:: 5/2013

Anbau- oder Erntefläche als Basis der Erntemengenberechnung?

Vordringlichstes Ziel der Erntestatistik ist die Feststellung von Erntemengen. Diese werden aber nicht originär erhoben, sondern unter Nutzung von Synergieeffekten über die Komponenten Fläche und Ertrag durch Multiplikation errechnet. Was sich zunächst simpel anhört, muss es dann aber doch nicht sein. Denn wie so oft, steckt auch hier der Teufel im Detail.

In der Vergangenheit war das alleinige Anbauziel bei Getreide und Ölfrüchten – wie beispielsweise Raps – die Körnerproduktion. Das dabei anfallende Stroh wurde als Komplementärprodukt zur Einstreu oder zur Bodenverbesserung verwendet. Zur Ganzpflanzenernte1 kam es nur bei sehr schlechten Erntebedingungen am ursprünglich beabsichtigten Druschtermin und/oder bei qualitativ minderwertigem Kornertrag. Die Ganzpflanzenernte konnte aus statistischer Sicht vernachlässigt werden.

Mit den seit 2003 verstärkt aufkommenden Biogasanlagen2 kommt jetzt neben der Körnerverwendung als Nahrungs- oder Futtermittel mit der bioenergetischen Nutzung der ganzen Pflanze eine dritte Verwendungsalternative hinzu. Angesichts zunehmender Tendenz hat dies zur Konsequenz, dass die Anbaufläche einer Getreideart nicht mehr deren Erntefläche zur Körnergewinnung entspricht. Bei der Flächenermittlung war es zunächst nicht möglich, dieser neuen Entwicklung Rechnung zu tragen. Die bei der Bodennutzungshaupterhebung3 nachgewiesenen Flächen der einzelnen Fruchtarten umfassten für einen Übergangszeitraum sowohl die Flächen zur Körnergewinnung als auch die Flächen zur Ganzpflanzenernte.

Zwischenzeitlich, beginnend mit der Bodennutzungshaupterhebung 2010, hat die Amtliche Agrarstatistik den jüngeren Entwicklungen mit der neuen Erhebungsposition »Getreide zur Ganzpflanzenernte« Rechnung getragen. Seitdem beziehen sich die bei der Bodennutzungshaupterhebung nachgewiesenen Anbauflächen der einzelnen Getreidearten grundsätzlich auf die Körnerproduktion.

Entsprechend den Bestimmungen des Agrarstatistikgesetzes wird die Bodennutzungshaupterhebung jährlich in der Zeit von Januar bis Mai durchgeführt. Im Hinblick auf die Erntemengenberechnung ist es allerdings aus statistischer Sicht problematisch, wenn sich kurz vor dem Erntezeitpunkt das Produktionsziel ändert, sei es in Abhängigkeit von den Vegetationsbedingungen und/oder den jeweiligen Vermarktungsmöglichkeiten. Denn dann entspricht die Anbaufläche eben nicht mehr der Erntefläche. Diese Flächenumwidmung wird bislang statistisch nicht abgebildet.

Erster Versuch einer Quantifizierung der Flächenumwidmung

Welche Flächen stehen hinter der Umwidmung? Ergibt sich hier für die Erntestatistik gegebenenfalls Handlungsbedarf? Vor diesem Hintergrund wurde in Baden-Württemberg erstmals 2011 versucht, dieses Phänomen im Rahmen der Ernte – und Betriebsberichterstattung (EBE; siehe i-Punkt) mit einer gesonderten Abfrage auf dem Novemberbogen zu quantifizieren.

Wie die Antworten auf freiwilliger Basis zeigten, wurde die Entscheidung für ein Anbauziel in der bei Weitem überwiegenden Zahl der Fälle nicht mehr korrigiert. Das gilt insbesondere für die in Baden-Württemberg am häufigsten angebauten Getreidearten Winterweizen, Winter- und Sommergerste. Der Blick auf die umgewidmete Fläche zeigt für die drei Hauptgetreidearten, dass dort Nutzungsumwidmungen zumindest im Jahr 2011 kein Thema waren. Bei Roggen und vor allem bei Triticale hat es dagegen den Anschein, als ob dort die endgültige Entscheidung über das Produktionsziel häufig erst zu einem späteren Zeitpunkt gefällt wurde. Selten wurden, wie im übrigen bei allen Fruchtarten, die ganzen Anbauflächen eines Betriebes umgewidmet, sodass sich die auf den ersten Blick hohen Fallzahlen nur sehr eingeschränkt bei den Flächen niederschlagen.

