:: 2/2008

Demografie und Familie im Ländlichen Raum

Der Geburtenrückgang und die damit verbundene Verringerung und Alterung der Bevölkerung sind Entwicklungen, die vor dem Ländlichen Raum nicht haltmachen. Zwar liegen die Geburtenraten im Ländlichen Raum Baden-Württembergs noch etwas höher als in den Verdichtungsräumen und folglich ist auch die Altersstruktur noch etwas jünger. Gleichwohl ist in den letzten drei Jahrzehnten eine Angleichung des Geburtenverhaltens in Stadt und Land zu beobachten. Mit durchschnittlich 148 Geburten je 100 Frauen (im Alter von 15 bis unter 45 Jahren) liegen auch die Geburtenraten in den Gemeinden des Ländlichen Raums deutlich unter dem Niveau von rund 210 Geburten je 100 Frauen, bei dem die Bevölkerungszahl ohne Zuwanderungen langfristig konstant bleiben würde.

Der Ländliche Raum wird wie ganz Baden-Württemberg ab dem nächsten Jahrzehnt an Einwohnern und insbesondere an jungen Menschen verlieren. Gleichzeitig wird der Wettbewerb um den Zuzug und den Verbleib junger Menschen und junger Familien eher noch zunehmen. Gute Ausgangsbedingungen in diesem Standortwettbewerb haben Kommunen, die sich durch überdurchschnittliche Geburtenraten und eine überdurchschnittliche Zuwanderung von jungen Familien auszeichnen, sofern sie nicht als Zielgruppe vorrangig ältere Menschen im Blick haben. Entscheidend für die künftige Attraktivität sind das Arbeitsplatz- und Wohnungsangebot in den Gemeinden und Städten, aber auch die weiteren familien-freundlichen Rahmenbedingungen wie zum Beispiel die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und die Bildungs- und Betreuungsangebote für Kinder. Mit dem Rückgang der Kinderzahlen besteht für viele Gemeinden im Ländlichen Raum auch die Chance, die familienbezogene Infrastruktur bedarfsgerecht umzubauen und dadurch die Attraktivität für junge Familien und Fachkräfte deutlich zu verbessern.

Kinderzahlen gehen zurück – im Ländlichen Raum stärker als in den Verdichtungsräumen

In den letzten 25 Jahren ist der Anteil der Kinder und Jugendlichen in Baden-Württemberg deutlich zurückgegangen – im Ländlichen Raum noch etwas stärker als in den höher verdichteten Räumen. Im Ländlichen Raum im engeren Sinne, wie ihn der Landesentwicklungsplan (LEP 2002) definiert1, lebten im Jahr 1980 unter 100 Einwohnern 27 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren, im Jahr 2005 sind es lediglich noch 21 und bis zum Jahr 2025 werden es voraussichtlich nur noch 16 Kinder und Jugendliche sein.

In den Verdichtungsräumen (nach LEP 2002) war die Altersstruktur auch in der Vergangenheit schon etwas ungünstiger: Im Jahr 1980 lebten hier unter 100 Einwohnern 22 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren, im Jahr 2005 sind es 18 und im Jahr 2025 werden es voraussichtlich nur noch 15 Kinder und Jugendliche sein. Der Ländliche Raum i.e.S. wird also in Zukunft voraussichtlich nur noch eine geringfügig günstigere Altersstruktur haben, weil der Rückgang der Kinderzahlen hier deutlicher ausfallen wird als in den Verdichtungsräumen und die Altersstrukturen in städtischen und ländlichen Räumen sich tendenziell annähern.

Der Rückgang der Kinderzahlen wird in der Höhe regional unterschiedlich ausfallen. Die Altersstruktur kann zwischen benachbarten Gemeinden stark variieren. Gleichwohl lassen sich in größeren zusammenhängenden Teilräumen bestimmte altersstrukturelle Muster erkennen. So sind etwa im mittleren und südlichen Schwarzwald, auf der Schwäbischen Alb, in Oberschwaben, Ostwürttemberg und in Teilen von Heilbronn-Franken heute noch vergleichsweise hohe Kinderanteile festzustellen. Entsprechend hoch wird der Rückgang der Kinderzahlen in diesen Teilräumen ausfallen.

