:: 10/2013

Stadt – Land – Flucht?

Teil II: Wie die Kinder der Babyboomer und die Bildungsexpansion das Wanderungsgeschehen in Baden-Württemberg beeinflussen

Seit der Jahrtausendwende wird beobachtet, dass sich die Bevölkerungszahlen der Städte günstiger entwickeln als die der ländlichen Gemeinden. Um abschätzen zu können, in welchem Umfang sich dieser als Reurbanisierung bezeichnete Prozess fortsetzen wird, müssen seine zentralen Triebfedern identifiziert werden. Dies ermöglicht in der Folge eine Abschätzung der Beständigkeit der derzeit beobachtbaren Trends. Die Analysen zeigen: Während sich für ländliche Gemeinden weiterhin keine Verbesserung der demografischen Situation abzeichnet, ist für die Großstädte – insbesondere für große Hochschulstandorte – mit einer schon bald einsetzenden Stagnation oder sogar Abnahme des Zustroms junger Erwachsener zu rechnen. Hinsichtlich eines weiteren Ausbaus von Wohnraum ist daher Augenmaß angebracht, da eine Fortschreibung des Trends der letzten Jahre zu Fehlplanungen führen könnte.

Welche Wanderungstrends prägen die Reurbanisierung?

Die Reurbanisierung in Baden-Württemberg wird, wie in den zwei vorangegangenen Monatsheften gezeigt werden konnte,1 im Wesentlichen durch die verstärkten Zuzüge junger Erwachsener in die Oberzentren getragen, vor allem von den 18- bis unter 25-Jährigen, die über die Landesgrenzen oder aus anderen Gebieten Baden-Württembergs zunehmend in die Oberzentren ziehen. Parallel zu dieser Entwicklung nahmen in den letzten Jahren auch die Studienanfängerzahlen erheblich zu. Da die großen Hochschulstandorte in den Oberzentren liegen, stellt sich die Frage, wie stark der Reurbanisierungstrend von der Zunahme der Studierenden beeinflusst wurde und ob sich aus dieser Betrachtung etwas über die Nachhaltigkeit dieser Entwicklung – auch mit Blick auf die Wohnraumversorgung – aussagen lässt.

Das Umzugsverhalten von Studienanfängern

Da in der Hochschulstatistik keine Wohnorte geschweige denn vorangegangene Wohnorte erfasst werden und in der Wanderungsstatistik nicht der Wanderungsgrund, lassen sich auf die Aufnahme eines Studiums zurückzuführende Umzüge nicht exakt quantifizieren. Jedoch erfasst die Hochschulstatistik den Ort des Erwerbs der Hochschulzugangsberechtigung, was zumindest eine Annäherung ermöglicht. Der Anteil der Studierenden, die ihre Hochschulzugangsberechtigung im Stadt-/Landkreis der Hochschule oder in angrenzenden Stadt-/Landkreisen erwerben, ist relativ stabil. Er lag im Wintersemester 2009/10 bei knapp 30 %.2 Für diese Studierenden ist es durchaus möglich, dass ein beträchtlicher Teil den Wohnsitz nicht wechselt. Dafür spricht auch die relativ geringe Zahl der Zentrum-Umland-Umzüge in dieser Altersgruppe.3 Wurde die Hochschulzugangsberechtigung in größerer Entfernung erworben, ist ein Umzug bei Studienbeginn sicherlich die Regel.

Die Entwicklung der Zahl der Studienanfänger

Von 2000 bis 2011 ist die Zahl der Schulabgänger mit Hoch- oder Fachhochschulreife aus allgemeinbildenden und beruflichen Schulen in Baden-Württemberg von 42 000 auf 72 000 gestiegen. Es liegt nahe, dass dieser Anstieg die wesentliche Ursache für die verbesserte Wanderungsbilanz der Oberzentren bei den 18- bis unter 21-Jährigen seit dem Jahr 2000 ist.