Die Entscheidung, Feldfrüchte zur GPS4-Nutzung anzubauen, wurde nur in sehr wenigen Ausnahmefällen korrigiert. Dann sind die Aussaatflächen einer Getreideart kleiner als deren Ernteflächen.

Zweiter Versuch im Folgejahr bei grundlegend anderen Bedingungen

Kalte Frostnächte haben Anfang Februar 2012 auf manchen Feldern ihre Spuren hinterlassen. Wo die schützende Schneedecke fehlte, waren weite Landstriche betroffen. Insbesondere in den nördlichen Landesteilen mussten beispielsweise bei Wintergerste zwischen 60 und 80 %, bei Winterweizen zwischen 40 und 70 % der Aussaatfläche umgebrochen werden. Landesweit beziffert sich die Auswinterungsquote bei Wintergerste auf 24 % oder insgesamt 22 400 Hektar (ha) und bei Winterweizen auf 17 % bzw. knapp 40 000 ha. Triticale (knapp 13 %; 2 800 ha) und selbst der zumeist kälteempfindlichere Winterraps (6 %; 4 100 ha) haben sich dagegen als vergleichsweise robust erwiesen5. Hinzu kamen geschädigte Flächen, die aus Rentabilitätsgründen nicht umgebrochen und neu bestellt wurden. In diesen Fällen war von vornherein mit Mindererträgen zu rechnen. Wenngleich bekanntlich »die Hoffnung zuletzt stirbt«, stellte sich anders als unter den »normalen« Verhältnissen im Jahr zuvor bei zahlreichen Winterweizen- und Wintergerstenfeldern später die Ganzpflanzenernte als der wirtschaftlich sinnvollere Weg heraus.

Der Produktionsausfall bei Winterweizen und Wintergerste wurde kompensiert zum einen durch eine gegenüber dem Vorjahr verminderte Umwidmungsquote bei Triticale und Hafer. Bei Roggen und Sommergerste wurden zum anderen sogar manche Bestände, die ursprünglich als Silage im Futtertrog oder in der Biogasanlage landen sollten, zur Vollreife gebracht und dann gedroschen.

Die andere Seite derselben Medaille: der Anbau zur Ganzpflanzenernte

Letztendlich ist es von den Vegetationsbedingungen, mitunter auch von den Absatzmöglichkeiten abhängig, dass eigentlich für die Körnerproduktion vorgesehene Bestände dann doch als Häckselgut ins Silo wandern. Auch die umgekehrte Entwicklung kann beobachtet werden, wenn auch deutlich seltener. In Bezug auf die Erntemengenberechnungen wird mit den Anbauflächen zur Körnergewinnung das Produktionspotenzial somit tendenziell überschätzt. Andererseits fehlen diese Flächen beim Getreide zur Ganzpflanzenernte, denn dort kommt es durch den Kumulationseffekt zu einer merklichen Unterschätzung: im Jahre 2011 um rund 10 500 Hektar (ha), 2012 um etwa 3 300 ha6. Zum Vergleich: Die Bodennutzungshaupterhebungen weisen bei »Getreide zur Ganzpflanzenernte« Anbauflächen von 13 400 ha (2011) bzw. 11 300 ha (2012) aus. Angesichts des Umfangs der insgesamt zur Grünernte angebauten Pflanzen von 176 700 bzw. 183 100 ha in den beiden zurückliegenden Jahren erscheint diese Unterschätzung aufgrund der geringen Größe dann aber doch wieder in einem etwas anderen Licht.

Weitere Datenquelle zur Quantifizierung der Unterschätzung bei Körnermais: die Besondere Ernte- und Qualitätsermittlung (BEE)

Bei Mais sind beide Produktionsrichtungen, also Körnergewinnung und Silage, seit langem gängige landwirtschaftliche Praxis. Und da Körnermais seit vielen Jahren in Baden-Württemberg zum Kreis der BEE-Fruchtarten zählt, wurden auf dem einschlägigen Erhebungsbogen schon immer die Fragen nach der Anbau- bzw. der Erntefläche gestellt. Auf dieser Basis wurden anschließend die Ergebnisse der Bodennutzungshaupterhebung korrigiert. Aus der Anbaufläche wurde die Erntefläche abgeleitet, die dann selbst die Basis der Erntemengenberechnung bildete.