Sinkende Geburtenraten im Ländlichen Raum

Die Ursachen für den gegenwärtigen Rückgang der Kinderzahlen liegen bereits in der Vergangenheit: Nach dem deutlichen Rückgang der Geburtenraten in den 70er-Jahren hat sich das Geburtenverhalten in Baden-Württemberg auf ein niedriges Niveau eingependelt. Im Landesdurchschnitt liegt die sogenannte zusammengefasste Geburtenrate (total fertility rate)2 seit Ende der 70er-Jahre zwischen rund 130 und 140 Geburten je 100 Frauen (im Alter von 15 bis unter 45 Jahren) und damit deutlich unter der Rate von rund 210 Geburten je 100 Frauen, bei der die Bevölkerungszahl auch ohne Zuwanderungen langfristig konstant bleiben würde. Es werden also jährlich rund ein Drittel weniger Kinder geboren, als für die Bestandserhaltung der Bevölkerung notwendig wären. In der Folge ist zudem die heutige Elterngeneration um ein Drittel kleiner als die vorangegangenen Elterngenerationen. Dies bewirkt gegenwärtig einen nochmaligen Rückgang der Kinderzahlen.

Innerhalb des Landes ist die Geburtenrate regional unterschiedlich. Schaubild 2 differenziert die zusammengefasste Geburtenrate (total fertility rate) für die Verwaltungsgemeinschaften und Einheitsgemeinden Baden-Württembergs im Zeitraum 1981 bis 1985. Schaubild 3 zeigt die Geburtenrate auf dem Niveau von 2001 bis 2005. Im Vergleich beider Schaubilder ist zunächst der Rückgang der dunkelrot markierten Flächen auffällig: Eine örtliche Geburtenrate von 170 oder mehr Neugeborenen je 100 Frauen, wie sie Anfang der 80er-Jahre in ländlich geprägten Räumen noch vermehrt anzutreffen war, ist heute eine seltene Ausnahme. Derzeit reicht die Geburtenrate in keiner der 461 Verwaltungsgemeinschaften und Einheitsgemeinden mehr an das bestandserhaltende Niveau von rund 210 Geburten je 100 Frauen heran.

Nach wie vor liegt die Geburtenrate in den Gemeinden des Ländlichen Raums im Durchschnitt noch höher als in den Verdichtungsräumen. Gleichwohl ist über die letzten 20 Jahre eine Annäherung des Geburtenverhaltens zu beobachten. Bildlich gesprochen: Von Schaubild 2 zu Schaubild 3 gesehen verblassen die Kontraste. So lag die Geburtenrate im Ländlichen Raum i.e.S. im Zeitraum 1981 bis 1985 bei durchschnittlich 165 Neugeborenen je 100 Frauen, im Zeitraum 2001 bis 2005 dann nur noch bei 148 Geburten je 100 Frauen. Die Geburtenrate in den Verdichtungsräumen blieb dagegen im gleichen Zeitraum nahezu ähnlich auf niedrigem Niveau (derzeit 128 Neugeborene je 100 Frauen).