Für das Abschlussjahr 2012 gab es durch den doppelten Abiturjahrgang – in Folge der Einführung der verkürzten Gymnasialschulzeit (G8) – fast 100 000 Hochschulzugangsberechtigte (+34 % gegenüber 2011). Im Jahr 2013 wird die Zahl voraussichtlich wieder auf das Niveau von 2009 (rund 67 000) absinken, einige Jahre relativ stabil auf diesem Niveau verharren und dann kontinuierlich weiter zurückgehen. Für 2025 werden noch rund 56 000 Schulabgänger mit Fach- oder Hochschulreife erwartet.4

Entsprechend wird die Zahl der Studienanfänger im ersten Hochschulsemester voraussichtlich 2012 mit knapp 80 000 die Höchstzahl erreicht haben, nachdem sie bereits 2011 – größtenteils vermutlich als Ergebnis der Aussetzung der Wehrpflicht im März 2011 – von 67 000 auf 77 000 deutlich gestiegen war. Drei Gründe sprechen dafür, dass der Rückgang der Studienanfänger ab 2013 gemäßigter verlaufen wird als bei den Schulabgängern. Erstens beginnen viele Schulabgänger nicht direkt nach dem Abitur ein Studium, zweitens wird der Anteil der Schulabgänger mit Hochschulzugangsberechtigung, die ein Studium beginnen, wahrscheinlich weiter steigen5 und drittens ist auch künftig ein positiver Wanderungssaldo über die Landesgrenzen in dieser Altersgruppe wahrscheinlich. Dennoch ist auch bei den Studienanfängern mit rückläufigen Zahlen zu rechnen.

Wie diese Entwicklung die Reurbanisierung beeinflusst

Sowohl das Ausmaß als auch die Nachhaltigkeit der Reurbanisierung könnten durch den »Tempoeffekt«, das heißt in diesem Fall die zwischen Studienbeginn und Abschluss des Studiums verstreichende Zeit, wesentlich beeinflusst sein. Starke zuziehende Jahrgänge werden sich voraussichtlich erst einige Jahre später in verstärkten Fortzügen niederschlagen. Bei der Betrachtung von Wanderungssalden – aus Zu- und Fortzügen je eines Jahres – werden aktuell starke Anfängerjahrgänge mit verhältnismäßig schwachen Absolventenjahrgängen in Beziehung gesetzt. Dadurch kommen – selbst bei sonst unverändertem Wanderungsverhalten – stark positive Wanderungssalden zustande, was zu einer Überschätzung des Trends verleitet.

Um angesichts des sich abzeichnenden Umbruches ein einigermaßen realistisches Bild davon zu erhalten, wie stark die Reurbanisierung durch diese Struktureffekte verstärkt wird, muss ein Berechnungsverfahren angewandt werden, das den Tempoeffekt eliminiert. Der Ausweg besteht darin, nicht die Wanderungssalden zu berechnen, sondern getrennt die Zuwanderung mit den Studienanfängern und die Abwanderung mit den Absolventen des jeweiligen Jahres in Verbindung zu bringen.

Da die Hochschulstandorte sehr unterschiedlich groß sind und auch der Anteil der Studierenden an der Bevölkerung stark variiert, wurden drei Typen von Hochschulstandorten gebildet:

Typ 1: Große Hochschulstandorte mit mehr als 2 500 Studienanfängern im Jahr 2011, in denen auf 1 000 Einwohner der Altersgruppe 18 bis unter 25 mehr als 250 Studienanfänger desselben Alters kommen. Dies sind die Standorte Heidelberg, Karlsruhe, Konstanz und Tübingen.

Typ 2: Große Hochschulstandorte mit mehr als 2 500 Studienanfängern im Jahr 2011, in denen der Anteil der Studienanfänger an der Bevölkerung niedriger ist. Dieser Typ umfasst die Standorte Freiburg, Mannheim, Stuttgart und Ulm.

Typ 3: Mittlere Hochschulstandorte mit 1 000 bis 2 500 Studienanfängern. Dazu gehören die Standorte Aalen, Esslingen, Heilbronn, Ludwigsburg, Mosbach, Offenburg, Pforzheim, Ravensburg/Weingarten, Reutlingen sowie Villingen-Schwenningen.

Die kleineren Hochschulstandorte bleiben bei der Analyse unberücksichtigt, da dort die Studienanfänger für das gesamte Wanderungsgeschehen quantitativ eine geringere Rolle spielen.

Wie hängen Studienanfänger und Zuzüge zusammen?

Die folgende Analyse verbindet die Zahl der Studienanfänger im ersten Hochschulsemester mit der Zahl der Zuzüge für die beiden Altersgruppen 18 bis unter 21 Jahre und 21 bis unter 25 Jahre, da die meisten jungen Menschen in diesem Alter ein Studium beginnen. Schaubild 2 zeigt die Zahl der Studienanfänger auf der X- und die Zuzüge auf der Y-Achse, links für die Altersgruppe 18 bis unter 21 Jahre und rechts für die 21- bis unter 25-Jährigen. Die Punkte je Farbe spiegeln mit zunehmender Farbintensität die Jahre 2008 bis 2012 wider. Außerdem ist die Regressionsgerade mit Gleichung und Korrelationsmaß (R²) angegeben. Für die Altersgruppe 18 bis unter 21 Jahre wurde die Regressionsgerade für den gesamten Zeitraum berechnet. Für die Altersgruppe 21 bis unter 25 Jahre erfolgte dies nur für die Jahre 2008 bis 2011, um die Abweichung von 2012 zum vorangegangenen Trend sichtbar zu machen.

