:: 2/2009

Bevölkerungsentwicklung in Baden-Württemberg aktuelle Trends und Perspektiven

Die Einwohnerzahl Baden-Württembergs hat sich seit der Wiedervereinigung um mehr als 900 000 auf heute 10,75 Mill. Personen erhöht. Der prozentuale Anstieg war damit – gemeinsam mit Bayern – stärker als in allen anderen Bundesländern. Allerdings hat sich der Bevölkerungszuwachs im Land in den letzten Jahren deutlich abgeschwächt. Und auch für die Zukunft ist lediglich noch bis etwa 2011 mit einem Anstieg der Einwohnerzahl zu rechnen, da die voraussichtlich nur noch moderaten Wanderungsgewinne die künftig steigenden Sterbefallüberschüsse nicht mehr kompensieren können.

Bundesweit stärkstes Bevölkerungswachstum

Seit der Gründung des Landes im Jahr 1952 hat sich die Einwohnerzahl Baden-Württembergs um gut 4 Mill. oder 60 % auf heute 10,75 Mill. erhöht. Lediglich in 6 Jahren (1974 bis 1976 und 1982 bis 1984) ist die Bevölkerungszahl vor allem arbeitsmarktbedingt zurückgegangen. Der stärkste Zuwachs wurde 1990 erzielt, als im Zuge der Wiedervereinigung die Einwohnerzahl binnen eines Jahres um 203 000 angestiegen ist.

Seit der Wiedervereinigung hat Baden-Württemberg gemeinsam mit Bayern mit einem Plus von 9,4 % den höchsten Bevölkerungszuwachs aller Bundesländer erzielt. Dahinter folgen Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz. Erhebliche Bevölkerungsrückgänge mussten Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen und Sachsen hinnehmen. Von den Ländern des früheren Bundesgebiets verzeichneten Berlin, Bremen und das Saarland Einwohnerverluste.

Bevölkerungswachstum wird durch Zuwanderung dominiert

Der Anstieg der Bevölkerungszahl um gut 1,1 Mill. Menschen seit Anfang 1990 resultierte zu mehr als vier Fünfteln aus Wanderungsgewinnen und nur zu einem knappen Fünftel aus Geburtenüberschüssen. Dabei sind die Wanderungsströme in den letzten Jahren in deutlich ruhigeren Bahnen verlaufen als noch in der ersten Hälfte der 90er-Jahre. Damals ergaben sich starke Zuströme von Bürgerkriegsflüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien, von Spätaussiedlern und aus den neuen Bundesländern. Per saldo sind im vergangenen Jahrzehnt jahresdurchschnittlich 68 000 Personen zugezogen; in diesem Jahrzehnt waren es bislang lediglich 31 000 Personen. 2006 betrug der Saldo sogar nur 4 000, 2007 lediglich gut 12 000 Personen.

Aus dem Ausland sind seit Anfang 1990 per saldo 632 000 Personen nach Baden-Württemberg gezogen. Zwei Drittel der gesamten Wanderungsgewinne entfielen damit auf Wanderungsverflechtungen mit dem Ausland. Dabei handelte es sich in erster Linie um Zuwanderungen aus Kasachstan, Russland und Rumänien (hier jeweils überwiegend Spätaussiedler und deren Familienangehörige) sowie aus dem ehemaligen Jugoslawien.

Allein auf die Wanderungsströme aus diesen vier Ländern entfielen gut 40 % der gesamten Wanderungsgewinne Baden-Württembergs seit 1990.

Ein Drittel der Wanderungsgewinne wurde seit Anfang 1990 gegenüber den anderen Bundesländern erzielt; hiervon entfiel nur ein Siebtel (43 000 Personen) auf das frühere Bundesgebiet. Dagegen sind per saldo immerhin 256 000 Menschen aus den neuen Bundesländern nach Baden-Württemberg zugezogen.

In den letzten Jahren zeichnet sich allerdings eine merkliche Verschiebung bei den Wanderungsströmen ab: Drei Viertel des gesamten Wanderungsgewinns Baden-Württembergs entfiel seit 2004 auf Gewinne gegenüber den neuen Bundesländern. Dagegen wurden kaum mehr Wanderungsgewinne gegenüber dem Ausland erzielt. Eine der Hauptursachen hierfür war der stetige Rückgang der Spätaussiedlerzahl.

Wandern immer mehr Deutsche aus?

Die in den letzten Jahren gesunkenen Wanderungsgewinne Baden-Württembergs werden auch damit in Verbindung gebracht, dass angeblich immer mehr Deutsche aus dem Südwesten auswandern. Tatsächlich hat die Zahl der Deutschen, die Baden-Württemberg in Richtung Ausland verlassen haben, in den letzten Jahren stetig zugenommen: Waren es im Jahr 2001 erst 18 200, hat sich deren Zahl bis 2007 auf 27 000 Personen erhöht. Zusammengenommen haben damit von 2001 bis 2007 rund 152 000 Baden-Württemberger ihren Wohnsitz ins Ausland verlegt.