Die dargestellten örtlichen Geburtenraten können durchaus von Gemeinde zu Gemeinde stark variieren und insbesondere in kleinen Gemeinden mit wenigen Geburten auch von Jahr zu Jahr unterschiedlich sein. Um annähernd verlässliche Kennzahlen zu ermitteln, wurden die Geburtenraten nicht für die 1 109 Gemeinden und Städte, sondern lediglich für die insgesamt 461 Verwaltungsgemeinschaften und Einheitsgemeinden3 Baden-Württembergs berechnet und zudem jeweils über einen 5-Jahres-Zeitraum gemittelt. Trotz der gebotenen Vorsicht lassen sich größere zusammenhängende Teilräume erkennen, in denen viele ländlich geprägte Einheitsgemeinden und Verwaltungsgemeinschaften mit noch vergleichsweise hohen Geburtenraten liegen: Dies sind der mittlere und südliche Schwarzwald, die Schwäbische Alb, Oberschwaben, Ostwürttemberg und Heilbronn-Franken, wo auch eine vergleichsweise junge Altersstruktur in der Bevölkerung zu beobachten ist. In den städtischen Verdichtungsräumen Stuttgart, Rhein-Neckar, Karlsruhe/Pforzheim, Freiburg im Breisgau, Lörrach/Weil, Ulm und Bodenseeraum liegen die Geburtenraten dagegen durchweg auf deutlich niedrigerem Niveau. Die regionalen Unterschiede im Geburtenverhalten sind in den letzten 20 Jahren also etwas verblasst, aber noch deutlich erkennbar.

Die Familiengründung wird immer weiter aufgeschoben

Der Wandel im Geburtenverhalten in den letzten drei Jahrzehnten geht einher mit einem »Trend zur späten Mutterschaft«. Bedingt durch die zunehmende Erwerbsorientierung von Frauen, das gestiegene Ausbildungsniveau und die damit verbundenen längeren Ausbildungszeiten, bedingt auch durch brüchiger werdende Partnerschaften und die gewachsene Vielfalt von möglichen individuellen Lebensentwürfen entscheiden sich immer mehr Paare erst jenseits von 30 oder 35 Jahren für ein erstes Kind. Wie die Auswertung der amtlichen Geburtenstatistik zeigt, lag das Durchschnittsalter verheirateter Mütter bei der Erstgeburt im Zeitraum 1981 bis 1985 in Baden-Württemberg bei rund 25 Jahren. 20 Jahre später, im Zeitraum 2001 bis 2005 beträgt das Durchschnittsalter bei der Erstgeburt rund 29 Jahre4

Die Auswertung der Geburtenstatistik für die 461 Verwaltungsgemeinschaften und Einheitsgemeinden zeigt, dass in bestimmten eher ländlich geprägten Teilräumen eine vergleichsweise frühe Familiengründung mit Mitte bis vor Ende 20 Jahren noch etwas verbreiteter ist als in den städtischen Zentren und Verdichtungsräumen. Insbesondere in Teilräumen des mittleren und südlichen Schwarzwalds und der Schwäbischen Alb sowie in Teilräumen Ostwürttembergs und Heilbronn-Frankens liegt das Durchschnittsalter verheirateter Mütter bei der Erstgeburt etwas niedriger als in den stärker verdichteten Räumen. Gleichzeitig sind in diesen Teilräumen die Geburtenraten oftmals noch höher.

Der Zeitpunkt der Familiengründung steht häufig in Zusammenhang mit dem Verlauf der individuellen Ausbildungsbiografie: Durch die langen Ausbildungszeiten insbesondere der akademischen Fachrichtungen verschiebt sich die Realisierung von Kinderwünschen häufig jenseits der Altersgrenze von 30 oder gar 35 Jahren. So zeigt sich für die Kreise in Baden-Württemberg, dass ein hoher regionaler Akademisierungsgrad der Frauen häufig mit einem hohen Anteil später Mutterschaften und einer geringen Geburtenhäufigkeit – gemessen an allen Frauen – einhergeht5. Dahinter steckt das Lebenskonzept des »Nacheinanders« von Ausbildung, Berufseinstieg, Etablierung und Familiengründung, das insbesondere in Westdeutschland weit verbreitet ist6.

Es bleibt festzuhalten: Die Geburtenrate im Ländlichen Raum gleicht sich allmählich dem niedrigen Niveau der Verdichtungsräume an. Der Zusammenhang zwischen niedriger Geburtenrate und später Familiengründung verweist auf den Bedarf nach verbesserten Rahmenbedingungen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie – ein Handlungsbedarf für städtisch und ländlich geprägte Räume gleichermaßen.

