verhältnismäßig gleich verteilt. Dies gilt besonders für den Norden und den Südosten des Landes, aber auch für den Schwarzwald. Bei Betrachtung der Karte fallen im Westen des Schwarzwald-Baar-Kreises einige zusammenhängende Gemeinden mit hohem Gini-Koeffizienten auf. Auch dafür ist im Wesentlichen verantwortlich, dass dort hohe Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielt werden. Dies ist in den meisten Fällen auch bei den anderen Gemeinden im Land der Fall, die sich durch hohe Gini-Werte abheben.

Zusammenfassung

Die in Deutschland – wie in den meisten OECD-Ländern – diagnostizierte Zunahme der Ungleichheit lässt sich auch für Baden-Württemberg feststellen. Die Analysen auf Basis der Lohn- und Einkommensteuerstatistik bestätigten zudem den Befund, dass die Einkommensteuer als Instrument zur Ungleichheitsreduktion nur verhältnismäßig schwach wirkt.

Zunehmende Einkommensdisparitäten entstehen vor allem durch eine Zunahme der Zahl der Haushalte bzw. der Steuerpflichtigen mit niedrigen und mit sehr hohen Einkommen sowie durch stark steigende Einkommen in der Größenklasse von 1 Mill. Euro und mehr. Das Ausmaß der Einkommenssteigerung bei Spitzenverdienern wurde erst durch die Einkommensteuerdaten in vollem Umfang deutlich.

Regional zeigt sich, dass überdurchschnittliche Einkommen vor allem in der Region Stuttgart erzielt werden. Die Einkommensdisparitäten sind zudem in den Stadtkreisen ausgeprägter. In ländlichen Kreisen sind die in den Größenklassen ab 50 000 Euro erzielten Einkünfte mehrheitlich niedriger als in den Ballungsräumen und die Einkommensverteilung ist homogener. Bedingt durch spezifische Konstellationen vor Ort gibt es jedoch auch im ländlichen Raum Gemeinden mit hoher Ungleichheit.

1 Der Gini-Koeffizient reicht von 0 bei Gleichverteilung bis 1 bei vollkommener Ungleichheit. Vgl. Payk, Bernhard: »Konzepte zur Messung von Einkommensungleichheiten«, in: »Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 6/2012«

2 Beim Zeitvergleich 2003 und 2008 sind die Einkommen nicht inflationsbereinigt. Ein Teil der Verschiebung zu den höheren Einkommensklassen ist daher auf allgemeine Lohnsteigerungen zurück zu führen. Der niedrigere Gini-Wert für Baden-Württemberg kann auch methodisch bedingt sein, da Einkommen über 18 000 Euro unberücksichtigt bleiben.

3 Das Steuerjahr 2007 ist derzeit das aktuellste vorliegende, da die LESt-Statistik nur alle 3 Jahre und erst nach Abschluss eines Steuerjahres erstellt wird.

4 Eine detaillierte Übersicht findet sich im Statistischen Bericht: Das Einkommen der Lohn- und Einkommensteuerpflichtigen und seine Besteuerungin Baden- Württemberg 2007 (Abruf am 31. Mai 2012).

5 Bis 2004 musste nur der Ertragsanteil (27 %) abzüglich der Abzugs-, Pausch- und Grundbeträge versteuert werden, sofern die so berechneten Einkünfte aus der Rente zuzüglich aller anderen Einkünfte das steuerfreie Existenzminimum überschritten. Damit war ein großer Teil der Rentner quasi steuerbefreit und auch nicht zur Abgabe einer Steuererklärung verpflichtet. Seit 2005 wird der Besteuerungsanteil besteuert. Der Besteuerungsanteil steigt kontinuierlich von 50 % in 2005 auf 100 % ab 2040 an. Maßgebend für seine Berechnung ist das Jahr des Rentenbeginns. Durch die Neuregelung 2005 werden deutlich mehr Renten steuerpflichtig, allerdings dürfte der Anteil zunächst unter 25 % liegen. (vgl. BMF 2005: Das Alterseinkünftegesetz: Gerecht für Jung und Alt).

6 Darin ist auch der Wohnwert selbstgenutzten Wohneigentums eingerechnet.

7 Legt man nicht den Gesamtbetrag der Einkünfte sondern das zu versteuernde Einkommen zugrunde, ist der Gini-Koeffizient sogar noch geringfügig höher (0,52).