Die Punkte der Jahre 2008 bis 2012 zeigen bei der Altersgruppe von 18 bis unter 21 Jahre für alle drei Hochschulstandorttypen einen nahezu perfekt linearen Verlauf. Die Korrelation zwischen beiden Entwicklungen betrug bei den Standorttypen überall über 0,98. Das heißt, der Anteil der direkt an den Hochschulstandort ziehenden Studienanfänger ist von 2008 bis 2012 stabil geblieben. Jedoch kommt nicht auf jeden zusätzlichen Studienanfänger ein zusätzlicher Zuzug, sondern bei den mittleren und großen Hochschulen nur einer auf drei Studienanfänger.6 Bei den großen und dominanten Hochschulstandorten kommt auf zwei zusätzliche Studienanfänger ein Zuzug.7 Die Gründe hierfür bedürften einer gesonderten Analyse. Vermutet werden kann, dass die besondere Attraktivität dieser Städte als Wohnort für Studierende einen Einfluss hat. Daneben gibt es bei allen Standorttypen einen positiven Sockelzuzug, der unabhängig von den Studienanfängern ist.

Interessant ist, dass es selbst bei der starken Zunahme der Studienanfänger 2011 und den anhaltend hohen Zahlen 2012 genug Wohnungsangebote gab, dass das Verhältnis der Zuziehenden zu den Studienanfängern bestehen bleiben konnte. Dies war vermutlich auch aufgrund des deutlichen Ausbaus der Wohnheimkapazitäten in Vorbereitung auf den doppelten Abiturientenjahrgang möglich.8 Ob die Wohninteressenten qualitative Abstriche machen mussten, kann an dieser Stelle nicht beurteilt werden.

Bei der älteren Altersgruppe der 21- bis unter 25-Jährigen (rechter Teil der Abbildung) ist der lineare Zusammenhang zwischen Studienanfängern und Zuzügen 2008 bis 2011 nicht so stark, aber immer noch beachtlich. Hier gibt es im Gegensatz zur jüngeren Altersgruppe deutlich mehr Zuzüge als Studienanfänger, was darauf hindeutet, dass in dieser Altersgruppe andere Umzugsmotive als die Aufnahme eines Erststudiums eine größere Rolle spielen. Bei den großen Standorten mit dominanten Hochschulen ist der Zusammenhang am geringsten. Nur rund jeder zweite Zuzug lässt sich hier auf die Zunahme der Studienanfänger zurückführen. Etwas enger ist der Zusammenhang bei den mittleren Hochschulstandorten.

Ausnahmejahr 2012

Das Jahr 2012 fällt bei den 21- bis unter 25-Jährigen aus dem Muster der Jahre davor heraus. Anders als bei den Jüngeren ging in dieser Altersgruppe die Zahl der Studienanfänger zurück. Die Aussetzung der Wehrpflicht und die Einführung des G8 führen zu insgesamt jüngeren Studienanfängern. Der Rückgang der Zuzüge fiel für die großen Hochschulstandorte jedoch nicht so stark aus wie es bei einem weiteren Bestehen des linearen Trends zu erwarten gewesen wäre. Bei den mittleren Standorten stiegen sie sogar etwas an.

Zur Interpretation dieses Ergebnisses ist wichtig zu beachten, dass in dieser Altersgruppe doppelt so viele Zuzüge stattfinden als es in dieser Altersgruppe Studienanfänger im ersten Hochschulsemester gibt. Ein großer Teil der Zuzüge steht also nicht mit der Aufnahme eines Erststudiums in Zusammenhang. Ob die unerwartet hohen Zuzüge 2012 als von den Studierenden unabhängiger Reurbanisierungstrend interpretiert werden können oder ob der Ausbau von Masterstudiengängen hier eine Rolle spielt, bedürfte einer weiteren Analyse. Die Annahme, dass junge Erwachsene zunehmend Schwierigkeiten haben an Hochschulstandorten einen Wohnsitz zu finden, wird durch die vorliegenden Ergebnisse jedenfalls nicht bestätigt.

