:: 7/2010

Die Lebenserwartung der baden-württembergischen Bevölkerung

Aktuelle Trends und Perspektiven

Die Menschen in Baden-Württemberg leben immer länger: Lag die durchschnittliche Lebenserwartung eines neugeborenen Mädchens Anfang der 70er-Jahre noch bei 74,5 Jahren und die eines Jungen bei lediglich 68,5 Jahren, sind es derzeit immerhin 83,3 bei den Frauen bzw. 78,6 Jahre bei den Männern. Bundesweit hat damit die Bevölkerung im Südwesten die höchste Lebenserwartung und auch europaweit gibt es nur wenige Staaten, in denen die Menschen länger leben.

Im folgenden Beitrag werden die aktuellen Entwicklungen bei der Sterblichkeit in den einzelnen Altersgruppen analysiert. Darüber hinaus soll auch den Fragen nachgegangen werden, worauf regionale Unterschiede in der Lebenserwartung zurückgeführt werden können, weshalb Frauen im Schnitt länger als Männer leben und wie sich die Lebenserwartung in Zukunft entwickeln könnte.

In Baden-Württemberg leben derzeit knapp 235 000 Personen, die 85 Jahre oder älter sind. Diese Altersgruppe setzt sich zu etwa drei Vierteln aus Frauen (171 000) und lediglich zu einem Viertel aus Männer (63 000) zusammen. Die Zahl der Hochbetagten hat sich damit seit Mitte der 70er-Jahre vervierfacht.

Die Gründe für diese Entwicklung hin zu immer mehr älteren Menschen, sind auf die Verschiebung der Altersstruktur der Bevölkerung, aber auch auf die stetig steigende Lebenserwartung zurückzuführen. Ein neugeborener Junge kann heute in Baden-Württemberg auf eine Lebenserwartung von 78,6 Jahren hoffen, ein neugeborenes Mädchen sogar auf 83,3 Jahre. Damit liegt die Lebenserwartung Neugeborener um 9 bzw. 10 Jahre höher als Anfang der 70er-Jahre. Verglichen mit dem Bundesdurchschnitt haben die Mädchen eine um 11, die Jungen sogar um 17 Monate höhere Lebenserwartung.

Sterblichkeit in allen Altersgruppen gesunken

Die Sterblichkeit ist in den letzten Jahrzehnten in allen Altersgruppen zurückgegangen. Besonders stark war der Rückgang im Säuglingsalter sowie im Alter bis unter 10 Jahre – seit Anfang der 70er-Jahre um über 80 %. Aber auch in den meisten anderen Altersgruppen ist die Sterberate in diesem Zeitraum um mehr als die Hälfte zurückgegangen.

Heute sterben 3 von 1 000 Neugeborenen im ersten Lebensjahr, 1970/72 waren es dagegen noch etwa 20. Im Jahr 1952 – dem Gründungsjahr des neuen Bundeslandes Baden-Württemberg – lag die Säuglingssterblichkeit bei 44 Fällen auf 1 000 Lebendgeborene und am Anfang des 20. Jahrhunderts starb sogar noch jedes fünfte Kind vor Vollendung seines ersten Lebensjahres.1

Trotz der in den letzten Jahrzehnten enorm gesunkenen Säuglingssterblichkeit liegt heute die Wahrscheinlichkeit, im ersten Lebensjahr zu sterben, rund 30-mal so hoch wie die Sterbewahrscheinlichkeit für ein Kind im Grundschulalter. Das Sterberisiko eines Säuglings wird erst wieder im Altersbereich der Anfang 50-Jährigen erreicht.

Die geringste Sterblichkeit haben die 8- bis 11-jährigen Mädchen und Jungen; in dieser Altersgruppe stirbt nicht einmal jedes 10 000ste Kind. Vergleichsweise hohe Risiken lassen sich aber immer noch bei den Jugendlichen und Männern im Altersbereich zwischen 15 und 25 Jahren beobachten. Ursache hierfür sind vor allem Sterbefälle aufgrund von Verkehrsunfällen und Selbsttötungen. Annähernd vier Fünftel dieser Todesursachen in dieser Altersgruppe entfallen auf das männliche Geschlecht.