8 Die LESt-Statistik weist 2007 für Baden-Württemberg knapp 2 800 Steuerpflichtige mit erklärten Einkünften über 1 Mill. Euro jährlich aus. Diese 0,05 % der Steuerpflichtigen erzielen jedoch 4,6 % der Einkünfte. Mit Stichprobenumfängen von 0,2 % bei der EVS lassen sich keine statistisch gesicherten Erkenntnisse über solch seltene Fälle gewinnen. Die EVS verzichtet darum auf eine Erfassung von Haushalten mit einem Einkommen von über 18 000 Euro monatlich. Die erstmals 2010/11 erhobene und unter den Euro-Ländern abgestimmte Panelstudie »Private Haushalte und ihre Finanzen« (PHF) hat, um diesen Mangel auszugleichen, eine absichtlich verzerrte Stichprobe in der Fälle mit hohen Einkommen überrepräsentierte sind. Diese Quelle wird künftig, allerdings auch nur auf nationaler Ebene, voraussichtlich eine weitere Datengrundlage für die Analyse privaten Wohlstands bieten (vgl. Deutsche Bundesbank, Monatsbericht 1/2012, S. 29 ff).

9 Darin sind auch die steuerpflichtigen Teile der Pensionen enthalten.

10 In dieser Größenklasse sind Einnahmen aus unterschiedlichen Quellen die Regel. Über 92 % erklären Einkünfte aus Vermögen, 83 % aus Gewerbebetrieb, 61 % aus unselbstständiger Arbeit, 48 % aus Vermietung und Verpachtung, 36 % erklären sonstige Einkünfte. Gegenüber den Einkünften aus Gewerbebetrieb, sind die anderen Einkunftsarten jedoch verhältnismäßig unbedeutend.

11 Dabei handelte es sich 2007 bei den Einkommensmillionären lediglich zu 15 % um Veräußerungsgewinne, insgesamt machen Veräußerungsgewinne nur 8 % der Gewerbeeinkünfte aus. Der größte Anteil dieser Einkünfte wird also aus der regulären Geschäftstätigkeit erwirtschaftet.

12 Nur wenige Gewerbe sind derart rentabel. Zum Vergleich, erzielen knapp 300 000 Gewerbetreibende Steuerpflichtige weniger als 50 000 Euro GdE.

13 Zuvor waren nur die Steuerfälle enthalten, bei denen eine Steuererklärung vorlag und somit eine Veranlagung stattgefunden hat. Für Fälle ohne Veranlagung entspricht die abgeführte Lohnsteuer der veranlagten Einkommensteuer.

14 Es gibt auch Steuerpflichtige mit einem GdE von 0 Euro. Dies kann sich beispielsweise durch Verlustabzüge ergeben. Fälle mit einem GdE von 0 Euro sind in den folgenden Analysen ausgeschlossen, da sie kein analysierbares Einkommen erwirtschaften.

15 Am Finanzamt vorbei erzielte Einkünfte sind grundsätzlich in der Betrachtung nicht enthalten (Steuerhinterziehung). Ob zum Beispiel der Aufkauf der ersten Steuersünder-CD im Jahr 2006 bei den Spitzenverdienern zu etwas höherer Steuerehrlichkeit geführt und somit zum diesem Anstieg mit beigetragen hat, entzieht sich der Beurteilung.

16 Vgl. Teil I dieses Artikels.

17 Die Einkünfte sind nicht inflationsbereinigt, daher ist ein Teil der Verschiebung in höhere Größenklassen Ergebnis des Kaufkraftverlustes. Die Höhe des Gini-Koeffizienten wird dadurch jedoch nicht beeinflusst, da die Inflationsbereinigung nur die Summen, nicht jedoch die Anteile und damit den Gini-Koeffizienten verändern würde.

18 Über alle Größenklassen liegt die Lorenzkurve nach Besteuerung näher an der Gleichverteilungsgeraden. Bei den Geringverdienern ist der Effekt noch relativ gering. Am stärksten ist die Einkommensreduktion bei den Spitzenverdienern, da dort die Steuerbelastung am höchsten ist. Dass die Lorenzkurve einen anderen Eindruck erweckt, liegt an der Berechnungsmethodik. Da der Wertebereich auf 0 bis 100 standardisiert ist, laufen die Kurven an den Rändern zusammen und im mittleren Bereich addieren sich die Effekte.

19 Einzige Ausnahme ist der Stadtkreis Heilbronn. Die Einkünfte der Steuerpflichtigen im mittleren Bereich sind dort deutlich unterdurchschnittlich Der Wohlstand ist dort sehr einseitig verteilt. Dies ist auch bei der Interpretation der Kaufkraftwerte zu beachten (vgl. Payk, Bernhard: »Die wohnsitzorientierte ungebundene Kaufkraft in Baden-Württemberg 2009«, in: »Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 8/2011«