Der Ländliche Raum bietet nach wie vor attraktives Wohnen für Familien

Die Bevölkerungsdynamik im Ländlichen Raum wird neben der Geburtenrate vor allem durch die Zu- und Abwanderung von Einwohnern bestimmt. Angesichts der fortschreitenden Alterung der Bevölkerung kommen die Gemeinden und Städte möglicherweise zunehmend in den Wettbewerb um den Zuzug und den Verbleib junger Menschen und insbesondere junger Familien. Nach wie vor bietet der hiesige Ländliche Raum ähnlich wie die Randzonen um die Verdichtungsräume attraktive Wohnstandorte für das Leben mit Kindern. Am Wanderungssaldo der Familienwanderer7 kann abgelesen werden, welche Teilräume in Baden-Württemberg im Zeitraum 2001 bis 2005 von Familienzuwanderung profitiert haben und aus welchen Räumen Familien abgewandert sind.

Gegenwärtig hat Baden-Württemberg insgesamt noch Wanderungsgewinne zu verzeichnen, insbesondere durch die Zuwanderung aus anderen Bundesländern. So lag der Wanderungssaldo der Familienwanderer im Zeitraum 2001 bis 2005 im Landesdurchschnitt bei rund 15 Personen je 1 000 Einwohnern der Altersklasse.

In den Verdichtungsräumen ist der Wanderungssaldo der Familienwanderer insgesamt deutlich geringer. In vielen städtischen Zentren wie zum Beispiel Stuttgart, Heidelberg, Mannheim, Karlsruhe, Tübingen, Ulm und auch Freiburg im Breisgau ist der Wanderungssaldo negativ, hier wandern Familien in die Umlandgemeinden ab. Gleichwohl verlieren die Verdichtungsräume im Zeitraum 2001 bis 2005 weniger Familien an das Umland als noch im Zeitraum 1996 bis 2000. Der Wanderungssaldo der Verdichtungsräume insgesamt ist im Zeitraum 2001 bis 2005 sogar leicht positiv und liegt bei durchschnittlich 2 Personen je 1 000 Einwohner.

Der Ländliche Raum i.e.S. profitiert von der Stadt-Umland-Wanderung von Familien, ähnlich wie die Randzonen um die Verdichtungsräume. Der Wanderungsgewinn bei den Familienwanderern lag im Ländlichen Raum i.e.S. im Zeitraum 2001 bis 2005 bei rund 25 Personen je 1 000 Einwohner, in den Randzonen um die Verdichtungsräume bei rund 33 Personen je 1 000 Einwohner. Besonders von der Zuwanderung profitiert haben in diesem Zeitraum ländlich geprägte Gemeinden im Umfeld Heilbronns, in Oberschwaben und am südlichen Oberrhein. Gleichwohl gibt es auch ländlich geprägte Teilräume, die Familien im Saldo verloren haben, beispielsweise im mittleren und südlichen Schwarzwald und auf der Schwäbischen Alb.

Unterschiedliche Ausgangsbedingungen im Wettbewerb um eine junge Bevölkerung

Die unterschiedlichen Ausgangsbedingungen im zunehmenden Standortwettbewerb um eine junge Bevölkerung können durch die Zusammenschau der örtlichen Geburtenraten einerseits und der örtlichen Wanderungssalden der Familienwanderer andererseits veranschaulicht werden. Dazu wurden die Verwaltungsgemeinschaften und Einheitsgemeinden nach über- bzw. unterdurchschnittlichen Geburtenraten und über- bzw. unterdurchschnittlichen Wanderungssalden klassifiziert (Schaubild 5)8.