Die Sterbewahrscheinlichkeiten der Männer liegen in allen Altersgruppen höher als die der Frauen. Am stärksten ist die so genannte Übersterblichkeit in der Altersgruppe vom 18. bis etwa zum 30. Lebensjahr vor allem aufgrund der genannten »unnatürlichen« Todesursachen ausgeprägt. Erst im hohen Alter nähern sich beide Kurven wieder an.

Verglichen mit den Verhältnissen zum Anfang der 70er-Jahre hat sich die Übersterblichkeit der Männer in den einzelnen Altersgruppen unterschiedlich entwickelt. Während sie im Kinder- und Jugendlichenalter zurückgegangen und sich im erwerbsfähigen Alter kaum verändert hat, hat sich die höhere Sterblichkeit der Männer gegenüber der der Frauen in der Altersgruppe der über 65-Jährigen tendenziell vergrößert.

Immer mehr Menschen erreichen das Hochbetagtenalter

Aufgrund der stetig sinkenden Sterblichkeit wachsen immer mehr Menschen in ein hohes Alter hinein. So können unter den aktuellen Sterblichkeitsverhältnissen immerhin 86 % der neu geborenen Jungen und sogar 92 % der neu geborenen Mädchen ihren 65. Geburtstag erleben; 1970/72 lagen diese Anteile noch bei 71 % bzw. 83 %. Die Aussicht, das Hochbetagtenalter zu erreichen, also 85 Jahre alt zu werden, haben immerhin 37 % der Männer und sogar 54 % der Frauen. 1970/72 waren es erst 12 % bzw. 23 %.

Die Gründe für die seit Jahrzehnten steigende Lebenserwartung sind vielfältig. Neben der bereits genannten stark gesunkenen Säuglings- und Kindersterblichkeit hat die Sterblichkeit auch im höheren Alter vor allem aufgrund der verbesserten gesundheitlichen Vorsorge und der medizinischen Versorgungssituation beträchtlich abgenommen. So sind insbesondere die Sterbefälle aufgrund der Todesursache »Krankheiten des Kreislaufsystems« – der mit Abstand häufigsten Todesursache – deutlich zurückgegangen. Und dies, obwohl die Bevölkerung im Schnitt immer älter wurde und es sich hier um eine eigentlich typische Altersursache handelt.2 1970 sind noch 469 Personen je 100 000 der Bevölkerung an Krankheiten des Kreislaufsystems gestorben, im Jahr 2008 waren es nur noch 375 – ein Minus von immerhin einem Fünftel.

Ähnlich der Rückgang bei den Sterbefällen aufgrund von Unfällen und Vergiftungen: 1970 war dies bei 54 Personen je 100 000 der Bevölkerung die Todesursache, 2008 lag diese Kennziffer nur noch bei 28 – ein Rückgang um knapp die Hälfte. Demgegenüber hat sich die Sterblichkeit aufgrund von bösartigen Neubildungen zwischen 1970 und 1980 erhöht und ist seither praktisch unverändert.3

Warum leben Frauen länger als Männer und …

Etwas verringert hat sich in den letzten Jahren auch der Unterschied in der Lebenserwartung zwischen Frauen und Männern4 – auch wenn Frauen immerhin im Schnitt noch knapp 5 Jahre länger leben. Die höhere Lebenserwartung der Frauen gegenüber der der Männer ist wohl nur zu einem kleineren Teil biologisch bedingt5; ganz überwiegend dürfte sie auf unterschiedliche Verhaltensweisen zurückzuführen sein. Frauen ernähren sich im Schnitt gesünder, sie setzen sich im Alltag weniger Gefahren aus, verüben deutlich seltener Suizid und nehmen häufiger Gesundheitsvorsorgeuntersuchungen in Anspruch.

… die Bewohner des Landkreises Tübingen im Land am längsten?

