:: 12/2009

Kapital und Arbeit

Wirtschaftliche Leistung, gemessen als Bruttoinlandsprodukt, entsteht durch den kombinierten Einsatz der Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital. Wenn auch der Schwerpunkt des vorliegenden Beitrags auf die Kapitalausstattung der baden-württembergischen Wirtschaft gerichtet ist, so können die Verflechtungen mit dem Faktor Arbeit nicht ignoriert werden. Die Ergebnisse des Arbeitskreises »Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder« weisen darauf hin, dass in den letzten 4 Dekaden in erheblichem Umfang Arbeit durch Kapital substituiert wurde. Gleichzeitig hat sich die Arbeitsproduktivität nahezu verdoppelt. Dies dürfte vor allem auf die zuvor erwähnte Substitution und den technisch-organisatorischen Fortschritt zurückzuführen sein, der sich mit der Kapitalbildung, das heißt durch die zugeführten neuen Anlagengüter, vollzieht. Bedenklich stimmt, dass der Modernitätsgrad des Produktivvermögens dennoch nahezu kontinuierlich sinkt.

Der in Baden-Württemberg 20061 in der Gesamtwirtschaft eingesetzte Kapitalstock hatte einen Wert von gut 1 644 Mrd. EUR, also mehr als 1,6 Billionen Euro. Davon entfiel mit rund 84 % der größte Anteil auf den Dienstleistungssektor, während das Produzierende Gewerbe (einschließlich Baugewerbe) nur 14 % auf sich vereinen konnte (Tabelle). Dieser im Prinzip schon immer vorhandene Schwerpunkt im Dienstleistungssektor ist vor allem auf die im Wirtschaftsbereich »Finanzierung, Vermietung und Unternehmensdienstleister« miterfasste Wohnungsvermietung zurückzuführen. In diesem Bereich schlägt der Bestand an vermietetem und eigen genutztem Wohnraum wertmäßig in hohem Maße zu Buche. Unverkennbar ist jedoch auch beim Kapitalstock der Strukturwandel zugunsten der Dienstleistungen. So schrumpfte von 1970 bis 2006 der Anteil des Produzierenden Gewerbes (einschließlich Baugewerbe) und der Land- und Forstwirtschaft, Fischerei zusammen um fast 9 Prozentpunkte. Dagegen konnten die Dienstleistungen in derselben Größenordnung zulegen. Ingesamt hat Baden-Württemberg im Jahr 2006 rund ein Siebtel des in Deutschland vorhandenen Kapitalstocks gestellt.

Kräftige Zunahme der Kapitalintensität

Der Kapitalstock der baden-württembergischen Wirtschaft ist im Zeitraum von 1970 bis 2006 um gut 178 % und damit deutlich stärker als das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt (+132 %) gewachsen. Gleichzeitig erhöhte sich der Arbeitseinsatz, gemessen an der Zahl der Erwerbstätigen, nur um knapp 29 % (Schaubild 1). Dies bedeutet, dass in der baden-württembergischen Wirtschaft offensichtlich ein enormer Substitutionsprozess zugunsten des Kapitals stattgefunden hat und die Ausstattung mit Gebäuden, Maschinen, Computern, Fahrzeugen bis hin zu den Infrastruktureinrichtungen für das Produktionspotenzial und das Wirtschaftswachstum von entscheidender Bedeutung ist. Hinter der hohen Zuwachsrate des Kapitalstocks verbirgt sich nicht nur eine Mengen-, sondern auch eine Qualitätskomponente, die letztendlich auch im technischen Fortschritt durch die Investitionen in neue Anlagen und Technologien zum Ausdruck kommt.

In der Südwestwirtschaft betrug 1970 die Kapitalintensität real fast 140 000 EUR je Erwerbstätigen, 2006 waren es bereits 303 000 EUR. Im Bundesdurchschnitt wurde im Jahr 2006 mit einem Wert von gut 290 000 EUR etwas weniger Kapital je Erwerbstätigen eingesetzt, wobei aufgrund anderer struktureller Gegebenheiten, wie zum Beispiel des größeren Anteils personalintensiverer Dienstleistungsbereiche in den neuen Bundesländern, der ostdeutsche (244 000 EUR) deutlich hinter dem westdeutschen Durchschnitt2 (298 000 EUR) zurückblieb.