Im Ländlichen Raum i.e.S. dominieren erwartungsgemäß Einheitsgemeinden und Verwaltungsgemeinschaften mit überdurchschnittlichen Geburtenraten (orange Flächen). In den stärker verdichteten Räumen und städtischen Zentren sind zumeist Gemeinden mit unterdurchschnittlichen Geburtenraten (blaue Flächen) anzutreffen.

Unter den Gemeinden des Ländlichen Raums i.e.S. mit überdurchschnittlichen Geburtenraten werden darüber hinaus die Gemeinden sichtbar, die zugleich eine überdurchschnittlich hohe Familienzuwanderung zu verzeichnen haben (dunkelorange Flächen). Dies sind beispielsweise ländlich geprägte Gemeinden im Umfeld Heilbronns, in Oberschwaben und am südlichen Oberrhein.

Weniger günstig ist die Ausgangssituation für Gemeinden, die trotz einer noch überdurchschnittlichen Geburtenrate nur vergleichsweise wenige Familien anziehen können oder sogar eine Abwanderung von Familien zu verzeichnen haben (hellorange Flächen). Darunter sind beispielsweise Gemeinden im Süden des Schwarzwalds und der Schwäbischen Alb sowie auch bestimmte Gemeinden in Ostwürttemberg und Franken. Auch die stärker verdichteten Räume, in denen zumeist unterdurchschnittliche Geburtenraten zu verzeichnen sind (blaue Flächen), lassen sich anhand der Familienzuwanderung weiter klassifizieren. Die städtischen Zentren wie Stuttgart, Heidelberg, Mannheim, Karlsruhe, Tübingen, Ulm und Freiburg im Breisgau haben zumeist mit der Abwanderung von Familien zu kämpfen (hellblaue Flächen), nicht zuletzt durch die hohen Mietkosten und Immobilienpreise. Von der Abwanderung aus den Zentren profitieren zumeist die benachbarten Gemeinden in den Randzonen: sichtbar zum Beispiel am mittleren und südlichen Oberrhein, in der Region Stuttgart und auch am Bodensee (dunkelblaue Flächen).

Kinderbetreuung für unter 3-Jährige im Ländlichen Raum noch wenig ausgebaut

Im künftigen Standortwettbewerb um den Zuzug und Verbleib junger Familien werden Faktoren wie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie ein bedarfsgerecht ausgebautes örtliches Betreuungs- und Bildungsangebot eine große Rolle spielen. Die Gemeinden und Städte in Baden-Württemberg haben die Herausforderung durch den demografischen Wandel erkannt und unternehmen derzeit starke Anstrengungen zur Verbesserung der Kindertagesbetreuung und der weiteren familienfreundlichen Rahmenbedingungen. Nachholbedarf besteht insbesondere bei der Betreuung von Kindern unter 3 Jahren sowie bei verlängerten Öffnungszeiten bis hin zu Ganztagesangeboten im Kindergarten.

Die Frage nach Betreuungsangeboten für unter 3-Jährige stellt sich besonders dringlich für Eltern, die in erheblichem Maße erwerbstätig sind. Nach einer Bedarfsanalyse des Statistischen Landesamtes auf Basis des Mikrozensus 2004 leben in Baden-Württemberg rund 20 % der 0- bis 3-Jährigen bei Eltern, die (beide) mit einem erheblichen Stundenumfang am Erwerbsleben teilnehmen9. Die politische Beschlusslage geht mittlerweile noch darüber hinaus: Nach dem Willen der großen Koalition in Berlin soll für die 1- bis unter 3-Jährigen ein Platzangebot von 35 % eines Jahrgangs geschaffen werden, ab 2013 soll es für diese Kinder einen Rechtsanspruch auf Betreuung geben10.