Ausgeprägte Unterschiede in der Lebenserwartung gibt es nicht nur zwischen Männern und Frauen, sondern auch zwischen den Teilräumen des Landes. Innerhalb Baden-Württembergs weist die Bevölkerung im Landkreis Tübingen sowohl bei den Frauen als auch bei den Männern die höchste Lebenserwartung auf; mit 84,3 Jahren bei den Frauen und 79,7 Jahren bei den Männern liegt sie immerhin jeweils um ein Jahr höher als landesweit. Am zweitlängsten leben – im Schnitt – die Frauen im Enzkreis und die Männer im Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald. Am niedrigsten ist die durchschnittliche Lebenserwartung der Frauen in Mannheim und der Männer im Landkreis Schwäbisch Hall.6

Als Erklärung für diese regionalen Unterschiede kommen in erster Linie Faktoren in Frage, die mit der Höhe des Einkommens, des Bildungsstandes und dem sozialen Status zusammenhängen. So weisen Gebiete, in denen die Bevölkerung im Durchschnitt höhere Einkommenspositionen verzeichnet, eine höhere Lebenserwartung auf als einkommensschwächere Gebiete. Es ist zu vermuten, dass sich eine bessere Einkommenssituation und soziale Lage günstig auf die Lebensweise und Lebensumstände auswirken. Dazu gehören ein größeres Gesundheitsbewusstsein, ein leichterer Zugang zu gesundheitlicher Versorgung sowie das Ernährungsverhalten. Die regionalen Unterschiede der Umweltbelastungen und der Verfügbarkeit von Ärzten und Krankenhäusern haben dagegen in Baden-Württemberg keinen signifikanten Einfluss mehr auf die Lebenserwartung.7

Dass die Bevölkerung im Landkreis Tübingen landesweit die höchste Lebenserwartung aufweist, dürfte insbesondere mit dem hohen Bildungsniveau in Zusammenhang gebracht werden. Auffällig ist nämlich zum einen, dass dort der Anteil der Beschäftigten mit Hochschulabschluss höher ist als in allen anderen Landkreisen. Zum anderen wechseln in keinem anderen Landkreis so viele Grundschüler auf ein Gymnasium wie im Landkreis Tübingen.

Ausblick: Lebenserwartung wird wahrscheinlich auch künftig ansteigen

»Jedes zweite der im Jahr 2007 in Deutschland zur Welt gekommenen Babys würde (…) 102 Jahre alt«8, wenn der Trend hin zu einer steigenden Lebenserwartung anhält. Wie ist aber dieses Ergebnis von Forschern der Universitäten von Rostock und Süddänemark mit demjenigen aus der aktuellen Sterbetafel 2006/08 in Einklang zu bringen, wonach die Lebenserwartung eines neu geborenen Jungen in Baden-Württemberg »nur« bei knapp 79 Jahren und eines neu geborenen Mädchens »nur« bei gut 83 Jahren liegt?

Der scheinbare Widerspruch dieser Ergebnisse erklärt sich dadurch, dass mit den Sterbetafelberechnungen die Lebenserwartung der heute Geborenen nur unter der Prämisse angegeben werden kann, dass die aktuellen Sterblichkeitsverhältnisse auch für die Zukunft gelten (vgl. i-Punkt).

Da aber die Lebenserwartung in den vergangenen Jahrzehnten erheblich angestiegen ist und wohl auch in Zukunft weiter ansteigen wird9, dürfte die Lebenserwartung von heute Geborenen höher ausfallen als in der Periodensterbetafel ermittelt wurde. Ein heute geborenes Kind wird deshalb im Schnitt voraussichtlich älter als 79 bzw. 83 Jahre werden. Ob aber tatsächlich jedes zweite heute in Deutschland geborene Kind 102 Jahre alt wird, erscheint dagegen mehr als fraglich.10

Nicht geteilt wird auch die verschiedentlich vertretene Auffassung, dass es keine biologische Altersgrenze für die Menschen gäbe.11 Wie sonst ist es zu erklären, dass bisher kein Mensch nachweislich 125 Jahre alt geworden und die Restlebenserwartung von 80-jährigen Männern und Frauen in den letzten 250 Jahren kaum gestiegen ist?12Die steigende durchschnittliche Lebenserwartung ist vielmehr darauf zurückzuführen, dass immer mehr Menschen ein höheres Lebensalter erreichen, nicht aber weil sich die biologische Lebensspanne der Menschen entscheidend erhöht hätte.13