Bevorzugtes Zielland ist mit deutlichem Abstand die benachbarte Schweiz. Hierhin zog es seit Anfang 2001 rund 32 900 deutsche Staatsbürger aus Baden-Württemberg. Es folgten Fortzüge in die USA (15 300), nach Frankreich (13 200), Spanien (8 300), Österreich (7 400) und Großbritannien (6 400). Insgesamt entfielen gut zwei Drittel der Auslandsfortzüge in ein europäisches Land.

Ob es sich bei diesen Zahlen tatsächlich und auch in diesem Umfang um dauerhafte Fortzüge im Sinne von »Auswanderung« handelt, ist allerdings mehr als fraglich. In der amtlichen Wanderungsstatistik liegen leider keine Informationen darüber vor, inwieweit die dort dokumentierten Zu- und Fortzüge mit dauerhafter Ein- oder Auswanderung gleichgesetzt werden können. Der Gesetzgeber sieht die Erfassung von Merkmalen, die Hinweise auf Motive oder Dauer eines Auslandsaufenthalts geben können, nicht vor.

Vielmehr ist davon auszugehen, dass ein Teil der Fortzüge von Deutschen ins Ausland nur vorübergehende Aufenthalte sind (etwa aus beruflichen Gründen), denen nach gewisser Zeit eine Rückkehr nach Deutschland folgt. Das legen nicht zuletzt die Zahlen über die Zuzüge von Deutschen aus dem Ausland nach Baden-Württemberg nahe. So kehrten zwischen 2001 und 2007 insgesamt knapp 115 000 deutsche Staatsbürger aus dem Ausland zurück.

Auch wenn die Bilanz aus Zu- und Fortzügen seit dem Jahr 2001 ein Minus von rund 37 000 Deutschen aufweist, so zeigen die Wanderungsströme im Einzelnen, dass es zwischen Baden-Württemberg und dem Ausland eher einen Wanderungsaustausch gibt als eine einseitige »Auswanderung«. Gegenüber der Schweiz ist der »Wanderungsverlust« allerdings enorm und mit steigender Tendenz: Stellt man den Fortzügen seit 2001 die Zahl der »Rückkehrer« nach Baden-Württemberg gegenüber, so ergibt sich ein Minus von insgesamt etwas mehr als 20 000 Personen1.

Günstigste Geburten-Gestorbenen-Relation bundesweit, aber …

Die Geschichte Baden-Württembergs war in demografischer Hinsicht nicht nur durch hohe Wanderungsgewinne, sondern auch durch zum Teil sehr hohe Geburtenüberschüsse geprägt. Der höchste Geburtensaldo mit fast 80 000 Personen wurde 1964 erzielt; damals sind annähernd doppelt so viele Kinder zur Welt gekommen als Menschen gestorben sind. Und auch noch Anfang der 90er-Jahre lag die Zahl der Geburten um immerhin ca. 20 000 über der Gestorbenenzahl.

In den Jahren 2001 bis 2005 war Baden-Württemberg das einzige Bundesland mit einem Geburtenüberschuss. Ursache für die günstigste Geburten-Gestorbenen-Relation aller Bundesländer2 ist zum einen, dass in Baden-Württemberg die jüngste Bevölkerung lebt. So liegt hier das Durchschnittsalter mit 42 Jahren um immerhin knapp ein Jahr niedriger als im gesamten Bundesgebiet (42,9 Jahre). Insbesondere in den neuen Bundesländern ist die Bevölkerung im Schnitt deutlich älter.

Andererseits hat Baden-Württemberg im bundesweiten Vergleich die höchste Lebenserwartung Neugeborener. Ein neugeborenes Mädchen kann heute in Baden-Württemberg auf eine durchschnittliche Lebenserwartung von 83,2 Jahren hoffen, ein neugeborener Junge auf 78,3 Jahre.3. Das sind für Jungen 1,4 Jahre und für Mädchen knapp 1 Jahr mehr als im Durchschnitt aller Bundesländer.

Jüngste Bevölkerung trotz höchster Lebenserwartung – diese günstige Situation ist ganz überwiegend auf die beschriebene starke Zuwanderung nach Baden-Württemberg in den letzten Jahrzehnten zurückzuführen. Denn die Zuziehenden waren im Schnitt etwa 10 Jahre jünger als die bereits hier lebende Bevölkerung und bewirkten dadurch einen gewissen »Verjüngungseffekt«.

… Geburtenüberschüsse werden dennoch der Vergangenheit angehören

Seit dem Jahr 2006 sterben aber auch im Südwesten – wenn auch nur geringfügig – mehr Menschen als geboren werden. Diese Entwicklung beruht ganz überwiegend auf den in den letzten Jahren zurückgehenden Geborenenzahlen, während die Zahl der Gestorbenen noch relativ konstant ist. Der Rückgang der Geburten ist jedoch nicht auf eine gesunkene Geburtenhäufigkeit (Kinder je Frau), sondern auf eine Abnahme der Anzahl an Frauen im gebärfähigen Alter zurückzuführen.