Besonders ausgeprägt war hierzulande die Zunahme der Kapitalintensität im Produzierenden Gewerbe (einschließlich Baugewerbe) mit 146 %. Deutlich dahinter lag der Dienstleistungssektor mit einem durchschnittlichen Plus von 40 %. Hierbei muss berücksichtigt werden, dass sich die früher im Produzierenden Gewerbe häufiger von gleichförmigen physischen Abläufen geprägte Arbeit eher für den Ersatz durch technische Lösungen und Automation eignete. Allerdings hat der technische Fortschritt gerade auch in der Dienstleistungssparte »Verkehr- und Nachrichtenübermittlung« zu einer erheblichen Zunahme der Kapitalintensität geführt.3

Kapitalproduktivität sinkt – Arbeitsproduktivität steigt

Die Arbeitsproduktivität hat von der besseren und intensiveren Kapitalausstattung der Arbeitsplätze erheblich profitiert. Sie konnte in Baden-Württemberg im Zeitraum von 1970 bis 2006 um gut 80 % und damit stärker als im Durchschnitt der alten Bundesländer4 (71 %) zulegen. Dagegen ist in demselben Zeitraum die Kapitalproduktivität um knapp 17 % zurückgegangen (alte Bundesländer: – 18 %). Diese zunächst als paradox erscheinende gegenläufige Entwicklung erklärt sich schon allein aus dem im i-Punkt dargestellten rechnerischen Zusammenhang zwischen den Kennziffern Kapitalproduktivität, Arbeitsproduktivität und Kapitalintensität. Demnach sinkt unter ansonsten konstanten Bedingungen die Kapitalproduktivität, wenn – wie im Beobachtungszeitraum festzustellen war – die Kapitalintensität stärker als die Arbeitsproduktivität gestiegen ist. Als ökonomische Hintergründe für dieses Phänomen können angeführt werden, dass sich zum einen der technische Fortschritt insbesondere arbeitssparend ausgewirkt hat und zum anderen wohl Kostenvorteile des Produktionsfaktors Kapital im Vergleich zum Produktionsfaktor Arbeit den Kapitaleinsatz beschleunigt haben. Weggefallen sind vor allem die weniger qualifizierten Arbeitsplätze. Einhergegangen ist dieser Substitutionsprozess letztendlich auch mit den konjunkturbedingten Rationalisierungswellen, sodass sich über die einzelnen Rezessionsphasen ab Mitte der 70er-Jahre bis heute eine beachtliche Sockelarbeitslosigkeit aufgebaut hat.5

Besonders deutlich sind im Zeitraum 1970 bis 2006 die Entwicklungen von Kapitalproduktivität und Arbeitsproduktivität im Produzierenden Gewerbe (einschließlich Baugewerbe) auseinandergefallen: Einer Zunahme der Arbeitsproduktivität von gut 125 % stand ein Rückgang der Kapitalproduktivität von rund 9 % gegenüber. Im Dienstleistungssektor ist die Kapitalproduktivität nur um knapp 1 % zurückgegangen, allerdings ist hier die Arbeitsproduktivität auch nur um 39 % gestiegen.6 Zurückzuführen ist dieser Unterschied darauf, dass – wie bereits an anderer Stelle erwähnt – die Substitution von Arbeit durch Kapital im Produzierenden Gewerbe in viel stärkerem Umfang als im Dienstleistungssektor stattgefunden hat.

