:: 7/2011

Berufspendler in Baden-Württemberg

Mehr Erwerbstätige sind weiter unterwegs

Nach den Ergebnissen der aktuellen Berufspendlerrechung für Baden-Württemberg ist die Mobilität der Erwerbstätigen bei leicht zunehmender Beschäftigung bis 2009 weiter angestiegen. Dies äußert sich in steigenden Pendlerzahlen und einer Zunahme der durchschnittlichen Pendelentfernung. Die üblicherweise genannten Gründe – wie geänderte Arbeitsmarktbedingungen oder eine zunehmende Zahl von Haushalten mit mehreren Erwerbstätigen – erklären den Mobilitätsanstieg der letzten Jahre in Baden-Württemberg jedoch nicht zufriedenstellend.

Die täglichen Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsplatz sind der zweitwichtigste Grund, in Deutschland unterwegs zu sein. Der Anteil des Berufsverkehrs an den insgesamt gefahrenen Personenkilometern liegt seit Jahren bei 18 %. Einen höheren Anteil an der Personenverkehrsleistung verbuchen in Deutschland mit gut 35 % nur die Fahrten im Rahmen von Freizeitaktivitäten.1

Immer weniger Erwerbstätige arbeiten in ihrer Wohngemeinde

Die Mobilität der Erwerbstätigen in Baden-Württemberg ist nach den Ergebnissen der aktuellen Berufspendlerrechnung entsprechend dem langjährigen Trend von 2007 bis 2009 weiter angestiegen. Bei einer leichten Zunahme der Erwerbstätigenzahl um 1,2 % ging die Zahl der Erwerbstätigen, die in ihrer Wohngemeinde arbeiten, um 0,2 % zurück. Die Zahl der Erwerbstätigen, die zu einem Arbeitsplatz außerhalb ihrer Wohngemeinde pendeln, stieg dagegen um 2,4 %. Damit ist der Anteil der Erwerbstätigen in Baden-Württemberg, die in ihrer Wohngemeinde arbeiten, bis 2009 auf 43,5 % gesunken. Zum Vergleich: Die vorausgegangene Pendlerrechnung ermittelte für 2007 einen Anteil von 44,1 %, bei der letzten Vollerhebung des Pendlerverhaltens im Rahmen der Volkszählung 1987 arbeiteten noch 58 % der Erwerbstätigen in ihrer Wohngemeinde.

Verkehrs- und umweltpolitische Bedeutung gewinnt diese Entwicklung, weil sie in Verbindung zur Länge der Arbeitswege und zur Verkehrsmittelwahl steht. Berufstätige, die innerhalb ihrer Wohngemeinde arbeiten, haben im Durchschnitt kürzere Arbeitswege und fahren seltener mit dem Auto. Knapp 47 % legten 2008 den Arbeitsweg mit dem PKW zurück, fast 42 % gingen zu Fuß zur Arbeitsstätte oder fuhren mit dem Rad. Von den Pendlern über Gemeindegrenzen fuhren dagegen 83 % mit dem Auto und nur 3 % legten den Weg zur Arbeit nicht motorisiert zurück.2

Mehr Pendler sind weiter unterwegs

Nicht nur die Zahl der Pendler ist gestiegen, auch die Arbeitswege der Erwerbstätigen in Baden-Württemberg sind in den letzen Jahren — im Durchschnitt betrachtet — etwas länger geworden. Die durchschnittliche Pendelentfernung stieg zwischen 2005 und 2009 von 10,3 km auf 10,9 km Luftlinie. Dies ist in erster Linie darauf zurück zu führen, dass die Wegstrecken der Pendler über Gemeindegrenzen länger geworden sind. Sie stiegen von 14,6 auf 15,5 km Luftlinie. Tabelle 3 zeigt, dass von 2005 bis 2009 der Anteil der Pendler mit Arbeitswegen unter 15 km Luftlinie etwas zurückging, während die Anteile bei den höheren Entfernungen jeweils leicht anstiegen. Als Schätzgröße für die Länge des Arbeitsweges dient die Luftlinienentfernung zwischen den Gemeindemittelpunkten der Wohn- und der Arbeitsortgemeinde bzw. bei Erwerbstätigen, die ihrer Wohngemeinde arbeiten, der Radius der als Kreis gedachten Gemeindefläche.

Höhere Kosten bremsen die Mobilität nicht

Die zunehmende Mobilität der Erwerbstätigen ist ein in vielen Wirtschaftsräumen zu beobachtender Trend, der unabhängig davon auftritt, ob die Beschäftigung zu- oder abnimmt. Er lässt sich auch in anderen deutschen Bundesländern feststellen.3 Dabei spricht die Preis- und Einkommensentwicklung der letzten Jahre eher gegen einen Anstieg der Mobilität im Land. Die Haltung und der Betrieb eines PKW oder die Inanspruchnahme von Verkehrsdienstleistungen waren laut Teilpreisindex »Verkehr« in Baden-Württemberg im Jahr 2008, als die Mineralölpreise Rekordniveau erreichten, um 9,8 % teurer als 2005 und im Jahr 2009 um durchschnittlich 7,3 % teurer als 2005. Das Verbraucherpreisniveau in Baden-Württemberg insgesamt kletterte von 2005 bis 2009 um 7,2 %. In dem gleichen Zeitraum stiegen die Arbeitnehmerentgelte je Arbeitnehmer nur um 2,6 %, das verfügbare Einkommen je Einwohner um 5,9 %. Den Haushalten stand damit preisbereinigt und im Durchschnitt betrachtet weniger Geld zur Verfügung. Für Mobilität wurde im Land dennoch mehr Geld ausgegeben. Dies bestätigt die alle 5 Jahre durchgeführte Einkommens- und Verbrauchsstichprobe. Während die gesamten privaten Konsumausgaben je Haushalt und Monat von 2003 bis 2008 um 7 % auf rund 2 470 Euro stiegen, wuchsen die Ausgaben im Bereich Verkehr um 14 % auf 390 Euro. Ausgaben für Mobilität bilden damit nach den Ausgaben rund ums Wohnen weiterhin den zweitgrößten Posten innerhalb der Konsumausgaben.