Auch wenn davon auszugehen ist, dass die Lebenserwartung der Bevölkerung künftig weiter ansteigen wird, wird sich das Geburtendefizit aufgrund der Altersstruktur der Bevölkerung aller Voraussicht nach stetig vergrößern. Dies könnte auf längere Sicht dazu führen, dass die künftigen Wanderungsgewinne den Sterbefallüberschuss nicht mehr kompensieren werden, sodass auch für Baden-Württemberg mit Bevölkerungsrückgängen zu rechnen ist. Nach heutiger Kenntnis könnte dieser Trend etwa ab 2012 beginnen und sich in den Folgejahren verstärkt fortsetzen4. So würden dann im Jahre 2030 mit rund 10,5 Mill. Einwohnern etwa 240 000 Menschen weniger im Lande leben als heute. Bis 2050 wäre mit knapp 9,7 Mill. wieder der Bevölkerungsstand von 1990 erreicht. Dies sind knapp 10 %weniger als heute.

Anteil älterer Menschen wird deutlich ansteigen

Mindestens so bedeutsam wie die Entwicklung der Bevölkerungszahl insgesamt ist der Verlauf bei der Altersstruktur. Ende 2000 gab es die historische Zäsur, dass erstmals seit Bestehen des Landes hier mehr 60-jährige und ältere Menschen (2,36 Mill.) lebten als unter 20-jährige (2,34 Mill.). Bis Ende 2007 ist der Bevölkerungsanteil der unter 20-Jährigen auf 21 % gesunken, während der Anteil der 60-Jährigen und Älteren auf rund 24 % zugenommen hat. Diese Entwicklung wird künftig fortschreiten und lässt sich auf absehbare Zeit nicht mehr umkehren. Nach 2030 wäre die nachwachsende Generation (unter 20 Jahren) nicht einmal mehr halb so stark in unserer Gesellschaft vertreten wie die ältere Generation (60 und mehr Jahre).

Mögliche Konsequenzen des demografischen Wandels

Der demografische Wandel hat weitreichende Konsequenzen für praktisch alle Gesellschaftsbereiche, sei es die Kinderbetreuung, den Bildungsbereich, den Arbeitsmarkt, das Gesundheitswesen oder die Alterssicherungssysteme. Einer effizienten Nutzung der bestehenden bzw. einer weitsichtigen Planung der neu zu schaffenden Infrastruktur gerade im kommunalen Bereich dürfte deshalb eine entscheidende Rolle zukommen. Enormer Handlungsbedarf besteht sicherlich – unter anderem – in folgenden Bereichen:

  • Die Schülerzahlen werden in den nächsten Jahren stetig zurückgehen. Bis zum Schuljahr 2025/26 wird aus heutiger Sicht fast jede vierte Schulbank leer bleiben. Im Grundschulbereich hat der Schülerrückgang bereits eingesetzt, in etwa 20 Jahren wird es dort ein Fünftel weniger Schüler geben als heute. Die Hauptschulen werden mit einem Minus von fast einem Drittel den relativ größten Rückgang von den weiterführenden Schulen erleben.
  • Das Erwerbspersonenpotenzial wird auf lange Sicht sinken und zunehmend altern. Berufliche Fortbildung und Neuqualifizierung werden deshalb künftig auch im höheren Erwerbsalter eine noch größere Bedeutung erhalten.
  • Die Zahl der Pflegebedürftigen wird altersstrukturbedingt erheblich ansteigen. Bestehen auch künftig die heutigen Risiken, im Alter pflegebedürftig zu werden (ab 85 Jahre zu 40 %), dann würde die Zahl der Pflegebedürftigen bis zum Jahr 2030 um etwa die Hälfte zunehmen. Da sich Haushalts- und Familienstrukturen ändern, muss darüber hinaus damit gerechnet werden, dass die alten Menschen von morgen weniger Unterstützungsleistungen aus dem unmittelbaren Familienkreis bekommen als heute. Der Bedarf an außerfamiliären Einrichtungen wird deshalb ansteigen.
  • Im Jahr 2007 wurden insgesamt nur noch 33 400 Wohnungen fertiggestellt – der geringste Wert seit Bestehen des Landes. Vor dem Hintergrund mittel- und langfristig sinkender Bevölkerungszahlen wird sich die Bauwirtschaft auf einen weiteres Absinken bezüglich des Fertigstellungsbedarfs im Wohnungsbau einstellen müssen.

Angesichts der langfristigen Wirkungen demografischer Entwicklungen ist es wichtig, sich rechtzeitig auf die so bewirkten Veränderungen einzustellen. Nur so kann der soziale, ökonomische und technologische Strukturwandel möglichst reibungsfrei gestaltet werden.

Der demografische Wandel eröffnet aber auch Chancen. So bietet beispielsweise der Rückgang der Kinderzahlen eine gute Ausgangsposition für den bedarfsgerechten Aus- und Umbau der Kindertagesbetreuung. Weniger Kinder im Kindergartenalter werden in den Kindergärten freie Kapazitäten schaffen, die für eine Angebotsausdehnung (längere Öffnungszeiten, Aufnahme von Kindern unter 3 Jahren) oder auch zur Verbesserung der Betreuungsqualität (Sprachförderung, kleinere Gruppen) genutzt werden können.