Derzeit liegen die Betreuungsquoten für unter 3-Jährige noch deutlich niedriger, haben aber durch den massiven Ausbau der Kleinkindbetreuung in den vergangenen Jahren deutlich zugelegt. Nach der neuen Kinder- und Jugendhilfestatistik wurden in Baden-Württemberg zum Stichtag 15. März 2007 rund 9,5 % der 0- bis unter 3-Jährigen in Kindertageseinrichtungen betreut. Weitere 2,1 % der 0- bis unter 3-Jährigen werden von Tageseltern betreut. Gegenüber der Erhebung Ende 2002 hat sich das Betreuungsangebot für unter 3-Jährige damit in etwa vervierfacht. Die regionalen Unterschiede bei der Versorgung mit Betreuungsplätzen für unter 3-Jährige sind erheblich: Im Ländlichen Raum i.e.S. werden nur rund 6,9 % der 0- bis unter 3-Jährigen in Kindertageseinrichtungen betreut, in den Verdichtungsräumen sind es dagegen 11,1 %. Insbesondere in Teilräumen des mittleren und südlichen Schwarzwalds, der Schwäbischen Alb, Oberschwabens, Ostwürttembergs und Frankens sind die Versorgungsquoten für unter 3-Jährige noch sehr niedrig11.

Verlängerte Öffnungszeiten in Kindergärten, aber wenig Ganztagesbetreuung im Ländlichen Raum

Ähnlich wie für die unter 3-Jährigen wurden in den vergangenen Jahren auch die Betreuungsangebote für die 3- bis unter 6-Jährigen weiter ausgebaut. Noch vor 5 Jahren waren über 80 % der Kindergartenplätze sogenannte Regelkindergartenplätze, die kein durchgehendes Betreuungsangebot über Mittag vorsahen. Nach der neuen Kinder- und Jugendhilfestatistik wird bereits gut die Hälfte der Kinder in Tageseinrichtungen mit verlängerter Öffnungszeit (44 %) oder zum Teil auch den ganzen Tag über (8,5 %) betreut. Die Abkehr von den Regelkindergärten hin zu Kindertageseinrichtungen mit bedarfsgerechten flexiblen Betreuungszeiten ist im ganzen Land zu beobachten. Regionale Unterschiede gibt es allerdings bei der Versorgung mit Ganztagesangeboten für Kinder, deren Eltern beide beruflich beansprucht oder alleinerziehend sind. Die Ganztagesangebote konzentrieren sich bislang weitgehend in den Verdichtungsräumen: Hier werden 13,3 % der 3- bis unter 6-Jährigen, die Kindertageseinrichtungen besuchen, über einen Zeitraum von mehr als 7 Stunden am Tag betreut. Im Ländlichen Raum i.e.S. dagegen sind Ganztagesangebote noch vergleichsweise selten anzutreffen, der Anteil der 3- bis unter 6-Jährigen mit Ganztagesbetreuung liegt lediglich bei 2,9 %. Besonders dünn gesät sind Ganztagesangebote in den Teilräumen mittlerer und südlicher Schwarzwald, Schwäbische Alb und Oberschwaben, Teilen Ostwürttembergs und Heilbronn-Frankens.

Hohe Erwerbsbeteiligung von Frauen – wachsender Bedarf an Kinderbetreuung

In den Gemeinden des Ländlichen Raums mit noch wenig ausgebauten Betreuungsangeboten greifen die Familien bislang noch stärker auf private Betreuungsarrangements zurück. Die oft geäußerte Annahme, dass der Bedarf an Kindertagesbetreuung im Ländlichen Raum grundsätzlich niedriger sei, weil die Mütter hier weniger erwerbstätig seien, lässt sich in dieser Form nicht bestätigen. In bestimmten ländlich geprägten Regionen wie Schwarzwald-Baar-Heuberg, Neckar-Alb oder Heilbronn-Franken ist die Erwerbsquote von Müttern sogar überdurchschnittlich hoch und auch der Erwerbsumfang von Müttern nach Arbeitsstunden ist im Ländlichen Raum nicht ohne Weiteres niedriger als in den Verdichtungsräumen12.