Wie bedeutsam die Hochschulstandorte für die Zuzüge insgesamt sind, wird in Schaubild 3 deutlich. Bewusst wurde hier ein Bezug auf die Zahl der Zuzüge über alle Altersgruppen hergestellt, um deutlich zu machen, dass die Zuzüge im Studienalter auch für das Gesamtergebnis von großer Bedeutung sind. Die Abbildung zeigt, dass manchmal nur der Hochschulstandort selbst profitiert, manchmal auch das Umland. Außerdem gibt es auch Gebiete, die für den Zuzug attraktiv sind, auch wenn sie keine bedeutenden Hochschulstandorte sind (vergleiche zum Beispiel den Bodenseeraum). Es wäre also verkürzt, nur diese eine Dimension als ausschlaggebend zu betrachten, kleinräumig können auch ganz andere Faktoren prägend sein.

Zusammenhang zwischen Studienabsolventen und Fortzügen

Jeder Studienanfänger beendet irgendwann sein Studium, einige ohne Abschluss bereits nach kurzer Zeit, andere mit mehreren Abschlüssen nach vielen Jahren. Darum sind die Abschlusszahlen nicht direkt mit den Studienanfängerzahlen vergleichbar.

Die Altersgruppen der 21- bis unter 25-Jährigen und der 25- bis unter 30-Jährigen sind diejenigen mit den meisten Hochschulabschlüssen. Vor allem bei der jüngeren Altersgruppe dürfte es sich fast durchgehend um Bachelor-Abschlüsse handeln. Viele Studierende, die im Jahr 2009 ihren Abschluss gemacht haben, dürften bei einer Studienzeit von 7 bis 8 Semestern im Wintersemester 2005 begonnen haben. Obwohl in den Jahren 2005 bis 2007 die Studienanfängerzahlen insgesamt und bezogen auf die zwei betrachteten Altersgruppen leicht rückläufig waren, hat die Zahl der Studienabschlüsse 2009 bis 2011 insgesamt und besonders deutlich in der Altersgruppe der 21- bis unter 25-Jährigen zugenommen. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass ein größerer Anteil der Studierenden den ersten Hochschulabschluss bereits vor dem 25. Lebensjahr erlangt.

Durch die Umstellung auf Bachelor-Master-Studiengänge schließt sich an den ersten Hochschulabschluss bei einem größer werdenden Teil der Studierenden ein Masterstudium an.9 Wird der Master an derselben Hochschule begonnen, wird sich das in aller Regel nicht in einem Fortzug niederschlagen. Dennoch ist die Zahl der Fortzüge in der Altersgruppe der 21- bis unter 25-Jährigen sehr viel höher als die Zahl der Abschlüsse. Studienortwechsler und Studienabbrecher dürften dazu ebenso beitragen wie nicht studienbedingte Fortzüge.10 Interessant ist, das zeigt Schaubild 4, dass das Verhältnis zwischen Fortzügen und Absolventen bei der jüngeren der betrachteten Altersgruppen (linker Teil der Abbildung) wiederum weitgehend linear ist. Für keinen der drei Typen von Hochschulstandorten lässt sich eine höhere Verbleibensquote der Absolventen am Hochschulstandort ausmachen.

Bei der Altersgruppe der 25- bis unter 30-Jährigen liegen die Absolutzahlen zwischen Studienabschlüssen und Fortzügen näher beieinander, vor allem aufgrund der höheren Zahl der Abschlüsse. Dies ist nur zu einem kleineren Teil dadurch bedingt, dass die Altersgruppe einen Jahrgang mehr umfasst. Bedeutsamer ist, dass relativ zur Einwohnerzahl in dieser Altersgruppe mehr Abschlüsse erzielt werden. Bei allen Standorttypen kommen bei der Altersgruppe 21 bis unter 25 Jahre rund acht Abschlüsse auf 100 Einwohner. Bei der Altersgruppe 25 bis unter 30 Jahre sind es bei den mittleren Hochschulen rund zehn Abschlüsse auf 100 Einwohner, bei den großen Hochschulstandorten mit niedrigerer Dominanz elf und bei den dominanten Hochschulstandorten 21 Abschlüsse. Insofern verwundert es auch nicht, dass beim Typ große dominante Hochschulen die Korrelation zwischen der Zahl der Abschlüsse und den Fortzügen am höchsten ist. Trotz der absolut größeren Nähe zwischen der Zahl der Abschlüsse und der Zahl der Fortzüge ist der Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Fortzüge und der Entwicklung der Abschlüsse bei den 25- bis unter 30-Jährigen nur noch schwach.