Für 2011 stimmen die Umrechnungsquoten aus BEE (−3,4 %) und Ernte- und Betriebsberichterstattung (−4,5 %) gut überein. Nicht so im darauffolgenden Jahr, denn unter den ganz speziellen Verhältnissen des Jahres 2012 weist die EBE per Saldo eine Umwidmung vom Silo- zum Körnermais (3,1 %) aus, die BEE jedoch eine gegenläufige Entwicklung (−4,2 %). Die Wahrheit dürfte irgendwo in diesem Korridor liegen.

Konsequenzen für die Ertragsfeststellung

Entscheidend für die Erntestatistik ist, dass sich die beiden Komponenten Fläche und Ertrag auf dieselbe Grundgesamtheit beziehen, um die Erntemenge korrekt berechnen zu können. In der Theorie ist deshalb zu fordern, dass es sich bei der Fläche um die Erntefläche und nicht um die Anbaufläche handelt. Die ermittelten Durchschnittserträge stünden dann wieder für das wahre Ertragspotenzial einer Region.

Aus der Bodennutzungshaupterhebung liegen derzeit aber nur Daten zur Anbaufläche vor. Die Erntefläche und damit das Ausmaß der Flächenumwidmungen könnte bei den derzeit gültigen gesetzlichen Rahmenbedingungen über entsprechende Abfragen innerhalb der EBE und/oder der BEE quantifiziert werden. Für eine Kombination spricht insbesondere die breitere Datenbasis. Die BEE ist stichprobenmethodisch fundiert, bezieht sich aber nur auf die wichtigsten Kulturen. Die Ernte- und Betriebsberichterstattung bringt zwar höhere Fallzahlen, mangels Auskunftspflicht geben ihre Ergebnisse die Situation im Land jedoch möglicherweise verzerrt wieder. Problematisch könnten die vergleichsweise geringen Fallzahlen bei Roggen und Triticale sein.

Geht man aber stattdessen von der Anbaufläche der Bodennutzungshaupterhebung aus, müssen auf der Ertragsseite die umgewidmeten Flächen als sogenannte Null-Fälle anteilig berücksichtigt werden. Der Ertrag der produktiven Fläche wird dabei jedoch tendenziell unterschätzt.

Letztendlich ist die Frage nach der Kosten­Nutzen-Relation zu stellen und von den Hauptnutzern in Bund und Ländern zu beantworten. Für Baden-Württemberg gilt aktuell, dass die Hauptgetreidearten nur zu einem geringen Teil von den Umwidmungen betroffen sind. Und bei den weniger häufig angebauten Kulturen könnten die absolut kleinen Unterschiede zwischen Anbau- und Erntefläche ignoriert werden. Zu klären wäre, ob vor diesem Hintergrund auch ein Verzicht auf eine Flächenkorrektur denkbar wäre.

1 Die Pflanzen werden in der Regel bereits bei der Ernte mit dem Feldhäcksler zerkleinert. Das Erntegut wird unter Luftabschluss in Silos gelagert. Die natürlicherweise stattfindende milchsaure Gärung konserviert die Pflanzenteile. Ganzpflanzensilage (GPS) kommt als Grundfutter für Wiederkäuer wie zum Beispiel Rinder zum Einsatz. In knapp der Hälfte der Biogasanlagen in Deutschland werden Getreide-Ganzpflanzensilagen als Gärsubstrat genutzt.

2 Hartmann, Anette: »Wie viel Fläche wird für Biogas benötigt?«, in: »Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 7/2008«, S. 40 ff.

3 Vgl. hierzu den einschlägigen Qualitätsbericht: Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Qualitätsbericht Bodennutzungshaupterhebung, Wiesbaden 2012 (PDF-Download unter www.destatis.de).

4 Ganzpflanzensilage.

5 Pressemitteilung des Statistischen Landesamtes Baden-Württemberg Nr. 142/2012 vom 4. Mai 2012.

6 Berechnet auf der Grundlage der Ernte- und Betriebsberichterstattung.