Zukünftig wird sich also auch im Ländlichen Raum ein erhöhter Bedarf an Kindertagesbetreuung einstellen, wie es bereits viele Gemeinden im Rahmen ihrer kommunalen Bedarfsplanungen feststellen.

Großes Potenzial für den Umbau der Kinderbetreuung im Ländlichen Raum

Durch den weiteren Rückgang der Kinderzahlen ist eine gute Ausgangssituation gegeben für den bedarfsgerechten Ausbau und Umbau der Kindertagesbetreuung. Nach der aktuellen Bevölkerungsvorausrechnung wird die Zahl der 3- bis unter 6-Jährigen im Jahr 2015 im Landesdurchschnitt um voraussichtlich rund 13 % niedriger liegen als im Ausgangsjahr 2005. Das wären landesweit über 40 000 Kindergartenkinder weniger. Weniger Kinder im Kindergartenalter werden in den Kindergärten freie Kapazitäten schaffen, die für eine Angebotsausdehnung (längere Öffnungszeiten, Aufnahme von Kindern unter 3 Jahren) oder auch zur Verbesserung der Betreuungsqualität (Umsetzung des Orientierungsplans, Sprachförderung, kleinere Gruppen) genutzt werden können.

Der prozentuale Rückgang der Kinderzahlen wird im Ländlichen Raum i.e.S. noch stärker ausfallen, hier wird die Zahl der 3- bis unter 6-Jährigen bis 2015 um voraussichtlich rund 15 % abnehmen. In den Verdichtungsräumen fällt der Rückgang mit rund 12 % etwas moderater aus, weil hier heute schon geringere Kinderanteile zu verzeichnen sind.

Mit dem Rückgang der Kinderzahlen eröffnet sich also insbesondere für die Gemeinden im Ländlichen Raum die Chance, die Kindertagesbetreuung bedarfsgerecht und kostengünstig umzubauen. Damit ließe sich die Attraktivität gleichermaßen für junge Familien, junge Fachkräfte und neue Unternehmensstandorte deutlich verbessern, denn viele dieser Gemeinden haben gegenwärtig noch eine wenig ausgebaute Betreuungsinfrastruktur13. Für die Gemeinden im Ländlichen Raum besteht also durchaus eine realistische Chance, sich mit einer kinder- und familienfreundlichen Infrastruktur im zunehmenden kommunalen Standortwettbewerb zu profilieren. In diesem Sinne plädiert der Gemeindetag Baden-Württemberg in seinem »10-Punkte-Programm für den ländlichen Raum« für eine Ausrichtung aller kommunalen Lebensbereiche auf die Bedürfnisse von Kindern und Familien. Das Leitmotto: »Vorfahrt für Familien!«14.

1 Der Landesentwicklungsplan Baden-Württemberg unterscheidet vier Raumkategorien: Verdichtungsräume, Randzonen um die Verdichtungsräume, Verdichtungsbereiche im Ländlichen Raum sowie den Ländlichen Raum im engeren Sinne (ohne Verdichtungsbereiche). Die vorliegende Analyse konzentriert sich auf den Ländlichen Raum im engeren Sinne (hier kurz »Ländlicher Raum«), zu dem über 60 % der Landesfläche gehören, aber im dem nur rund 25 % der Bevölkerung Baden-Württembergs leben. Vgl. Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg: Landesentwicklungsplan 2002.

2 Die zusammengefasste Geburtenrate (total fertility rate) ergibt sich aus der Summe der altersspezifischen Geburtenraten der Frauen im Alter von 15 bis unter 45 Jahren im jeweiligen Berichtsjahr. Zur Berechnung der altersspezifischen Geburtenraten wurden jeweils die Lebendgeborenen von Müttern eines Geburtsjahres durch die jeweilige Gesamtzahl der Frauen des gleichen Geburtsjahres dividiert. Dabei wurde die »Gesamtzahl der Frauen« jeweils als Durchschnitt zweier aufeinanderfolgender Jahre zugrunde gelegt.