Gründe für den Anstieg der Pendlermobilität …

Zu den Gründen der zunehmenden Mobilität der Erwerbstätigen finden sich in der Literatur zahlreiche Thesen, die sich teilweise zu widersprechen scheinen oder die sich auf unterschiedliche räumliche Arbeitsmarktlagen beziehen. So wird beispielsweise die zunehmende Erwerbstätigkeit von Frauen und der damit einhergehende steigende Anteil von Haushalten mit mehr als einem Erwerbstätigen als eine Ursache der gestiegenen Pendlermobilität in Deutschland genannt,4 da die Anpassung des Wohnstandorts an den Arbeitsort für diese Haushalte schwieriger ist. Für die jüngste Entwicklung in Baden-Württemberg scheint dies jedoch nicht entscheidend gewesen zu sein. Zwar stieg laut Mikrozensus zwischen 2005 und 2009 der Anteil der Frauen an den Erwerbstätigen in Baden-Württemberg von knapp 45 auf 46 %. Gleichzeitig war jedoch keine deutliche Zunahme des Anteils von Haushalten zu beobachten, in denen mehr als ein Haushaltsmitglied erwerbstätig ist. Der Anteil der Haushalte mit zwei und mehr Erwerbstätigen schwankte zwischen 31 und 33 %. Da Frauen häufiger als Männer Teilzeitbeschäftigungen nachgehen und dann über geringere Distanzen pendeln,5 wäre hier auch ein leichter Rückgang der Pendlermobilität möglich gewesen.

... können schwierige Arbeitsmarktbedingungen sein …

Veränderungen am Arbeitsmarkt, wie die Zunahme befristeter Beschäftigungsverhältnisse oder allgemein kürzere Verweilzeiten in einem Beschäftigungsverhältnis könnten ebenfalls zur Erhöhung des Pendleraufkommens führen, wenn Erwerbstätige bei Aufnahme derartiger Beschäftigungsverhältnisse ihr bisheriges soziales Umfeld nicht durch einen Umzug verlieren wollen.6 In Baden-Württemberg ist jedoch nach den Ergebnissen des Mikrozensus im Zeitraum 2005 bis 2009 – der für eine derartige Fragestellung allerdings kurz ist – kein Trend zu kürzeren Beschäftigungszeiten erkennbar. Allenfalls der Anteil der Erwerbstätigen (ohne Auszubildende) mit befristeten Verträgen erhöhte sich laut Mikrozensus in Baden-Württemberg leicht von 9,1 % im Durchschnitt des Jahres 2005 auf 9,7 % im Durchschnitt des Jahres 2009.

… oder besonders gute Arbeitsmarktbedingungen

Im (scheinbaren) Gegensatz zu der obigen Argumentation stellt der Pendlerbericht Bayern7 fest, der das Pendlerverhalten der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten untersucht: »Insbesondere unter 50-Jährige, Akademiker, Vollzeitbeschäftigte sind unter den Pendlern überdurchschnittlich vertreten. Dies zeigt, dass vor allem ein gut qualifizierter Personenkreis mit relativ stabilen überdurchschnittlich entlohnten Beschäftigungsverhältnissen zur Mobilität neigt bzw. Pendeln in Kauf nimmt.« In eine ähnliche Richtung gehen Hinweise aus der Berufspendlerrechnung 2007, wonach die Höhe des am Arbeitsort erzielbaren Einkommens in Baden-Württemberg ein Faktor ist, der Pendler über längere Entfernungen in Arbeitsplatzzentren zieht.8 Daneben kann aber auch eine schlechte regionale Arbeitsmarktlage häufigeres Fernpendeln zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit erzwingen. Dies lässt sich vor allem für östliche Bundesländer zeigen.9

Spielen Änderungen der Siedlungsstruktur eine Rolle?

Im letzten Drittel des vorangegangenen Jahrhunderts galt die Stadt-Umland-Wanderung der Bevölkerung als wesentliche Ursache des zunehmenden Pendlerverkehrs in die Arbeitsmarktzentren. Ab den 90er-Jahren war neben der Stadt-Umland-Wanderung der Bevölkerung eine verstärkte Verlagerung von Arbeitsplätzen in Umlandgemeinden zu verzeichnen, die aber nicht zu weniger Pendlerverkehr führte.10 Seit 2000 hat sich der Trend zur Suburbanisierung abgeschwächt. Teilweise sind mittlerweile sogar Tendenzen zur Reurbanisierung oder »Renaissance der Städte« zu beobachten.11 Die räumlichen Verteilungsunterschiede zwischen Arbeitsplätzen und Einwohnern in Baden-Württemberg haben sich, über alle Gemeinden des Landes betrachtet, seit 2001 leicht verringert. Der Hoover-Index, der angibt wie stark die Verteilung der Arbeitsplätze und der Einwohner im Land von einander abweichen, sank zwischen 2001 und 2009 von 17,8 auf 16,6 %.Ob dies die Pendelwanderung in Baden-Württemberg, wenn schon nicht in der pauschalen Betrachtung für das Land insgesamt, zumindest regional beeinflusst hat, soll in einer späteren Ausgabe des Monatshefts untersucht werden.