Welche Triebfedern der Reurbanisierung konnten identifiziert werden?

In Teil I dieses Artikels wurde herausgearbeitet, dass die 18- bis unter 25-Jährigen die Reurbanisierung in den Oberzentren im Wesentlichen tragen. Da die ersten Jahrgänge der Kinder der Babyboom-Generation nach der Jahrtausendwende dieses Alter erreichten, hat die Zahl der jungen Erwachsenen seit 2000 um über 80 000 zugenommen.

Nun konnte gezeigt werden, dass das Wanderungsverhalten der jungen Erwachsenen wesentlich von der Aufnahme eines Studiums bestimmt wird. Einige Sondereffekte (Aussetzung der Wehrpflicht, G8) haben die Studienanfängerzahlen besonders nach oben schnellen lassen, was die Reurbanisierung nochmals verstärkte.

Diese Struktureffekte sind es, die zur Reurbanisierung seit Anfang des Jahrtausends und zur Verstärkung des Trends in den letzten Jahren führten. Verhaltensänderungen sind dagegen nur in marginalem Umfang zu beobachten.

Was lässt sich daraus für die Zukunft schließen?

Nun wachsen absehbar schwächere Jahrgänge nach. Das Potential junger Erwachsener, das für eine Fortsetzung der heute beobachtbaren Reurbanisierung zur Verfügung steht, wird also kleiner. Es geht voraussichtlich von 916 000 bis zum Jahr 2030 um fast 200 000 zurück. Außerdem werden in den nächsten Jahren die starken Studierendenjahrgänge die Hochschulen verlassen.

Da gezeigt werden konnte, dass keine verstärkte Bleibetendenz am Hochschulstandort besteht, lässt sich aus diesen Entwicklungen schließen, dass eine Fortsetzung der Reurbanisierung in Art und Ausmaß der letzten Jahre unwahrscheinlich ist. Vielmehr dürfte sie im Jahr 2012 ihren Höhepunkt erreicht haben. Selbst wenn sich der Trend der Bildungsexpansion weiter fortsetzt, werden aus heutiger Sicht die rückläufigen Jahrgangsstärken durchschlagen.

Es zeigt sich aber auch, dass die Entwicklung der Studienanfänger bzw. -absolventenzahlen nur zwei von mehreren Erklärungsfaktoren für kleinräumig zum Teil sehr unterschiedliche Wanderungsmuster sind. Weiterführende, auch multivariate Analysen unter anderem mit der Entwicklung der Arbeitsplätze und dem Wohnungsangebot könnten ergänzende Erklärungen liefern. Allerdings gibt es auch jenseits der mit Daten der amtlichen Statistik erfassten Sachverhalte weitere Attraktivitätsfaktoren, die die Wanderung erheblich beeinflussen (zum Beispiel Bodenseeraum).

Für die untersuchten vier Gebietstypen lassen sich aus den Analysen aus heutiger Sicht folgende wahrscheinliche Entwicklungsperspektiven ableiten: In Folge des Rückgangs der jungen Erwachsenen dürfte sich das Wachstum der Oberzentren künftig deutlich abschwächen oder ganz stoppen. Schon kurzfristig werden aller Voraussicht nach weniger junge Erwachsene auf den Wohnungsmarkt drängen. Diese Perspektive gilt es auch bei Infrastrukturplanungen im Auge zu behalten. Da die Abwanderungsneigung aus den Oberzentren in anderen Altersgruppen etwas abgenommen hat, ist ein Bevölkerungsverlust in den Oberzentren – wie in den 1990er-Jahren – für die nächste Zeit nicht wahrscheinlich.

Bevölkerungsrückgang – bei insgesamt in Baden-Württemberg rückläufiger Einwohnerzahl11 – dürften vor allem Umlandgemeinden von Mittelzentren zu bewältigen haben. Vor allem für kleine Gemeinden in ländlich geprägten Gebieten gilt es vor dem Hintergrund der aufgezeigten Perspektiven mit der Ausweitung des Wohnraumangebots in peripheren Lagen, die zudem auf Kosten des Ortskerns gehen könnte, zurückhaltend umzugehen.

Die Umlandgemeinden der Oberzentren werden sich voraussichtlich etwas stabiler entwickeln, da sie wahrscheinlich weiter von Suburbanisierungswanderung profitieren. Die Mittelzentren dürften sich wie bisher sehr heterogen entwickeln. Im Durchschnitt werden sie voraussichtlich den Bevölkerungsstand schwach behaupten.