3 Verwaltungsgemeinschaften sind nach § 59 der Gemeindeordnung für Baden-Württemberg Gemeindeverwaltungsverbände von benachbarten Gemeinden desselben Landkreises, in der eine Gemeinde (die sogenannte erfüllende Gemeinde) bestimmte Aufgaben für die anderen Mitgliedsgemeinden des Verwaltungsverbandes übernimmt. Einheitsgemeinden sind im Gegensatz dazu »verwaltungsgemeinschaftsfreie« Gemeinden, die alle Aufgaben in eigener Zuständigkeit erledigen. Derzeit gibt es in Baden-Württemberg 271 Verwaltungsgemeinschaften und 190 Einheitsgemeinden.

4 Berücksichtigt werden könnten nur die Erstgeburten von verheirateten Frauen. Das sind über 85 % aller Erstgeborenen. Daten über die Geburtenfolge von nicht verheirateten Frauen sind aufgrund der gesetzlichen Regelungen nicht verfügbar.

5 Brachat-Schwarz, Werner/Dominé, Attina: »»Späte Mutterschaft« – zu den regionalen Unterschieden in Baden-Württemberg«, in: »Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 10/2007«

6 In Ostdeutschland werden Ausbildung, Berufseinstieg und Familiengründung als zeitlich besser vereinbar angesehen, wie eine Befragung west- und ostdeutscher Paare zur Familiengründung belegt. Entsprechend geringer ist in Ostdeutschland auch der Anteil später Mutterschaften. Vgl. Kreyenfeld, Michaela/Konietzka, Dirk: Angleichung oder Verfestigung von Differenzen? Geburtenentwicklung und Familienformen in Ost- und Westdeutschland, MPIDR Working Paper 2004-025.

7 Der Wanderungssaldo der Familienwanderer bezeichnet den Saldo der gemeindeübergreifenden Zu- und Fortzüge von Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren sowie von Erwachsenen im Alter von 30 bis unter 50 Jahren bezogen auf 1 000 Einwohner dieser Altersklasse. Eine nähere Eingrenzung von »Familien« kann anhand der Bevölkerungsstatistik nicht vorgenommen werden.

8 Die Bestimmung der über- und unterdurchschnittlichen Fertilitätsraten bzw. Wanderungssalden erfolgte jeweils entlang des Medians.

9 Ridderbusch, Jens: »Kindertagesbetreuung für unter 3-Jährige – eine Bedarfsanalyse für Baden-Württemberg«, in: »Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 8/2006«

10 Ein Platzangebot für 35 % der zwei Altersjahrgänge der 1- bis unter 3-Jährigen würde einer Betreuungsquote von ca. 23 % für die drei Altersjahrgänge der 0- bis unter 3-Jährigen entsprechen.

11 Dabei ist einschränkend zu berücksichtigen, dass die Betreuung bei Tageseltern nicht in die vorliegende regionale Analyse einfließen konnte, weil die Daten zur Kindertagespflege nur für die Kreisebene erhoben werden. Eine Einbeziehung der Kindertagespflege würde jedoch aufgrund der insgesamt geringeren Größenordnung die vorliegenden Stadt-Land-Unterschiede bei der Betreuung der unter 3-Jährigen nicht grundlegend ändern.

12 Ridderbusch, Jens: »Erwerbsbeteiligung und Kinderbetreuung im regionalen Vergleich«, in: »Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 6/2005«;Ridderbusch, Jens: »Kindertagesbetreuung für unter 3-Jährige – eine Bedarfsanalyse für Baden-Württemberg«, in: »Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 8/2006«

13 Ridderbusch, Jens: »Ausbau der Kindertagesbetreuung hat Vorteile für die Volkswirtschaft«, in: »Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 11/2004«

14 Vgl. Gemeindetag Baden-Württemberg: 10-Punkte-Programm für den ländlichen Raum, in: Die Gemeinde 19/2007, S. 783 ff.