Seit Jahren rückläufiger Modernitätsgrad

Der Modernitätsgrad des Kapitalstocks der baden-württembergischen Wirtschaft ist seit Mitte der 70er-Jahre stetig zurückgegangen. Waren damals noch gut 70 % des Anlagevermögens nicht abgeschrieben, betrug dieser Anteil 2006 nur noch rund 60 % (Schaubild 2). Im Bundesdurchschnitt ergab sich ein etwas günstigerer Modernitätsgrad von knapp 61 %. Davon hebt sich Ostdeutschland mit einem weit überdurchschnittlichen Modernitätsgrad von gut 68 % deutlich ab, was angesichts der umfassenderen Erneuerung der Produktionsanlagen nach der deutschen Vereinigung auch nicht überrascht. Allerdings zeigen sich auch hier seit der Jahrtausendwende leichte Tendenzen einer Alterung des Produktivvermögens.

In Baden-Württemberg wies das Anlagevermögen im Produzierenden Gewerbe (einschließlich Baugewerbe) mit einem Modernitätsgrad von 50 % eine erheblich ungünstigere Altersstruktur auf als im Dienstleistungssektor, für das sich ein Wert von gut 62 % ergab. Charakteristisch für beide Sektoren ist, dass die Bauten weniger als die Ausrüstungen gealtert sind, im Trend jedoch beide Anlagekategorien einem voranschreitenden Alterungsprozess unterliegen. Dies lässt auf Defizite bei den laufenden Investitionen zur Erneuerung des Produktivvermögens schließen. So fällt in der langfristigen Betrachtung auf, dass im Südwesten die Investitionsquote – gemessen als der Anteil der Bruttoanlageinvestitionen am Bruttoinlandsprodukt – deutlich gesunken ist.7 Ursachen hierfür können zum einen zurückgestellte Infrastrukturmaßnahmen, zum anderen mit der Globalisierung einhergehende Verlagerungen von Produktionskapazitäten ins Ausland sein. Des Weiteren ist nicht auszuschließen, dass auch die bei den Investitionsgütern durch den rasanten technischen Fortschritt kürzer werdenden Produktzyklen früher zu größeren Abschreibungen der Anlagen führen und damit das den Modernitätsgrad letztendlich bestimmende Nettoanlagevermögen tendenziell stärker mindern.

1 Aufgrund der in den regionalen Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen eingeschränkten Datenverfügbarkeit kann die Berechnung des Kapitalstocks erst im 3. des dem Berichtsjahr folgenden Jahres durchgeführt werden.

2 Westdeutschland = alte Bundesländer einschließlich Berlin; Ostdeutschland = neue Bundesländer ohne Berlin.

3 Anhaltspunkte dafür liefert die nur in den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen des Statistischen Bundesamtes für Deutschland tiefer mögliche Untergliederung des Kapitalstocks nach Wirtschaftsbereichen (vgl. Statistisches Bundesamt, Inlandsproduktsberechnung – Lange Reihen ab 1970, Fachserie 18, Reihe 1.5, 2008, Tabelle 2.23 Kapitalintensität).

4 Ohne Berlin.

5 Siehe auch Fischer, Berthold/Vullhorst, Udo/Werner, Joachim: »Wirtschaftskrisen und Konjunkturzyklen in Baden-Württemberg seit 1950«, in: »Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 9/2009«

6 Die Entwicklung der Kapital- und Arbeitsproduktivität der hier betrachteten Wirtschaftssektoren ist mit der zuvor dargestellten Gesamtentwicklung nicht unmittelbar vergleichbar, weil für die Berechnung der Produktivitäten der Gesamtwirtschaft das BIP verwendet wurde und nicht die gesamtwirtschaftliche Bruttowertschöpfung. In das BIP fließen neben der gesamten Bruttowertschöpfung auch die quantitativ nicht unbeachtlichen Nettogütersteuern mit ein. Hinzu kommt die Wertschöpfung des Wirtschaftsbereichs »Land- und Forstwirtschaft, Fischerei«, auf dessen Einbeziehung und Darstellung bei den Produktivitäten verzichtet wurde. Des Weiteren ist das Problem der Nichtadditivität der verketteten Absolutwerte von Teilaggregaten bei der Berechnung der Kettenindizes zu berücksichtigen.

7 Vgl. Fischer, Berthold: »Aspekte der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage«, in: »Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 6/2009«